Schlagwort-Archive: OLG Brandenburg

Rechtsmittel III: Berufungsbeschränkung wirksam?, oder: Trennbarkeitsformel

Bild von MasterTux auf Pixabay

In der dritten Entscheidung geht es dann noch einmal um die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung. Das AG verurteilt den wegen zweifachen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 StVG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten, deren Vollstreckung es für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aussetzte. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das LG verwirft die Berufung. Dagegen dann die auf die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision.

Das OLG hat im OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 OLG 53 Ss 65/22 – die Beschränkung als wirksam angesehen:

„b) Gegenstand der revisionsgerichtlichen Überprüfung ist allein die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Die seitens der Staatsanwaltschaft erklärte Berufungsbeschränkung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung ist nicht nur formell (§§ 302 Abs. 2, 303 StPO), sondern auch materiell wirksam.

Die Beschränkung der Revision auf bestimmte Beschwerdepunkte (vgl. § 344 Abs. 1 StPO „inwieweit“) ist nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und tatsächlich zu beurteilen, ohne die Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Die den Rechtsmittelberechtigten eingeräumte „Macht zum unmittelbaren Eingriff in die Gestaltung des Rechtsmittels“ (RGSt 69, 110, 111; vgl. auch BGHSt 14, 30, 36) gebietet es, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck gekommenen Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsgehalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (siehe schon: RGSt 65, 296; RGSt 69, 110, 111; ebenso: BGHSt 19, 46, 48; BGHSt 24, 185, 187; BGH NJW 1981, 589, 590, jeweils m.w.N.).

Die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung ist ein selbständiger Teil des Urteilsspruchs (§ 260 Abs. 4 S. 4 StPO). Sie kann isoliert angefochten werden, wenn sich die ihr zugrunde liegenden Erwägungen von denen der Strafzumessung trennen lassen (BGH NStZ 1994, 449; KG, Urteil vom 13. Dezember 2006, (5) 1 Ss 305/06 (49/06) m. w. N., Juris; OLG Dresden NStZ-RR 2012, 289; OLG Hamburg NStZ-RR 2006, 18, StraFo 2016, 518; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, zu § 318, Rz. 20a m. w. N.). An der Trennbarkeit fehlt es nicht schon dann, wenn sich die bei der Strafzumessung und bei der Aussetzungsentscheidung zu berücksichtigenden Tatsachen überschneiden (KG a. a. O.; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 108). Insoweit doppelt relevante Feststellungen verknüpfen diese Entscheidungen regelmäßig miteinander; vom Gesetzgeber ist in § 46 Abs. 2 StGB und § 56 Abs. 1 S. 2 StGB vorgesehen, dass diejenigen Tatsachen, welche die Zumessung der Strafe im engeren Sinn mitbestimmen, auch für die Aussetzungsentscheidung wesentliche Bedeutung erlangen (KG a. a. O. m. w. N.).

Die Beschränkung der Revision auf die Aussetzungsentscheidung ist nur dann unwirksam, wenn die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zum Strafmaß so unzulänglich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Aussetzungsentscheidung bilden (KG a. a. O.; OLG Köln NStZ 1989, 90, 91; VRS 61, 365, 567; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 107), die Entscheidung über die Bewährung an einem Fehler leidet, der zugleich die Strafzumessung betrifft (KG a. a. O.; OLG Frankfurt a. a. O., S. 110; OLG Köln VRS 61, 365, 367), der Anfechtende sich gegen die Feststellung oder Nichtfeststellung einer doppeltrelevanten Tatsache wendet (BGH NJW 2001, 3134; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309; KG a. a. O.) oder eine unzulässige Verknüpfung von Strafmaß- und Aussetzungsentscheidung hergestellt worden ist (BGH NStZ 2001, 311; OLG Frankfurt VRS 59, 106, 109; OLG Köln VRS 61, 365, 367; KG a. a. O.). Stets muss gewährleistet sein, dass das stufenweise entstehende Urteil frei von inneren Widersprüchen bleibt (BGHSt 29, 359, 365; NJW 2001, 3134; NStZ-RR 1999, 359; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 309, 310; KG a. a. O.).

