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JGG III: Die Verurteilung im Jugendstrafverfahren, oder: Die Kostenentscheidung muss schon begründet werden

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Und die dritte Entscheidung des Tages hat dann noch einmal mit dem Urteil in einer Jugendsache zu tun, und zwar mit der Begründung der Kostenentscheidung im Hinblick auf § 74 GG.

Dazu sagt der LG Potsdam, Beschl. v. 14.07.2021 – 22 Qs 14/21:

„Die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts, wonach dem Angeklagten gemäß § 465 StPO die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, unterliegt der Aufhebung.

Der bloße Hinweis in dem Urteil, „die Kostenentscheidung folgt aus § 465 I StPO“ (vgl. UA S. 4) genügt wegen der jugendstrafrechtlichen Sonderregelung des § 74 JGG nicht (vgl. Eisenberg/ Kölbel, 63. Auflage 2020, § 54 Rn.41 m.w.N). Insoweit unterliegt die Kostenentscheidung bei Anwendung von Jugendstrafrecht, wie im vorliegenden Fall, einer zumindest kurzen und nachvollziehbaren Begründungspflicht.

Dem Tatrichter ist bei seiner Entscheidung, dem Angeklagten die Kosten aufzuerlegen und von der Vorschrift des § 74 JGG keinen Gebrauch zu machen, ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Die Prüfung des Beschwerdegerichts ist darauf beschränkt, ob das erkennende Gericht das ihm eingeräumte Ermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt hat. Fehlt es vollständig an einer solchen Begründung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, die Entscheidung des Tatgerichts zu überprüfen. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht die Vorschrift in § 74 JGG übersehen hat.

Die Auferlegung der Kosten gemäß § 465 StPO kommt in geeigneten Fällen durchaus infrage. Das Amtsgericht wird bei der Entscheidung jedenfalls im Blick haben müssen, dass die Kostenentscheidung nicht zu einer der Geldstrafe ähnlichen Sanktion führen darf (vgl. BGH BeckRS 2016, 5080).“

OWi II: Neues zu Leivtec XV 3, oder: Weiterhin nicht standardisiert, Auslagenerstattung, Wiederaufnahme

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Im Gespräch ist/war das Messverfahren Leivtec XV3. Darüber, insbesondere über die derzeit diskutierten Fragen der Verwertbarkeit, habe ich hier ja auch schon berichtet. Und auch zu dieser Problematik gibt es neuere Rechtsprechung, die ich in diesem Posting vorstelle. Und zwar:

Zunächst hier der OLG Oldenburg, Beschl. 19.07.2021 – 2 Ss (OWi) 170/21 –, über den der Kollege Gratz ja gestern auch schon berichtet hat. Er befasst sich mit der Verwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV 3 nach Abschluss der Untersuchungen durch die PTB. Das OLG meint: Auch danach ist das Messverfahren derzeit nicht als standardisiertes Messverfahren anzusehen. Das OLG ist – so habe ich den Eindrick – leicht „verschnupft“ über die zuständigen Behörden, denn:

„Der Senat hat erwogen, Messungen, bei denen diese kritischen Konstellationen vorgelegen haben, nicht mehr als standardisiert anzusehen, das Messverfahren im Übrigen aber schon.

Diese Überlegung hat der Senat allerdings verworfen:

Gemäß § 55 MessEG haben nämlich die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Messgeräte nicht entsprechend den Anforderungen des Abschnittes 3 verwendet werden.

