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Beleidigung II: OGV ist ein(e) „Schwuchtel/“Wichser“, oder: Angeklagte raucht beim StA-Plädoyer Cannabis

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Und das zweite Posting kommt dann auch zu einem BayObLG-Beschluss. Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Das LG hat die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten als unbegründet verworfen. Dagegen die Revision, die beim BayObLG wegen des Schuldspruchs keinen Erfolg hatte. Insoweit hatte ich den BayObLG, Beschl. v. 15.08.2023 – 204 StRR 292/23 – schon vorgestellt (vgl. Beleidigung II: Sie „Schwuchtel“ und „Wichser“, oder: Schmähkritik, Schmähung, Formalbeleidigung?).

Zur Strafzumessung führt das BayObLG in dem Fall betreffend die verhängte Freiheitsstrafe von (nur) drei Monaten aus:

2. Die Revision des Angeklagten hat aber mit der erhobenen Sachrüge in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch Erfolg.

a) Das Berufungsgericht hat im Rahmen der Strafzumessung die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe als unerlässlich angesehen, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden könne (§ 47 Abs. 1 StGB). Dies hat es unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mehr als deutlich gemacht habe, dass er sich keiner Schuld bewusst sei und sich zu Unrecht verfolgt fühle, jegliche Verantwortung für sein eigenes Verhalten ablehne und die Schuld für den Vorfall allein beim Geschädigten sehe. Aus dieser Einstellung des Angeklagten sei der Schluss zu ziehen gewesen, dass er auch in der Zukunft nicht bereit sein werde, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich vor allem regelkonform zu verhalten. Dies zeige letztlich auch sein Verhalten während des Plädoyers der Staatsanwältin, als er im Sitzungssaal anfing, Cannabis zu inhalieren, und sich auch von der Vorsitzenden hiervon – mit dem Argument, dass ihm das ärztlich verordnet sei, er es jederzeit und überall tun dürfe und man ihm nichts vorschreiben könne – nicht habe abhalten lassen.

b) Diese Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

aa) Eine kurze Freiheitsstrafe kann u.a. verhängt werden, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich ist, weil nur durch diese Strafe die Einwirkung auf den Täter erreicht werden kann (§ 47 Abs. 1 StGB). Damit ist die spezialpräventive Funktion der Strafe gemeint, so dass der Richter zu klären hat, ob eine täterungünstige Prognose (drohende weitere Straftaten) die Freiheitsstrafe erfordert (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 47 Rn. 11).

bb) Bei den zu berücksichtigenden besonderen Umständen in der Persönlichkeit des Täters darf zwar sein Nachtatverhalten, wie etwa ein Geständnis oder die Tatreue, berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1996 – 3 StR 133/96 –, NStZ 1996, 429, juris Rn. 3). Soweit auf die mangelnde Schuldeinsicht abgestellt wird, verkennt das Berufungsgericht aber, dass das Bestreiten der Tat dem Angeklagten nicht als Uneinsichtigkeit angelastet werden darf, solange er die Grenzen zulässiger Verteidigung nicht überschreitet [vgl. zur Strafzumessung allgemein BGH, Beschluss vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5; zu § 47 Abs. 1 StGB im besonderen BayObLG, Beschluss vom 11.01.1996 – 3St RR 105/95 –, wistra 1996, 236, juris Rn. 29 f.; KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.]. Der Vorwurf mangelnder Schuldeinsicht und Reue lässt somit besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet hat (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 8 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.04.2005 – 2 Ss 78/05 –, juris Rn. 6 m.w.N.). Eine andere Bewertung ist nur zulässig, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindschaft und Gefährlichkeit schließen lässt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.11.1986 – 2 StR 563/86 –, NStZ 1987, 171, juris Rn. 5, und vom 24.07.1985 – 3 StR 127/85 –, NStZ 1985, 545, juris Rn. 9). Ob die richterliche Überzeugung dahin geht, muss das Urteil deutlich erkennen lassen [vgl. KG, Beschluss vom 28.02.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01) –, juris Rn. 6 m.w.N.].

