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StPO I: Einiges zur Durchsuchungsanordnung, oder: Reichsbürger, anonyme Anzeige, BtM-Zusendung u.a.,

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Heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Opener machen hier einige LG-Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar zu den Anordnungsvoraussetzungen. Da sind ja meist die LG die „letzte Instanz“. Eine Entscheidung stammt aber nicht „aus der StPO“.

Hier sind dann folgende Entscheidungen, allerdings nur mit den Leitsätzen:

Ein geltend gemachtes Auskunftsverweigerungsrecht hindert nicht, dass gegen die auskunftsverweigerende Person ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Treten weitere Anhaltspunkte hinzu, ist die Strafverfolgungsbehörde nicht gehindert, eine Durchsuchung mit dem Ziel, weitere Beweismittel aufzufinden, zu veranlassen, um einen bestehenden Tatverdacht zu überprüfen, sofern sich dieselbe nicht als unverhältnismäßig darstellt.

Eine anonyme Anzeige kann nur dann als Grundlage für eine Durchsuchung genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde.

Zur Bejahung eines für die Anordnung einer Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts bei BtM-Zusendungen.

Allein die Zugehörigkeit zu der Reichsbürgerbewegung stellt noch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.

 

Verteidiger beauftragt Dolmetscher mit Übersetzung, oder: Wer ist für die Bezahlung zuständig?

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In der zweiten Entscheidung geht es es dann um Auslagen des Verteidigers, und zwar um Auslagen für Dolmetscherleistungen. Die dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 24.02.2023 – 20 KLs 358 Js 11338/21– zugrunde liegende Konstellation ist in der Praxis gar nicht so selten, und zwar:

Das AG hat gegen den Angeklagten einen nationalen Haftbefehl sowie einen Europäischen Haftbefehl erlassen. Der Beschuldigte wurde dann im Ausland festgenommen und in der Folge ins Inland überstellt. Im Verfahren hat das AG festgestellt, „dass d. Beschuldigte nach Maßgabe des § 187 Absatz 1 bis 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes für das gesamte Strafverfahren, insbesondere für Gespräche und Schriftverkehr mit der Verteidigung sowie für die Überwachung der Besuche durch die Strafverfolgungsbehörden, die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder Übersetzers auf Kosten der Staatskasse beanspruchen kann (§ 114b Absatz 2 Satz 3 StPO; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 07.10.2003, Aktenzeichen: 2 BvR 2118/01).“

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage zum LG erhoben. Das LG hat dann den Angeklagten mit Urteil vom 10.02.2023 wegen Verstoßes gegen das BtMG verurteilt. Im Verlauf des Verfahrens beauftragte der Wahlverteidiger eine Dolmetscherin mehrfach als Dolmetscherin sowie Übersetzerin. Diese hat ihre Rechnungen zur Begleichung an die StA adressiert. Die StA erachtet sich als nicht zuständig. Die Kostenbeamtin beim Ermittlungsrichter hat geltend gemacht, dass eine dortige Zuständigkeit nur insoweit vorliege, als vom Ermittlungsrichter selbst die Beauftragung erfolgt sei, im Übrigen vor Anklageerhebung die StA, nach Anklageerhebung das zuständige Gericht der Hauptsache zur Entscheidung berufen sei. Das LG hat auf Vorlage der Akten festgestellt, dass es zur Entscheidung über die Kostenerstattung nicht zuständig sei:

„II. Das Landgericht Nürnberg-Fürth ist für die Entscheidung über die geltend gemachten Anweisungen zur etwaigen Kostenerstattung unmittelbar an die Dolmetscherin/Übersetzerin nicht zuständig.

1. Eine Auftragserteilung oder Beiordnung durch die Strafkammer lag zu keinem Zeitpunkt vor. Bereits das reicht hin, um die seitens der Staatsanwaltschaft an das Landgericht Nürnberg-Fürth herangetragene Entscheidungszuständigkeit zu verneinen.

2. Ergänzend weist die Kammer angesichts der vorhandenen Unklarheiten im Geschäftsgang auf Folgendes hin:

a) Die Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sind unzutreffend adressiert, da von dort aus keine Beauftragung ihrer Person stattgefunden hat.

Die Dolmetscherin/Übersetzerin muss sich an Rechtsanwalt A als ihren Auftraggeber halten. Dieser müsste sodann – strafprozessual erforderliche – Translationsleistungen als zu erstattende Aufwendungen gegen die Staatskasse geltend machen.

