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Waffengleichheit im Strafverfahren – oder: Textbaustein ändern, dann passt es wieder

FragezeichenManchmal versteht man es nicht bzw. versteht man die Gerichte nicht sofort und man muss zweimal hinschauen, ob man denn nun richtig liest. So ist es mir bei dem LG Braunschweig, Beschl. v. 04.11.2014 – 13 Qs 216/14 ergangen.
Es geht um Folgendes: Unter dem Stichwort „Waffengleichheit“ ist im Strafverfahren in Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung die Frage diskutiert woden, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger auch immer dann bestellt werden muss, wenn der Nebenkläger durch einen beigeordneten bzw. gewählten Rechtsanwalt vertreten wird und aus diesem Grunde der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann. Dazu hat es durch das StORMG eine Änderung gegeben, § 140 Abs. 2 Satz 1 3. Alternative ist geändert worden. Der Halbsatz „namentlich, weil dem Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist,“ ist entfallen, weil es eben einen neuen § 140 Abs. 1 Nr. 9 StGB gibt. Danach ist jetzt – seit dem 01.09.2013 – in den Fällen, in denen dem Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, immer ein Rechtsanwalt zu bestellen.

So weit so gut. Was ist aber nun mit den Fällen, in denen ein Rechtsanwalt nicht bestellt worden ist, sondern der Verletzte durch einen gewählten Rechtsanwalt vertreten wird. Gibt es da dann auch immer einen Pflichtverteidiger? Davon ist die Rechtsprechung zur § 140 Abs. 1 Satz 2 StPO a.F. teilweise ausgegangen? Zum neuen Recht kenne ich noch keine Entscheidung, die sich mit der Frage auseinandersetzt. Von daher war ich hoch erfreut, als ich LG Braunschweig, Beschl. v. 04.11.2014 – 13 Qs 216/14 – gesehen habe, der die Problematik anspricht. Aber beim zweiten Hinsehen: Leider wohl unter Verkennung der Gesetzesänderung durch das StORMG, da noch auf die alte Fassung der Vorschrift des § 140 Abs. 2 S. 3 StPO verwiesen wird. Zwar hat sich m.E. an der Argumentation nichts geändert, man müsste aber vielleicht in Braunschweig doch mal den Taxtbaustein ändern/anpassen. Dann passt es wieder.

Pflichti XI – Viermal „Munition im „Beiordnungskampf“

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Die Frage, wann dem Angeklagten/Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, ist für ihn, aber für den Verteidiger von erheblicher Bedeutung. und um die Frage wird in der Praxis häufig heftig gestritten. In dem Kampf ist es immer gut, wenn man „Munition“/Argumentationshilfen hat. Und dazu will ich mit vier Entscheidungen beistueren, die im Volltext nachgelesen werden können. Und zwar:

  • der OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.05.2014 – 1 St OLG Ss 43/2013 – mit dem Leitsatz: „Eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen.“ was sicherlich für die Beiordnungspraxis erhebliche Bedeutung haben kann,
  • der  – aus Verteidigersicht nicht ganz so schöne – OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.03.2014 – 2 Ws 63/14 – mit dem Leitsatz:  „Ist die Mitwirkung eines Verteidigers weder aufgrund der Schwere der Tat noch wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage geboten, so führt auch der Umstand, dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, nicht generell zu einer notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO, da dessen Rechte auf Ausgleich der mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch die mit Wirkung vom 06.07.2013 neu gefasste Vorschrift des § 187 GVG hinreichend gewahrt werden.“
  • der LG Braunschweig, Beschl. v. 11.06.2014 – 13 Qs 88/14 – zur Beiordnung von Pflichtverteidigern in einem Verfahren mit dem Vorwurf der Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt – nichts Besonderes, sondern Mainstream, aber auch damit kann man argumentieren, und
  • der KG, Beschl. v. 31.03.2014 – 4 Ws 27/14 –  zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im/für das Revisionsverfahren.

Imme wieder Kampf um die Terminsverlegung, oder: Die Gefahr der Prozessordnungswidrigkeit

© a_korn - Fotolia.com

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Welcher Verteidiger kennt ihn nicht? Den Kampf um den Termin und/oder die Terminsverlegung. Mit Zähen und Klauen werden gerade einmal bestimmte Termine häufig verteidigt, obwohl eine Umterminierung ohne weiteres möglich sein sollte. So offenbar auch beim AG Wolfsburg, das einen Terminsverlegungsantrag des Verteidigers abgelehnt hatte. Der war dagegen in die Beschwerde gegangen und jetzt beim LG Braunschweig obsiget (vgl. hier den LG Braunschweig, Beschl. v. 09.01.2014 – 13 Qs 4/14).

Vorliegend hat das Amtsgericht Wolfsburg das ihm eingeräumte Ermessen evident fehlerhaft ausgeübt. Auch wenn der Verteidiger weder einen Anspruch auf Terminverlegung noch auf vorherige Terminabsprache hat, so läuft der verfügende Richter dennoch Gefahr, prozessordnungswidrig zu handeln, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl seines Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminierung hatte nehmen können (vgl. LG Dortmund: Beschluss vom 20.10.1997 – 14 (XI) Qs 71/97). Dies gilt zumindest dann, wenn dem Interesse des Angeklagten auf Verteidigung durch einen Verteidiger seines Vertrauens der Vorrang vor dem Beschleunigungsgebot zu gewähren ist.