Das Berufungsgericht geht zwar davon aus, dass der Angeklagte auch künftig nicht bereit sein wird, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich regelkonform zu verhalten. Hierbei übersieht es aber, dass es sich vorliegend um die erste Verurteilung wegen eines Äußerungsdelikts handelt und diese letztlich auf einer umfangreichen Abwägung der Umstände des Einzelfalles beruht, die das Berufungsgericht selbst nur unzureichend vorgenommen hat. Unter diesen Umständen können aus der fehlenden Schuldeinsicht keinesfalls Schlüsse auf besondere Umstände in der Täterpersönlichkeit gezogen werden, die die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich machen.

cc) Darüber hinaus durfte das Berufungsgericht das Verhalten des Angeklagten – Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin – nicht ohne weitere Aufklärung bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen. Bei den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Angeklagte Cannabispatient ist. Hierauf hat dieser – so die Urteilsfeststellungen – auch hingewiesen, als er von der Vorsitzenden aufgefordert wurde, das Inhalieren von Cannabis während des Plädoyers der Staatsanwältin zu unterlassen. Das Berufungsgericht war demgemäß – wollte es den Umstand des Inhalierens von Cannabis während der Hauptverhandlung zu Lasten des Angeklagten verwerten – gehalten, aufzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen bzw. in welchen zeitlichen Abständen es medizinisch indiziert war, Cannabis zu inhalieren, oder ob der Angeklagte Cannabis während der Hauptverhandlung nur deshalb inhaliert hatte, um das Gericht zu provozieren.“

Gründe III: Kleine Lehrstunde vom OLG Zweibrücken, oder: Vorsatz, kurze Freiheitsstrafe, Absehen bei BtM

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Und als letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.01.2022 – 1 OLG 2 Ss 66/21. Er enthält eine kurze  Lehrstunde des OLG zu Vorsatzfragen, zur kurzfristigen Freiheitsstrafe und zum Absehen von Strafe bei BtM-Delikten (§ 29 Abs. 5 BtMG):

„2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet jedoch der Schuldspruch im Fall II.3 der Urteilsgründe:

a) Nach den getroffenen Feststellungen wurde der Angeklagte am 30.03.2019 nach einer polizeilichen Vernehmung in der Wache der PI Ludwigshafen 1 dort entlassen. Er verließ den Bereich der Wache jedoch nicht sofort. Der Zeuge D., der nach dem Angeklagten schauen wollte, traf diesen im Bereich einer Treppe eine Zigarette rauchend an. Der Angeklagte drehte sich sodann um zum Weggehen. „Beim Weggehen schnipste er seine Zigarette in Richtung des Zeugen. Die Zigarette landete auf der Hose des Zeugen D.. Die Hose wurde nicht beschädigt.“ (UA S. 4). Das Amtsgericht hat es für erwiesen angesehen, dass der Angeklagte die Zigarette „bewusst in Richtung der Beamten schnipste und dabei billigend in Kauf nahm Kleidung zu beschädigen oder jemanden zu verletzten.“ (UA S. 6). Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass der Angeklagte nach den Angaben des Zeugen D. in einer Entfernung von drei Metern gestanden und die Zigarette beim Wegdrehen „bewusst in die Richtung, in der sich die Beamten befunden hätten, geschnipst habe“ (UA S. 6). Im Hinblick auf den Abstand des Angeklagten zu dem Zeugen und dem Umstand, dass er sich gerade zum Gehen umdrehte, hat es das Amtsgericht als fernliegend betrachtet, dass der Zeuge getroffen worden sein könnte, ohne dass der Angeklagte die Zigarette bewusst in dessen Richtung geschnipst hat. Dass es bei dem Wurf einer brennenden Zigarette zu Verletzungen und Beschädigungen kommen könne, sei allgemein bekannt weshalb der Angeklagte dies billigend in Kauf genommen habe.

b) Diese Ausführungen vermögen die Annahme eines Schädigungs- und Verletzungsvorsatzes nicht zu tragen.

aa) Zwar ist der Schluss von den geschilderten Tatumständen auf ein bewusstes Schnipsen der Zigarette in Richtung des Zeugen D. vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen (zum Prüfungsmaßstab des Revisionsgerichts: BGH, Urteil vom 09.05.2005 – 3 StR 269/04, juris Rn. 45). Auch kann dem Tatgericht noch darin gefolgt werden, dass es allgemeiner Kenntnis entspricht, dass es beim Wurf einer brennenden Zigarette gegen eine Person zu Verletzungen und Beschädigungen der Kleidung kommen „kann“. Dies begründet jedoch nicht ohne weiteres die Annahme, der Angeklagte habe einen solchen Erfolg auch gebilligt.