Der Senat hat deshalb mit Schreiben vom 18. Juni 2021 die zuständige Eichdirektion in Hessen zunächst mit der Bitte um Stellungnahme, ob und gegebenenfalls wie auf die Problematik reagiert werden solle, angeschrieben und – nachdem von dort mitgeteilt worden war, dass die Eichbehörden vom Hersteller und der PTB eine Anpassung der Messbedingungen und Auswerterichtlinien erwarten würden – mit Schreiben vom 23.06.2021 unter Hinweis auf § 55 MessEG zum Ausdruck gebracht, dass dringender Handlungsbedarf gesehen werde. Daraufhin hat die für die Marktüberwachung zuständige Eichdirektion mitgeteilt, nach ihrer Auffassung seien die „wesentlichen Anforderungen nach § 6 Abs. 2 [MessEG] unter Einhaltung der Verkehrsfehlergrenzen“ zu bejahen, nur der „Stand der Technik“ habe sich geändert und sei bei der Durchführung von Messungen vom Verwender zu berücksichtigen. Es bestehe keine Möglichkeit, den Hersteller bzw. die PTB zur Anpassung der Auswerterichtlinien bzw. der Bedienungsanleitung zu zwingen.

Unter Berücksichtigung der im Gesetz verankerten Zuständigkeiten sieht der Senat es aber nicht als seine Aufgabe an, quasi anstelle der zum Tätigwerden berufenen Beteiligten (Hersteller, Behörden) die Bedienungsanleitung fortzuschreiben.“

Und zur Abrundung dann der AG Eilenburg, Beschl. v. 14.06.2021 – 8 OWi 308/21 – zur Frage der Auslagenerstattung nach Einstellung eines Leivtec XV 3-Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWi. Das AG meint:

Ein Betroffener, dem ein Geschwindigkeitsverstoß festgestellt mit dem Messgerät LEIVTEC XV3 zur Last gelegt wurde, hat auch im Rahmen einer behördlichen Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 1 OWiG seine notwendigen Auslagen selbst zu tragen.

Das ist m.E. falsch – zutreffend a.A. ja dann auch das AG Landstuhl (vgl. z.B. AG Landstuhl, Beschl. v. 17.03.2021 – 2 OWi 4211 Js 2050/21).  Wenn das AG Eilenburg seine Entscheidung letztlich damit begründet: „Dem Gericht sind aus anderen Verfahren diverse Gutachten namhafter Sachverständiger bekannt, die eine Berechnung der Mindestgeschwindigkeit in derartigen Fällen erlauben.„. übersieht es dabei, dass ein Messgerät eingesetzt worden ist, dass eine unverwertbare Messung geliefert hat. Warum soll der Betroffene dann die Kosten des Verfahrens tragen.

Und dann zum Schluss noch der AG Oldenburg, Beschl. v. 28.06.2021 – 29 OWi 775 Js 56106/21. Das hat im Hinblick auf die Rechtsprechung des OLG Oldenburg zu Leivtec XV 3 die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ausgeschlossen, „weshalb konkrete Tatsachen vorliegen, die eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit an der Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund des Wiederaufnahmeantrags des Betroffenen begründen und in dessen Folge auch eine geringere Bestrafung in Betracht käme.“

Teil“Verringerung“ der Einziehung in der Revision, oder: Zusatzgebühren als „verteilungsfähige Einzelposten“

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Heute knüpfe ich am RVG-Tag zunächst an die Thematik von gestern – Einziehung – an und stelle den BGH, Beschl. v. 25.02.2021 – 1 StR 423/20 – zur Kostenentscheidung bei Verringerung der Einziehung durch das Revisionsgericht vor.

Das LG hatte die Angeklagten jeweils wegen Marktmanipulation zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zudem hatte es gegen den Angeklagten K. die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.614.344,56 EUR und gegen den Angeklagten T. in Höhe von 419.477,18 EUR angeordnet. Dagegen haben die Angeklagten jeweils Revision eingelegt. Diese hatten insofern Erfolg, dass das landgerichtliche Urteil in den Aussprüchen über die Einziehung dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen gegen den Angeklagten K. in Höhe von nur 851.377,16 EUR und gegen den Angeklagten T. in Höhe von nur 65.957,18 EUR angeordnet worden ist. Die darüber hinausgehenden Einziehungen sind entfallen. Von den im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten, die die Einziehung betreffen, hat der BGH in der Kostenentscheidung seiner Revisionsentscheidung bestimmt, dass die Staatskasse 2/3 hinsichtlich des Angeklagten K. und 6/7 hinsichtlich des Angeklagten T. zu tragen hat und die insoweit angefallenen Gerichtsgebühren, soweit es den Angeklagten K. betrifft, um 2/3 und, soweit es den Angeklagten T. betrifft, um 6/7 ermäßigt werden.