Es gibt letztlich mehrere Wege, wie ein Dolmetscher/Übersetzer im Strafverfahren hinzugezogen werden kann. Hiervon hängt wiederum der zu beachtende Zahlungsweg ab.

aa) Einerseits kann die Heranziehung/Beiordnung durch das zuständige Gericht erfolgen, § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG. In diesem Falle ist der Dolmetscher/Übersetzer unmittelbar durch das Gericht beauftragt, sodass sich der Zahlungsanspruch gegen das beauftragende Gericht richtet. Eine solche Beiordnung kann von Amts wegen sowie auf Antrag des Beschuldigten respektive seines Verteidigers erfolgen.

Ein vorgeschaltetes Antragsverfahren ist dabei nicht obligatorisch (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2004, 50 (51); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23), jedoch zulässig (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 3). § 187 Abs. 1 GVG gewährt einen expliziten Anspruch des Beschuldigten auf staatsseitige Bestellung eines Dolmetschers/Übersetzers und nicht bloß auf Erstattung von für entsprechende Leistungen aufgewandte eigene Kosten (OLG Celle 09.03.2011 – 1 Ws 102/11, NStZ 2011, 718; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23). Auf diese „Beanspruchung“ zielt § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG ab (KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 187 Rn. 2), nicht hingegen auf eine voraussetzungslose Kostenerstattung für eigene Aufträge. Es handelt sich um einen informierenden Hinweis auf die geltende Rechtslage (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 11). Soll demgemäß seitens der Verteidigung ein unmittelbarer Anspruch des Dolmetschers/Übersetzers gegen die Staatskasse konstruiert werden, ist ein entsprechender vorheriger Antrag mit anschließender gerichtlicher Heranziehung/Bewilligung/Beiordnung zwingend.

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem Verfahrensstadium. Im Ermittlungsverfahren ist der Ermittlungsrichter zuständig (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 11620 Rn. 5), nach Anklageerhebung das mit der Sache befasste Gericht. Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft wird sich nur insoweit ergeben, als ihr originär zugeordnete oder im Wege der Haftüberwachung vom Gericht nach § 119 Abs. 2 Satz 2 StPO übertragene Aufgaben betroffen sind.

Auch insofern kann und ist die Beiordnung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr zu beschränken, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich sind (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor; LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl. 2022, § 187 GVG Rn. 1). Denn § 187 GVG begründet nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und seiner Entstehungsgeschichte keinen generellen Übersetzungsanspruch (BGH 18.02.2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283 = NJW 2020, 2041 (2042) Rn. 10).

Der pauschal formulierte Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] stellt ersichtlich keine konkrete Beauftragung dar; er ist auch nicht als generelle, anlasslose Beiordnung misszuverstehen. Eine solche Beiordnung wäre überdies möglichst konkret vorzunehmen (BeckOK-GVG/Allgayer, 17. Ed. 2022, § 187 Rn. 5; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 15) und hätte die soeben bezeichnete, gebotene Beschränkung auf diejenigen Gespräche und denjenigen Schriftverkehr, die zur Ausübung der strafprozessualen Rechte erforderlich sind, zu enthalten (BGH 05.03.2018 – 5 BGs 47/18, WKRS 2018, 1…1620 T.enor).

Der Beschluss des Ermittlungsrichters [pp.] erweist sich vielmehr als standardisierter Hinweis nach § 187 Abs. 1 Satz 2 GVG. Eine Auftragsbeziehung zur Dolmetscherin/Übersetzerin sollte zu keinem Zeitpunkt begründet werden, sonst hätte der Ermittlungsrichter anders formuliert. Der ergänzende Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.10.2003 ist ebenfalls klarstellend im Hinblick auf die Besuchsüberwachung zu verstehen.

bb) Daneben kann der Dolmetscher/Übersetzer auch vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger selbst beauftragt werden, mit nachfolgender Auslagenerstattung, wobei dann die Gefahr besteht, dass bestimmte Teile der Translationskosten wegen Sachfremdheit nicht erstattet werden (OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719 (720); Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 22 ff.; Kulhanek, Die Sprach- und Ortsfremdheit von Beschuldigten im Strafverfahren, 2019, S. 54).