bb) Der Schluss vom Wissens- auf das Willenselement des bedingten Vorsatzes darf grundsätzlich nicht ohne weiteres gezogen werden Das gilt selbst dann, wenn das Handeln mit einer hohen oder gar äußersten Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (des Erfolgseintritts) verbunden ist und der Täter dies erkannt hat (Vogel/Bülte in: LK, 13. Aufl. 2020, § 15 Rn. 106 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es regelmäßig zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit eines Erfolgseintritts rechnet, und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (jew. zum Tötungsvorsatz: BGH, Urteile vom 20.06.2000 – 4 StR 162/00, NStZ 2000, 583 und vom 12.12.2018 – 5 StR 517/18, NStZ 2019, 208 jew. m.w.N.). Erforderlich ist allerdings, dass sich der Tatrichter unter Beachtung der tatbestandsspezifischen Besonderheiten mit allen dafür wesentlichen, in der Tat und der Täterpersönlichkeit liegenden Umständen auseinandersetzt und sowohl die Möglichkeit bedingt vorsätzlichen als auch bewusst fahrlässigen Handelns bedenkt.

cc) Diese, für Tötungsdelikte entwickelten Voraussetzungen lassen sich zwar nicht formelhaft auf andere Delikte übertragen (Vogel/Bülte aaO. Rn. 110). Gleichwohl hätte es hier einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der konkreten Gefährlichkeit der Tathandlung und deren Erkennbarkeit für den Angeklagten bedurft. Denn nach den geschilderten Tatumständen – Schnipsen einer brennenden Zigarette über eine Entfernung von drei Metern und deren folgenloses Abprallen von der Hose des Zeugen D. – liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass eine Beschädigung der Kleidung – oder gar eine Verletzung des durch Kleidung geschützten Körpers – hier nahe lag oder gar nur durch einen glücklichen Zufall ausgeblieben ist. Das Amtsgericht hätte sich daher mit der Möglichkeit befassen müssen, dass der Angeklagte ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, dass weder die Kleidung noch gar der Körper des Zeugen durch die Zigarette Schaden nehmen werden. Zudem liegt nach den geschilderten Gesamtumständen nicht fern, dass der Angeklagte durch das Schnipsen der Zigarette in Richtung des Zeugen seiner Geringschätzung diesem gegenüber Ausdruck verleihen wollte, wofür eine Beschädigung von dessen Kleidung oder gar der Eintritt einer Körperverletzung nicht erforderlich war.

II.

Durchgehend rechtlichen Bedenken begegnet auch der Strafausspruch.

1. Das Amtsgericht hat hinsichtlich sämtlicher Taten Kurzfreiheitsstrafen (2, 4 und 3 Monate) verhängt. In diesem Zusammenhang hat es ausgeführt, dass die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen „zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich“ sei. Durch diese nicht näher mit einer Begründung unterlegten Formulierung hat es die Unerlässlichkeit der Verhängung von Kurzfreiheitsstrafen i.S.d. § 47 StGB nicht belegt.

