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„Verjährungsfalle“ (?) – egal, da rechtsgeschäftliche (Zustellungs)Vollmacht

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Da ja aller guten Dinge Drei sind, hier die dritte Vollmachtsentscheidung, und zwar der OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.05.2013, 1 Ss (OWi) 83/13.

Der Sachverhalt: „Mit Schreiben vom 23.07.2012 hatte sich die Rechtsanwältin F. bei der Verwaltungsbehörde erstmals als Verteidigerin des Betroffenen gemeldet und bat um Übersendung der Akten an sie. Dem Schreiben hatte sie eine Vollmachtsurkunde beigefügt, die auf Rechtsanwältin U. H. ausgestellt war. Diese Rechtsanwältin wird auf dem Briefkopf des genannten Schreibens, dessen Briefkopf ansonsten den Namen „F.“ als Namen der Kanzlei angibt und hervorhebt, als „angestellte Rechtsanwältin“ bezeichnet.

Nachdem Rechtsanwältin F. die Akten eingesehen und wieder zurückgesandt hatte, erließ die Verwaltungsbehörde einen Bußgeldbescheid, der der Rechtsanwältin F. – „genannten Verteidigerin“ zugestellt wurde. Die Verteidigerin hat Eintritt der Verjährung reklamiert. Das AG hat nicht eingestellt und das damit begründet, dass das Verhalten der Verteidigerin als sog „Verjährungsfalle“ rechtsmissbräuchlich sei. Zum Beleg hat das Amtsgericht auf einen weiteren Vorgang hingewiesen, in dem die Verteidigerin ebenfalls allein in Erscheinung getreten sei, wiederum zunächst eine auf einen anderen Verteidiger ausgestellte Vollmacht zu den Akten gereicht und sich wegen angeblich unwirksamer Zustellung des Bußgeldbescheids dann später auf Verjährung berufen habe.

Das OLG ist ebenfalls nicht von Verjährung ausgegangen, hat aber den Vorwurf des Aufbaus einer „Verjährungsfalle“ offen gelassen, sondern mit der rechtsgeschäftlichen Vollmacht argumentiert.

Ob der vorliegende Fall, wie das Amtsgericht meint, ebenfalls als bewusst herbeigeführte „Verjährungsfalle“ und damit rechtsmissbräuchliches Verhalten der Verteidigerin (vgl. dazu auch BGHSt 51, 88ff) zu bewerten ist, und dies dann zur Folge hat, dass es auf eine zur Akte gelangte Verteidigervollmacht nicht mehr ankommt, kann aber dahinstehen, weil der Verteidigerin eine Zustellungsvollmacht jedenfalls rechtsgeschäftlich erteilt wurde.

Die Regelung der §§ 145a StPO, 51 Abs. 3 OWiG schließt eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht keineswegs aus, sondern schafft nur daneben eine zusätzliche – fingierte – Rechtsmacht zur Entgegennahme von Zustellungen durch einen Strafverteidiger. Auch einem Verteidiger kann aber – zusätzlich – durch Rechtsgeschäft eine Zustellungsvollmacht erteilt werden, was angesichts dessen, dass eine Zustellung auch an sonstige rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Dritte erfolgen könnte, sogar nahe liegt (BayObLG, aaO.). Diese bedarf dann keiner besonderen Form (§ 167 BGB), so dass sie bspw. auch mündlich erteilt werden kann (vgl. zur einem Verteidiger rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht: BGH, Beschluss vom 18.02.1997, 1 StR 772/96; juris; Brandenburgisches OLG, aaO.; BayObLG, aaO.).

Eine solche Vollmacht ist der Verteidigerin vorliegend – wie die Verteidigerin in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht selbst mitgeteilt hat – erteilt worden. Danach hat der Betroffene „per Telefax und Telefon“ sie – also gerade nicht Rechtsanwältin H. – als Verteidigerin beauftragt. Durch ein „Versehen der Mitarbeiter“ sei dem Betroffenen anschließend dann aber der Vordruck einer auf Frau Rechtsanwältin H. lautenden Vollmacht übersandt worden.

