Schlagwort-Archive: abgesprochener Strafbefehl

Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Nein, die Gebühr gib es auch in München nicht

Bild von Christian Dorn auf Pixabay

Es ist Freitag und damit steht fest: Hier geht es heute mal wieder ums Geld. Also RVG-Entscheidungen.

Zunächst zwei Entscheidungen aus Bayern. Die befassen sich mit einer Problematik, die gerade erst vor kurzem hier Gegenstand der Berichtserstattung war, nämlich die Frage, ob die Nr. 4141 VV RVG analog anwendbar ist und entsteht, wenn zwischen Verteidiger und StA ein Strafbefehl abgesprochen worden ist, der erlassen wird und damit dann das Verfahren beendet ist. Da hatte es den schön LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 16.01.2023 – 12 Qs 76/22 – gegeben, den das OLG Nürberg dann mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 07.03.2023 – Ws 139/23 – kassiert hat. OLGs wisssen es eben besser (meinen sie 🙂 ).

Zu der Problematik habe ich dann zwei weitere Beschlüsse, die aber leider auch nicht positiv sind. Aus Gründen der Vollständigkeit will ich aber darüber berichten, auch wenn die Beschlüsse schon ein wenig älter sind. Es handelt sich um den AG München, Beschl. v. 20.10.2021 – 845 Ds 235 Ls 136362/21. Das AG hatte die Nr. 4141 VV RVG nicht gewährt. Das hat das LG München I, dann mit dem LG München I, Beschl. v. 24.11.2021 – 26 Qs 60/21 – „gehalten“.

Die Argumentation von AG und LG enthält nichts Neues. Daher stelle ich die Gründe nicht weiter ein, sondern nur den Leitsatz zu beiden Entscheidungen:

Nr. 4141 VV ist nicht entsprechend anwendbar, wenn der Verteidiger auf den Erlass eines – vom Angeschuldigten akzeptierten – Strafbefehls hinwirkt und dadurch eine Hauptverhandlung vermieden wird.

Man wird (auch) die Entscheidungen nicht lieben, aber man muss damit leben.

Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Nein, Burhoffs Argumentation ist „fragwürdig“

Smiley

Ich hatte Ende Januar über den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 16.01.2023 – 12 Qs 76/22 – berichtet. Ja, das ist/war der Gebührenbeschluss des LG Nürnberg-Fürth zum Anfall der Nr. 4141 VV RVG bei einem „abgesprochenen“ Strafbefehl (vgl. Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Planwidrige Regelungslücke ==> Analogie im RVG).

Mir war schon zu der Zeit klar: Ein so schöne – verteidigerfreundliche (und m.E. richtige) Entscheidung wird den Vertreter der Staatskasse nicht ruhen lassen und er wird die zugelassene weitere Beschwerde einlegen. Und das ist passiert. Wir sind ja schließlich auch in Bayern 🙂 .

Und inzwischen liegt dann die OLG-Entscheidung mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 07.03.2023 – Ws 139/23. Und der beweist mal wieder: Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein OLG seine einmal gefasste Meinung aufgibt. So auch hier: Denn das OLG Nürnberg hat den LG Nürnberg-Beschluss aufgehoben und den Anfall der Nr. 4141 VV RVG unter Hinweis auf Rechtsprechung aus 2009 (!!) verneint. Mich wundert es nicht wirklich. Erst recht nicht für Bayern. Das OLG führt aus/meint:

„Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 20.05.2009, 2 Ws 132/09 BeckRS 2009, 20314), fest, dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und nicht dagegen vorzugehen. Dabei ist es unerheblich, ob, wie vorliegend, von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt wird oder die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hat und dann entweder durch Rücknahme der Anklage oder gemäß § 408a StPO zum Strafbefehlsverfahren übergegangen wird.

1, Gesetzlich geregelt ist in Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG der Fall, dass durch die anwaltliche Mitwirkung eine Hauptverhandlung dadurch entbehrlich wird, dass sich das gerichtliche Verfahren durch rechtzeitige Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl erledigt. Diese Fallgestaltung liegt nicht vor.

