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Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Nein, Burhoffs Argumentation ist „fragwürdig“

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Ich hatte Ende Januar über den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 16.01.2023 – 12 Qs 76/22 – berichtet. Ja, das ist/war der Gebührenbeschluss des LG Nürnberg-Fürth zum Anfall der Nr. 4141 VV RVG bei einem „abgesprochenen“ Strafbefehl (vgl. Nr. 4141 VV RVG nach abgesprochenem Strafbefehl?, oder: Planwidrige Regelungslücke ==> Analogie im RVG).

Mir war schon zu der Zeit klar: Ein so schöne – verteidigerfreundliche (und m.E. richtige) Entscheidung wird den Vertreter der Staatskasse nicht ruhen lassen und er wird die zugelassene weitere Beschwerde einlegen. Und das ist passiert. Wir sind ja schließlich auch in Bayern 🙂 .

Und inzwischen liegt dann die OLG-Entscheidung mit dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 07.03.2023 – Ws 139/23. Und der beweist mal wieder: Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein OLG seine einmal gefasste Meinung aufgibt. So auch hier: Denn das OLG Nürnberg hat den LG Nürnberg-Beschluss aufgehoben und den Anfall der Nr. 4141 VV RVG unter Hinweis auf Rechtsprechung aus 2009 (!!) verneint. Mich wundert es nicht wirklich. Erst recht nicht für Bayern. Das OLG führt aus/meint:

„Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 20.05.2009, 2 Ws 132/09 BeckRS 2009, 20314), fest, dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und nicht dagegen vorzugehen. Dabei ist es unerheblich, ob, wie vorliegend, von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt wird oder die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hat und dann entweder durch Rücknahme der Anklage oder gemäß § 408a StPO zum Strafbefehlsverfahren übergegangen wird.

1, Gesetzlich geregelt ist in Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG der Fall, dass durch die anwaltliche Mitwirkung eine Hauptverhandlung dadurch entbehrlich wird, dass sich das gerichtliche Verfahren durch rechtzeitige Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl erledigt. Diese Fallgestaltung liegt nicht vor.

2. Zu der Fallgestaltung, dass nach Eröffnung des Hauptverfahrens und im Anschluss an einen Hauptverhandlungstermin nach § 408a StPO in das Strafbefehlsverfahren übergegangen, ein Strafbefehl erlassen und kein Einspruch gegen diesen eingelegt wurde, hat der Senat im Beschluss vom 20.05.2009 ausgeführt, dass Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG nach seinem Wortlaut nur auf endgültig verfahrensbeendende Maßnahmen unter verfahrensfördernder anwaltlicher Mitwirkung gerichtet ist. Damit ist der dieser Entscheidung zu Grunde liegende Fall schon deshalb nicht mit der gesetzlich geregelten Fallgestaltung vergleichbar, weil der Angeklagte gegen den erlassenen Strafbefehl durch eine Einspruchseinlegung nach § 410 Abs.1 S. 1 StPO die Anberaumung einer Hauptverhandlung hätte erzwingen können. Es findet somit lediglich ein Übergang in eine andere Verfahrensart statt, ohne dass damit eine Erledigung des Verfahrens verbunden wäre.

In dem genannten Beschluss hat der Senat weiter ausgeführt, dass auch keine versehentliche Regelungslücke vorliegt, die Anlass für eine erweiternde Anwendung dieses Gebührentatbestandes geben würde. Die Möglichkeit, nach § 408a StPO nach Eröffnung des Hauptverfahrens in das Strafbefehlsverfahren überzugehen, besteht seit 1. April 1987. Daher muss davon ausgegangen werden, dass diese strafprozessuale Regelung zur Verfahrensvereinfachung dem Gesetzgeber bei Einführung des RVG, das am 01.07.2004 in Kraft getreten ist, bekannt war und gebührenrechtlich hätte berücksichtigt werden können, wenn dies gewollt gewesen wäre.

Dass der Gesetzgeber sich der Möglichkeit für differenzierte Regelungen bewusst war, zeigt ein Vergleich mit der für das Ordnungswidrigkeitenverfahren getroffenen Regelung der Mitwirkungs-gebühr in Nr. 5115 VV RVG. In Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 5 VV RVG wird abweichend zu Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG und der hierzu vergleichbaren Regelung in Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 4 VV RVG, die jeweils auf eine endgültige Verfahrensbeendigung abstellen, die zusätzliche Gebühr auch dann gewährt, wenn der Verteidiger unter Verzicht auf eine Hauptverhandlung eine Entscheidung im Beschlussweg nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG ermöglicht, er mithin lediglich zu einer Verfahrensvereinfachung beiträgt. Ferner kommt nach Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG die zusätzliche Gebühr dann in Betracht, wenn ein Bußgeldbescheid nach Einspruch von der Verwaltungsbehörde zurückgenommen und gegen einen neuen Bußgeldbescheid kein Einspruch eingelegt wird. Diese Regelung legt zugrunde, dass die Verwaltungsbehörde aufgrund der Mitwirkung des Anwalts einen Bußgeldbescheid etwa aus formellen Gründen zurücknehmen muss, ein neuer Bußgeldbescheid jedoch mit besserer Begründung oder in einwandfreier Form gleichwohl ergehen kann und dann vom Betroffenen hingenommen wird (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 35. Auflage 2005, Nr. 5115 VV RVG, Rn 6).