a) Zwar hat in erster Linie das Tatgericht die Frage zu beurteilen, ob eine Freiheitsstrafe nach § 47 Abs. 1 StGB unerlässlich zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung ist. Allerdings muss das Urteil eine Überprüfung ermöglichen, ob dessen Würdigung eine zutreffende Auslegung der maßgeblichen Rechtsbegriffe zu Grunde liegt (vgl. § 267 Abs. 3 S. 2 StPO). Deshalb sind regelmäßig die besonderen Umstände anzugeben, auf welche das Tatgericht die Annahme einer Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe stützt. Denn nach der gesetzlichen Konzeption stellt die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe eine Ausnahme im Sinne einer ultima ratio dar. Eine ausdrückliche Darstellung ist nur dann entbehrlich, wenn sich die Unerlässlichkeit im Einzelfall in einem entsprechenden Maße aufdrängt (BGH, Urteil vom 08.04.2004 – 3 StR 465/03, NStZ 2004, 554). Zwar setzt die Einwirkung auf den Täter nicht voraus, dass es zum Vollzug der kurzen Freiheitsstrafe kommt (Maier in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2020, § 47 Rn. 34 m.w.N.; vgl. aber OLG Dresden, Urteil vom 19.10.2012 – 2 Ss 643/12, NStZ-RR 2013, 41, 42 zu den erhöhten Darlegungsanforderungen für die Aussetzungsentscheidung). Allerdings ist in der Regel eine tiefer gehende Darstellung geboten, wenn das Tatgericht sowohl die Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter als auch die für eine Strafaussetzung zur Bewährung erforderliche Prognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB bejaht (Senat, Beschluss vom 28.04.2017 – 1 OLG 2 Ss 10/17; Heintschel-Heinegg, in: BeckOK-StGB, § 47 Rn. 17, 51. Ed., [Stand: 01.11.2021). Anderenfalls wird regelmäßig zu besorgen sein, dass das Tatgericht den Gehalt des Begriffs der Unerlässlichkeit verkannt hat.

b) Nach diesen Grundsätzen waren Ausführungen zur Begründung der Unerlässlichkeit von Kurzfreiheitsstrafen hier nicht schon mit Blick auf das Vorleben des Angeklagten entbehrlich. Zwar stand dieser bei Begehung der Taten aufgrund des Urteils des AG Mainz vom 11.07.2017 wegen Taten der gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung unter Bewährung. Gleichwohl hat das Amtsgericht aber eine positive Sozialprognose mit Blick auf die Lebensverhältnisse des Angeklagten angenommen. Es hätte daher näherer Begründung bedurft, weshalb das Amtsgericht trotz dieser offensichtlich als gegen eine erneute Strafbarkeit des Angeklagten sprechend gewerteten Umstände einer Einwirkung in Form von Kurzfreiheitsstrafen unerlässlich und die Verhängung von Geldstrafen für nicht ausreichend gehalten hat.

2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Strafausspruch hinsichtlich des Besitzes von Betäubungsmitteln auch unter einem weiteren Gesichtspunkt. Denn das Amtsgericht hat, obgleich hier Anlass für eine Erörterung bestanden hat, nicht erkennbar geprüft, ob ein Absehen von Strafe gem. § 29 Abs. 5 BtMG in Betracht kommt.

a) § 29 Abs. 5 BtMG ist Ausdruck des Grundsatzes, dass der Eigenverbrauch als eine Form der Selbstschädigung straflos, der Erwerb und Besitz zum Eigenverbrauch aber wegen der Gefahr der Weitergabe strafbar ist (Körner/Patzak/Volkmer in Patzak, 9. Aufl. 2019, BtMG § 29 Teil 29. Rn. 1). Die Vorschrift soll zwar in erster Linie Ersttätern zu gute kommen, schließt aber eine Anwendung auch auf Gelegenheitskonsumenten oder – in Ausnahmefällen – auch auf Dauerkonsumenten nicht aus (BGH, Urteil vom 15.09.1983 – 4 StR 454/83, juris Rn. 11; OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2009 – 3 Ss 15/09, BeckRS 2009, 12921; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.04.2003 – 3 Ss 54/03, NJW 2003, 1825). Dass der Angeklagte im Jahr 2015 zu einer Jugendstrafe wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, muss einer Anwendung der Vorschrift daher nicht entgegen stehen. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen „Drogen seit über einem Jahr nicht mehr konsumiert“ (UA S. 2).

b) Auch die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift dürften hier gegeben sein. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Körner/Patzak/Volkmer aaO. Rn. 44) ist bei Amphetamin bei einer Wirkstoffmenge von bis zu 0,15 g Amphetamin-Base von einer geringen Menge auszugehen. Zwar hat das Amtsgericht Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der sichergestellten 0,25 g Amphetamin nicht getroffen (zur Erforderlichkeit entsprechender Feststellungen: O?lakc?o?lu in MünchKomm-StGB, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 1679) . Der Grenzwert zur geringen Menge wäre hier allerdings nur dann erreicht, wenn der Wirkstoffgehalt mindestens 60 % betragen hätte, was fern liegt (vgl. auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 29.01.2019 – Ss 114/2018 (64/18), juris Rn. 12: Annahme einer Wirkstoffkonzentration von 5 % beim Fehlen entsprechender Feststellungen). Angesichts der Gesamtumstände liegt es zudem nahe, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum besessen hatte.