2. Zu der Fallgestaltung, dass nach Eröffnung des Hauptverfahrens und im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin nach § 408a StPO in das Strafbefehlsverfahren übergegangen, ein Strafbefehl erlassen und kein Einspruch gegen diesen eingelegt wurde, hat der Senat im Beschluss vom 20.05.2009 ausgeführt, dass Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG nach seinem Wortlaut nur auf endgültig verfahrensbeendende Maßnahmen unter verfahrensfördernder anwaltlicher Mitwirkung gerichtet ist. Damit ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Fall schon deshalb nicht mit der gesetzlich geregelten Fallgestaltung vergleichbar, weil der Angeklagte gegen den erlassenen Strafbefehl durch eine Einspruchseinlegung nach § 410 Abs.1 S. 1 StPO die Anberaumung einer Hauptverhandlung hätte erzwingen können. Es findet somit lediglich ein Übergang in eine andere Verfahrensart statt, ohne dass damit eine Erledigung des Verfahrens verbunden wäre.

In dem genannten Beschluss hat der Senat weiter ausgeführt, dass auch keine versehentliche Regelungslücke vorliegt, die Anlass für eine erweiternde Anwendung dieses Gebührentatbestandes geben würde. Die Möglichkeit, nach § 408a StPO nach Eröffnung des Hauptverfahrens in das Strafbefehlsverfahren überzugehen, besteht seit 1. April 1987. Daher muss davon ausgegangen werden, dass diese strafprozessuale Regelung zur Verfahrensvereinfachung dem Gesetzgeber bei Einführung des RVG, das am 01.07.2004 in Kraft getreten ist, bekannt war und gebührenrechtlich hätte berücksichtigt werden können, wenn dies gewollt gewesen wäre.

Dass der Gesetzgeber sich der Möglichkeit für differenzierte Regelungen bewusst war, zeigt ein Vergleich mit der für das Ordnungswidrigkeitenverfahren getroffenen Regelung der Mitwirkungs-gebühr in Nr. 5115 VV RVG. In Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG wird abweichend zu Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG und der hierzu vergleichbaren Regelung in Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG, die jeweils auf eine endgültige Verfahrensbeendigung abstellen, die zusätzliche Gebühr auch dann gewährt, wenn der Verteidiger unter Verzicht auf eine Hauptverhandlung eine Entscheidung im Beschlussweg nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG ermöglicht, er mithin lediglich zu einer Verfahrensvereinfachung beiträgt. Ferner kommt nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG die zusätzliche Gebühr dann in Betracht, wenn ein Bußgeldbescheid nach Einspruch von der Verwaltungsbehörde zurückgenommen und gegen einen neuen Bußgeldbescheid kein Einspruch eingelegt wird. Diese Regelung legt zugrunde, dass die Verwaltungsbehörde aufgrund der Mitwirkung des Anwalts einen Bußgeldbescheid etwa aus formellen Gründen zurücknehmen muss, ein neuer Bußgeldbescheid jedoch mit besserer Begründung oder in einwandfreier Form gleichwohl ergehen kann und dann vom Betroffenen hingenommen wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage 2005, Nr. 5115 VV RVG, Rn 6).

Von solchen weiteren Möglichkeiten für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr hat der Gesetz-geber für das Strafverfahren jedoch gerade keinen Gebrauch gemacht, obwohl eine vergleichbare Regelung, dass eine zusätzliche Gebühr auch dann entsteht, wenn der Angeklagte nach Eröffnung des Hauptverfahrens unter Vermeidung einer (weiteren) Hauptverhandlung einen Strafbefehl akzeptiert und gegen diesen keinen Einspruch einlegt, durchaus möglich gewesen wäre.