Dem entspricht auch das gesamte aus den Akten ersichtliche Verhalten der Verteidigerin: Sie – und nicht Rechtsanwältin H. – hat sich zu den Akten als Verteidigerin gemeldet, hat um Akteneinsicht ersucht und diese erhalten, hat den Einspruch eingelegt, die Einstellung des Verfahrens beantragt, als Verteidigerin an der Hauptverhandlung teilgenommen, und nur sie hat die Rechtsbeschwerde eingelegt und begründet. Zudem hat Rechtsanwältin F. den an sie zugestellten Bußgeldbescheid sowie das Urteil entgegengenommen. Daran, dass der Betroffene Rechtsanwältin F. und – trotz des Wortlauts der zu den Akten gelangten Urkunde – gerade nicht Rechtsanwältin H. als Verteidigerin gewählt hat, bestehen daher keine Zweifel.

Die zu den Akten gelangte Vollmachtsurkunde, die ersichtlich das vorher „per Telefax und Telefon“ Vereinbarte schriftlich dokumentieren sollte, hätte also – gerade so wie erteilt – eigentlich auf die Verteidigerin lauten sollen. Da die Urkunde eine Zustellungsbefugnis aber ausdrücklich enthält, hat die Verteidigerin diese Befugnis somit rechtsgeschäftlich eingeräumt bekommen. Darauf, dass eine auf sie lautende schriftliche Verteidigervollmacht nicht zu den Akten gelangt ist, kommt es somit zur Beurteilung der Verjährungsfrage nicht an.

Das weitere Erfordernis, dass aus Gründen der Rechtssicherheit auch das Vorliegen einer rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht in den Akten dokumentiert sein muss (vgl. BayObLG, aaO.), ist ebenfalls erfüllt, weil sich die oben wiedergegebenen Ausführungen der Verteidigerin aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ergeben. Zwar wurde kein Wortprotokoll geführt, sondern nur festgehalten, dass die Verteidigerin (im Zusammenhang mit den Erörterungen zur Verjährungsfrage und den dazu verlesenen Urkunden) eine Erklärung abgegeben hat, jedoch wird der Inhalt dieser Erklärung dann im schriftlichen Urteil des Amtsgerichts im Einzelnen mitgeteilt.

Damit ist der „Vollmachtsfrieden“ oder die Balance dann ja (fast) wieder hergestellt.

Manipulation bei der Verteilung von Transplantationsorganen – Beschuldigter bleibt in Haft

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Im Verfahren mit dem  Vorwurf der Manipulation bei der Verteilung von Transplantationsorganen liegt jetzt die Haft-Entscheidung des OLG Braunschweig vor. Dieses hat mit OLG Braunschweig, Beschl. v. v. 20.03.2013, Ws 49/13 – die Haftbeschwerde des Beschuldigten Professors verworfen. Dazu aus der PM v. 20.03.2013:

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG) hat mit Beschluss die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig als unbegründet zurückgewiesen. Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft blieb ohne Erfolg.

Dem 45-jährigen Prof. O wird seitens der Staatsanwaltschaft Braunschweig vorgeworfen, als seinerzeit verantwortlicher Arzt des Transplantationszentrums der Universitätsmedizin Göttingen seine auf eine Leberspende wartenden eigenen Patienten durch Manipulation der Zuteilungsreihenfolge bevorzugt zu haben. Dazu soll er seine Patienten der Stiftung EUROTRANSPLANT jeweils wahrheitswidrig als Dialysepatienten gemeldet haben. In einigen Fällen habe er Patienten auch schon dann auf die Warteliste setzen lassen, bevor die vorgeschriebene Alkoholkarenz von sechs Monaten eingehalten war. Die Staatsanwaltschaft legt ihren Ermittlungen dabei die Überlegung zugrunde, dass diese Bevorzugung eigener Patienten aufgrund des bekannten Organmangels zwangsläufig die Behandlung anderer lebensbedrohlich erkrankter und auf eine Leberspende wartender Patienten in 9 Fällen womöglich bis zu deren Tod verzögert habe, bewertet die Manipulation des Zuteilungsverfahrens daher im Haftbefehlsantrag als versuchte Tötung (§§ 212, 22, 23 Abs. 1 StGB) und hat beim Amtsgericht Braunschweig am 11.01.2013 gegen den Beschuldigten einen entsprechenden Haftbefehl erwirkt. Der Beschuldigte sitzt seit dem 11.01.2013 in Untersuchungshaft.

Das Verfahren befindet sich noch im Ermittlungsstadium. Die Ausführungen des Senats stellen daher Bewertung des bisherigen Ermittlungsergebnisses dar. Der für den Beschuldigten sprechenden Unschuldvermutung ist daher in besonderer Weise Sorge zu tragen! Nach Auffassung des Senats besteht in vier Fällen der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte verantwortlich die Zuteilungsverfahren durch Falschangaben zu Dialysen bzw. Nichtbeachtung der Alkoholkarenz systematisch beeinflusst hat, um die eigenen Patienten bei der Organvergabe zu bevorzugen.