c) Selbst wenn das Amtsgericht im Rahmen seiner Ermessensausübung ein Absehen von Strafe für nicht geboten gehalten hätte, wäre es gehalten gewesen, diesen Umstand in die Prüfung des § 47 StGB bzw. bei der Bemessung der konkreten (Einzel-)Strafe einzustellen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.02.1996 – 1 Ss 243/95, NStZ-RR 1997, 248).“

Bisschen viel zu lesen kurz vor Feierabend, aber lohnt sich.

Strafzumessung III: Kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Die kurze Freiheitsstrafe muss „unverzichtbar“ sein

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Als dritte und letzte Entscheidung des Tages dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2021 – 5 RVs 28/21. Er nimmt mal wieder zu § 47 StGB Stellung. Das LG hatte u.a. wegen Beleidigung eine Einzel(freiheits)strafe von drei Monaten verhängt. Das hat dem OLG so nicht gefallen:

„Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen (Senatsbeschluss vom 08.01.2009 – 5 Ss 528/08 -, Rn. 19 – 20, juris; Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 47 StGB Rn. 1). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. hierzu Fischer, a.a.O., § 47 StGB Rn. 7; Heger, in: Lackner/Kühl, StGB, 29 Aufl. 2018, § 47 StGB Rn. 6, jeweils m.w.N.). Zwar können nähere Ausführungen zur Begründung einer kurzen Freiheitsstrafe – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – ausnahmsweise dann entbehrlich sein, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass die Voraussetzungen des § 47 StGB auf der Hand liegen, insbesondere der abgeurteilten Tat zahlreiche oder einschlägige Vorstrafen, wiederholte Bewährungsbrüchigkeit oder mehrfache Strafhaftverbüßungen vorangingen oder eine auffällig hohe Rückfallgeschwindigkeit vorliegt (Maier, in: MünchKomm, StGB, 4. Aufl. 2020, § 47 StGB Rn. 60). Stellt das Gericht hingegen dem Angeklagten eine günstige Legalprognose und setzt – wie vorliegend – die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, versteht sich die Unerlässlichkeit der Verhängung nicht von selbst (Maier, in: MünchKomm, a.a.O., § 47 StGB Rn. 59).“

Strafzumessung II: Fahrverbot nach § 44 StGB, oder: Kurzfristige Freiheitsstrafe

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.05.2019 – 4 Rv 28 Ss 175/19, der ganz gut zum gestern vorgestellten AG Dortmund, Urt. v. 03.05.2019 – 767 Ls-800 Js 1003/18 -15/19 – passt. In der OLG-Entscheidung geht es nämlich auch noch einmal um das (neue) fahrverbot nach § 44 StGB. Es geht um das Zusammenspiel von § 47 StGB – also kurzfristige Freiheitsstrafe – und § 44 StGB. Dazu möchte das OLG etwas lesen:

„Zu beachten ist aber, dass nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter besonderen Umständen in Betracht kommen soll (BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 – 1 StR 189/71, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer StGB, 66. Aufl., § 47 Rn.2 und 5). Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (BGH, Beschluss vom 3. März 1994 – 4 StR 75/94, juris Rn. 3 und BGH, Urteil vom 8. Mai 1996 – 3 StR 133/96, juris Rn. 3; Fischer, aaO, § 47 Rn. 5). Den daraus unter dem Gesichtspunkt der sachlich-rechtlichen Nachprüfbarkeit folgenden Begründungsanforderungen (vgl. KK-StPO/Kuckein/Bartel, aaO, § 267 Rn. 25, 32) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da ein bestimmender Gesichtspunkt zur Frage der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nicht erörtert wird und sich die Strafzumessung insofern als lückenhaft erweist.