Die Kostenentscheidung hat der BGH wie folgt begründet:

„Die Entscheidung über die allein die Einziehung betreffenden zusätzlichen und damit ohne Weiteres ausscheidbaren Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen (insbesondere Verteidigergebühren) nach Bruchteilen beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO , soweit es das Revisionsverfahren betrifft (dazu unter a)), und im Übrigen auf § 465 Abs. 2 StPO (entsprechend), § 464d StPO (dazu unter b)).

a) Aus Rechtsgründen hat sich der Einziehungsumfang jeweils deutlich, nämlich weit über die Hälfte im Vergleich zu den Beträgen im angefochtenen Urteil, zugunsten der Angeklagten verringert. Dieser Teilerfolg muss sich hier in der Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO niederschlagen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2020 – 5 StR 229/19 und vom 20. Januar 2020 – 1 StR 529/19); dies betrifft indes allein die Verteilung der in Bezug auf die Nebenfolge der Einziehung ( § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB ) den Verteidigern jeweils zustehenden ʺzusätzlichen Gebührʺ (Nr. 4142 der Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 Unterabschnitt 5 zum RVG ), die sich – in Abweichung vom allgemeinen strafprozessualen Vergütungssystem nach Pauschalsätzen – nach dem (Gegenstands-)Wert der Einziehung bemisst ( §§ 13 , 49 RVG ), daneben in der Ermäßigung der zusätzlich entstehenden Gerichtsgebühr von pauschal 70 € (Teil 3 Hauptabschnitt 4 Vorbemerkung 3.4 Abs. 1 Satz 2 Abschnitt 4 Nr. 3440 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ).

aa) Diese beiden „Zusatzgebühren“ lassen sich ohne Weiteres von den sonstigen Rechtsmittelkosten, die die Angeklagten zu tragen haben, weil sie bezüglich des Schuld- und Strafausspruchs erfolglos geblieben sind ( § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO ), trennen (vgl. zu ʺverteilungsfähigen Einzelpostenʺ: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 473 Rn. 28; SK-StPO/Degener, 5. Aufl., § 473 Rn. 48; MüKoStPO/Maier, § 473 Rn. 176).

bb) Nach dem im strafrechtlichen Kostenrecht geltenden Veranlassungsprinzip werden die Verfahrenskosten in wertender Betrachtung grundsätzlich dem Verurteilten auferlegt, weil er mit seiner Tat das kostenverursachende Verfahren notwendig gemacht hat ( BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2006 – 2 BvR 1392/02 , BVerfGK 8, 285, 292 ff.). Eine teilweise Entlastung insbesondere von der zusätzlichen (Wahlverteidiger-)Gebühr nach der vorstehend genannten Nr. 4142 VV RVG ist hier nach ʺBilligkeitʺ aufgrund der gegenstandswertgebundenen Höhe der Vergütung (vgl. die Werttabelle zu § 13 RVG ) geboten. Denn der staatliche Einziehungsanspruch ( § 73 Abs. 1 , § 73c Satz 1 StGB ) war bei zutreffender rechtlicher Wertung von vornherein auf die Abschöpfung der Wertsteigerung beschränkt; in diesem Sinne haben die Angeklagten die weitergehenden Zusatzgebühren gemessen an dem höheren Gegenstandswert nicht veranlasst.

b) Diese Maßstäbe gelten auch für die in der ersten Instanz entstandenen zusätzlichen Verteidigergebühren, die am Einziehungsumfang zu bemessen sind; dieser ergibt sich seinerseits aus dem Akteninhalt, insbesondere der Anklage.

