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Brennender Adventskranz oder Weihnachtsbaum, oder: Wann muss man grobe Fahrlässigkeit bejahen?

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Und dann – wie jedes Jahr – am ersten Weihnachtsfeiertag die Frage: Was bringt man heute? Entscheidungen oder andere Sache. Das ist immer nicht so einfach zu beantworten, aber ich entscheide mich dann meist für „weihnachtliche“ Entscheidungen. Aber: Es ist gar nicht so einfach, da etwas Vernünftiges zu finden. Und in diesem Jahr bin ich dann auch leider nicht fündig geworden. Daher gibt es hier nur noch einmal den Hinweis auf zwei Entscheidungen, die ich schon mal vorgestellt habe, die aber nun einen Bezug zu Weihnachten haben. Und zwar:

Als erste Entscheidung der Hinweis auf das OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.09.1999 – 4 U 182/98. Wer hier regelmäßig mitliest, wird die Entscheidung kennen, und zwar aus 2011, 2015, 207 und auch aus 2023. Das ist die mit dem brennenden Adventskranz am 1. Weihnachtsfeiertag, wenn man mit anderen Dingen beschäftigt 🙂 ist. Dann gilt:

Dem Versicherungsnehmer, der am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages die Kerzen eines Adventskranzes auf dem Wohnzimmertisch angezündet und den Frühstückskaffee zubereitet hat, sich in das Schlafzimmer begibt, um seine Lebensgefährtin zu wecken, sich dort von ihr ablenken läßt und deshalb den sich entwickelnden Brand nicht bemerkt, ist in subjektiver Hinsicht kein unentschuldbares Fehlverhalten vorzuwerfen, so daß der Hausratsversicherer nicht wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei ist.

Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um das LG Oldenburg, Urt. v. 08.07.2011 – 13 O 3296/10. In der Entscheidung geht es auch um brennende Kerzen, und zwar um die Frage: Sind brennende Kerzen am (trockenen) Weihnachtsbaum grob fahrlässig? Das LG hat die Frage im entschiedenen Fall verneint.

Beide Entscheidungen also positiv. Aber trotzdem: Vorsichtig sein, egal, was man tut 🙂 .

Haft III: Wenn die Angeklagte in der HV ausbleibt, oder: Kein Haftbefehl, wenn Erscheinen demnächst sicher

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas aus der landgerichtlichen Spruchpraxis, nämlich den LG Oldenburg, Beschl. v. 22.11.2024 – 4 Qs 332/24. Thematik: Sicherungshaftbefehl nach § 230 StPO.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, mit zwei Anklageschriften zur Last, insgesamt sieben Betrugstaten begangen zu haben, wobei er in sechs Fällen gewerbsmäßig und in fünf Fällen mit dem weiteren Angeklagten G. gemeinschaftlich gehandelt habe. Durch die eine Anklage wird zudem dem Angeklagten P.B. und der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer der Taten eine Beihilfe zur Last gelegt.

Das AG hat unter dem 15.04.2024 einen Termin zur Hauptverhandlung mit allen vier Angeklagten auf den 19.09.2024, 10:00 Uhr, anberaumt sowie Fortsetzungstermine auf den 10.10.2024, 09:00 Uhr, den 17.10.2024, 09:00 Uhr, den 07.11.2024, 09:00 Uhr, und den 28.11.2024, 09:00 Uhr, festgelegt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist die Ladung der Beschwerdeführerin zur Hauptverhandlung und zu den Fortsetzungsterminen unter der Zustellanschrift pp., dem Angeklagten C.D., der ebenfalls unter dieser Anschrift gemeldet ist, am 19.04.2024 persönlich übergeben worden.

Zum Hauptverhandlungstermin am 19.09.2024 erschien die Beschwerdeführerin pünktlich. Nicht erschienen war indes der Mitangeklagte P.B., gegen den, nach einem erfolglosen polizeilichen Vorführversuch, im Termin ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ergangen ist. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am 19.09.2024 ist die Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den bereits anberaumten Termin am 10.10.2024 bestimmt worden.

Aufgrund einer Mitteilung des Bewährungshelfers des Angeklagten C.D. und unter Weiterleitung von Unterlagen, die ihm der Angeklagte C.D. überreicht habe, erhielt das AG am 08.10.2024 davon Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann auf den 10.10.2024 um 15:00 Uhr und den 16.10.2024 um 11:00 Uhr in einer Nachlasssache – in Serbien – zu zwei Terminen geladen worden seien. Bestandteil der übermittelten Dokumente war u. a. eine Abschrift der in serbischer Sprache verfassten undatierten Ladung im Original sowie eine Übersetzung hiervon in die deutsche Sprache vom 26.09.2024. Aus der übersetzten Ladung ergibt sich neben den Terminsstunden die Mitteilung an die beiden Adressaten, dass deren persönliche Anwesenheit zu den Terminen zwingend erforderlich sei und die vorzulegenden Ausweisdokumente nicht durch eine bevollmächtigte Person, sondern nur durch Erben oder gesetzliche Vertreter eingereicht werden können. Eines der Dokumente war darüber hinaus mit der Behauptung versehen, dass die Beschwerdeführerin und der Mitangeklagte C.D die weiteren Termine „selbstverständlich“ wahrnehmen würden.