3. Diese Ausführungen haben weiter Bestand und gelten auch für den vorliegenden Fall, dass von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt und der Angeklagte gegen den Strafbefehl keinen Einspruch einlegt (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, Teil 1: Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz — RVG) Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 VV RVG Nr.4141 — 4147 Rn. 23, beck-online). Auch bei dieser Fallgestaltung wird das Verfahren aufgrund der Mitwirkung des Verteidigers nicht unmittelbar beendet, sondern mündet im Strafbefehlsverfahren.

Zudem wurde durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 der Gebührentatbestand von Nr. 4141 Anm. 1 VV RVG um Nr. 4 ergänzt, mit der die zusätzliche Gebühr auch dann entsteht, wenn der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt und das Gericht nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO ohne Haupt-verhandlung durch Beschluss entscheidet, wozu der Angeklagte und sein Verteidiger zugestimmt haben müssen. Auch in diese Änderung wurde die vorliegende Fallgestaltung nicht einbezogen, was ebenfalls gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht.

Die Gegenansicht, dass auch in diesen Fällen eine Hauptverhandlung vermieden wird, sodass vom Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG ebenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu bejahen sei (Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4141 VV Gebühr bei Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung durch anwaltliche Mitwirkung, Rn. 61 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG W 4141 Rn. 33) überzeugt aus den genannten Gründen nicht. Es erscheint fragwürdig, dass so im Wege der analogen Gesetzesanwendung ein Nichttätigwerden des Rechtsanwalts vergütet werden soll.

4. Dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 Anm.1 S.1 Nr. 3 VV RVG anfallen würde, wenn der Angeklagte Einspruch gegen den einvernehmlich erlassenen Strafbefehl einlegen und später unter Mitwirkung des Rechtsanwalts zurücknehmen würde, ändert daran nichts.

Die Zusatzgebühr der Nummer 4141 VV RVG ist, nachdem dort ausdrücklich nur bestimmte Fallgestaltungen geregelt sind, keine Kompensationsgebühr für allgemeine Mühewaltung der Verteidigerin, die zu einer Vereinfachung des Verfahrens beiträgt. Die Beratung durch die Verteidigerin, ob gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt werden soll oder dieser akzeptiert wird, ist mit der Verfahrensgebühr abgegolten.“

Tja, muss man mit leben, auch wenn es schwer fällt. Zu der Problematik hier nur Folgendes:

1. Mich überzeugen die Ausführungen des OLG nicht. Die Nr. 4141 VV RVG ist – entgegen den Ausführungen des OLG – doch eine „Kompensationsgebühr“. Ergebnis dieser Rechtsprechung des OLG wird sein, dass nun eben Verfahren nicht „vereinfacht“ durch Strafbefehl erledigt werden. Verteidiger werden erst Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen (wollen), um den dann zurück zu nehmen und die Nr. 4141 Nr. 3 VV RVG abzurechnen. Schließlich geht die HV-Gebühr verloren. Ist dann eben so.

2. Ich kann nur die zuständigen Ausschüsse von DAV und BRAK bitten, dafür zu sorgen, dass in einem 3. KostRMoG oder einem KostRÄnG nun endlich mal solche Fragen, wie die hier entschiedene geklärt werden. Man sollte sich jetzt vielleicht endlich mal Teil 4 und 5 VV RVG vornehmen und dort Änderungen durchsetzen und nicht immer nur in Teil 2 und 3 VV RVG ändern. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Verteidiger haben keine Lobby.

3. Mich persönlich ärgert die Formulierung „fragwürdig“ in dem Beschluss in Zusammenhang mit der Bewertung meiner Argumentation. Dass ich „fragwürdig“ argumentiere, hat mir bisher noch niemand vorgehalten. Aber: OLG eben. Und: Es beruhigt mich ein wenig, dass dieses „fragwürdig“ dann aber auch nicht nur für mich gilt, sondern auch für die Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth, die ebenso „fragwürdig“ argumentiert (hat). Ich befinde mich also in gute Gesellschaft.

Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Planwidrige Regelungslücke ==> Analogie im RVG

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Die zweite Entscheidung behandelt eines Problematik in Zusammenhang mit der Nr. 4141 VV RVG. Und zwar die Frage: Entsteht die zusätzliche Verfahrensgebühr nach einem „abgesprochenem Strafbefehl“

Dazu hat das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 16.01.2023 – 12 Qs 76/22 – Stellung genommen. Und das LG hat die Frage bejaht.

In dem zugrunde liegenden Verfahren befand sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Seine Pflichtverteidigerin hat bei der Staatsanwaltschaft zum Verfahrensabschluss den Erlass eines Strafbefehls unter gleichzeitiger Aufhebung des Haftbefehls angeregt. Als Rechtsfolge hat sie eine sechsmonatige Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung vorgeschlagen. Die Staatsanwaltschaft hat den Vorschlag „angenommen“. Das Verfahren ist dann ohne Hauptverhandlung durch rechtskräftigen Strafbefehl des AG mit einer siebenmonatigen Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung unter Aufhebung des Haftbefehls beendet worden.

Das AG hat auf den Vergütungsfestsetzungsantrag der Pflichtverteidigerin auch eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG festgesetzt. Dagegen hat die Bezirksrevisorin Erinnerung eingelegt, die das AG zurückgewiesen hat. Das AG hat zur Begründung ausgeführt, die Nr. 4141 VV RVG sei analog anzuwenden. Hiergegen richtet sich die Bezirksrevisorin mit ihrer Beschwerde. Sie meint, es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Rechtsmittel hatte beim LG keinen Erfolg:

„Die Beschwerde der Bezirksrevisorin ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Kammer teilt die Ansicht des Erstgerichts, dass hier eine analoge Anwendung des Nr. 4141 VV RVG zu erfolgen hat.

Der Fall, dass sich Verteidiger und Staatsanwaltschaft noch vor Anklageerhebung darauf einigen, dass ein Strafbefehl ergehen soll, der vom Beschuldigten akzeptiert wird, sodass eine Hauptverhandlung von vornherein ausgeschlossen wird, ist in Nr. 4141 VV RVG nicht geregelt. Allerdings liegen, so meint die Kammer, die Voraussetzungen einer analogen Anwendung der Vergütungsnummer vor (so auch Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl., VV 4141 Rn. 33).

1. Zunächst liegt eine Regelungslücke vor, die nach Auffassung der Kammer planwidrig ist. Der Gesetzgeber des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes wollte mit der damals eingeführten Nr. 4141 VV RVG den Grundgedanken der Regelung in § 84 Abs. 2 BRAGO übernehmen, die geschaffen worden war, um intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich zu honorieren. Deshalb sollte der Rechtsanwalt, wenn durch seine Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, nicht nur die halbe Gebühr des § 84 Abs. 1 BRAGO, sondern die volle Gebühr des § 83 Abs. 1 BRAGO erhalten. Dies griff die Neuregelung auf, indem dem Rechtsanwalt in den genannten Fällen nun eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt wurde. Diese Zusatzgebühr sollte nach Erwartung des Gesetzgebers den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen (BT-Drs. 15/1971, S. 227 f.). An der Zielvorstellung, den Anreiz zu erhöhen, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen und die Zahl der Hauptverhandlungen zu senken, hielt auch der Gesetzgeber des Zweiten Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes fest (BT-Drs. 17/11471, S. 282). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Nichtregelung der Konstellation, dass das Verfahren auf Betreiben des Verteidigers von vornherein ins – unstreitige – Strafbefehlsverfahren gelenkt und eine Hauptverhandlung so von vornherein vermieden wird, als planwidrig.