Hieran gemessen, erweist sich die Beschränkung der Revision auf die Entscheidung über die Strafaussetzung als wirksam. Das Landgericht hat die Strafzumessung getrennt von der Strafaussetzung begründet und auch inhaltlich nicht unzulässig miteinander verknüpft. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer wegen der Bewilligung der Strafaussetzung auf höhere oder niedrigere Einzelstrafen oder eine hieran angepasste Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hat oder bei Versagung der Bewährung die Einzelstrafen oder die Gesamtstrafe niedriger festgesetzt hätte. Die Tatsachenfeststellungen und Erwägungen zur Strafzumessung bilden – auch – eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung. Die Revision rügt ausschließlich Rechtsfehler bei der Anwendung des § 56 StGB, die das Strafmaß nicht berühren.“

Wegen der Bewährungsfrage komme ich noch einmal auf die Entscheidung zurück.

Vorkind I: Befugnis des erweiterten Vereinsvorstands, oder: Bestimmung des BGB-Vorstands

Und dann der Kessel Buntes. Heute ganz bunt, und zwar mit einer Entscheidung zum Vereinsrecht und einem weiteren vereinsrechtlichen Hinweis.

Wieso das, wird der ein oder andere denken? Nun, die Antwort ist gar nicht so schwer. Ich habe ja nicht nur owi-/strafverfahrens-/gebührenrechtliche Bücher, sondern auch ein Werk zum Vereinsrecht. Ich nenne es immer mein „Vorkind“ 🙂 . Es handelt sich bei dem Werk „Vereinsrecht – Ein Leitfaden für Vereine und ihre Mitglieder“ um das erste Buch, das ich veröffentlicht habe. Die erste Auflage stammt aus dem Jahr 1989. Und von dem Werk gibt es nun bald die 11. Auflage. Und das ist der Anlass für den Vereinsrechtstag. Ich möchte <<Werbemodus an >> auf diese Neuerscheinung hinweisen und auf die Möglichkeit zur Vorbestellung, was man hier machen kann. <<Werbemodus aus>>.

Als vereinsrechtliche Entscheidung stelle ich in diesem Posting dann den OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.04.2022 – 7 W 44/22 – vor. Ergangen ist er in einem vereinsrechtlichen Verfahren, in dem sich das AG und ein Verein „gestritten“. Nach der zur Eintragung angemeldeten Satzung des Vereins war vorgesehen, dass von der  Mitgliederversammlung der Gesamtvorstand gewählt wird. Der konnte dann aus seinen Reihen gemäß einer Geschäftsordnung den sog. vertretungsberechtigten Vorstand bestimmen. Das AG hatte die Eintragung abgelehnt. Es war der Meinung, es genüge nicht der Anforderung an eine „Bestimmung“ durch die Satzung, wenn der erweiterte Vorstand in seiner Geschäftsordnung selbst festlege, wie er diejenigen seiner Mitglieder auswähle, die den BGB-Vorstand bilden sollen. Das OLG hat das anders gesehen:

„1. Die Regelung über die Bestellung des Vorstandes im § 9 Buchst. A Abs. 3 Satz 2 der Satzung in der Fassung vom 6. April 2021 ist mit den §§ 27 I, 40 S. 1, 58 Nr. 3 BGB vereinbar. Das Amtsgericht hat gemeint, es genüge nicht der Anforderung an eine „Bestimmung“ durch die Satzung, wenn der erweiterte Vorstand in seiner Geschäftsordnung selbst festlege, wie er diejenigen seiner Mitglieder auswähle, die den geschäftsführenden Vorstand im Sinne des § 26 I BGB bilden sollen.