Zum Fortsetzungstermin am 10.10.2024 um 09.00 Uhr erschien die Beschwerdeführerin nicht. Der anwesende Verteidiger des C.D. teilte für den Angeklagten C.D. u. a. mit, dass dieser sich in Serbien befinde, um die Nachlassangelegenheit wahrzunehmen, weil die Gefahr bestünde, dass der Erbanspruch verfallen könnte. Die Höhe des möglichen Anspruchs sei dem Verteidiger aber nicht bekannt. Der Angeklagte C.D. werde nicht kommen. Die Verteidigerin der Beschwerdeführerin schloss sich diesen Ausführungen an und erklärte für die Beschwerdeführerin das Gleiche.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG daraufhin um 09:32 Uhr gegen die Beschwerdeführerin noch im Termin vom 10.10.2024 einen auf § 230 Absatz 2 StPO gestützten Haftbefehl erlassen. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Haftbefehl ist in materieller Hinsicht zu beanstanden. Dabei kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen, weil die Anordnung von Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht erforderlich war und damit unverhältnismäßig ist. Im Einzelnen:

….

b) Nach Ansicht der Kammer lagen aber im Zeitpunkt seiner Anordnung durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Cloppenburg am 10.10.2024 die materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht vor. Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die Beschwerdeführerin für ihr Ausbleiben im Termin vom 10.10.2024 hinreichend entschuldigt war. Denn die Anordnung von Haft war jedenfalls nicht erforderlich und ist damit unverhältnismäßig.

aa) Gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist und soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

bb) Die Beschwerdeführerin war zu dem auf den 10.10.2024 anberaumten Hauptverhandlungstermin durch Zustellung im Wege der Übergabe der Ladung an einen in der Wohnung der betreffenden Person befindlichen erwachsenen Familienangehörigen (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ordnungsgemäß geladen worden. Ladungen dieser Art wird im normalen Geschäftsgang ein Hinweis auf die Folgen des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten im Sinne des § 216 Abs. 1 StPO beigefügt. Anhaltspunkte dafür, dass dies vorliegend nicht der Fall gewesen sein könnte, liegen nicht vor, insbesondere wurde Entsprechendes auch von der Beschwerdeführerin selbst nicht behauptet. Dass die Beschwerdeführerin darüber hinaus auf die Folgen ihres unentschuldigten Ausbleibens sowohl durch einen Hinweis der Vorsitzenden am Schluss des Hauptverhandlungstermins vom 19.09.2024 und darüber hinaus durch Schreiben vom 08.10.2024 weitere Male hingewiesen worden ist, schadet nicht, ist aber ohne Belang. Die Beschwerdeführerin ist im Termin vom 10.10.2024 auch ausgeblieben, da sie zur festgesetzten Terminsstunde sowie nach Ablauf einer hinreichenden Wartefrist nicht im Sitzungssaal anwesend war.

cc) Es kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen.

Die Kammer weist insoweit darauf hin, dass zur Entschuldigung eines Angeklagten jeder Umstand dient, der ihn – wie beispielsweise Krankheit oder Gefangenschaft – am Erscheinen vor Gericht gegen seinen Willen hindert oder bei Abwägen aller Gesichtspunkte ergibt, dass dem Angeklagten aus seinem Fernbleiben billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 16). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Angeklagte – wie hier – sein Ausbleiben mitteilt und insoweit um Entschuldigung oder Verständnis bittet, sondern allein darauf, ob er entschuldigt ist, also ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Falles billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann oder nicht (BVerfG, NJW 2007, 2318; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 230 StPO, Rn. 16 m. w. N.).

Das Gericht entscheidet hierüber im Freibeweis, wobei aber nur solche Beweise heranzuziehen sind, die sofort zur Verfügung stehen. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben zwar nur, wenn es glaubhaft erscheint, dass den Angeklagten kein Verschulden trifft (siehe insgesamt Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 21 m. w. N.). Allerdings ist bei der Auslegung zugunsten des Angeklagten eine weite Auslegung geboten (BGHSt 17, 391 [397]). Maßgebend ist, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen des Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist oder nicht (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 23 m. w. N.). Eine insoweit durch die Rechtsprechung angenommene Fallgruppe kann generell die Regelung beruflicher oder privater Angelegenheiten sein, jedenfalls dann, wenn sie unaufschiebbar und von solcher Bedeutung sind, dass dem Angeklagten das Erscheinen billigerweise nicht zugemutet werden kann, sodass die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise zurücktreten muss (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 28 m. z. N. aus d. Rspr.). Hierunter können auch drohende wirtschaftliche Verluste fallen (OLG Düsseldorf, NJW 1960, 1921). Eine derartige Konstellation könnte ggf. auch der Verlust der Erbschaft darstellen.

dd) Der Erlass eines Haftbefehls war im Zeitpunkt seiner Anordnung aber unverhältnismäßig.