Zur rechtlichen Bewertung hat der Senat ausgeführt: Vorsätzliche Falschangaben gegenüber der gem. § 12 Transplantationsgesetz zuständigen EUROTRANSPLANT können als versuchte Tötung zum Nachteil dadurch übergangener Patienten bewertet werden, wenn der Täter weiß, dass seine Angaben nicht weiter überprüft werden, sie die Zuteilungsreihenfolge so weit beeinflussen, dass es in einem engen zeitlichen Zusammenhang unmittelbar zur Zuteilung eines Spenderorgans kommt und die rettende Transplantationsbehandlung anderer Patienten dadurch lebensbedrohlich verzögert wird.

Dass andere auf eine Leberspende angewiesene Kranke aufgrund der Manipulation der Zuteilungsreihenfolge tatsächlich verstorben sind, sei schon deshalb nicht feststellbar, weil entsprechende Daten und Auskünfte aus Gründen des Datenschutzes (bislang) nicht vorliegen. Der Senat teilt jedoch die rechtliche Auffassung der Strafkammer, dass der Beschuldigte auf der Grundlage des gegenwärtig erzielten Ermittlungsstandes dringend verdächtig ist, es immerhin für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen zu haben, dass auf der Warteliste durch seine Manipulationen überholte Kranke vor einer rettenden Transplantation versterben, er also mit Tötungsvorsatz gehandelt hat und damit wegen versuchten Totschlags (in jetzt noch acht Fällen) zur Verantwortung zu ziehen sein dürfte.

Es bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte mit Tötungsvorsatz gehandelt habe. Hierfür reiche ein sogenannter bedingter Vorsatz. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dabei voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement), ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Willenselement) (BGH, Az.: 3 StR 112/90).

Zwar seien bei der Feststellung eines Tötungsvorsatzes – zumal bei einem Arzt, dem man schon grundsätzlich unterstellen kann, dass das Wohl der Patienten jeweils im Vordergrund steht, hohe Hürden zu überwinden. Eine Betrachtung aller Tatumstände führt zunächst dazu, dass auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses mit dringender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass es der Beschuldigte für möglich gehalten hat, infolge seiner Manipulationen könnten andere Menschen sterben (Wissenselement). Dass eine Manipulation der Wartelistenrangfolge die rettende Operation aller zuvor auf einem besseren Listenplatz stehenden Patienten verzögert, liegt nach der Würdigung des Senats auf der Hand. Dass diese Verzögerung dann die Gefahr begründet, dass die übergangenen Kranken womöglich sogar vor der in Aussicht genommenen rettenden Transplantation sterben, beruht auf dem die Organzuteilung bestimmenden MELD-Score-System, weil dieses gerade den Schweregrad der Erkrankung des Patienten und damit die Dringlichkeit einer Operation wiedergibt. Jeder Tag, jede Stunde, sogar jede Minute sind also gerade für die schwerstkranken Patienten, die ohne neue Leber jederzeit sterben können, lebenswichtig, und jede Verzögerung, sei sie noch so gering, bringt sie dem Tod unmittelbar näher.

Es sei – so der Senat – dringend wahrscheinlich, dass der Beschuldigte in jedem einzelnen Fall billigend in Kauf genommen hat, dass jeweils eine oder mehrere Personen, die aufgrund ihrer Erkrankung sonst bevorzugt ein Organ hätten bekommen sollen, ein Organ nicht mehr rechtzeitig erhalten und infolgedessen versterben.

Gerade die große Sorge des Beschuldigten um seine eigenen Patienten einerseits, andererseits seine von ihm vorgetragene – allerdings nach Auffassung des Senats durch objektive Umstände nicht belegbare – Annahme, dass auch die anderen Transplantationsmediziner die Warteliste ebenso manipulieren, und seine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Zuteilungsverfahren sowie die Anonymität der möglichen Tatopfer haben die einer Tötung grundsätzlich entgegenstehende Hemmschwelle so weitgehend herabgesetzt, dass sie der Annahme, der Beschuldigte habe als Arzt den Tod anderer Menschen billigend in Kauf genommen, nicht mehr entgegensteht.

„Billigen“ im Rechtssinne setzt keine positive Einstellung des Täters zu dem als mögliche Folge seines Handelns erkannten Erfolg voraus. Das Merkmal ist auch dann erfüllt, wenn dem Täter der Tod des Opfers an sich höchst unerwünscht ist, er aber gleichwohl handelt, um das von ihm angestrebte und höher bewertete Ziel – hier: das Leben der eigenen Patienten – zu erreichen.