Diese Sichtweise engt die Satzungsautonomie des Vereins zu sehr ein. Nach § 40 S. 1 BGB kann die Bestellungskompetenz der Mitgliederversammlung (§ 27 I BGB) völlig ausgeschlossen werden. Die Satzung kann die Zuständigkeit auf ein anderes Organ des Vereins, auf einzelne Mitglieder (§ 35 BGB) oder auf einen vereinsfremden Dritten übertragen (MüKo-BGB-Leuschner, 9. Aufl. 2021, § 27 Rdnr. 18; Staudinger-Schwennicke, BGB, Neub. 2019, § 27 Rdnr. 6 ff.; BeckOGK-BGB-Segna, Stand: Jan. 2022, § 27 Rdnr. 14 ff.; Sauter/Schweyer/Waldner-Neudert/Waldner, eV, 21. Aufl. 2021, Rdnr. 255). Betraut die Satzung ein anderes Vereinsorgan mit der Bestellungskompetenz, so ist es zulässig, aber nicht erforderlich, das Verfahren, mit dem das Organ die Bestellungsentscheidung treffen soll, durch die Satzung zu regeln. Die Satzung kann dem bestellenden Organ eine Binnenorganisationskomptenz zuweisen, die auch die Regelung des Verfahrens der Vorstandsbestellung umfasst. Das entspricht in der Regelungszurückhaltung der Übertragung der Bestellungskompentenz auf einen vereinsfremden Dritten, der ohne weitere Vorgabe durch die Satzung nach seinen eigenen Verfahrensregeln und Auswahlkriterien den Vorstand bestimmt.

Es ist demnach nicht zu bestanden, dass § 9 Buchst. A Abs. 3 der Satzung des Antragstellers dem Vorstand die Kompetenz zuweist, sich eine Geschäftsordnung zu geben, die auch das Verfahren zur Bestellung des geschäftsführenden Vorstandes umfasst.

Es braucht hier nicht erörtert zu werden, ob ein Grundsatz der Verbandsautonomie gebietet, die Mitgliederversammlung müsse wenigstens die auf ein anderes Organ oder einen Dritten übertragene Bestellungskompetenz im Wege der Satzungsänderung wieder an sich ziehen können (vgl. einerseits BeckOGK-BGB-Segna, § 27 Rdnr. 19; Staudinger-Schwennicke, BGB, § 25 Rdnr. 151; § 27 Rdnr. 7; Sauter/Schweyer/Waldner-Neudert/Waldner, Rdnr. 255; andererseits MüKo-BGB-Leuschner, § 27 Rdnr. 19). § 33 I 1 BGB und § 10 Buchst. B der Satzung des Antragstellers eröffnen der Mitgliederversammlung diese Möglichkeit.“

StGB I: Als Schlagwerkzeug eingesetztes Mobiltelefon, oder: Wie hat der Angeklagte damit geschlagen?

© Urheber: Ideenkoch – Fotolia.com

Heute dann mal etwas anderes als StPO-Entscheidungen, nämlich Entscheidungen zum materiellen Recht, also StGB.

Ich starte mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.08.2022 – 1 OLG 53 Ss 59/22. AG und lG haben den Angeklagten u.a wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) mittels eines als Schlagwerkzeug benutzten Mobiltelefons verurteilt. Das OLG hat insoweit aufgehoben und zurückverwiesen:

„2. Der Schuldausspruch für die Tat vom 12. Februar 2018 zum Nachteil des Geschädigten M… unterlag indes der Aufhebung, da die getroffenen Feststellungen allenfalls die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung, nicht jedoch die Verurteilung wegen einer gefährlichen Körperverletzung tragen. Das Landgericht hat das Mobiltelefon, mit dem der Angeklagte dem Zeugen M… „kräftig auf den Kopf“ schlug, was zu einer „kleinen Kopfplatzwunde“ geführt hat, als gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen, ohne indes Feststellungen zum konkreten Einsatz des Mobiltelefons gegen den Kopf des Zeugen zu treffen.