Der Dolmetscher/Übersetzer erwirbt in diesen Fällen keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Staatskasse, sondern allein gegen seinen Auftraggeber, welcher sich sodann wiederum gegenüber der Staatskasse schadlos zu halten hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; OLG Oldenburg 24.06.2011 – 1 Ws 241/11, NStZ 2011, 719; LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 134). Es handelt sich um erstattungsfähige Aufwendungen, § 46 Abs. 2 Satz 3 RVG, die für den Fall ihrer Erforderlichkeit (§ 187 Abs. 1 Satz 1: „soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist“) unabhängig vom Verfahrensausgang von der Staatskasse zu tragen sind (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 24; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 140). Gleiches gilt für den Wahlverteidiger (BVerfG 27.08.2003 – 2 BvR 2032/01, BVerfGK 1, 331 = NJW 2003, 50 (51); OLG Brandenburg 27.07.2005 – 1 Ws 83/05, StV 2006, 28 (29); OLG Karlsruhe 09.09.2009 – 2 Ws 305/09, StraFo 2009, 527; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23 f.), wie sich gebühren- und auslagenrechtlich aus § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO ergibt (KMR-StPO/Bader, 103. EL 2021, § 464a Rn. 25). Es handelt sich um einen Auslagenerstattungsanspruch sui generis unabhängig von der Art der Verteidigung und der Frage einer Verurteilung.

Wann die Beiziehung insbesondere eines Übersetzers zur Ausübung der strafprozessualen Rechte des Beschuldigten erforderlich ist, lässt das Gesetz als unbestimmten Rechtsterminus hingegen im Raum stehen. Das Ergebnis ist einer abstrakt-allgemeinen Kategorisierung nicht zugänglich, sondern abhängig von den Umständen des Einzelfalls, wobei namentlich Art und Schwere des Tatvorwurfs sowie die Komplexität der zu prüfenden Beweisfragen zu berücksichtigen sind (LG Freiburg 23.09.2011 – 6 Qs 44/11, NStZ-RR 2012, 292; LR-StPO/Wickern, 26. Aufl. 2010, § 187 GVG Rn. 7; SSW-StPO/Rosenau, 5. Aufl. 2023, § 187 GVG Rn. 4).

Der Verteidiger kann, um diese Unsicherheit zu beseitigen und eine Bindungswirkung für das Feststellungsverfahren herbeizuführen, einen Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 RVG stellen (MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 27; Mayer/Kroiß/Ebert, RVG, 8. Aufl. 2021, § 46 Rn. 136). Es handelt sich mithin um eine Absicherung der späteren Kostenerstattung. Es muss sich dabei um eine bestimmt bezeichnete Aufwendung handeln (OLG Hamm 15.11.2007 – 2 WF 239/07, BeckRS 2008, 1834 Rn. 6; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl. 2022, § 46 RVG Rn. 37). Überdies gewährt § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG im Rahmen des Erforderlichen und Angemessenen einen Vorschussanspruch des Verteidigers gegenüber der Staatskasse (LG Neuruppin 15.03.2021 – 11 Ks 22/20, BeckRS 2021, 11895 Rn. 8).

Ein Antrag nach § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG bleibt ohnehin unberührt (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 187 Rn. 23).

b) Zuständig zur – abschlägigen – Bescheidung der Anträge der Dolmetscherin/Übersetzerin ist daher vorliegend die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth als in Anspruch genommene Rechnungsadressatin (vgl. auch LG Dortmund 30.11.2017 – 35 Qs 24/17, BeckRS 2017, 148602 Rn. 4). Da die Dolmetscherin/Übersetzerin in ihren Rechnungen ausdrücklich darauf hinweist, dass sie um Mitteilung bitte, sollte die Staatsanwaltschaft nicht die richtige Rechnungsadressatin sein, dürfte allerdings auch eine formlose Mitteilung genügen.

aa) Die vorgebrachte Rechtsansicht, wonach auch ohne zugrunde liegende justizielle Beauftragung/Beiordnung bis zur Anklageerhebung stets die Staatsanwaltschaft und nach Anklageerhebung stets das mit der Sache befasste Gericht zuständig wäre, geht fehl. Für den – wie ausgeführt nicht gegebenen – Fall einer Beiordnung durch den Ermittlungsrichter im Ermittlungsverfahren wäre überdies bis zur Anklageerhebung ebenfalls nicht die Staatsanwaltschaft, sondern das Amtsgericht – Ermittlungsrichter – zuständig. Die Zuständigkeit der Anweisung von Übersetzungskosten folgte insofern der beauftragenden Hinzuziehung.

bb) Die Dolmetscherin/Übersetzerin hat sich sodann an ihren Auftraggeber Rechtsanwalt A zu halten, welcher die Kosten zu verauslagen hat (OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719). Dieser hat sodann im Wege der Auslagenerstattung die von ihm getragenen Dolmetscher-/Übersetzerkosten anzuführen und gegenüber der Staatskasse geltend zu machen, wobei ausdrücklich zu beachten ist, dass diese nur im Rahmen der Erforderlichkeit Erstattung finden dürfen. Dass die Dolmetscherin/Übersetzerin vom Verteidiger ermächtigt worden wäre, den ihm zustehenden Auslagenerstattungsanspruch selbst gegen die Staatskasse geltend zu machen (vgl. OLG Düsseldorf 20.12.2010 – 1 Ws 271/10, NStZ 2011, 719; MAH Strafverteidigung/Schulte, 3. Aufl. 2022, § 18 Rn. 26), ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.“

Ein m.E. klarer und eindeutiger Weg, wie mit diesen Auslagen umzugehen ist und war wann zahlen muss.