Nach Auffassung des Senats kann sich der Beschuldigte nicht auf Nothilfe oder einen anderen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund berufen. Eine Rechtfertigung wegen Nothilfe gem. § 32 StGB scheidet aus, weil die anderen Patienten trotz der auf der Organknappheit beruhenden Konkurrenzsituation keine Angreifer der vom Beschuldigten behandelten Patienten sind.

Dass Patienten mit einem MELD-Score von 40 in der Regel eine deutlich höhere Sterblichkeit nach der Transplantation haben als Patienten mit einem geringeren Zuteilungswert, rechtfertigt, auch wenn das Zuwarten die Chancen der eigenen Patienten auf ein Überleben der Erkrankung deutlich verschlechtert, schon deshalb keine Eingriffe in das Verteilungssystem, weil das Leben des Menschen nach dem Grundsatz des absoluten Lebensschutzes in jeder Phase ohne Rücksicht auf die verbliebene Lebenserwartung den ungeteilten Schutz der Rechtsordnung genießt.

Die beim Beschuldigten offenbar vorhandene Vorstellung, einem Patienten mit besserer Lebenserwartung zu Lasten eines Menschen mit geringerer Lebenserwartung helfen zu dürfen, widerspricht auch sonst der Rechtsordnung, weil bei einer – wie hier gegebenen – Gleichwertigkeit von Rechtsgütern eine Notstandslage (§ 34 StGB) stets ausscheidet. Die Auswahl der geeigneten Empfänger war gerade nicht Aufgabe des über die Krankheitsgeschichte der anderen Patienten gar nicht informierten Beschuldigten, sondern stand jeweils allein EUROTRANSPLANT zu.

Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass der Senat keinen Anhaltspunkt dafür gefunden hat, dass sich der Beschuldigte in irgend einer Weise selbst bereichert habe oder dies gewollt hätte.“

 

„Bin abgelehnt?“ – „Ok, Ablehnung aber nicht zulässig, verwerfe/verhandle trotzdem“

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Der ein oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das Posting: “Bin abgelehnt?” – “Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…” zum dem KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – 162 Ss 165/12 erinnern. Ein Kollege hat mir eine Entscheidung des OLG Braunschweig zukommen lassen, in der das AG ähnlich – allerdings nicht ganz so schlimm wie im KG, Beschluss – agiert hat. Ausgangspunkt ist ein Bußgeldverfahren, in dem der Verteidiger nach Terminsladung Terminsverlegung beantragt hat. Das AG lehnt ab. Daraufhin lehnte der Betroffene den zuständigen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Das AG führte dennoch in Abwesenheit des Betroffenen und seines verhinderten Verteidigers die Hauptverhandlung durch. Drei Tage zuvor hatte das Gericht – durch den abgelehnten Richter selbst – das Befangenheitsgesuch als unzulässig mit der Begründung verworfen, dass durch den Antrag nur erreicht werden solle, dass der Hauptverhandlungstermin (doch noch) aufgehoben wird.

Das OLG hat im OLG Braunschweig, Beschl. v. 12.07.2012 – Ss (OWi) 113/12 – diese Vorgehensweise als rechtsfehlerhaft angesehen:

Das Amtsgericht Goslar hat einen durch die Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise aufgezeigten und zur Aufhebung des Urteils führenden Verfahrensverstoß dadurch begangen. dass es – durch den abgelehnten Richter selbst – das Befangenheitsgesuch ohne die gebotene Auseinandersetzung mit dem Inhalt dieses Gesuchs gemäß § 26a StPO als unzulässig verworfen und sodann in Abwesenheit des Verteidigers die Hauptverhandlung durchgeführt hat. Diese Vorgehensweise war rechtswidrig, weil im Befangenheitsgesuch Verfahrensverstöße aufgezeigt wurden und deshalb das Regelverfahren nach § 27 StPO – ohne den abgelehnten Richter – hätte gewählt werden müssen.

Nach § 26a StPO darf nur vorgegangen werden, wenn es sich um eine reine Formalentscheidung handelt, die keine Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalles erfordert (BVerfG, Beschluss vom 02.06.2005, 2 BvR 625/01. 2 BvR 638101, juris, Rn. 57: BVerfG, Beschluss vom 27.04.2007. 2 BvR 1674706. juris, Rn. 53 ff.. 56).