Dass ein als Schlagwerkzeug eingesetztes Mobiltelefon grundsätzlich geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen, reicht für die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung aber nicht aus (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 27.11.2019 – 1 Ss 44/19; KG Berlin, Beschluss vom 5. 11.2021 – (2) 121 Ss 100/21 (24/21)-, jeweils zit. nach juris). Ein Gegenstand ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nur dann ein gefährliches Werkzeug, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. BGH NStZ 2007, 95 m.w.N.). Ein Mobiltelefon kann dann als gefährliches Werkzeug gewertet werden, wenn ein kräftiger Schlag mit einer Kante oder Ecke des Telefons ausgeführt wurde. Ein Schlag mit einem nur in der flachen Hand gehaltenen Mobiltelefon in das Gesicht des Opfers stellt z.B. grundsätzlich keine Körperverletzung mittels gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, da hier nach Beschaffenheit und Art seiner Benutzung eine Eignung eines Mobiltelefons zur Herbeiführung einer erheblichen Körperverletzung, die über den Schlag mit der flachen Hand selbst hinausginge, nicht festzustellen ist (vgl. OLG Bremen, a.a.O.).

Feststellungen dazu, wie der Angeklagte das Mobiltelefon beim Schlag auf den Kopf des Zeugen M… gehalten hat, hat die Kammer nicht getroffen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Mobiltelefon beim Schlag mit der flachen Hand gehalten und so auf den Kopf des Zeugen M… geschlagen wurde, kann die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung keinen Bestand haben. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass ergänzende Feststellungen getroffen werden können, war es dem Senat verwehrt, in der Sache selbst zu entscheiden und den Schuldspruch zu ändern.“

OWi I: Absehen vom Fahrverbot nach zwei Jahren?, oder: Ja, aber nicht automatisch

© stockWERK – Fotolia.com

Heute dann ein Tag mit OWi-Entscheidungen. In dem Bereich ist es derzeit aber recht „ruhig“. Ich habe wenig neue Entscheidungen.

Hier dann zunächst etwas zum Fahrverbot, und zwar zwei Entscheidungen des OLG Brandenburg zum Absehen/Entfallen des Fahrverbots bei langer Verfahrensdauer.

Zunächst hier der OLG Brandenburg, Beschl. v.  04.07.2022 – 2 OLG 53 Ss-OWi 260/22 – mit folgendem Leitsatz – der bei dieser Entscsheidung genügt:

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist. Hierbei ist u.a. zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

Und als zweite Entscheidung dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 08.07.2022 – 1 OLG 53 Ss-Owi 241/22. In dem hat das OLG nicht vom Fahrverbot abgesehen. Abgesehen davon, dass der Zeitraum von zwei Jahren noch nicht erreicht war, sieht das OLG auch aus anderen Gründen nicht vom Fahrverbot ab, wobei sich mir nicht so ganz erschließt, warum man die Ausführungen macht:

„Dieser Zeitrahmen führt jedoch nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot, sondern ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, geboten ist.

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil – der hier nicht gegeben ist – bedarf es auch nach Auffassung des Senats besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (s.a. OLG Düsseldorf MDR 2000, 829; zum Ganzen: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 25, Rn. 24 m.w.N.). Diese Zwei-Jahres-Frist war bei der Entscheidung des Amtsgerichts jedoch noch nicht annähernd abgelaufen. Dessen ungeachtet ist bei der Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (BayObLG NZV 2004, 210). Dabei kann die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und der Gebrauch der in der StPO und dem OWiG eingeräumten Rechte dem Betroffenen nicht als eine von ihm zu vertretende Verfahrensverzögerung entgegen gehalten werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 25). Anderes gilt dann, wenn die lange Dauer des Verfahrens (auch) auf Gründe beruht, die in der Spähe des Betroffenen liegen (vgl. dazu KG VRS 102, 127; OLG Köln NZV 2000, 430; OLG Rostock DAR 2001, 421; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168). Auch bei einer Verfahrensdauer von insgesamt mehr als 2 Jahren – die hier, wie oben erwähnt, im Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung noch nicht gegeben war – kann die Anordnung eines Fahrverbots dann noch in Betracht kommen, wenn sich der Betroffene in der Zwischenzeit weitere Ordnungswidrigkeiten hat zuschulden kommen lassen (vgl. BayObLG NStZ-RR 2004, 57).