Im Übrigen hat das LG auch noch zur Erforderlichkeit der geltend gemachten Leistungen Stellung genommen. Insoweit verweise ich auf dne verlinkten Volltext.

StPO I: Vollzug des strafprozessualen Arrestes, oder: Ein bisschen Eile tut schon not

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Heute eine StPO-Tag.

Den beginne ich mit einer Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth u.a. zur zulässigen Dauer der Vollziehungsfrist eines strafprozessualen Arrestbeschlusses.

Folgender Sachverhalt: Der Beschwerdeführer (Bf.) wendet sich gegen einen Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Dem liegt zugrunde: Die Staatsanwaltschaft A (Italien) führt gegen den Bf. ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Am 19.05.2017 wurde der Bf. von Beamten des Zollfahndungsamtes M. einer Kontrolle unterzogen. Dabei wurden bei ihm Geldpakete gefunden, zu denen er aussagte, sie enthielten insgesamt 249.050 EUR, die aus dem Verkauf von Goldschmuck stammen sollten. Die Geldpakete wurden vorläufig sichergestellt. Am 17.05.2018 erließ das Amtsgericht Nürnberg in Erfüllung des italienischen Rechtshilfeersuchens einen Arrestbeschluss gegen den Bf. über 249.050 EUR. Am 09.07.2018 brachte das Zollfahndungsamt M. einen Vermerk zur Akte, wonach die Öffnung der in der Zollzahlstelle eingelieferten Geldpakete und die Zählung des Geldes lediglich einen Betrag von 200.000 EUR erbracht habe. Die 200.000 EUR wurden am 03.07.2018 gepfändet.

Der Bf. macht vor dem LG Nürnberg-Fürth gegen den Freistaat Bayern nunmehr im Klagewege einen Schadenersatzanspruch geltend, der darauf gestützt wird, dass 49.050 EUR aus seinem mitgeführten und dann sichergestellten Bargeld vor der Einlieferung in der Zollzahlstelle abhanden gekommen seien. In dem Zivilprozess ist unstreitig, dass von den 21 sichergestellten Geldpaketen nur 16 bei der Zollzahlstelle eingeliefert wurden. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erließ am 07.09.2022 einen Pfändungsbeschluss über 49.050 EUR, mit dem der etwaige Schadenersatzanspruch des Bf. gegen den Freistaat Bayern gepfändet werden sollte.

Gegen diesen Pfändungsbeschluss wandte sich die Verteidigerin des Bf. Das AG Nürnberg hat das Beschwerdeschreiben als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 111k Abs. 3 StPO ausgelegt und ihn als unbegründet abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Verteidigerin mit der Beschwerde. Das Amtsgericht half nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.

Das LG hat im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.02.2023 – 12 Qs 75/22 – die Beschwerde als begründet angesehen:

„Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 07.09.2022 erweist sich als unwirksam, weil er erst vier Jahre und über drei Monate nach Erlass des zugrundeliegenden Arrestbeschlusses beauftragt und vollzogen worden ist.

1. Nach § 111k Abs. 3 StPO kann gegen Maßnahmen, die in Vollziehung der Beschlagnahme oder des Arrestes getroffen werden, gerichtliche Entscheidung beantragt werden.