aa) Da der Senat bezüglich der Einziehungsanordnungen in der Sache selbst entscheidet, ist ihm insoweit – nicht anders als etwa bei einem Teilfreispruch ( § 354 Abs. 1 , § 467 Abs. 1 StPO ) – die Entscheidung über die zugehörigen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen der Beteiligten zugewiesen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1972 – 2 StR 29/72 , BGHSt 25, 77, 79 ).

bb) In diesem Fall hält es der Senat für geboten, nach der Vorschrift des § 465 Abs. 2 Satz 3 StPO über die zusätzlichen Gegenstandswertgebühren gesondert zu befinden (vgl. zu § 465 Abs. 2 Satz 2 StPO und einem gegenüber dem Anklagevorwurf gravierend milderen Schuldspruch: BGH, Beschlüsse vom 9. Oktober 2012 – 5 StR 441/12 Rn. 4, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Zurückverweisung 1 ; vom 2. Juni 2005 – 4 StR 177/05 Rn. 4 und vom 12. Februar 1998 – 1 StR 777/97 Rn. 3, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 4 ; zu einem – nach Aufhebung und Zurückverweisung – erheblich reduziertem Schuldumfang: BGH, Beschluss vom 21. September 1988 – 3 StR 349/88 Rn. 4, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 1 ). Eine gesonderte Auslagenentscheidung kann auch als Folge einer Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in Betracht kommen ( BGH, Beschlüsse vom 17. März 1992 – 4 StR 34/92 Rn. 2 und vom 11. Juni 1991 – 1 StR 267/91 Rn. 10, BGHR StPO § 465 Abs. 2 Billigkeit 3 zu Sachverständigenkosten; vgl. auch § 421 Abs. 1 Nrn. 1, 2 StPO ). Für die mit § 473 Abs. 4 StPO gleichlaufende Billigkeitsentscheidung sind folgende Erwägungen zu beachten:

(1) Die Tatgerichte sollen im Sinne der ʺWirtschaftlichkeit des Verfahrensʺ zügig über die Schuld- und Straffrage entscheiden; damit sie sich auf diese Hauptsache konzentrieren können, soll ihnen im Rahmen der bloßen Nebenentscheidung keine eigene Pflicht zur eingehenden Untersuchung der Auslagenfrage aufgebürdet werden ( BGH, Beschluss vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 112-114). Deswegen ist die Vorschrift des § 465 Abs. 2 StPO , mit deren Hilfe die Strafgerichte die umfassende Kostentragungspflicht der verurteilten Angeklagten abmildern können, um zu gerechten Kostenergebnissen zu gelangen, als Billigkeitsregelung ausgestaltet. Zudem ist stets zu beachten, dass die Täter durch ihre Straftaten die Strafverfolgungsmaßnahmen veranlasst haben. Der Staat ist im Strafprozess nicht als teilweise unterlegen anzusehen, wenn sich die Anklagevorwürfe nicht in vollem Umfang erweisen lassen ( BGH, Beschluss vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 118 f. ).

(2) Die zusätzlichen Gebühren lassen sich auch für die erste Instanz dem Grund nach leicht ausscheiden und der Höhe nach einfach berechnen (vgl. LR/StPO-Hilger, 26. Aufl., § 465 Rn. 24; SSW-StPO/Steinberger-Fraunhofer, 4. Aufl., § 465 Rn. 9; siehe auch BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 1973 – 3 StR 21/72 , BGHSt 25, 109, 112 f., 116 und vom 23. September 1981 – 3 StR 341/81 Rn. 3).

c) Gesonderte Gerichtsgebühren fallen für die Einziehung im ersten Rechtszug nicht an (vgl. Teil 3 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG ); auch sind insoweit keine gerichtlichen Auslagen aus Billigkeitsgründen auszuscheiden. Insbesondere die Auslagen für den Sachverständigen waren bereits für den Schuld- und Strafausspruch relevant, die sich nicht betrags- und damit nicht quotenmäßig zur Einziehung in Beziehung setzen lassen. Regelmäßig werden sich Schuld- und Einziehungsumfang decken und sich daher die einzelnen Untersuchungen auf beide zugleich erstrecken.“

Interessante Entscheidung. Da kann es um ganz schöne Beträge gehen.