Auch ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn der Betroffene hatte sich ausweislich der Urteilsgründe nach der hier streitgegenständlichen Ordnungswidrigkeit vom 21. Oktober 2020 erneut des erheblichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 30 km/h schuldig gemacht, weshalb gegen ihn durch Bußgeldbescheid der Bußgeldbehörde ZBS Viechtach vom 7. September 2021, rechtskräftig seit dem 29. September 2021, auf eine Geldbuße in Höhe von 120,00 € erkannt wurde. Zwar wird – worauf die Verteidigung zutreffend hinweist – in den Urteilsgründen rechtsfehlerhaft nicht der Tattag der dem Bußgeldbescheid vom 7. September 2021 zugrunde liegenden Verkehrsordnungswidrigkeit mitgeteilt, infolge der Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG ist jedoch davon auszugehen, dass die einschlägige Ordnungswidrigkeit jedenfalls nach der hiesigen Ordnungswidrigkeit begangen worden ist. Dasselbe gilt für den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 12. Dezember 2019, rechtskräftig seit dem 31. Dezember 2019, wobei § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV nicht auf das Datum der Tat, sondern auf das Datum der Rechtskraft der voraufgegangenen Entscheidung abstellt.

Das Amtsgericht hat nach alledem zutreffend gegen den Betroffenen auf ein Fahrverbot erkannt; Gründe für ein Absehen von dem Regelfahrverbot sind nicht ersichtlich und von dem Betroffenen auch nicht vorgetragen worden.“

 

beA I: Elektronisches Dokument und Selbstverteidiger, oder: Ausreichende Begründung der Ersatzeinreichung

© momius – Fotolia.com

Heute ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem Kessel liegen heute mal wieder beA-Entscheidungen. Wegen der Berichterstattung dazu müssen den verkehrszivilrechtlichen Entscheidungen ein wenig zurückstehen, aber das hole ich wieder auf 🙂 .

Zunächst hier zwei Entscheidungen aus dem Straf-/Bußgeldverfahren, nämlich:

In dem dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.06.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 149/22 – zugrunde liegenden Bußgeldverfahren hat der Betroffene, ein Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt hat, die Rechtbeschwerde per Fax bzw. auf dem Postwege eingereicht. Das geht nicht, meint das OLG:

„Die Rechtsbeschwerde erweist sich bereits als unzulässig, da die Rechtsbeschwerdebegründung nicht form- und fristgerecht beim Amtsgericht angebracht worden ist. Es kann hiernach dahinstehen, ob die erhobenen Rügen Erfolg gehabt hätten.

Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 32d Satz 2 StPO i.V.m. § 100c Satz 1 OWiG müssen die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermittelt werden, um Wirksamkeit zu entfalten (vgl. BT-Drs. 18/9416, S. 51; ferner Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 32d Rn. 2; Graf, in KK-StPO, 8. Aufl., § 32d Rn. 5). Dieses bei Gericht eingereichte elektronische Dokument muss nach § 32a Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 100c Satz 1 OWiG für die Bearbeitung geeignet sein. Gemäß § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. §§ 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) wiederum müssen die Dokumente dem Dateiformat „PDF“ bzw. „TIFF“ entsprechen (vgl. OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 25. Februar 2022 – 1 Ss 28/22 –).

Diese Formvorschrift hat der Betroffene nicht beachtet. Die Rechtsbeschwerdebegründung erreichte das Amtsgericht auf dem Telefaxweg, mithin nicht als elektronisches Dokument.