Die Unwirksamkeit der angegriffenen Pfändung folgt aus dem Ablauf der konkret zulässigen Vollziehungsfrist. § 111f StPO nennt allerdings keine Frist für den Vollzug des Arrestes. § 111f Abs. 1 Satz 2 StPO verweist auch nicht auf § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO und die dortige Monatsfrist (OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 17 ff.). Gleichwohl besteht im Grundsatz Einigkeit darüber – und die Kammer schließt sich dem an –, dass ein Arrestbeschluss nach seinem Erlass zeitlich nicht unbegrenzt vollzogen werden darf. So wird vorgeschlagen, die Vollziehungsfrist bei strafprozessualen Arresten entsprechend § 929 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf einen Monat zu begrenzen (Buchholz/Weber, NZWiSt 2020, 306, 308; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 14; Rönnau, Die Vermögensabschöpfung in der Praxis, 2. Aufl., Rn. 207). Nach anderer Auffassung soll in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vollstreckung von Durchsuchungsanordnungen der Vollzug nach sechs Monaten unzulässig sein (Johann in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 111f Rn. 3; Cordes, NZWiSt 2021, 45, 50; Kempf/Schilling, StraFo 2006, 180, 187). Die Rechtsprechung vermeidet demgegenüber, soweit erkennbar, starre Festlegungen, sondern wägt einzelfallbezogen ab (anders wohl AG Kiel, Beschluss vom 11.03.2020 – 43 Gs 516/20 [n.v., zitiert von Cordes, aaO Fn. 91]: sechs Monate). Je länger eine Arrestanordnung nicht vollzogen wird, umso mehr nimmt die Rechtfertigung für die Annahme einer Gefährdung des gesicherten Anspruchs und damit für den Arrestgrund ab (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.04.2009 – 1 Ws 339/08, juris Rn. 37; OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, juris Rn. 20). Mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme wachsen zudem die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (vgl. zur Rechtmäßigkeit der Dauer eines Arrestes OLG Nürnberg, Beschluss vom 31.08.2021 – Ws 718/21, juris Rn. 14; OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2022 – III-5 Ws 94/22, juris Rn. 33). Auch wenn die Rechtsprechung damit teilweise nicht die Vollziehungsfrist zum Ausgangspunkt ihrer Erwägungen macht, müssen sich die weichen Argumentationstopoi des Sicherungsbedürfnisses oder der Verhältnismäßigkeit bei der Beurteilung eines Falles konkret in Bewertungen von Fristen umformulieren lassen: Die Pfändung konnte bei einem Zeitablauf von x Monaten/Jahren noch oder nicht mehr vollzogen werden.

Die Überschreitung der noch angemessenen Vollziehungsfrist – wie lang sie auch konkret bemessen sein mag – führt dazu, dass die Vollstreckung aus dem Arrestbeschluss unzulässig wird, wenn sie nicht vorher eingeleitet wurde; Vollstreckungsmaßnahmen nach Ablauf der Frist sind unwirksam (BGH, Urteil vom 10.06.1999 – VII ZR 157/98, juris Rn. 8 f.; MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111f Rn. 15 f., § 111k Rn. 37).

2. Hier führt der große zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des Arrestbeschlusses am 17.05.2018 und dem Vollstreckungsauftrag der Staatsanwaltschaft vom 07.09.2022 jedenfalls dazu, dass die Pfändung nicht mehr wirksam vollzogen werden konnte.

a) Das Amtsgericht Nürnberg erließ den Arrestbeschluss am 17.05.2018. Die Staatsanwältin beauftragte am 22.05.2018 den Rechtspfleger mit dessen Vollziehung. Dieser erteilte am 28.05.2018 den Pfändungsauftrag, der am 03.07.2018 vom Zollfahndungsamt München vollzogen wurde. Der Pfändungsauftrag war auf die Pfändung des beim Zollfahndungsamt verwahrten Bargeldes im (fälschlich angenommenen) Umfang von „circa 250.000 €“ gerichtet. Diese zweifelsfrei wirksame Pfändung des Bargeldes hatte allerdings nicht zur Folge, dass damit die weitere Vollstreckungsmaßnahme – die Pfändung des Schadenersatzanspruchs des Bf. gegen den Freistaat Bayern am 07.09.2022 – auch rechtzeitig eingeleitet worden wäre. In der zivil- und finanzrechtlichen Judikatur ist geklärt, dass auch wenn die Vollziehungsfrist eines Arrestbeschlusses durch den Antrag auf Vornahme einer bestimmten Vollstreckungsmaßnahme gewahrt ist, dieser Arrestbeschluss keine neue, erst nach Ablauf der Vollziehungsfrist beantragte Vollstreckungsmaßnahme trägt (BGH, Urteil vom 25.10.1990 – IX ZR 211/89, juris Rn. 9; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.09.1982 – 16 U 119/82, MDR 1983, 239; BFH, Urteil vom 27.11.1973 – VII R 100/71, juris Rn. 14 und LS). Der Schuldner kann deshalb nach § 766 ZPO die Aufhebung der nach Ablauf der Vollziehungsfrist vorgenommenen Vollstreckungsakte verlangen (BGH, Urteil vom 09.02.1989 – IX ZR 17/88, juris Rn. 11; Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 34. Aufl., § 929 Rn. 24).