(1) In das hohe Rechtsgut der persönlichen Freiheit darf der Staat nur dann und nur insoweit eingreifen, als dies unerlässlich ist, um die künftige Teilnahme eines Angeklagten an einem Hauptverhandlungstermin mit Sicherheit zu erreichen. Ist nach den bekannt gewordenen Umständen zu erwarten, dass der Angeklagte zum neuen Hauptverhandlungstermin von selbst erscheinen wird, etwa, weil der für sein Ausbleiben angeführte Grund sich nur auf den gegenwärtigen Termin bezog, so ist es meist nicht erforderlich, und damit auch nicht zulässig, präventiv die Teilnahme an dem künftigen Termin durch Zwangsmittel sicherzustellen. Gleiches gilt, wenn das Erscheinen des Angeklagten mit der erforderlichen Sicherheit durch ein milderes Mittel erreichbar ist (BVerfGE 32, 87; OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2020 – 2 Ws 72/20, Rn. 20).

Der Grundsatz, dass das mildeste Mittel anzuwenden ist, gilt auch für die Auswahl der in § 230 Abs. 2 StPO nebeneinander angedrohten Zwangsmittel. Dem an erster Stelle genannten Vorführungsbefehl gebührt als dem weniger einschneidenden Eingriff in die persönliche Freiheit stets der Vorrang vor dem Haftbefehl (BVerfGE 32, 87; BVerfG, NJW 2007, 2318). Letzterer darf nur angeordnet werden, wenn das mildere Mittel entweder bereits erfolglos ausgeschöpft ist oder nach Würdigung aller Umstände der Zweck der Norm, die Durchführung der Hauptverhandlung in Gegenwart des Angeklagten zu ermöglichen, andernfalls nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreichbar wäre. So liegt es etwa, wenn zu befürchten ist, dass der Angeklagte sich einer Vorführung durch Fernbleiben von seiner Wohnung entziehen würde (siehe hierzu insgesamt OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2022 – 2 Ws 72/20, Rn. 21 m. w. N.).

(2) Diesen hohen Verhältnismäßigkeitsanforderungen hielt der Haftbefehl im Zeitpunkt seines Erlasses nicht stand.

Das mildere Mittel der Vorführungsanordnung war zwar für den Termin vom 10.10.2024 von vorne herein aussichtslos und damit gescheitert, weil sich die Beschwerdeführerin nach der Vorankündigung und den Angaben der Verteidigerin nicht an ihrer Wohnanschrift befand und eine Vorführung damit von vorne herein aussichtslos und fehlgeschlagen war. Dass dies für den Termin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, aber ebenfalls der Fall sein würde, ist nicht ersichtlich.

Nach den bekannt gewordenen Umständen war bei Erlass des Haftbefehls nach Ansicht der Kammer vielmehr sogar hinreichend sicher zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin zu dem künftigen Hauptverhandlungstermin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, sogar von selbst erschienen wäre. Denn sie war schon zu dem ersten Verhandlungstermin – im Gegensatz zu dem Mitangeklagten Bruns – pünktlich erschienen. Nur aufgrund dessen Ausbleibens konnte am 19.09.2024 nicht in der Sache verhandelt werden. Auch hat die an einer festen Wohnanschrift gemeldete Beschwerdeführerin bereits schriftlich ihre Absicht bekundet, zu den weiteren Verhandlungs-terminen „selbstverständlich“ zu erscheinen. Dafür, dass sie insoweit nicht Wort halten würde, ergeben sich für die Kammer vor dem Hintergrund ihres Erscheinens im ersten Hauptverhandlungstermin keine Anhaltspunkte, zumal sie ihre Abwesenheit – unabhängig davon, ob man dies als Entschuldigungsgrund gelten lassen wollte oder nicht – vorab angekündigt und hierfür einen jedenfalls nachvollziehbaren – zeitlich befristeten – Grund genannt hat, der ihre Anwesenheit in Serbien lediglich am 10.10.2024 und am 16.10.2024 erfordert habe.

Aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit hätte das Amtsgericht auf ihre künftige Zuverlässigkeit im Umgang mit justiziellen Verpflichtungen schließen müssen, sodass der Erlass eines Haftbefehls zur Erreichung des verfassungslegitimen Zwecks der Anwesenheit der Beschwerdeführerin während weiterer Hauptverhandlungstermine zwar geeignet, aber nicht erforderlich gewesen ist. Da der Erlass des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht erforderlich war, ist er unverhältnismäßig und der Beschluss materiell unrechtmäßig.“

Alkohol III: Nachtrunkbehauptung im Verkehrsrecht, oder: Wenn Eheleute sich streiten

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Und dann noch aus dem Verkehrecht der LG Itzehoe, Beschl. v. 19.02.2024 – 14 Qs 9/24. Ergangen ist er in einem Verfahren wegen Verdachts der Trunkenheit im Verkehr im Verfahren wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.

Zugrunde liegt eine in der Praxis ja nicht seltene Konstellation. Eheleute trinken gemeinsam Alkohol, man streitet sich, die Ehefrau nimmt die Kinder und fährt zu einer Freundin. Der Ehemann ruft die Polizei an und teilt mir, dass seine Ehefrau alkoholisiert unterwegs ist/war. Die Polizei trifft die Ehefrau bei der Freundin an und es wird eine Blutentnahme angeordnet. Das Ergebnis  der Blutprobe würde dann „reichen“. Aber es kommt die Einlassung: Bei der Freundin ist es zu einem Nachtrunk gekommen. Und die hatte hier zumindest vorläufig Erfolg. Denn das LG hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben:

„Vorliegend kann nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen zwar angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin am 12.11.2023 gegen 21:14 Uhr in Lutzhorn das Kraftfahrzeug Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen pp. nach dem vorherigen Genuss alkoholischer Getränke geführt hat – es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen indes nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie zum Zeitpunkt der Fahrt auch eine Butalkoholkonzentration von mindestens 1,1 °/00 aufwies.

Der dahingehende Tatverdacht beruht derzeit ausschließlich auf der Aussage des Ehemannes der Beschuldigten gegenüber der Polizei, welcher am Tattag um 21:05 Uhr die Dienststelle in Elmshorn kontaktierte und angab, seine Ehefrau habe sich nach einem Streit stark alkoholisiert und schwankend mit dem Fahrzeug entfernt, sowie den damit korrespondierenden Angaben der Zeugen PK pp. und POM pp., welche die Beschuldigte am Tattag um 22:34 Uhr an der antrafen und einen Atemalkoholgeruch feststellten sowie den Analyseergebnissen der um 23:42 Uhr und 00:12 Uhr bei der Beschwerdeführerin entnommenen Blutproben, die einen BAK-Wert von 1,85 und 1,72 °/00 aufwiesen.

Diese Beweismittel sind jedoch nicht ohne weiteres geeignet, den dringenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gern. § 316 Abs. 1, 2 StGB zu begründen, denn der unmittelbare Schluss, dass die Beschwerdeführerin bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Autofahrt eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 °/00 aufwies, kann daraus nicht gezogen werden.

a) Die Beschwerdeführerin selbst hat den Tatvorwurf bestritten und sich gegenüber den Polizei-beamten zuletzt dahingehend eingelassen, sie habe vor Fahrtantritt zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr in einem Restaurant 0,5 I Bier und drei bis vier 2 cl Gläser Ouzo getrunken – größere Mengen Alkohol, nämlich 0,33 I Bier und etwa 15 cl Ouzo, habe sie hingegen erst nach Fahrtende bei ihrer Freundin, der Zeugin pp. konsumiert. Diese Einlassung, nach der sich die Beschwerdeführerin während der Autofahrt allenfalls im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit befunden hat, wird sich nicht ohne Weiteres widerlegen lassen.

