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Reise II: Reisekrankenversicherung und Kreditkarte, oder: Mann zahlt nur seine Reise, Frau wird krank

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Und im zweiten „Reiseposting“ dann etwas zur Reisekrankenversicherung, und zwar zur Definition des Versicherungsfalls bei einer als Nebenprodukt eines Kreditkartenvertrages abgeschlossenen Reisekrankenversicherung

Folgender Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten Versicherungsleistungen aus einer Auslandsreisekrankenversicherung, die mit einem Kreditkartenvertrag des Klägers verbunden ist. Der Kläger ist Inhaber einer sogenannten „Platinum Card“ des Kreditkartenunternehmens A. und versicherte Person aus einem zwischen dem Kreditkartenunternehmen und der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag. Nach den Versicherungsbedingungen der „A. Platinum Card“ wird Versicherungsschutz aus einer Auslandsreise-Krankenversicherung ausweislich der Überschrift in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen („AVB“) zum Abschnitt III nur in Verbindung mit einem Karteneinsatz gewährt und nur für die Dauer von max. 120 Tagen je Reise.

In den AVB ist in Abschnitt 10 u.a. geregelt, was „Reise“ bedeutet: „Eine mit Ihrer A. Platinum Card gezahlte Reise außerhalb ihres Heimatlandes oder eine mit ihrer A. Platinum Card bezahlte Reise innerhalb ihres Heimatlandes, die einen Flug oder mindestens eine zuvor gebuchte Übernachtung außerhalb ihres Heims einschließt.“ „„Sie/Ihr/Ihrer“ bedeutet: „Alle A. Platinum Card Inhaber und deren Familien sowie deren Zusatzkarteninhaber und deren Familien.“ „Familie“ bedeutet: „Ihr Partner/Gatte, verheiratet oder unverheiratet, an der gleichen Adresse wie Sie gemeldet, und Kinder unter 25 Jahren, die rechtlich von ihnen abhängig sind, einschließlich Stiefkinder, Pflegekinder oder Adoptivkinder.“

In den Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist der Auslandsreise-Krankenversicherungsschutz in einem Abschnitt geregelt, der wie folgt überschrieben und eingeleitet ist: „III. Platinum Card Reise-Versicherungsleistungen – Gültig nur mit Karteneinsatz, bis 120 Tage je Reise – Auslandsreise-Krankenversicherung – gültig nur mit Karteneinsatz, bis 120 Tage je Reise- Versicherer ist IPA. Alle Platinum Card Inhaber einschließlich der Zusatzkarteninhaber und ihrer Familien müssen während der mit Ihrer A. Platinum Card gezahlten Reise unter 80 Jahre sein, um ärztliche Hilfe und Kostenersatz zu erhalten (…).

Der Kläger, der gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem minderjährigen Kind von Deutschland aus eine Flugreise in die USA über Bremen, München, Denver, San Diego, San Francisco am 27.7.2021 sowie zurück von San Diego über Francisco, München nach Bremen am 24. und 25.8.2021 antrat, buchte hierfür seinen eigenen Flug über seine A. Platinum Card separat. Die Flüge für die gleichzeitig mitreisenden Familienangehörigen, die Ehefrau des Klägers und das minderjährige Kind, wurden nicht unter Verwendung der klägerischen Kreditkarte, sondern jener seiner Ehefrau bezahlt.

Während der Reise erkrankte die Ehefrau des Klägers plötzlich und schwer und musste mit akuten heftigen Bauchschmerzen stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden, wo noch gleichentags operativ eine Gallenblasen-Entfernung durchgeführt wurde. Für die Behandlung stellte der Krankenhausträger der Ehefrau des Klägers einen Betrag von 31.992,52 US-Dollar in Rechnung, welchen der Kläger und seine Ehefrau (zunächst) aus eigenen Mitteln beglichen. Es ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich, dass irgendwelche Reiseleistungen für die Ehefrau des Klägers mit der Kreditkarte des Klägers bezahlt wurden.