b) Das ist nach Auffassung der Kammer auf den strafprozessualen Arrest übertragbar. Wegen der Anschlussfähigkeit an diese allgemeinen zwangsvollstreckungsrechtlichen Erkenntnisse ist auch die Formulierung der Problemstellung als eine Frage der Fristen erforderlich. Andernfalls geriete man in Aporien, weil mit dem Angriff gegen die Vollstreckungsmaßnahme – und diese allein ist Gegenstand des § 111k Abs. 3 StPO –, die materiell-rechtliche Wirksamkeit des zugrundeliegenden Titels, also auch seine fortbestehende Verhältnismäßigkeit, grundsätzlich nicht zur Prüfung gestellt werden kann (BGH, Urteil vom 14.05.1992 – VII ZR 204/90, juris Rn. 15, zutreffend auch AG Nürnberg im angegriffenen Beschluss; anders MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111k Rn. 37, der im Rahmen des § 111k Abs. 3 StPO die ursprüngliche und fortbestehende Wirksamkeit des Arrestes inzident prüfen will).

Mit seinem Charakter als vorläufiges Sicherungsinstrument wäre es nicht vereinbar, wenn die Staatsanwaltschaft aufgrund desselben Arrestbeschlusses auch nach erheblichem Zeitablauf wieder und wieder – quasi ad infinitum – in immer neue Vermögenswerte vollstrecken könnte, nur weil sie am Anfang rechtzeitig eine gegenständlich begrenzte Vollstreckungsmaßnahme vollzogen hat. Denn der Richter übernimmt mit seiner Arrestanordnung die Verantwortung für die rechtliche Würdigung eines bei seiner Entscheidung so und so gestalteten, aktuellen Sachverhaltes, der sich im Zeitablauf aber regelmäßig verändern kann. Wann der Zeitablauf nicht mehr hingenommen werden kann, die Vollziehungsfrist mithin überschritten wurde, muss hier nicht allgemein festgelegt werden. Im konkreten Fall war sie jedenfalls – nach Wertung der Kammer: offenkundig – abgelaufen.“

Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Planwidrige Regelungslücke ==> Analogie im RVG

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Die zweite Entscheidung behandelt eines Problematik in Zusammenhang mit der Nr. 4141 VV RVG. Und zwar die Frage: Entsteht die zusätzliche Verfahrensgebühr nach einem „abgesprochenem Strafbefehl“

Dazu hat das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 16.01.2023 – 12 Qs 76/22 – Stellung genommen. Und das LG hat die Frage bejaht.

In dem zugrunde liegenden Verfahren befand sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Seine Pflichtverteidigerin hat bei der Staatsanwaltschaft zum Verfahrensabschluss den Erlass eines Strafbefehls unter gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls angeregt. Als Rechtsfolge hat sie eine sechsmonatige Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung vorgeschlagen. Die Staatsanwaltschaft hat den Vorschlag „angenommen“. Das Verfahren ist dann ohne Hauptverhandlung durch rechtskräftigen Strafbefehl des AG mit einer siebenmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung unter Aufhebung des Haftbefehls beendet worden.

Das AG hat auf den Vergütungsfestsetzungsantrag der Pflichtverteidigerin auch eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG festgesetzt. Dagegen hat die Bezirksrevisorin Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Das AG hat zur Begründung ausgeführt, die Nr. 4141 VV RVG sei analog anzuwenden. Hiergegen richtet sich die Bezirksrevisorin mit ihrer Beschwerde. Sie meint, es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Rechtsmittel hatte beim LG keinen Erfolg:

„Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer teilt die Ansicht des Erstgerichts, dass hier eine analoge Anwendung des Nr. 4141 VV RVG zu erfolgen hat.

Der Fall, dass sich Verteidiger und Staatsanwaltschaft noch vor Anklageerhebung darauf einigen, dass ein Strafbefehl ergehen soll, der vom Beschuldigten akzeptiert wird, sodass eine Hauptverhandlung von vornherein ausgeschlossen wird, ist in Nr. 4141 VV RVG nicht geregelt. Allerdings liegen, so meint die Kammer, die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Vergütungsnummer vor (so auch Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4141 Rn. 33).