b) Denn das Landgericht setzt sich in den schriftlichen Urteilsgründen nicht mit der Frage auseinander, ob ein – zusätzlich zu einer Geldstrafe – angeordnetes Fahrverbot im vorliegenden Fall die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafen von fünf bzw. zwei Monaten entbehrlich machen kann. Dies lässt besorgen, dass die Bestimmung des 44 StGB in der seit dem 24. August 2017 – und somit zur Tatzeit bereits gültigen – Fassung nicht berücksichtigt wurde, die es nunmehr ermöglicht, ein Fahrverbot als Nebenstrafe über den Bereich der Verkehrsdelikte hinaus bei allen Straftaten anzuordnen. Dabei soll die Anordnung des Fahrverbots bei Delikten ohne Verkehrsbezug, die also nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurden, nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich“ dann in Betracht kommen, wenn sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung oder Vollstreckung einer Freiheitsstrafe verhindert werden kann. In dieser Aufzählung kommt – neben dem Ziel, auf mit der Geldstrafe nicht hinreichend zu beeindruckende, etwa besonders vermögende Täter besser einwirken zu können – insbesondere auch der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, durch die Neufassung des § 44 StGB und die dadurch bewirkte Erweiterung des Strafensystems für den Bereich der kleineren bis mittleren Kriminalität die Anordnung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen in bestimmten Fällen zu vermeiden (vgl. hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 18/11272, S. 14, 16 f.; zu den verfolgten Zielen auch Schöch in NStZ 2018, 15 (16 ff.); zur Kritik an der Neufassung des § 44 StGB Fischer, aaO, § 44 Rn. 7, 17ff. mwN; Schönke/Schröder/Kinzig StGB, 30. Aufl., § 44 Rn. 1b mwN). Diese vom Gesetzgeber verfolgten Ziele wurden durch die Einfügung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB betont, die auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses erfolgte, um den Gerichten „Leitlinien“ für die Entscheidung an die Hand zu geben und die Fallkonstellationen hervorzuheben, bei denen die zusätzliche Verhängung des Fahrverbots im Falle allgemeiner Straftaten vornehmlich in Betracht kommt (vgl. Begründung der Beschlussempfehlung, BT-Drucks. 18/12785, S. 43).

Diese Ausweitung des Anwendungsbereichs der Nebenstrafe eines Fahrverbots auf allgemeine Straftaten und die mit dieser Ergänzung des Strafensystems verfolgten Ziele begründen zwar, wie auch § 267 Abs. 3 StPO deutlich macht, keine generelle Erörterungspflicht in Urteilen. Dementsprechend bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Anordnung eines Fahrverbots zu erfolgen hat, insbesondere dann nicht, wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, keine auf ein Fahrverbot gerichteten Anträge gestellt wurden und klar auf der Hand liegt, dass die Anordnung des Fahrverbots unter keinem der in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Gesichtspunkte in Betracht kommt und auch sonst keine besonderen Umstände zu ihrer Anwendung drängen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2019 – 2 RVs 15/19, juris Rn. 9 ff.).

Anders ist dies allerdings zu beurteilen, sofern die Umstände des Falles die Anordnung eines Fahrverbots naheliegend erscheinen lassen (OLG Düsseldorf, aaO, juris Rn. 13), weil etwa eine Fallkonstellation nach § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB erörterungsbedürftig erscheint. In solchen Fällen kann die Nichtbehandlung der Frage, ob ein Fahrverbot anzuordnen ist oder dies zu unterbleiben hat, einen sachlich-rechtlichen Mangel begründen, der auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt.