 Bei seiner Ermessensausübung hätte das Amtsgericht berücksichtigen müssen, dass dem Angeklagten ein Diebstahl im besonders schweren Fall gemäß §§ 242, 243 StGB mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 3 Monaten vorgeworfen wird. Zur Durchführung der Hauptverhandlung werden, wie aus der Anklage und der Verfügung vom 23.12 2013 ersichtlich ist, insgesamt 8 Zeugen benötigt. Aufgrund der zu erwartenden Rechtsfolge und des Umfangs der Beweisaufnahme liegt ein gesteigertes Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung durch einen Verteidiger seines Vertrauens vor. Demgegenüber muss das Beschleunigungsgebot hier zurücktreten. Entscheidungen, wie z.B. über Untersuchungshaft, Führerscheinentzug, Beschlagnahme etc., die eine besondere Beschleunigung des Verfahrens gebieten, sind nicht zu treffen. Ein Ausweichtermin ist seitens des Verteidigers in 3 Monaten angeboten worden. Dies stellt bei dem vorliegenden Verfahren keinen mit dem Grundsatz des Beschleunigungsgebotes nicht mehr zu vereinbarenden Zeitverzug dar. Eine Rücksprache des Gerichts mit dem Verteidiger, bei der gegebenenfalls ein auch früherer Verhandlungstermin hätte vereinbart werden können, ist nicht erfolgt.

Recht deultiche Worte, die das LG gefunden hat. Und wenn man liest: „… so läuft der verfügende Richter dennoch Gefahr, prozessordnungswidrig zu handeln, wenn das Recht des Angeklagten auf freie Wahl seines Verteidigers dadurch eingeschränkt wird, dass der Verteidiger das Mandat wegen terminlicher Verhinderung nicht wahrnehmen kann, ohne dass er Einfluss auf die Terminierung hatte nehmen können…“ dann dürfte das nach Auffassung des LG wohl heißen: Vorherige Terminsabsprache ist erforderlich bzw. über einen Terminsverlegungswunsch muss man miteinander reden. Und wenn das Gericht das nicht tut, handelt es ggf. „protessordnunswidrig“ = dann dürften die Vorschriften der §§ 24 ff. StPO grüßen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

Echternacher Springprozession beim LG Braunschweig – zwei vor – eins zurück

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Der im Gebührenrecht ergangene LG Braunschweig, Beschl. v.08.03.2012 5 Qs 39/12 erinnert mich ein wenig an die Echternacher Springprozession – vor und zurück. Denn

Der Leitsatz 1:„Für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG genügt es, wenn ein vermögensrechtlicher Anspruch in Strafverfahren miterledigt wird. Das Entstehen der Gebühren nach Nr. 4143 VVRVG ist nicht von einem förmlichen Antrag nach § 406 Abs. 1 StPO abhängig“ ist richtig.

Der Leitsatz 2: „Die Tätigkeit des Pflichtverteidigers, die zu einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 StPO gegen Erfüllung einer Auflage zur Schadenswiedergutmachung führt, führt zwar zur Gebühr Nr. 4143 VV RVG, darauf erstreckt sich der Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers jedoch nicht.“ m.E. nicht. M.E. gilt insoweit der Satz: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Gebühr Nr. 4143 VV RVG in einem Fall, wie er der Entscheidung zugrunde liegt, entsteht, dann muss man m.E. diese Gebühr auch „als gesetzliche Gebühr“ entstehen lassen. Wenn der Pflichtverteidiger in Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens tätig wird und dafür – wovon ja auch das LG ausgeht – Gebühren entstehen, dann entstehen sie auch als gesetzliche Gebühren. Hier bekommt dann die Diskussion um die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbeiordnung auf das Adhäsionsverfahren Bedeutung, der das LG offensichtlich ausweichen wollte. Sie wäre zwar nicht direkt, aber sicherlich indirekt zu führen gewesen.

Die Summe macht es (auf jeden Fall) – Pflichtverteidigung beim betreuten Beschuldigten

Das LG Braunschweig, Beschl. v. 12. 12. 2011 – 5 Qs 301/11 setzt sich mit der Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers bei einem unter Betreuung stehenden Beschuldigten auseinander. Er kommt zum Ergebnis: Die Summe machte es, nämlich die Kumulation eines drohenden mittelbaren Nachteils sowie die Besorgnis der Unfähigkeit der Selbstverteidigung des Angeklagten. Die können dazu führen, dass die Verteidigung des Angeklagten notwendig i. S. d. § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO ist.

Leider teilt der Beschluss nicht mit, ob nicht ggf. schon allein der drohene Widerruf wegen der Höhe der Gesamtstrafewartung ausgereicht hätte, zur notwendigen Verteidigung zu kommen. M.E. reicht aber auch schon allein der Umstand aus, dass der Angeklagte unter Betreuung stand. Beides zusammen reicht auf jeden Fall.