1. Zunächst liegt eine Regelungslücke vor, die nach Auffassung der Kammer planwidrig ist. Der Gesetzgeber des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes wollte mit der damals eingeführten Nr. 4141 VV RVG den Grundgedanken der Regelung in § 84 Abs. 2 BRAGO übernehmen, die geschaffen worden war, um intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich zu honorieren. Deshalb sollte der Rechtsanwalt, wenn durch seine Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, nicht nur die halbe Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO, sondern die volle Gebühr des § 83 Abs. 1 BRAGO erhalten. Dies griff die Neuregelung auf, indem dem Rechtsanwalt in den genannten Fällen nun eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt wurde. Diese Zusatzgebühr sollte nach Erwartung des Gesetzgebers den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen (BT-Drs. 15/1971, S. 227 f.). An der Zielvorstellung, den Anreiz zu erhöhen, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen und die Zahl der Hauptverhandlungen zu senken, hielt auch der Gesetzgeber des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes fest (BT-Drs. 17/11471, S. 282). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Nichtregelung der Konstellation, dass das Verfahren auf Betreiben des Verteidigers von vornherein ins – unstreitige – Strafbefehlsverfahren gelenkt und eine Hauptverhandlung so von vornherein vermieden wird, als planwidrig.

2. Die Vergleichbarkeit der Sach- und Interessenlagen zwischen den geregelten Fällen und dem hiesigen ungeregelten Fall ist gegeben. Insbesondere weist der Fall von Anm. 1 Nr. 3 zur Nr. 4141 VV RVG eine starke Ähnlichkeit zum hiesigen Fall auf, wobei die Mitwirkung des Anwalts unter dem Aspekt der Ressourcenschonung aufseiten der Justiz sogar noch etwas mehr wiegt als im geregelten Fall. Während im geregelten Fall auf den Strafbefehl zunächst noch ein Einspruch erfolgt, der dann zurückgenommen wird, hat es hier mit dem Erlass des konsentierten Strafbefehls sein Bewenden. Die Ablehnung der Analogie führt demgegenüber zu Fehlanreizen: Es wäre dann für den Verteidiger gebührenrechtlich nachteilig, einen Strafbefehl auszuhandeln, der akzeptiert würde. Vielmehr erhielte er höhere Gebühren dann, wenn er nicht im Vorfeld aushandelt, sondern das Gericht einen Strafbefehl erlassen lässt, gegen den er zunächst Einspruch einlegen und diesen dann gegebenenfalls zurücknehmen kann. Letzterer Fall wäre von Anm. 1 Nr. 3 zur Nr. 4141 VV RVG direkt erfasst. Dem Gesetzeszweck, die Gerichte zu entlasten, kommt das hier praktizierte Verteidigerhandeln indes näher.

3. Der Analogie steht der bewusste Wille des Gesetzgebers nicht entgegen. Die Materialien zur Gesetzgebungshistorie belegen nicht, dass die Konstellation bewusst nicht geregelt werden sollte. Der Gesetzesentwurf (BT-Drs. 17/11471, vgl. v.a. S. 282) geht auf eine Erweiterung der Regelung auf Fälle, in denen eine Hauptverhandlung unterbleibt, weil sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld auf einen Strafbefehl zur Verfahrensbeendigung einigen, nicht ein. Es handelt sich dabei auch um einen anderen Fall als den, den DAV und BRAK in die Diskussion gebracht haben, nämlich dass ein Strafbefehl ergeht und gegen diesen kein Einspruch eingelegt wird. Der Vorschlag (abgedruckt in AnwBl. 2011, 120, 121) hatte die Konstellationen vor Augen, in denen der Verteidiger den Inhalt der Anklage mit dem zuständigen Richter bespricht und anregt, bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen, ob mit einer Bestrafung durch Erlass eines Strafbefehls Einverständnis besteht. Wenn dieser ergeht und rechtskräftig wird, ist durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung als solche entbehrlich geworden. Hier geht es dagegen darum, dass eine Anklageerhebung von vornherein unterbleibt. Es spricht somit nichts dafür, dass der Gesetzgeber die hiesige Fallgruppe überhaupt gesehen und bedacht hat. Nachdem die Gesetzesmaterialien hierzu nichts ausführen und nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber die fragliche Konstellation bedacht hat, sieht sich die Kammer daher nicht in der Lage, sein Schweigen als beredt – im Sinne der Beschwerde – zu verstehen.“

M.E. hat das LG die analoge Anwendung der Nr. 4141 VV RVG auf den Fall des „abgesprochenen Strafbefehls“ überzeugend begründet. So steht es nicht nur bei mir im Gerold/Schmidt, sondern (natürlich) auch in <<Werbemodus an>>Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4141 VV Rn 61).>> Werbemodus aus>>. Man darf sich allerdings nicht zu früh freuen. Denn die Sache ist noch nicht ausgestanden. Das LG hat nämlich wegen der grundsätzlichen Bedeutung die weitere Beschwerde zum OLG Nürnberg zugelassen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 mit § 33 Abs. 6, 8 Satz 2 RVG). Mich würde es wundern, wenn die Staatskasse nicht weitere Beschwerde einlegen wollte.