Rücknahme des Strafantrags, oder: Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung?

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Und als zweite Entscheidung stelle ich heute den LG Kaiserslautern, Beschl. v. 12.04.2021 – 5 Qs 23/21 – vor. Keine gebührenrechtliche, sondern eine kostenrechtliche Entscheidung. Das LG nimmt nämlich Stellung zur Kostenentscheidung nach Rücknahme eines Strafantrags. Wird ein Strafantrag zurückgenommen, kann, was nicht selten übersehen wird, das „dicke Ende“ für den Antragsteller hinterher kommen. Es droht ihm nämlich die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten des Verfahrens nach § 470 StPO.

So auch hier. Die Zeugin hatte am 25.11.2019 Strafanzeige gegen ihren Ehemann wegen einer Körperverletzungshandlung erstattet, welche sich im Juni 2019 zugetragen haben sollte, und stellte einen entsprechenden Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlung auf und bejahte ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Sie beantragte am 12.ü2.2020 den Erlass eines Strafbefehls gegen den Ehemann beim AG. Das AG erließ den Strafbefehl am 19.2.2020 und stellte ihn dem Angeklagten zu. Nachdem der vertreten durch seinen Wahlverteidiger fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, bestimmte das AG einen Termin zur Hauptverhandlung für den 22.6.2020 und lud die Ehefrau als Zeugin.

In der Hauptverhandlung wurde die Ehefrau als Zeugin vernommen. Sie hat von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Zudem erklärte sie, dass sie ihren Strafantrag zurücknehme. Nachdem sie unvereidigt entlassen worden war, erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht mehr bejaht werde, und beantragte eine Verfahrenseinstellung nach § 260 Abs. 3 StPO sowie eine Auferlegung der Verfahrenskosten auf die Zeugin. Den Anträgen schloss sich der Verteidiger des Ehemanns an. Das AG hat das Verfahren durch Urteil eingestellt und der Zeugin die Kosten auferlegt. Es wurde Rechtsmittelverzicht erklärt.

Der Verteidiger des Ehemannes hat dann die Festsetzung der Kosten gegen die Zeugin beantragt. Die Zeugin hat am 09.03.2021 vertreten durch einen Rechtsanwalt sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des AG vom 22.06.2020 eingelegt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„Die zulässige sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die sofortige Beschwerde ist zunächst das statthafte Rechtsmittel. Gemäß § 464 Abs. 3 S. 1, 1. HS StPO kann gegen eine Kostenentscheidung die sofortige Beschwerde eingelegt werden. Die Ausnahmeregelung des § 464 Abs. 3 S. 1, 2. HS StPO, wonach dies nicht gilt, wenn die Hauptsacheentscheidung, im Rahmen derer die Kostenentscheidung getroffen worden ist, nicht vom Antragsteller angefochten werden kann, findet hingegen keine Anwendung. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die vorliegende Kostenentscheidung nach § 470 StPO im Urteil zur Hauptsache getroffen worden ist. Gegen das Urteil stünde der Beschwerdeführerin als Strafantragstellerin nach § 300 StPO kein Rechtsmittel zu. Für diese Konstellation wird von der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur vertreten, dass die Kostenentscheidung unanfechtbar sein soll (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 23.02.2012 – 2 Ws 80/11, BeckRS 2021, 9698; OLG Düsseldorf NStZ 2014, 424; OLG Rostock, Beschluss vom 14.08.2017 – 20 Ws 226/17, juris; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 470 Rn. 4). Die Kammer schließt sich hingegen der Auffassung an, nach der die Kostenentscheidung gleichwohl angreifbar ist, da sie aufgrund der Sonderstellung des § 470 StPO eine isolierte Entscheidung darstellt (MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl., § 470 Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 470 Rn. 8).

