Ich hatte ja gerade hier über das 14-Stündige letzte Wort in einem Verfahren in Süddeutschland berichtet. Ein Kollege weist mich auf die ganze Geschichte hin, über die hier in der Badischen Zeitung berichtet worden ist. Interessant diese Passage: „Der Angeklagte hat in diesem Prozess zahlreiche Beweisanträge gestellt. Insgesamt umfassen seine Eingaben an das Gericht 4000 handgeschriebene Seiten.“. Da kann man nur sagen „armer Pflichtverteidiger“ , aber auch armes Gericht.
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Letzter Roman – oder: Hörbuch in der Hauptverhandlung?
Die SZ hat vor einigen Tagen über ein Verfahren berichtet, in der der Angeklagte ein 14 (!!) Stunden dauerndes letztes Wort gesprochen/gehalten hat. Darüber hatte ja auch schon der Lawblog berichtet, vgl. hier. Wenn man das so liest, fragt man sich natürlich: Kann der Tatrichter da eigentlich etwas gegen tun = kann man das letzte Wort abkürzen bzw. dem Angeklagten ins (letzte) Wort fallen?
Vorab: Das ist immer gefährlich, denn auch nach der an sich recht restriktiven Rechtsprechung des BGH zur Beruhensfrage, schließt der BGH in den Fällen der Verletzung des letzten Wortes auch heute in der Regel nicht aus, dass der Angeklagte noch etwas mitteilen kann, was auf das Urteil Einfluss hat.
Allerdings wird man bei einem 14 Stunden dauernden letzten Wort dem Gedanken an Missbrauch ggf. doch näher treten können und sich zudem die Frage stellen müssen, ob das noch ein „letztes Wort“ ist, oder ob es sich nicht um eine Einlassung handelt und ob man nicht wieder in die Beweisaufnahme eintreten soll/muss. Wenn Missbrauch, dann wird der Vorsitzende den Angeklagten – bevor er ihm das Wort entzieht, denn darauf läuft es hinaus – sicherlich ermahnen müssen, sich kürzer zu fassen und zum Ende zu kommen. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Ich kann mich daran erinnern, dass ich beim LG Bochum mal in einer HV gesessen habe, in der der Angeklagte auch ein stundenlanges letztes Wort begonnen hat. Wir haben uns das eine ganze Zeit angehört und dann die Entziehung des letzten Wortes vorbereitet. Hat auch länger gedauert. Aber keine 14 Stunden 🙂
Zusatz am 23.12.2010: um 12.12. Hier kann man dann die ganze Geschichte nachlesen.
Wochenspiegel für die 20. KW – oder wir blicken mal wieder über den Tellerrand
Berichtenswert erscheinen mir:
- Mit dem Dauerbrenner der „Terminsverlegung in Strafsachen“ befasst sich dieser Beitrag, nach dessen Lektüre man sich fragt: Warum denn nicht gleich so?
- Ebenfalls ein Dauerbrenner ist die sog. Sperrberufung der Staatsanwaltschaft, über die der Kollege Feltus in seinem Blog berichtet und über die wir vor kurzem ja auch im StRR berichtet haben. Nach der Lektüre des Blogbeitrags hat man den Eindruck, der Staatsanwalt handelt nach der Devise: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?
- Eine interessante Vollmachtsfrage wird hier und hier erörtert.
- Die Blutentnahme, der Richtervorbehalt, Gefahr im Verzug und eine Dienstanweisung spielen immer wieder noch einmal eine Rolle; auch ein Dauerbrenner.
- Eine Zusammenstellung der Rechtsprechung der OLG zum Beweisverwertungsverbot bei der Videomessung findet man hier.
- Die „Diskussion ums letzte Wort“ wird hier zusammengefasst.
- Mit der Ermächtigungsgrundlage für die Videomessung beschäftigte sich noch einmal RA Flauaus; der Beck-Blog berichtet über eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, die auch schon hier Gegenstand eines Beitrags war.