Egal, wie das OLG entscheidet: Auf jeden Fall sollte der Gesetzgeber diesen Fall auf seine „To-do-Liste“ setzen und in einem 3. KostRMoG ausdrücklich im Sinn des LG regeln.

StPO II: Einspruchsbeschränkung auf den Tagessatz, oder: „Konkreter Vortrag bitte, wir suchen nicht..“

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Die zweite Entscheidung stammt auch aus einem Strafbefehlsverfahren.

Die Angeklagte hat Einspruch gegen einen Srafbefehl des Amtsgerichts Erlangen eingelegt. Die Verteidigerin beschränkte den Einspruch auf die Tagessatzhöhe und führte hierzu an, monatliche Mietbelastungen, eine Schuldentilgung für einen Küchenkauf sowie monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 800 EUR an die Tochter der Angeklagten seien bei der Bemessung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen. Als Anlage zu dem Schreiben waren diverse Unterlagen beigefügt. Hierunter befand sich ein Kontoauszug, aus dem unter anderem eine Überweisung an … von 800 EUR mit dem Verwendungszweck „Unterhalt“ hervorgeht. Das Amtsgericht Erlangen reduzierte auf den Einspruch hin mit Beschluss vom 20.10.2022 die Tagessatzhöhe auf 60 EUR. Gegen diesen Beschluss legte die Verteidigerin mit Schreiben vom 25.10.2022 Beschwerde ein und führte aus, im vorliegenden Fall seien zwar die Unterhaltsverpflichtungen der Beschuldigten berücksichtigt, nicht aber die Mietzins- und Schuldenbelastungen.

Das LG hat die Beschwerde mit Beschluss vom 15.11.2022 als unbegründet verowrfen. Dagegen legte die Verteidigerin für die Beschuldigte Gehörsrüge nach § 33a StPO ein. Sie führte aus, das Gericht habe ein entscheidungserhebliches Beweismittel nicht zur Kenntnis genommen. Zwar habe die Verteidigerin in ihrem Schreiben vom 22.09.2022 nur eine Unterhaltszahlung von monatlich 800 EUR genannt, gleichwohl habe sich aus dem als Anlage beigefügten Kontoauszug ergeben, dass auch eine weitere Unterhaltszahlung von 500 EUR an das weitere Kind der Beschuldigten, …, geleistet worden sei (Überweisung mit Verwendungszweck: „… Sepa-Überweisung IBAN … BIC … SVWZ+ Unterhalt KREF+ …“).

Die Anhörungsrüge hatte keinen Erfolg. Das LG Nürnberg-Fürth hat sie mit dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 12.12.2022 – 12 Qs 68/22 – zurückgewiesen:

„Die Anhörungsrüge ist unbegründet, da die Kammer das Recht der Beschuldigten auf rechtliches Gehör nicht verletzt hat. Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn das Gericht zum Nachteil des Antragstellers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen er nicht gehört worden ist, oder wenn es zu berücksichtigendes Vorbringen des Antragstellers übergangen hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 33a Rn. 3).

Die Kammer hat sämtliche durch die Verteidigerin in ihrer Beschwerde vom 25.10.2022 vorgetragenen Einwände gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Erlangen sowie die Ausführungen in ihrem Schriftsatz vom 22.09.2022 berücksichtigt. In der Beschwerde führt die Verteidigerin aus, das Amtsgericht Erlangen habe die Unterhaltsverpflichtungen der Angeklagten bereits berücksichtigt. Auch im Schreiben vom 22.09.2022 spricht sie lediglich von einer Unterhaltszahlung für die Tochter in Höhe von 800 €. Weder ergibt sich aus den Schreiben ein Hinweis auf eine zweite Tochter noch auf eine weitere bestehende Unterhaltsverpflichtung. Ohne entsprechenden Sachvortrag war das Gericht nicht gehalten, in dem vorgelegten Kontoauszug nach Belegen für etwaige weitere berücksichtigungsfähige Zahlungen zu suchen. Der Kontoauszug wurde allein als Beleg für die schriftsätzlich angeführte Unterhaltsverpflichtung in Höhe von 800 € vorgelegt und war nur insoweit vom Gericht zu prüfen, zumal die als übergangen gerügte Überweisung von 500 € erst nach der Überweisung von 800 € im Auszug notiert ist.“