Der Ehemann der Beschuldigten, der bisher keine Angaben zur Trinkmenge der Beschuldigten gemacht hat, gibt nunmehr an, diese habe vor Fahrtantritt in einem Restaurant zwei Bier und drei bis vier Ouzo getrunken, er habe die Polizei lediglich aus Verärgerung und Wut nach der Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gerufen. Die Zeugin pp. hat darüber hinaus an Eides statt versichert, die Beschwerdeführerin habe nach ihrer Ankunft bei ihr gegen 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr ein Bier getrunken und den Großteil einer Ouzo-Flasche geleert. Diese Aussagen stützen die Einlassung der Beschwerdeführerin und sind nicht geeignet, den gegen sie erhobenen Vorwurf der Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit zu begründen.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das Aussageverhalten der Zeugen und die Einlassung der Beschuldigten inkonsistent sind und es sich auch um nachträglich abgesprochene Aussage handeln kann. So gab die Beschuldigte selbst zunächst an, sie habe nach der Fahrt in ihrem Fahrzeug Alkohol konsumiert, wenig später korrigierte sie die Aussage dahingehend, sie habe nach Fahrtende mit ihrer Freundin drei bis vier Bier getrunken und nach Durchführung des Atemalkoholtests gab sie schließlich an, gegen 17:30 Uhr zwei Weißweinschorlen und einen Ouzo und gegen 21:15 Uhr bei Frau pp. zwei bis drei Bier getrunken zu haben. Auch wirft es jedenfalls Fragen auf, dass die Zeugin pp.  gegenüber der Polizei zunächst angegeben haben soll, dass beide Frauen bei ihr keinen Alkohol konsumiert hätten. Sofern sie nunmehr behauptet, sie habe die Frage nach etwaigem Alkoholkonsum lediglich auf sich bezogen beantwortet, da es darum gegangen sei, die Beschwerdeführerin im Verlaufe der Nacht mit dem Fahrzeug von der Wache abzuholen, muss der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ggf. nach Anhörung der Vernehmungsbeamten ermittelt werden. Die Kammer hält die Frage nach einer (ausschließlichen) Alkoholisierung der Zeugin im Rahmen der gegen die Beschwerdeführerin geführten Ermittlungen wegen einer Trunkenheitsfahrt für wenig wahrscheinlich; es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Niederschrift der Aussage der Zeugin pp. nicht von den vernehmenden Beamten (PKW POM pp. ) selbst, sondern von dem Zeugen POMA pp. gefertigt worden ist.

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass der Ehemann der Beschuldigten die erste Aussage gegenüber der Polizei im Streit mit der Beschwerdeführerin getätigt hat, was eine kritische Würdigung der Aussage erfordert, da eine Belastungstendenz und eine etwaige Dramatisierung der Umstände jedenfalls nicht fernliegend erscheint. Für letzteres würde auch sprechen, dass er gegenüber der Polizei zunächst angab, die Beschwerdeführerin habe einen schwankenden Gang aufgewiesen, wohingegen die Polizeibeamten PK pp. und POM pp. bei der Beschwerdeführerin keinerlei Ausfallerscheinungen feststellen konnten.

Letztlich sind die Unstimmigkeiten innerhalb der Aussagen allenfalls geeignet einen hinreichenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gem. § 203 StPO zu begründen, es kann indes nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin diese Tat auch begangen hat.

b) Auch die Ergebnisse der doppelten Blutprobenentnahme sind nicht geeignet, die Nachtrunkbehauptung der Beschwerdeführerin zu widerlegen.

Ein Rückschluss von einer gemessenen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt ist grundsätzlich dann möglich, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann; Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 155/22 m.w.N.). In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden. Dem liegt zugrunde, dass die Zeitspanne während welcher die Blutalkoholkonzentration nach dem letzten Alkoholkonsum bis zur Erreichung ihres Maximums steigt – die sog. Anflutungsphase – im Regelfall etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden beträgt, wenngleich sie im Einzelfall von Person zu Person variiert (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 – 4 Qs 14 Qs 9/24 m.w.N.). In dieser Phase ist mithin mit steigenden Blutalkoholkonzentrationswerten zu rechnen, sodass in Fällen, in denen die Analysen einer ersten, in zeitlich engem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen entnommenen Blutprobe, und einer zweiten, im Abstand von 30 Minuten entnommenen Blutprobe, eine sinkende Blutalkoholkonzentration ergibt, die Nachtrunkbehauptung in der Regel als widerlegt angesehen werden kann (vgl. a.a.O.). Für einen solchen Rückschluss muss die Entnahme der ersten Blutprobe allerdings spätestens 45 Minuten nach Trinkende erfolgen (zu den weiteren Voraussetzungen vgl. ausführlich a.a.O. m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, denn das Blut für die erste Blutprobe zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration wurde der Beschwerdeführerin erst um 23:42 Uhr entnommen – und mithin knapp 1,5 Stunden nach dem behaupteten Trinkende um 22:15 Uhr. In diesem Fall verbietet sich der Rückschluss, dass die sinkenden Werte belegen, dass die Nachtrunkbehauptung unwahr ist, da auch im Falle des Nachtrunks die Anflutungsphase zum Zeitpunkt der zweiten Blutprobenentnahme bereits beendet wäre und die „Abbauphase“ begonnen hätte.

Der Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrt lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit führen.“

Schon erstaunlich, dass das LG die verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Aussagen nicht einfach mit „unglaubhaft“ abgetan hat. Man darf gespannt sein, wie das AG damit umgeht.

Und: die erwähnte Entscheidung des LG Oldenburg hatte ich hier übrigens auch vorgestellt, und zwar hier.

Brennende Kerzen am (trockenen) Weihnachtsbaum, oder: Grobe Fahrlässigkeit?

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So, und dann die letzte Entscheidung vor Weihnachten. Und da gibt es dann etwas Weihnachtliches, und zwar den schön ältere LG Oldenburg, Urt. v. 08.07.2011 – 13 O 3296/10. Das hat zur grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch brennende Kerzen am Weihnachtsbaum Stellung genommen.