Nachdem der Kläger nach Rückkehr von der Reise die (zunächst) vorgestreckten Behandlungskosten bei der früheren Beklagten, der A. A. Deutschland GmbH, eingereicht hatte, lehnte diese eine Leistung mit der Begründung ab, ein Versicherungsfall nach den insoweit maßgeblichen Bedingungen läge nicht vor, die Behandlungskosten der Ehefrau des Klägers seien nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Die daraufhin erhobene Klage hat das LG abgewiesen. Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers. Das OLG ist der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich unbegründet ist und daher keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Es hat dem Kläger deshalb im OLG Bremen, Beschl. v. 21.8.2024 – 3 U 46/23 – anheim gegeben, zu prüfen, ob das Rechtsmittel nicht zurückgenommen wird:

„Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zurecht insgesamt abgewiesen. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Ein Deckungsanspruch des Klägers aus dem zwischen dem Kreditkarteninstitut und der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag besteht nicht, da es bereits – wie es das Landgericht festgestellt hat – am Vorliegen eines Versicherungsfalles fehlt.

Unter I. auf Seite 9 der Versicherungsbedingungen ist Reise unter der Überschrift „Allgemeine Definitionen für Reise-Versicherungen“ wie folgt definiert:

„Reise“ bedeutet: Eine mit Ihrer A. Plantinum Card gezahlte Reise außerhalb Ihres Heimatlandes oder eine mit Ihrer A. Plantinum Card gezahlte Reise innerhalb Ihres Heimatlandes, die einen Flug oder mindestens eine zuvor gebuchte Übernachtung außerhalb Ihres Heims einschließt.“

Nach den A. Plantinum Card Versicherungsbedingungen (Anlage B1, Bl. 20 ff. d.A.) Ziffer III. Nr. 1 1.1 besteht u.a. folgende Leistung des (Gruppen-) Versicherungsvertrages: „Notwendige medizinische, chirurgische und Krankenhauskosten, die sich daraus ergeben, dass Sie während Ihrer Reise krank oder verletzt werden.“

Der so definierte Versicherungsfall liegt nicht vor. In der Person des Klägers fehlt es an einer Erkrankung oder Verletzung. In der Person der Ehefrau des Klägers lag zwar eine Erkrankung vor, aber diese trat nicht während einer bedingungsgemäßen Reise auf, da die Reise der Ehefrau unstreitig nicht mit der A. Plantinum Card des Klägers bezahlt worden ist.

Die Bedingungen zur Definition des Versicherungsfalles sind gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12, NJW 2014, 2038, Rn. 34). Sie sind auch weder intransparent i.S.v. § 307 Abs. 3 S. 2, Abs. 1 S. 2 BGB noch überraschend nach § 305c Abs. 1 BGB.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Liegt – wie hier – ein Gruppenversicherungsvertrag vor, so kommt es daneben auch auf die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter und ihre Interessen an (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – IV ZR 289/13, VersR 2015, 318 Rn. 22 m.w.N.; BGH, Urteil vom 10. Juli 2024 – IV ZR 129/23, BeckRS 2024, 19898 Rn. 15, beck-online). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2022, 872 = VersR 2022, 312 Rn. 10; stRspr).

Auf der Grundlage dieses Maßstabs legen die zitierten Klauseln die von der Beklagten geschuldete Leistung fest. Danach soll ein Versicherungsfall nur vorliegen, wenn die Reise (-Leistung) unter Verwendung der Kreditkarte bezahlt wurde. Diese Einschränkung ist weder überraschend noch intransparent. Ersteres wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die Bezahlung der Reise mit einer Kreditkarte Bestandteil der Bedingungen eines direkten Versicherungsvertrages ohne Kreditkartenzusammenhang wäre. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Es handelt sich bei der hier in Rede stehenden Reisekrankenversicherung um ein Nebenprodukt eines Kreditkartenvertrages. Die angebotenen Versicherungsleistungen sollen (auch) einen Anreiz zur Verwendung der Kreditkarte darstellen. Die Versicherungsbedingungen benennen daher Versicherungsleistungen mit und ohne Karteneinsatz. Für die hier in Rede stehende Reisekrankenversicherung ist der so genannte Karteneinsatz mehrfach als Voraussetzung in den Versicherungsbedingungen genannt und andererseits klar unter I. auf Seite 9 der Versicherungsbedingungen definiert.

