„Bin abgelehnt?“ – „Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…“

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„Bin abgelehnt?“ – „Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…“, so könnte man kurz den Sachverhalt beschreiben, der dem KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – 162 Ss 165/12 – zugrunde gelegen hat. Dort war nach Aufhebung eines ersten amtsgerichtlichen Urteils durch das KG vom nunmehr zuständigen Richter Termin zur Hauptverhandlung auf den 03. 07.2012, 12.00 Uhr, bestimmt worden, zu dem der Betroffene am 27. 04.2012 geladen wurde. Mit Schreiben vom 19. 06.2012 und 28. 06.2012 beantragte der Verteidiger des Betroffenen die Verlegung des Termins mit der Begründung, dass sein Mandant am Terminstag im Urlaub sei. Beide Anträge wies der Richter zurück. Vor dem Termin vom 03. 07. 2012 erschien der Verteidiger um 11.40 Uhr auf der Geschäftsstelle und gab dort einen Schriftsatz, gefertigt am selben Tag, ab, mit dem der Betroffene den zuständigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle brachte den Schriftsatz daraufhin zum Richter, der sich zu diesem Zeitpunkt noch im Sitzungssaal befand. Über den Befangenheitsantrag entschied dieser jedoch nicht, sondern verwarf mit Urteil vom 03. 07. 2012 den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid, da der Betroffene nicht zum Termin erschienen war. Auch der Verteidiger war zum Termin im Sitzungssaal nicht erschienen.

Das KG sagt im KG, Beschl. v. 28.09.2012 – 3 Ws (B) 524/12 – 162 Ss 165/12: So nicht:

b) Die Verfahrensbeschwerde ist auch begründet, denn der abgelehnte Richter hätte nach dem Vorliegen des Ablehnungsantrages gemäß §§ 29 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG nur solche Handlungen vornehmen dürfen, die keinen Aufschub gestatteten. Dies war der Beginn der Hauptverhandlung nicht, da für den Richter ja ersichtlich war, dass zum Termin weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren. Auch Zeugen oder andere Verfahrensbeteiligte waren zum Termin nicht geladen worden. Erst recht war die Verkündung des angefochtenen Urteils nicht unaufschiebbar. … 

… Dadurch, dass der Richter nicht über den Ablehnungsantrag entschieden hat, obwohl er erwiesenermaßen davon Kenntnis hatte und gleichwohl die Hauptverhandlung bis zum Urteil durchführte, hat er die Verfassungsnorm des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtet, der dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter gewährleistet. Da anerkennt ist, dass eine Entziehung des gesetzlichen Richters im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und somit ein Verstoß gegen den absoluten Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegrund nach § 338 Nr. 3 StPO auch dann vorliegt, wenn die Verwerfung eines Ablehnungsantrages nach § 26a StPO als unzulässig auf einer willkürlichen Rechtsanwendung beruht (BVerfG, NJW 2005, 3410, 3011 ff., BGHSt 50, 216, 218 ff.; BGH, NStZ 2006, 51, 52 mit zustimmender Anmerkung Meyer-Goßner; BGH, NStZ 2006, 705, 707), muss dies erst recht für den Fall gelten, dass das Gericht einen Ablehnungsantrag bewusst ignoriert und keine Entscheidung darüber herbeiführt, denn hier liegt die Willkürlichkeit des Verhaltens auf der Hand. In einer derartigen Konstellation kann es auch im Rahmen des relativen Rechtsbeschwerdegrundes nach §§ 29 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG nicht darauf ankommen, ob das Ablehnungsgesuch der Sache nach unbegründet war oder rechtsfehlerfrei nach § 26a StPO als unzulässig hätte verworfen werden können, denn eine derartige Prüfung des Beruhens würde im Endeffekt dazu führen, dass auf jeden Fall die Entscheidung über den Ablehnungsantrag dem Revisions- bzw. Rechtsbeschwerdegericht überlassen wird, was mit der vom Gesetzgeber durch die Regelungen der §§ 26a, 27 StPO aufgestellten Zuständigkeitsverteilung unvereinbar ist und somit unter dem Gesichtspunkt der willkürlichen Richterentziehung einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründet.

Sorry, aber auf das Umgehen mit dem Ablehnungsantrag muss man erst mal kommen. Es ist schon „beachtlich“, dass den Richter der Ablehnungsantrag offenbar gar nicht interessiert hat.