Gestritten worden ist um die restliche Regulierung eines Brandschadens, bei dem das zu je 1/2 im Eigentum des Klägers bzw. im Eigentum seiner Ehefrau stehende freistehende Wohnhaus nebst Hausrat nahezu vollständig durch Brand zerstört worden ist. Der Brand ereignete sich am 09.01.2010, als der Kläger und seine Ehefrau deren Schwester und ihren Lebensgefährten zu Besuch hatten. Nachdem die vor Weihnachten geschlagene und im Wohnzimmer aufgestellte Nordmanntanne an diesem Tag mit neuen Wachskerzen bestückt und diese angezündet worden waren, fing der Weihnachtsbaum aus ungeklärter bzw. streitiger Ursache Feuer. Dieses wurde von dem zum Zeitpunkt der Brandentstehung allein im Wohnzimmer anwesenden Gast der Familie des Klägers pp. entdeckt, der sofort um Hilfe rief. Ein Löscheimer, Feuerlöscher oder eine Löschdecke befanden sich nicht in der Nähe des Baumes. Der hierdurch alarmierte Kläger begab sich zum brennenden Weihnachtsbaum, öffnete die zur Terrasse führende Wohnzimmerschiebetür und versuchte, den in der Nähe dieser Tür aufgestellten Baum nach draußen auf die Terrasse zu ziehen. Dies misslang aufgrund der Hitzeentwicklung; infolge der Frischluftzufuhr wurde die Brandentwicklung beschleunigt.

Die Versicherung hatte u.a. nur 60 % des Schadens reguliert. Der Kläger verlangte den Rest und beim LG Oldenburg Recht bekommen:

„1) Die Beklagte ist nicht gem. § 81 Abs. 2 VVG berechtigt, die Versicherungsleistung um 40 % zu kürzen. Denn der Versicherungsfall ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein. Danach müssen einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt worden sein und es darf das nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, r+s 1989, 193; Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, zu § 81 VVG Rn. 8). Sowohl für die objektive als auch für die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast (BGH, NJW 1989, 1354). Sache des Versicherers ist es, die naheliegenden Möglichkeiten, die das Verhalten des Versicherungsnehmers in einem milderen Licht erscheinen lassen, zu widerlegen (vgl. BGH, NJW-RR 1986, 705).

Vorliegend sind keine Tatsachen festgestellt, aus denen offenbar würde, dass der Kläger oder dessen Ehefrau beim Befestigen und Anzünden der Kerzen ein besonderes Maß an Unbesonnenheit, Leichtsinn oder Unbekümmertheit an den Tag gelegt haben.

Zunächst ist festzustellen, dass der Nadelbaum mit Sicherheit am 09.01.2011 im Vergleich zu einem frisch geschlagenen Baum trockener gewesen ist und sich daher wesentlich leichter entzünden konnte. Dies liegt nicht nur an der Standzeit des Baumes, sondern auch daran, dass – wovon die Kammer ausgeht – die Raumluft im Wohnzimmer des Klägers infolge des dort befindlichen und in der Weihnachtszeit nach Angabe der Zeugin … auch regelmäßig benutzten Kaminofens deutlich trockener ist als in anderen Räumen. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Trocknungsgrad des Baumes am Schadenstag bedarf es nicht. Die Kammer erachtet es – entgegen der von der Beklagten im Schriftsatz vom 06.07.2011 geäußerten Auffassung – nicht für ungewöhnlich oder unglaubhaft, dass der Kläger bzw. dessen Frau den Weihnachtsbaum regelmäßig „gegossen“ haben. Das von der Zeugin … geschilderte Bewässern des Baumes verzögerte jedoch den Austrocknungsprozess nicht in nennenswerter Weise – was sich an der Schnelligkeit der Brandentwicklung gezeigt hat. Deshalb war nach dem Anzünden der Wachskerzen am 09.01. besondere Vorsicht geboten.