Ein anderes Verständnis der Versicherungsbedingungen wird dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie nicht gerecht. Danach ist es den Vertragsparteien – vorbehaltlich einer Abweichung von gesetzlichen Regelungen – freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen (vgl. BGH, NJW 2001, 1132 unter A II 1 a Rn. 20; BGH NJW 2018, 534, Rn. 15). Dies gilt auch für den vom Versicherer gewährten Versicherungsschutz und damit ebenfalls für die versicherten Ereignisse. Hier ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass die Beklagte nicht schon bei jeder Reise, sondern nur bei einer Reise, die mit der Kreditkarte bezahlt wurde, (Kranken-) Versicherungsschutz gewährt. Dass bereits die Teilnahme an einer bedingungsgemäßen Reise (hier nur die Reise des Klägers selbst) einen Versicherungsschutz für die Teilnehmer, hier die Ehefrau, begründen soll, lässt sich den Bedingungen nicht entnehmen.

Fehlt es somit am Vorliegen eines Versicherungsfalles, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, ob die Ehefrau des Klägers versicherte Person nach den Versicherungsbedingungen ist. Ebenso kann die Frage dahingestellt bleiben, ob etwaige Leistungsansprüche auch deswegen ausgeschlossen sind, da es sich jedenfalls nicht um Kosten handelt, die vom Arzt des Assistance-Service-Erbringers genehmigt worden sind (vgl. Ziffer III, 2., Nr. 2.1 der Versicherungsbedingungen). Insgesamt hat das Landgericht die Klage daher zurecht vollständig als unbegründet abgewiesen.“

StGB III: „Ungeimpft“ „Judenstern“ während Corona, oder: „from the river to the sea – Palestine will be free“

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Und dann zum Abschluss des Tages noch zwei Entscheidungen, und zwar einmal aus der „Abteilung“ „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“, und zwar „§ 86a StGB – Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ bzw. aus der „Abteilung“ „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“, und zwar  „§ 130 StGB – Volksverhetzung“. Von beiden Entscheidungen gibt es aber nur die Leitsätze, die doch rechtlangen Begründungen dann bitte ggf. in den verlinkten Volltexet selbst nachlesen.

Also:

1. Der Wortlaut des § 130 Abs. 3 StGB ist allein auf die Billigung, Leugnung und Verharmlosung von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Taten nach § 6 Abs. 1 VStGB bezogen und umfasst damit den Völkermord, nicht aber die weiteren dem Völkermord vorangegangenen Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden unter dem nationalsozialistischen Unrechtsregime.

2. Die Verwendung eines verfremdeten sogenannten Judensterns als Kritik an der Situation ungeimpfter Personen unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (sogenannter Ungeimpft-Stern) verwirklicht nicht den Tatbestand einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB, wenn die Verwendung dieses Zeichens nach den tatrichterlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls auf Maßnahmen der Ausgrenzung, Schikanierung und Rechtlosstellung von Juden bezogen zu verstehen ist, nicht aber auf den an ihnen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord.

1. Es ist fraglich, ob es sich dem Slogan „from the river to the sea – Palestine will be free“ um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a StGB handelt. Jedenfalls ermangelt es an einem hinreichenden Verdacht dahingehend, dass es sich hierbei um ein solches der HAMAS handelt.

2. Zur Strafbarkeit der Verwendung des Slogans „from the river to the sea – Palestine will be free“ “ (hier verneint)

Betrug II: Betrugsmasche „falsche Polizeibeamte“, oder: Versuch und Rücktritt vom Versuch

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas zum Betrug (§ 263 StGB), nämlich den OLG Bremen, Beschl. v. 19.03.2024 – 1 Ws 28/24. Der verhält sich zum Versuch und zum Rücktritt vom Versuch bei der Betrugsmasche „falsche Polizeibeamte bzw. Bankmitarbeiter“.