So verhält es sich hier. Dem Urteil liegt eine Konstellation zugrunde, für die der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 44 Abs. 1 StGB dem Gericht die Prüfung ermöglichen wollte, ob durch die Kombination einer Geldstrafe mit einem Fahrverbot die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe vermieden werden kann. Angesichts der insofern eröffneten Ermessensentscheidung und den hierzu in § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB formulierten „Leitlinien“ für typische Anwendungsfälle des Fahrverbots bei Nichtverkehrsstraftaten (vgl. BT-Drucks. 18/12785, S. 43), handelt es sich vorliegend um einen bestimmenden Aspekt der Strafzumessung, der nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen zu behandeln ist. Die Erörterung ist zwingend geboten, weil die verfahrensgegenständlichen Delikte dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, der Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen über eine Fahrerlaubnis verfügt und die im Rahmen des § 47 StGB angestellten Erwägungen – zumal das Amtsgericht in der erstinstanzlichen Entscheidung schon die Verhängung einer Gesamtgeldstrafe für ausreichend erachtet hatte – jedenfalls nicht derart eindeutig für die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen sprechen, dass diese nicht möglicherweise doch durch die zusätzliche Sanktionierung mit einem Fahrverbot vermieden werden könnten. Dabei ist auch zu sehen, dass der Angeklagte zwar schon mehrfach strafrechtlich und darunter auch wiederholt wegen Körperverletzungs- und Aggressionsdelikten in Erscheinung getreten ist. Auf diese Taten wurde aber – neben Verfahrenseinstellungen nach den §§ 45, 47 JGG – durch Urteile vom 21. Mai 2012 und 25. September 2013 noch mit jugendstrafrechtlichen Mitteln der richterlichen Weisungen sowie Arbeits- und Geldauflagen reagiert. Erst durch einen Strafbefehl des Amtsgerichts Rottenburg vom 19. April 2017 erfolgte dann eine Sanktionierung nach Erwachsenenstrafrecht, wobei wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung und mit versuchter vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen à 10 Euro gegen ihn verhängt wurde. Der Angeklagte wurde bislang noch nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und auch ein Fahrverbot wurde gegen ihn offenbar noch nicht verhängt. Zudem zeigte sich der Angeklagte ausweislich der Feststellungen, die im angegriffenen Berufungsurteil getroffen wurden, geständig und einsichtig im Hinblick auf seinen problematischen Suchtmittelkonsum und seine Neigung zu aggressivem Verhalten, zumal er sich diesbezüglich um die Erlangung fachlicher Hilfe bemüht hatte.“

Den erwähnten OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2019 – 2 RVs 15/19 – hatte ich hier übrigens auch vorgestellt – siehe Fahrverbot I: Neues Fahrverbot nach § 44 StGB im Altfall, oder: Milderes Gesetz?

Strafzumessung III: Die kurzfristige Freiheitsstrafe, oder: Eine besondere Begründung ist „unerlässlich“

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Die dritte Strafzumessungsentscheidung kommt mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 02.04.2019 – III – 1 RVs 14/19 – vom OLG Hamm. Er behandelt ebenfalls eine Dauerproblematik, nämlich die Urteilgründe bei Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB), und zwar wie folgt:

Aus der Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beschränkung der kurzen Freiheitsstrafe auf Ausnahmefälle ergeben sich besondere Anforderungen an die Begründung der Sanktionsentscheidung im tatgerichtlichen Urteil (vgl. KG StV 2004, 383). Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bedarf einer Begründung, die sich gesondert und eingehend mit den gesetzlichen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB auseinandersetzen muss. Sie muss auch erkennen lassen, dass das Gericht sich der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes bewusst gewesen ist und die besondere Härte der kurzen Freiheitsstrafe im Vergleich zur Geldstrafe in seine Erwägungen einbezogen hat. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat danach regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (OLG Hamm, Beschluss vorn 18.11.2002 – 2 Ss 768/02 – m.w.N.: BGH StV 1994, 370) Damit die Anwendung des § 47 StGB auf Rechtsfehler geprüft werden kann, bedarf es einer eingehenden und nachprüfbaren Begründung (OLG Köln NJW 1981. 5411; vgl. auch Dahs/Dahs, Die Revision im Strafrecht, 7. Auf! Rn 446). Das Urteil muss dazu eine auf den Einzelfall bezogene, die Würdigung von Tat und Täterpersönlichkeit umfassende Begründung dafür enthalten, warum eine kurzzeitige Freiheitsstrafe unerlässlich ist. Formelhafte Wendungen genügen nicht. Der Tatrichter hat vielmehr für das Revisionsgericht nachvollziehbar darzulegen, welche besonderen Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Angeklagten die Verhängung der kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Angeklagten oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich gemacht haben (zum Ganzen OLG Hamm, Beschluss vom 01.03.2018 – 111-5 RVs 129/17 -).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht ansatzweise gerecht.

Zur Begründung der Unerlässlichkeit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hat das Amtsgericht lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholt. Einzelfallbezogene Erwägungen fehlen völlig. Es kommt daher schon nicht mehr darauf an, dass das Tatgericht im Falle einer Gesamtstrafe für jede einzelne Tat gesondert darlegen muss, warum in dem konkreten Fall die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich ist (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 47, Rn. 3, 4), was hier ebenfalls unterblieben ist.“