Gleichwohl wertet die Kammer das Maß der Sorglosigkeit des Klägers und seiner Ehefrau im Umgang mit dem Nadelbaum nicht als dermaßen grob, dass von einem objektiv groben Pflichtverstoß auszugehen ist. Das Anzünden von Kerzen an einem Nadelbaum sorgt zwar für eine deutlich erhöhte Brandgefahr, ist aber im hiesigen Kulturkreis in der Weihnachtszeit weit verbreitet. Auch das Anzünden von Kerzen 18 Tage nach Aufstellen eines mittlerweile trockenen Nadelbaumes ist keine besonders ungewöhnliche Verhaltensweise und auch nicht schlechthin als grob sorglos zu bewerten. Indessen ist der Versicherungsnehmer aufgrund der dadurch bewirkten deutlichen Herabsenkung des Sicherheitsstandards gegenüber der versicherten Gefahr zu einer erhöhten Aufmerksamkeit gehalten. Deshalb ist es unabdingbar, das Brennen der Kerzen am Nadelbaum durchgehend zu beaufsichtigen. Diese Mindestanforderung wurde im vorliegenden Fall aber unstreitig erfüllt. Zwar befanden sich weder der Kläger selbst noch dessen Ehefrau nach dem Anzünden der Baumkerzen im Wohnzimmer, insbesondere nicht in dem Moment, als die Flammen auf den Baum übergriffen; jedoch befand sich währenddessen der Lebensgefährte der Schwägerin des Klägers, der Zeuge … im Wohnzimmer und hatte den Baum – zumindest aus dem Augenwinkel – „im Blick“. Dass der Zeuge … vom Kläger oder dessen Ehefrau nicht ausdrücklich gebeten worden ist, die Kerzen am Baum zu beobachten, ist nicht entscheidend; maßgeblich für die Sicherheit ist allein, dass sich – wie hier – eine erwachsene Person durchgehend im Wohnzimmer aufgehalten hat, während die Kerzen am Baum brannten (vgl. BGH, VersR 1986, 671). Damit waren die brennenden Kerzen zu keinem Zeitpunkt „sich selbst überlassen“. Unstreitig ist, dass Herr … die Brandentwicklung relativ schnell bemerkt und die anderen im Haus anwesenden Personen unverzüglich alarmiert hat.

a) Ein Sachverständiger ist zur Frage, warum es zum Brand gekommen ist, nicht zu befragen. Vielmehr kann als richtig unterstellt werden, dass sich eine Kerze oder Baumschmuck von der Halterung gelöst und diese den Brand verursacht hat. Dass die Kerzen oder der Baumschmuck – insbesondere die Bestandteile Spieluhr – nicht ordnungsgemäß bzw. auf sorglose Weise in die dafür vorgesehenen Halterungen eingesteckt worden sind, wie es die Beklagte behauptet, ist nicht erwiesen. Im Gegenteil ergibt sich aus der Aussage der Zeugin … dass diese beim Schmücken des Baumes und beim Einsetzen neuer Kerzen mit Bedacht und großer Sorgfalt vorgeht. So sei ausschließlich sie für das Einsetzen der Kerzen zuständig. Auch entferne sie zuvor die Wachsreste aus den Kerzenhaltern, damit die neuen Kerzen ordnungsgemäß befestigt werden können. Das spricht nicht für Sorglosigkeit im Umgang mit den Kerzen. Dass die Kerzenhalter von der Zeugin … nicht nach jedem Herunterbrennen eines Satzes Kerzen vollständig abgenommen und gesäubert worden sind, mag zwar sorgfaltswidrig sein. Eine nachweislich gröbliche Außerachtlassung der Sorgfaltspflichten im Umgang mit den Kerzenhaltern ist der Familie des Klägers indes nicht vorzuwerfen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kerzenhalter erst im Zuge des Abschmückens und Entfernens des Baumes zum Zwecke der Reinigung vollständig abgenommen werden.

Im Übrigen brannten die Kerzen nach dem Anzünden nach den glaubhaften Angaben des Zeugen pp. bereits eine Dreiviertelstunde, ehe der Baum zu brennen begann. Wäre eine Kerze von vornherein unsachgemäß in einen Kerzenhalter eingesetzt worden, wäre diese wesentlich früher heruntergefallen. Gleiches gilt für den Baumschmuck und die Bestandteile der Spieluhr.

b) Dass sich weder Löscheimer noch Löschdecken in unmittelbarer Nähe des Weihnachtsbaumes befunden haben, ist zwar objektiv sorgfaltswidrig. Denn es liegt auf der Hand, dass dadurch die Gefahr, dass ein plötzlich entstehender Brand am Weihnachtsbaum nicht unter Kontrolle zu bekommen ist, erheblich steigt. Gleichwohl stellt dies kein ungewöhnliches Verhalten und damit noch kein Außerachtlassen dessen dar, was jedermann unter den gegebenen Umständen als geboten und einleuchtend erscheinen musste. Hinzu kommt, dass sich die Familie des Klägers durchaus Gedanken darüber gemacht hat, warum sie keinen Löscheimer neben dem Baum stehen hat. Die Zeugin … hat glaubhaft bekundet, dass sie früher, als die beiden Söhne der Familie noch kleiner gewesen seien, einen Löscheimer neben den Tannenbaum gestellt hätten. Denn sie hätten die Sorge gehabt, dass die Kinder eine besondere Gefahrenquelle darstellen, wenn sie mit dem Kerzenlicht in Berührung kämen. Einen Löscheimer habe man aber seit einigen Jahren nicht mehr als notwendig erachtet, nachdem die Kinder größer geworden seien. Das Weglassen des Löscheimers nach dem Größerwerden der Kinder stellt aus Sicht der Kammer – anders als die Beklagte meint – keine abwegige, sondern eine nachvollziehbare Überlegung der Familie des Klägers dar, nachdem eine unmittelbare Gefahr durch Kleinkinder, die mit den Kerzen spielen oder beim Spielen in der Nähe des Baumes gegen Zweige stoßen könnten, nicht mehr bestanden hat.