Herzu hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt (Auszug):

..Seit der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 02.06.2005 (StV 2005, 473f.) und der hierauf fußenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHSt 50. 216f.; BGH NStZ 2006, 51f.) ist ein Ablehnungs-gesuch im Sinne von § 338 Nr. 3 StPO „mit Unrecht verworfen“, wenn die Verwerfung als unzulässig gemäß § 26a StPO durch den abgelehnten Richter auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht; auf die sachliche Berechtigung des Ablehnungsgesuches kommt es dann – anders als in der vorangegangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung – nicht an (vgl. auch OLG Celle. 2. Senat für Bußgeldsachen. Beschluss vom 28.02.2007 – 323 Ss 21/07, juris, Rdnr. 7f. m. w. N.).

Vorliegend hat der erkennende Richter der sich aus Art. 103 GG ergebenden Pflicht, auf den wesentlichen Vortrag des Betroffenen einzugehen und sich inhaltlich hiermit auseinanderzusetzen (BVerfG NZV 2005, 51: OLG Braunschweig. Beschluss vom 20.01.2012 – Ss (OwiZ) 206/11 m. w. N.), nicht entsprochen Der das Befangenheitsgesuch „gemäß § 26a StPO“ zurückweisende Beschluss enthält keine inhaltliche Begründung, sondern lediglich die Feststellung, dass durch den Antrag nur die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins erreicht werden soll. Die in Bezug genommene. in den Urteilsgründen nicht wiedergegebene, sich jedoch aus der Rechtsmittelbegründungsschrift erschließende Verfügung vom 24.04.2012 vermag bereits deshalb keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Befangenheitsantrages dar-zustellen, weil sie dem Gesuch vorangegangen ist. Hätte der erkennende Richter, wie es gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geboten gewesen wäre, sich mit dem inhaltlichen Vorbringen des Betroffenen auseinandergesetzt, hätte er erkannt, dass wegen Art. 101 S. 2 GG eine Entscheidung im Regelverfahren gemäß § 27 StPO herbeizuführen ist, weil nicht nur eine formale Entscheidung zu treffen ist. sondern sein vorangegangenes Verhalten im Zusammenhang mit den Anträgen auf Terminsverlegung vom 26.03. und 18.04.2012 und dem Telefonat vorn 18.04.2012 zu beurteilen ist. Ob dem in dem Befangenheitsantrag genannten Verfahrensfehler das erforderliche Gewicht zukommt, um im Regelverfahren Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, ist dagegen für sich allein nicht beachtlich. Hierauf kommt es dann nicht an, wenn der abgelehnte Richter — wie vorliegend — unter grundlegendem Verstoß gegen Art. 101 GG selbst entscheidet, obgleich die Voraussetzungen des § 26a StPO (vgl. hierzu Meyer-Goßner, a. a. 0., § 26 Rdnr. 5ff.) offenkundig nicht gegeben sind (vgl. OLG Braunschweig. Beschluss vom 20.01.2012 — Ss (OwiZ) 206/11 m. w. N.).

Dem schließt sich der Senat auf der Grundlage seiner früheren Rechtsprechung (wie vor sowie Beschluss vom 12.03.2012. Ss (OWiZ) 39/12) an

Und eine Segelanweisung gibt es dann gleich auch noch: Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die abgelehnte Verlegung des Termins grundsätzlich nur dann nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn das Amtsgericht den Antrag rechtzeitig und unter Würdigung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände beschieden hätte. Und: Der Betroffene kann darauf vertrauen. dass über einen frühzeitig gestellten Terminsverlegungsantrag so rechtzeitig entschieden wird, dass ein Wechsel des Verteidigers bis zum Termin noch möglich ist.

 

Die zeitweilige Verhinderung des Verteidigers- sie steht der Pflichtverteidigerbestellung nicht unbedingt entgegen

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In der Praxis wird immer wieder auch um die Frage gestritten, ob ggf. eine zeitweilige Verhinderung des Verteidigers seiner Beiordnung als Pflichtverteidiger entgegensteht und deshalb ggf. ein anderer Rechtsanwalt zu bestellen ist. Mit der Frage befasst sich der u.a. der OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.01.2013, der folgende Leitsätze hat:

1. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist für den Angeschuldigten mangels Beschwer grundsätzlich nicht anfechtbar. Dies gilt aber nicht, wenn das Gericht bei der Pflichtverteidigerbeiordnung das Anhörungsrecht sowie das sich aus § 142 Abs. S. 2 StPO grundsätzliche Bestimmungsrecht des Angeschuldigten, das Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren ist, nicht beachtet hat.