Zunächst spricht für diese Bewertung der Umkehrschluss aus den Regelungen der § 467a Abs. 3 und § 469 Abs. 3 StPO. Nach § 467a Abs. 1 StPO trägt die Staatskasse auf entsprechenden Antrag die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten, wenn die Staatsanwaltschaft die öffentliche Klage nach Erhebung zurücknimmt und das Verfahren einstellt. Ein so ergangener Beschluss ist ausdrücklich gemäß § 467a Abs. 3 StPO nicht anfechtbar. Gleiches gilt für eine Entscheidung gemäß § 469 Abs. 1 StPO, wonach dem Anzeigenerstatter, der durch eine unwahre Anzeige leichtfertig oder vorsätzlich die Aufnahme eines Strafverfahrens veranlasst, die Kosten hierfür aufzuerlegen sind. Auch hier wird in Abs. 3 der Norm eine Anfechtbarkeit ausdrücklich verneint (vgl. MüKoStPO/Grommes, 1. Aufl., § 469 Rn. 16). Ein ausdrückliches Anfechtungsverbot findet sich bei § 470 StPO, wonach sich die Kostentragungspflicht alleine aus der Rücknahme des Antrags ergibt und mithin im Hinblick auf den Anlass der Verfahrenseinstellung indifferent ist, gerade nicht, sodass eine gesetzgeberisch gewünschte Gleichstellung mit den Normadressaten der § 467a Abs. 1 und § 469 Abs. 1 StPO nicht anzunehmen ist.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem systematischen Vergleich zu den Nebenklagerechten (§ 400 StPO, vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 470 Rn. 4). Nach der wohl überwiegenden und zutreffenden Ansicht, handelt es sich bei der Vorschrift des § 400 Abs. 1 StPO lediglich um einen gesetzlich geregelten, generellen Ausschluss der Beschwer des Nebenklägers, der die Statthaftigkeit des Rechtsmittels gegen die Hauptentscheidung ebenso wenig wie eine mangelnde Beschwer im Einzelfall beseitigt und damit die Zulässigkeit der Kostenbeschwerde nicht berührt (OLG Köln NStZ-RR 2009, 126; OLG Hamm NStZ-RR 2006, 95 f.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2004, 120 f.; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 400 Rn. 1).

Auch gebieten die dogmatischen Bedenken, die insbesondere das OLG Hamburg in seinem Beschluss vom 23.02.2012 gegen eine isolierte Betrachtung der Kostenauferlegung nach § 470 StPO im Rahmen einer Hauptsacheentscheidung vorbringt, keine andere Bewertung. Nach dieser Auffassung bestehe zwischen Haupt- und Nebenentscheidung ein innerer Zusammenhang, der auch nur eine einheitliche Tatsachenbewertung gebiete. Dieser Erwägung ist entgegenzuhalten, dass das beschriebene Risiko zweier divergierender Entscheidungen auch dann besteht, wenn ein Rechtsmittelbefugter nicht die Hauptentscheidung, sondern nur die Kostenregelung angreift. Auch in diesem Fall ist das Beschwerdegericht angehalten, wegen § 464 Abs. 3 S. 2 StPO bei unzureichenden Feststellungen die Entscheidung zurückzuverweisen (BGH, Beschluss vom 04.12.1974 – 3 StR 298/74, NJW 1975, 699, 700; KK-StPO/Gieg, 8. Aufl., § 464 Rn. 11; Dölling/Duttge/König/Rössner/Meier, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., StPO § 464 Rn. 17). Wenn das Erstgericht in diesem Fall eine Unwirksamkeit der Antragsrücknahme feststellen würde, blieben die Feststellungen der nunmehr widersprüchlichen, aber rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung ebenfalls unberührt.

Eine Unanfechtbarkeit der Kostenentscheidung nach § 470 StPO wäre schließlich in der hier vorliegenden Konstellation nicht mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar, da dem Strafantragsteller so die einzige Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung, die ihn erheblich belastet, genommen werden würde. Eine solche Möglichkeit muss insbesondere dann gegeben sein, wenn der Strafantragsteller – wie hier – nicht zuvor angehört und über die Kostenfolgen seiner Antragsrücknahme belehrt worden ist (vgl. zur Unbilligkeit der Kostenauferlegung bei Verfahrensfehlern OLG Koblenz, Beschluss v. 22.12.2004 – 2 Ss 312/05, juris).