Von solchen weiteren Möglichkeiten für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr hat der Gesetz-geber für das Strafverfahren jedoch gerade keinen Gebrauch gemacht, obwohl eine vergleichbare Regelung, dass eine zusätzliche Gebühr auch dann entsteht, wenn der Angeklagte nach Eröffnung des Hauptverfahrens unter Vermeidung einer (weiteren) Hauptverhandlung einen Strafbefehl akzeptiert und gegen diesen keinen Einspruch einlegt, durchaus möglich gewesen wäre.

3. Diese Ausführungen haben weiter Bestand und gelten auch für den vorliegenden Fall, dass von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt und der Angeklagte gegen den Strafbefehl keinen Einspruch einlegt (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, Teil 1: Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz — RVG) Anlage 1 (zu § 2 Abs. 2) Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 VV RVG Nr.4141 — 4147 Rn. 23, beck-online). Auch bei dieser Fallgestaltung wird das Verfahren aufgrund der Mitwirkung des Verteidigers nicht unmittelbar beendet, sondern mündet im Strafbefehlsverfahren.

Zudem wurde durch das Zweite Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 der Gebührentatbestand von Nr. 4141 Anm. 1 VV RVG um Nr. 4 ergänzt, mit der die zusätzliche Gebühr auch dann entsteht, wenn der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt und das Gericht nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO ohne Haupt-verhandlung durch Beschluss entscheidet, wozu der Angeklagte und sein Verteidiger zugestimmt haben müssen. Auch in diese Änderung wurde die vorliegende Fallgestaltung nicht einbezogen, was ebenfalls gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht.

Die Gegenansicht, dass auch in diesen Fällen eine Hauptverhandlung vermieden wird, sodass vom Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG ebenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu bejahen sei (Burhoff in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4141 VV Gebühr bei Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung durch anwaltliche Mitwirkung, Rn. 61 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG W 4141 Rn. 33) überzeugt aus den genannten Gründen nicht. Es erscheint fragwürdig, dass so im Wege der analogen Gesetzesanwendung ein Nichttätigwerden des Rechtsanwalts vergütet werden soll.

4. Dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 Anm.1 S.1 Nr. 3 VV RVG anfallen würde, wenn der Angeklagte Einspruch gegen den einvernehmlich erlassenen Strafbefehl einlegen und später unter Mitwirkung des Rechtsanwalts zurücknehmen würde, ändert daran nichts.

Die Zusatzgebühr der Nummer 4141 VV RVG ist, nachdem dort ausdrücklich nur bestimmte Fallgestaltungen geregelt sind, keine Kompensationsgebühr für allgemeine Mühewaltung der Verteidigerin, die zu einer Vereinfachung des Verfahrens beiträgt. Die Beratung durch die Verteidigerin, ob gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt werden soll oder dieser akzeptiert wird, ist mit der Verfahrensgebühr abgegolten.“

Tja, muss man mit leben, auch wenn es schwer fällt. Zu der Problematik hier nur Folgendes:

1. Mich überzeugen die Ausführungen des OLG nicht. Die Nr. 4141 VV RVG ist – entgegen den Ausführungen des OLG – doch eine „Kompensationsgebühr“. Ergebnis dieser Rechtsprechung des OLG wird sein, dass nun eben Verfahren nicht „vereinfacht“ durch Strafbefehl erledigt werden. Verteidiger werden erst Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen (wollen), um den dann zurück zu nehmen und die Nr. 4141 Nr. 3 VV RVG abzurechnen. Schließlich geht die HV-Gebühr verloren. Ist dann eben so.

2. Ich kann nur die zuständigen Ausschüsse von DAV und BRAK bitten, dafür zu sorgen, dass in einem 3. KostRMoG oder einem KostRÄnG nun endlich mal solche Fragen, wie die hier entschiedene geklärt werden. Man sollte sich jetzt vielleicht endlich mal Teil 4 und 5 VV RVG vornehmen und dort Änderungen durchsetzen und nicht immer nur in Teil 2 und 3 VV RVG ändern. Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Verteidiger haben keine Lobby.

3. Mich persönlich ärgert die Formulierung „fragwürdig“ in dem Beschluss in Zusammenhang mit der Bewertung meiner Argumentation. Dass ich „fragwürdig“ argumentiere, hat mir bisher noch niemand vorgehalten. Aber: OLG eben. Und: Es beruhigt mich ein wenig, dass dieses „fragwürdig“ dann aber auch nicht nur für mich gilt, sondern auch für die Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth, die ebenso „fragwürdig“ argumentiert (hat). Ich befinde mich also in gute Gesellschaft.