2. Ist die Anhörung (§ 142 Abs. 1 S. 1 StPO) des Angeschuldigten vor der Beiordnung eines Pflichtverteidigers unzulässig unterblieben,  muss die Beiordnung nach § 143 StPO zurückgenommen werden, wenn sich für den Angeschuldigten ein Wahlverteidiger meldet, und zwar auch dann, wenn er seinerseits die Beiordnung beantragt.

3. Durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen sind wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss.

Leitsatz 1 und 2 entsprechen der h.M. Leitsatz 3 ist nicht unbedingt h.M., allerdings m.E. zutreffend und eröffnet die Möglichkeit für den Angeklagten, zumindest teilweise auf die Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes verzichten zu können. Das OLG schreibt dazu.

 „Dem tritt der Senat bei. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen: Es steht der Beiordnung von Rechtsanwalt Alexander Funck nicht entgegen, dass er die für den Fall der Eröffnung beabsichtigten Hauptverhandlungstermine vom 14.02., 18.02. und 14.03.2013 nicht wahrnehmen kann. Zwar kann dann, sofern die in der Beschwerdeschrift vorn 23. Dezember 2012 angekündigten Bemühungen von Rechtsanwalt Alexander Funck um Verlegung des Termins vom 14.02.2013 fehlschlagen sollten, die Hauptverhandlung erst 11 Tage später beginnen. Dadurch ist der Beschleunigungsgrundsatz jedoch noch nicht beeinträchtigt, weil der spätere Beginn der Hauptverhandlung auf einem Umstand beruht, der als anderer wichtiger Grund Im Sinne von § 121 Abs.1 StPO anerkannt ist, nämlich dem Wunsch des Angeschuldigten, den Verteidiger seines Vertrauens beigeordnet zu bekommen. Zwar sind durch Verhinderung des Verteidigers bedingte Verfahrensverzögerungen wegen des Anspruchs des Angeschuldigten auf beschleunigte Aburteilung nicht unbegrenzt hinnehmbar (OLG Hamm NStZ-RR 2002, 124). Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es jedoch auch, dem Wunsch eines Angeschuldigten auf Beiordnung eines Verteidigers seines Vertrauens innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Möglichkeit Rechnung zu tragen; und zwar insbesondere dann, wenn sich das Verfahren – wie hier – nur gegen den Angeschuldigten richtet und auf die Interessen anderer Angeschuldigter keine Rücksicht genommen werden muss (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1994, 608; Senat: HEs 2/08). Bei einer Verzögerung von 11 Tagen wird dieser Zeitrahmen jedenfalls nicht überschritten.“

Der übersehene Grünpfeil

Dem Betroffenen wird ein Rotlichtverstoß (§ 37 StVO) zur Last gelegt. ER trägt vor, er sei an der fraglichen Kreuzung, die Tatort des Rotlichtverstoßes gewesen sein soll, rechts am grünen Pfeil abgebogen und sei nach F. gefahren, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu behindern. Damit hat sich der Betroffene auf § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 8-10 StVO berufen. Diese Vorschriften sehen vor, dass nach dem Anhalten das Abbiegen nach rechts auch bei rotem Licht der Lichtzeichenanlage erlaubt ist, wenn rechts neben dem Lichtzeichen „Rot“ ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist. Der Fahrzeugführer darf dann aus dem rechten Fahrstreifen heraus abbiegen, wobei er sich so verhalten muss, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Das AG setzt sich in seinem Urteil mit dieser Einlassung des Betroffenen mit keinem Wort auseinander. Das führt zur Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagungen des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Und das, obwohl die Rechtsbeschwerde insoweit nicht ausreichend begründet war.Es gelten an der Stelle nämlich die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Verfahrensrüge), so der schon etwas ältere OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.09.2011 – Ss (OWiZ) 154/11:

„Zwar muss bei der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich dargelegt werden, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Dies gilt aber nicht, wenn die Versagung rechtlichen Gehörs darin liegt, dass ein Verteidigungsvorbringen nicht berücksichtigt worden ist, da es in einem solchen Fall für die Beruhensfrage nicht darauf ankommt, was der Betroffene noch weiter hätte vortragen können, sondern nur darauf, ob das nicht berücksichtigte Verteidigungsvorbringen entscheidungserheblich sein könnte (vgl. OLG Köln, 12.04.2002, Ss 141/02 nach juris, Rn. 12 m. w. N.). Die Rüge erscheint auch begründet…“