Fortsetzung folgt…
Ein-/Ansichten eines ehemaligen Revisionsrichters, oder: Die Hoffnung im Revisionsverfahren ist bereits gestorben
Mit Interesse verfolge ich als ehemaliger Revisionsrichter die derzeit entbrannte Diskussion in der Frage: Revision, ja oder nein. Während der Kollege Vetter auch „Das vergessene letzte Wort“ nicht unbedingt als Anlass sieht, Revision einzulegen, plädiert der Kollege Hoenig unter der Überschrift: Kritischer Verzicht auf die Hoffnung“ dafür, i.d.R. immer, wenn Hoffnung auf Urteilsaufhebung besteht, Revision einzulegen, auch wenn das erstinstanzliche Urteil „passt“. Es gibt sicherlich eine ganz Reihe guter Gründe, die für die eher abwägende Auffassung des Kollegen Vetter sprechen, aber auch ebenso gute, die für die etwas forsche Ansicht des Kollegen Hoenig ins Feld geführt werden können. Die Entscheidung wird im Zweifel – jetzt kommt eine Platidüde – von dem sog. Umständen den Einzelfalls abhängen. Dazu gehören die vom Kollegen Hoenig ins Feld geführten Umstände: Zeitgewinn, Verfahrensverzögerung, § 331 StPO (wenn die Staatsanwaltschaft nicht auch ins Rechtsmittel geht), aber auch die Frage, wie risikofreudig der Mandant ist, der im Falle der endgültigen Verurteilung die gesamten Kosten des Verfahrens, also auch die des erfolgreichen Rechtsmittels tragen muss.
Eins ist aber – und dazu habe ich bereits beim Kollegen Hoenig kurz kommentiert – zu bedenken. Den – wie der Kollege Hoenig meint – faktisch absoluten Revisionsgrund (im Beitrag des Kollegen Vetter den des vergessenen letzten Wortes) gibt es m.E. nicht mehr. Über allen Verfahrensrügen schwebt seit der Entscheidung des großen Senats für Strafsachen vom 23.04.2007 (BGHSt 51, 298) das Damoklesschwert der nachträglichen Änderung des Protokolls der Hauptverhandlung, die der BGH ja jetzt auch zulässt, wenn dadurch einer Verfahrensrüge der Boden entzogen wird. Man mag über die Rechtsprechung denken was man will (ich denke nichts Gutes); aber man darf nicht übersehen, dass sie bei den Tatsacheninstanzen angekommen ist. Das zeigt nicht zuletzt die Rechtsprechung des BGH, wo immer wieder auch diese Frage behandelt wird (oder auch nicht).
Exkurs: Das habe ich vor kurzem selbst erlebt: Ausschluss des Angeklagten in der Hauptverhandlung nach § 247 StPO, nach dem Hauptverhandlungsprotokoll und den Aufzeichnungen/Erinnerungen des Instanzverteidigers ohne begründeten Beschluss. Damit auch ein faktisch absoluter Revisionsgrund, der auch geltend gemacht wird. 3 Wochen später Nachricht der Kammer mit dienstlichen Äußerungen, dass ein Beschluss ergangen sei (und einer m.E. technisch nicht möglichen Erklärung, warum er nicht im Protokoll ist), dann Berichtigung und der BGH verwirft die Revision, ohne ein Wort zu der zumindest aus unserer Sicht nicht nachvollziehbaren Protokollberichtigung zu sagen (er hat auch sonst nichts gesagt; auch das muss man erst mal lernen :-)). Über die Weiterungen, die das Revisionsverfahren hatte, demnächst mehr…
Zur Sache: Die Frage des „faktisch absoluten Revisionsgrundes“ und seiner „Beseitigung“ darf man bei der Beratung des Mandanten neben allen anderen bedenkwerten Umständen nicht aus dem Auge verlieren. Den sog. Selbstläufer im Revisionsverfahren gibt es nicht mehr. Übersieht man das, kann es ein böses Erwachen geben (vgl. aber auch den „positiven Spielbericht“ des Kollegen Feltus).