Ein elektronisches Dokument ist ein Text, eine Zahlentabelle, ein Bild oder eine Folge oder Kombination von Texten, Tabellen oder Bildern, die durch Digitalisieren (Umwandlung in einen Binärcode) in Dateiform angelegt oder überführt wurden.

Das Telefax dient indes lediglich der Übermittlung eines vorhandenen Dokuments, welches beim Empfänger erneut in schriftlicher Form vorliegen soll. Deshalb tritt bei diesem Übermittlungsweg die elektronische Speicherung für sich genommen nicht an die Stelle der Schriftform, sondern ist nur ein Durchgangsstadium; das Gericht kann in der Regel erst dann von einem gefaxten Schriftsatz Kenntnis nehmen, wenn er ausgedruckt vorliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 8. Mai 2019 – XII ZB 8/19 -). Dokumente, die im Wege des Telefaxes, insbesondere auch des Computerfaxes, übermittelt werden, zählen deshalb zu den schriftlichen, nicht zu den elektronischen Dokumenten, auch wenn sie elektronisch über das Internet oder ein Web-Interface übertragen werden (vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 5 A 327/19 –; OLG Oldenburg a.a.O.).

Vor diesem Hintergrund war das Amtsgericht auch nicht gehalten, dem Betroffenen gemäß § 32a Abs. 6 StPO i.V.m. § 100c OWiG die Unwirksamkeit des Eingangs mitzuteilen, damit dieser die Begründung hätte formwirksam anbringen können.“

Und dann noch der LG Arnsberg, Beschl. v. 06.07.2022 – 3 Ns-360 Js 24/21-73/22 , der Stellung nimmt zu den Anforderungen an die Begründung für eine sog. Ersatzeinreichung (§ 32d Satz 3 StPO):

„Nach dieser Vorschrift muss ein Verteidiger die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln. § 32d Satz 3 StPO sieht zwar vor, dass auf eine Übermittlung in Papierform oder durch Telefax ausgewichen werden kann, solange dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Das ist jedoch nicht hinreichend dargelegt.

In dem Berufungsschriftsatz ist lediglich ausgeführt, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich sei. Damit wird lediglich der Gesetzeswortlaut wiederholt, ohne dass tatsächliche Umstände vorgetragen werden, die dem Gericht eine selbständige Prüfung ermöglichen.

Die Terminologie „vorübergehende technische Störung“ will der Gesetzgeber so interpretiert wissen, dass eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur existiert und für eine Beseitigung eines temporären Ausfalls unverzüglich gesorgt wird (vgl. BT-Drs. 18/9416, Seite 51). Die Heilungsmöglichkeit ist deshalb nicht gegeben, wenn ein kein technischer, sondern ein menschlicher Fehler vorliegt; so stellt beispielsweise der Verlust der beA-Karte mit Signierfunktion keine technische Störung im Sinne der Norm dar (vgl. Radke in jurisPK, StPO, § 32d, RN 16 m.w.N.).

Der Verteidiger hat schon gar nicht vorgetragen, ob er überhaupt über eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur verfügt, wozu ein Internetanschluss gehört, der von der beA-Software erkannt wird, sowie die die dazugehörigen technischen Geräte mit beA-Karte (vgl. OVG Münster, Beschluss 31.03.2022, 19 A 448/22 A zu § 55d VwGO). Unklar ist ferner, ob eine etwaige Störung im Bereich der Hardware oder der Software oder in anderen Umständen begründet ist. Es ist auch nicht dargelegt, seit welchem Zeitpunkt eine elektronische Übermittlung nicht mehr möglich gewesen sein soll, und ob bzw. wann sich der Verteidiger mit der gebotenen Sorgfalt um die (Wieder-) Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen bemüht hat. Es fehlt daher jegliche konkrete Darlegung etwaiger Schwierigkeiten mit der Hard- und/oder Software und deren Dauer.

Der unspezifische Verweis auf eine technische Störung ersetzt eine nachvollziehbare Tatsachenschilderung nicht, ebenso wenig die Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung.“