2. Die Vergleichbarkeit der Sach- und Interessenlagen zwischen den geregelten Fällen und dem hiesigen ungeregelten Fall ist gegeben. Insbesondere weist der Fall von Anm. 1 Nr. 3 zur Nr. 4141 VV RVG eine starke Ähnlichkeit zum hiesigen Fall auf, wobei die Mitwirkung des Anwalts unter dem Aspekt der Ressourcenschonung aufseiten der Justiz sogar noch etwas mehr wiegt als im geregelten Fall. Während im geregelten Fall auf den Strafbefehl zunächst noch ein Einspruch erfolgt, der dann zurückgenommen wird, hat es hier mit dem Erlass des konsentierten Strafbefehls sein Bewenden. Die Ablehnung der Analogie führt demgegenüber zu Fehlanreizen: Es wäre dann für den Verteidiger gebührenrechtlich nachteilig, einen Strafbefehl auszuhandeln, der akzeptiert würde. Vielmehr erhielte er höhere Gebühren dann, wenn er nicht im Vorfeld aushandelt, sondern das Gericht einen Strafbefehl erlassen lässt, gegen den er zunächst Einspruch einlegen und diesen dann gegebenenfalls zurücknehmen kann. Letzterer Fall wäre von Anm. 1 Nr. 3 zur Nr. 4141 VV RVG direkt erfasst. Dem Gesetzeszweck, die Gerichte zu entlasten, kommt das hier praktizierte Verteidigerhandeln indes näher.

3. Der Analogie steht der bewusste Wille des Gesetzgebers nicht entgegen. Die Materialien zur Gesetzgebungshistorie belegen nicht, dass die Konstellation bewusst nicht geregelt werden sollte. Der Gesetzesentwurf (BT-Drs. 17/11471, vgl. v.a. S. 282) geht auf eine Erweiterung der Regelung auf Fälle, in denen eine Hauptverhandlung unterbleibt, weil sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft schon im Vorfeld auf einen Strafbefehl zur Verfahrensbeendigung einigen, nicht ein. Es handelt sich dabei auch um einen anderen Fall als den, den DAV und BRAK in die Diskussion gebracht haben, nämlich dass ein Strafbefehl ergeht und gegen diesen kein Einspruch eingelegt wird. Der Vorschlag (abgedruckt in AnwBl. 2011, 120, 121) hatte die Konstellationen vor Augen, in denen der Verteidiger den Inhalt der Anklage mit dem zuständigen Richter bespricht und anregt, bei der Staatsanwaltschaft nachzufragen, ob mit einer Bestrafung durch Erlass eines Strafbefehls Einverständnis besteht. Wenn dieser ergeht und rechtskräftig wird, ist durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung als solche entbehrlich geworden. Hier geht es dagegen darum, dass eine Anklageerhebung von vornherein unterbleibt. Es spricht somit nichts dafür, dass der Gesetzgeber die hiesige Fallgruppe überhaupt gesehen und bedacht hat. Nachdem die Gesetzesmaterialien hierzu nichts ausführen und nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber die fragliche Konstellation bedacht hat, sieht sich die Kammer daher nicht in der Lage, sein Schweigen als beredt – im Sinne der Beschwerde – zu verstehen.“

M.E. hat das LG die analoge Anwendung der Nr. 4141 VV RVG auf den Fall des „abgesprochenen Strafbefehls“ überzeugend begründet. So steht es nicht nur bei mir im Gerold/Schmidt, sondern (natürlich) auch in <<Werbemodus an>>Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4141 VV Rn 61).>> Werbemodus aus>>. Man darf sich allerdings nicht zu früh freuen. Denn die Sache ist noch nicht ausgestanden. Das LG hat nämlich wegen der grundsätzlichen Bedeutung die weitere Beschwerde zum OLG Nürnberg zugelassen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 mit § 33 Abs. 6, 8 Satz 2 RVG). Mich würde es wundern, wenn die Staatskasse nicht weitere Beschwerde einlegen wollte.

Egal, wie das OLG entscheidet: Auf jeden Fall sollte der Gesetzgeber diesen Fall auf seine „To-do-Liste“ setzen und in einem 3. KostRMoG ausdrücklich im Sinn des LG regeln.