2. Die Beschwerde wurde fristgemäß eingelegt. Da die Beschwerdeführerin ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht anwesend war bei der Urteilsverkündung, wurde ihr die Entscheidung nicht bekannt gemacht nach § 35 Abs. 1 StPO. Daher begann der Fristlauf zur sofortigen Beschwerde frühestens mit Akteneinsichtnahme durch ihren Verteidiger, wobei dahingestellt sein kann, ob hierin eine Zustellung nach § 35 Abs. 2 StPO zu erblicken ist.

3. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, da die Anforderungen nach § 470 S. 1 StPO nicht vorlagen und somit die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Herrn H. nicht der Beschwerdeführerin hätten auferlegt werden dürfen. Eine Kostentragungspflicht des § 470 S. 1 StPO setzt voraus, dass das Verfahren durch den Strafantrag bedingt war und wegen dessen Zurücknahme eingestellt werden muss.

Hierfür hätte der Strafantrag zunächst wirksam gestellt werden müssen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 470 Rn. 2). Die Beschwerdeführerin hatte am 25.11.2019 den Strafantrag für eine Körperverletzungshandlung gestellt, die sich bereits im Juni 2019 zugetragen haben soll. Somit war die dreimonatige Strafantragsfrist aus § 77b StGB nicht gewahrt.

Das Verfahren war mithin nicht bedingt durch den Strafantrag der Beschwerdeführerin, sondern ausschließlich durch die Bejahung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach § 230 StGB. Ein solches Strafverfolgungsinteresse liegt in der Regel vor, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus in besonderer Weise gestört und die Strafverfolgung ein erheblich gesteigertes, gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. (vgl. Nr. 86 Abs. 2 S. 1 RiStBV MüKoStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 230 Rn. 25). Es besteht folglich unabhängig von dem eigenen Verfolgungsinteresse des Verletzten oder seinem Aussageverhalten in der Hauptverhandlung.

Mithin entstand des Verfahrenshindernisses erst mit der Verneinung des besonderen öffentlichen Interesses, sodass die Kostenregelung zulasten der Staatskasse nach § 467 Abs. 1 StPO hätte ergehen müssen.“

Versterben des Angeklagten während des Revisionsverfahrens, oder: Auslagenentscheidung

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Heute am Gebührentag zwei BGH-Entscheidungen in den Fällen der Einstellung des Verfahrens im Revisiosnverfahren  in den Fällen, in denen der Angeklagte während des Revisionsverfahrens verstorben ist, und zwar den BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 2 StR 319/19 – und den BGH, Beschl. v. 25.08.2020 – 6 StR 124/20.

Kurz gefasst macht der BGH/das Revisionsgericht Folgendes: Das Verfahren wird nach § 206a StPO eingestellt. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 467 StPO. Danach werden die die notwendigen Auslagen des Angeklagten aber der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Rechtsmittel es Angeklagten keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Genauer nachzulesen hier im BGH, Beschl. v. 21.07.2020 – 2 StR 319/19:

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Während des Verfahrens über die Revision des Angeklagten ist dieser am 28. Oktober 2019 verstorben.

Das Verfahren ist gemäß § 206a StPO einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108, 110 ff.). Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos, ohne dass es einer Aufhebung bedarf.

Die Kostenentscheidung richtet sich im Fall des Todes des Angeklagten nach den Grundsätzen, die bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind. Deshalb fallen die Auslagen der Staatskasse dieser gemäß § 467 Abs. 1 StPO zur Last. Jedoch wird nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, weil er nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt wird, da mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160; Beschluss vom 18. Oktober 2017 – 3 StR 342/15). Da das Rechtsmittel des Angeklagten aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 13. September 2019 genannten Gründen keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wäre es unbillig, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2014 – 2 StR 248/14).“