 


12 Gedanken zu „„Bin abgelehnt?“ – „Interessiert mich nicht, entscheide trotzdem…“

  1. Fritzi

    Der Richter war naturgemäß stinkig, dass ihm so der Termin zerschossen wurde. Der Verteidiger und der Betroffene haben ja ganz klar auf Zeit gespielt.

    Dennoch ist dieses Vorgehen des Richters im Gesetz nicht vorgesehen.

  2. Miraculix

    wobei der Richter die Grundlage für den Antrag ja selbst geschaffen hat.
    Um einen unhaltbaren Termin zu kippen ist der Befangenheitsantrag leider
    das einzige wirksame Mittel. Das sollten auch Richter wissen.
    Viel vernünftiger wäre es gewesen, einen machbarenTermin mit den Beteiligten
    abzustimmen. Mach auch noch weniger Aufwand als das viele leere Geschreibe.

    @Fritzi
    Ich glaube nicht mal, daß da auf Zeit gespielt wurde. Die meisten Strafverteidiger
    sind froh wenn Sie Ihre Termine koordiniert bekommen.

  3. Fritzi

    Nee, auf Zeit gespielt hat nicht der Verteidiger, sondern der Betroffene, der die Ladung im April bekommt und im Juni einen Verlegungsantrag wegen Urlaubs stellt. Bei dem Terminsvorlauf ist auch davon auszugehen, dass der Termin mit dem Verteidiger abgestimmt war, denn dieser war ja nicht verhindert.

  4. Fritzi

    Ob das den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt, ist fraglich, da es ja Regelungen gibt, wonach unter gewissen Umständen eine Beweisaufnahme auch nach einem Befangenheitsantrag durchgeführt werden kann.

    zum Thema „naturgemäß stinkig“ sollte noch gesagt werden, dass Bußgeldsachen weiß Gott nicht derart überragende Bedeutung haben, dass man sich als Richter überhaupt darüber aufregen sollte.

  5. Detlef Burhoff

    „Regelungen gibt, wonach unter gewissen Umständen eine Beweisaufnahme auch nach einem Befangenheitsantrag durchgeführt werden kann.“ Können Sie mir die Stelle in der StPO nennen?

  6. Fritzi

    Aber gern:

    § 29 StPO:
    (1) Ein abgelehnter Richter hat vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs nur solche Handlungen vorzunehmen, die keinen Aufschub gestatten.
    (2) Wird ein Richter während der Hauptverhandlung abgelehnt und würde die Entscheidung über die Ablehnung (§§ 26a, 27) eine Unterbrechung der Hauptverhandlung erfordern, so kann diese so lange fortgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Ablehnung ohne Verzögerung der Hauptverhandlung möglich ist; über die Ablehnung ist spätestens bis zum Beginn des übernächsten Verhandlungstages und stets vor Beginn der Schlußvorträge zu entscheiden. Wird die Ablehnung für begründet erklärt und muß die Hauptverhandlung nicht deshalb ausgesetzt werden, so ist ihr nach der Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegender Teil zu wiederholen; dies gilt nicht für solche Handlungen, die keinen Aufschub gestatten. Nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs dürfen Entscheidungen, die auch außerhalb der Hauptverhandlung ergehen können, unter Mitwirkung des Abgelehnten nur getroffen werden, wenn sie keinen Aufschub gestatten.

  7. Fritzi

    Vollkommen korrekt, Herr Burhoff.

    Ich wollte nur darauf hinaus, dass es grundsätzlich Vorschriften gibt, die vergleichbare Vorgehensweisen zulassen.

    Dass das hier an den Tag gelegte Verhalten des Richters nicht STPO-konform war – geschenkt.

  8. Detlef Burhoff

    „vergleichbare Vorgehensweisen zulassen“? Die Fallkonstellationen sind nicht vergleichbar. Nach § 29 Abs. 2 StPO kann ggf. ein Teil des Verfahrens/der HV zu Ende gebracht werden, hier hat aber der Amtsrichter versucht,d as Verfahren zu beenden. das kann man m.E. nicht vergleichen.
    Und „geschenkt“ – nun ja, wenn man es so locker sehen will.

  9. michabe

    Arbeitsgericht Oldenburg. Beklagter ist Laienrichter gewesen und größter Blumenhändler in Oldenburg. Mitarbeiterin klagt gegen Ihn.Richterin entscheidet zuerst gegen ihn . Später zu seinen Gunsten. Richterin ist Kundin in dem Geschäft des Beklagten und hat lange Jahre mit dem zusammengearbeitet im Gericht. Befangenheitsantrag trotzdem abgelehnt. Ich versteh die Welt nicht mehr.

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