Das LG hatte eine umfangreiche Betrugsanklage nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze der Entscheidung, und zwar:

    1. Bei der Betrugsmasche „falsche Polizeibeamte bzw. Bankmitarbeiter“ liegt ein unmittelbares Ansetzen zum Betrug im Rahmen der telefonischen Kontaktaufnahme nicht erst dann vor, wenn der Täter den angerufenen Geschädigten tatsächlich zur Vornahme der angestrebten Vermögensverfügung auffordert, sondern bereits bei vorangegangenen Täuschungen im Rahmen desselben Telefonats, die ohne weitere wesentliche Zwischenschritte in die angestrebte Vermögensverschiebung münden sollten.
    2. Bei der Betrugsmasche „falsche Polizeibeamte bzw. Bankmitarbeiter“ kann der Täter nicht mehr strafbefreiend vom Versuch zurücktreten, wenn im Rahmen der telefonischen Kontaktaufnahme mit dem Geschädigten dieser auf die telefonische Betrugsmasche nicht eingeht und damit der Versuch fehlgeschlagen ist und die Erzielung des angestrebten Taterfolgs nicht ohne eine zeitliche Zäsur im unmittelbaren Handlungsfortgang für möglich zu halten gewesen wäre.

StPO II: Einiges Neues zu Pflichtverteidigerfragen, oder: Zweiter Verteidiger, Entpflichtung, Wechselfrist, Grund

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Im zweiten Posting dann einige Entscheidungen zur Pflichtverteidigung (§§ 140 ff. StPO). Es hat sich aber seit dem letzten Posting zu der Porblematik nicht so viel angesammelt, dass es für einen ganzen Tag reicht. Also gibt es ein Sammelposting, allerdings nur mit den Leitsätzen:

1. Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat.

2. Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers (§ 144 StPO) ist lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.

    1. Einem bereits verteidigten Angeklagten ist auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.
    2. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers nach § 144 StPO, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
    3. Zur Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden des bzw. das Erstgericht.
    1. Die Voraussetzung, unter denen wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig ist, kann bei sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten eher als erfüllt angesehen werden, als dies sonst der Fall ist.
    2. Zur Komplexität der Rechtslage bezüglich des Vorwurfs eines tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit dem Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113 Abs. 1, 114 Abs. 1 StGB) im Zusammenhang mit einem polizeilichen Einschreiten aufgrund des Filmens des Polizeieinsatzes.

Der Beginn der Frist für den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers hingewiesen worden ist.

 

Haft III: Überlanger Vollzug von Organisationshaft, oder: Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 89/23 – zur Abwägung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit mit dem Freiheitsrechten und Interessen des Verurteilten bei überlanger Organisationshaft.

Dazu hat das OLG Bremen, Beschl. v. 07.09.2023 – 1 Ws 89/23 – in einem umfangreich begründeten Beschluss Stellung genommen, von dem ich hier nur die Leitsätze einstelle, und zwar:

  1. Der überlange Vollzug von Organisationshaft zur Vorbereitung des Vollzugs einer angeordneten Maßregel begründet eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Verurteilten.

  2. Ob eine festgestellte Rechtsverletzung durch einen überlangen Vollzug von Organisationshaft zu einer Entlassung aus der Haft zu führen hat, ist anhand einer Abwägung zu beurteilen, für die es maßgeblich ankommt einerseits auf die Gefährlichkeit des Verurteilten und die dadurch tangierten Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sowie andererseits auf Ausmaß und Intensität der Rechtsgutsverletzung durch die verzögerte Sachbehandlung und überlange Dauer der Organisationshaft.

  3. Die zuständige Strafvollstreckungsbehörde hat grundsätzlich bereits ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung Bemühungen um die Aufnahme des Verurteilten aus der Organisationshaft in den Maßregelvollzug einzuleiten und es ist nicht das Vorliegen der Akten oder der schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten.

  4. Die Regelung des § 121 StPO hat keine auch nur indizielle Bedeutung für die Frage, ob als Ergebnis dieser Abwägungsentscheidung jedenfalls nach einem sechsmonatigen Vollzug von Organisationshaft eine Entlassung aus der Haft zu erfolgen hat.