c) Ob es noch zu Löschversuchen mittels in der Küche befüllter Eimer oder Töpfe gekommen ist, kann dahin stehen, da diese Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben.

d) Ebenso wenig ergibt sich aus der Tatsache, dass der Kläger bei dem Versuch, den Baum nach draußen zu ziehen, die Terrassentür öffnete und dadurch die Brandentwicklung deutlich beschleunigt worden ist, ein dem Kläger vorwerfbar grober Sorgfaltspflichtverstoß  Dabei verkennt die Kammer nicht, dass – was man gemeinhin weiß – eine Frischluftzufuhr bei einer Brandentstehung im Inneren eines Hauses selbstverständlich tunlichst zu vermeiden ist. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine für den Kläger nicht alltägliche, sich ständig wiederholende und daher routinemäßig zu beherrschende Gefahrensituation handelte. Vielmehr ist auch der Kläger von der Feuerentwicklung überrascht worden und musste spontan entscheiden, wie dem Feuer am Effektivsten entgegengewirkt werden könnte. Dass er dabei – begünstigt durch die Aufregung – eine falsche Entscheidung getroffen hat, beruht auf einer reflexartigen Schutzmaßnahme. Damit liegt insoweit ein in subjektiver Hinsicht nicht schlechthin unentschuldbares Verhalten des Klägers vor.

Das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 06.07.2011 gibt der Kammer keinen Anlass für eine andere Beurteilung…..“

Pflichti I: Beiordnung bei psychischer Beeinträchtigung, oder: Drohender Bewährungswiderruf/Gesamtstrafe

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Und heute dann „Pflichti“, es hält sich dieses mal aber in Grenzen.

Zunächst hier drei LG-Entscheidungen zum Beiordnungsgrund, und zwar:

Der LG Berlin, Beschl. v. 21.09.2023 – 517 Qs 33/23 – nimmt noch einmal Stellung zur Erforderlichkeit der Beiordnung in den Fällen der psychischen Beeinträchtigung des Beschuldigten:

„1. Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO wird in den Fällen der notwendigen Verteidigung dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt.

Ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung liegt hier gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, weil ersichtlich ist, dass sich die Beschwerdeführerin, der auch der Tatvorwurf eröffnet worden ist und die noch keinen Verteidiger hatte, aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht selbst verteidigen kann. Denn ausweislich des aufgrund der Betreuerbestellung eingeholten psychiatrischen Gutachtens leidet die krankheits- und behandlungsuneinsichtige Beschwerdeführerin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie, kann weder lesen noch schreiben, ist in ihrem Gedankengang assoziativ gelockert bis zerfahren und wahnhaft. Sie sei, so die psychiatrische Sachverständige, krankheitsbedingt nicht in der Lage, im Hinblick auf eine Betreuung einen freien Willen zu bilden, sondern ganz in ihrem eigenen Erleben gefangen. Die Unfähigkeit der Beschwerdeführerin zur Selbstverteidigung wird darüber hinaus dadurch belegt, dass sie vom Amtsgericht Mitte aufgrund ihrer psychischen Erkrankung unter Betreuung gestellt worden ist, wobei zum Aufgabenkreis des Betreuers unter anderem die Vertretung gegenüber Behörden zählt.

Ein Absehen von der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO kommt nicht in Betracht, da dies ausweislich des ausdrücklichen Wortlauts sich lediglich auf Beiordnungen bezieht, die von Amts wegen erwogen werden (vgl. nur Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 141 Rn. 17).“

Und die zweite Entscheidung. der LG Oldenburg, Beschl. v. 17.08.2023 – 4 Qs 252/23 -, nimmt noch einmal zur „Schwere der Rechtsfolge“ Stellung, und zwar wie folgt:

Die Schwere der drohenden Rechtsfolge i.S. des § 140 Abs. 2 StPO bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile, wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.

Und dann noch der LG Münster, Beschl. 22.08.2022 – 11 Qs 27/23:

Die Schwelle von zu erwartender Freiheitsstrafe von einem Jahr für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gilt auch bei der (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung. Das gilt auch, wenn die verfahrensgegenständliche Verurteilung voraussichtlich geringfügig ausfallen und die Gesamtstrafenbildung nur unwesentlich beeinflussen wird, jedoch neben der zu erwartenden nachträglichen Gesamtstrafenbildung auch noch ein Bewährungswiderruf  droht.