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Widerruf von Strafaussetzung trotz Bewährungsstrafe?

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Zwei feststehende/klassische (Grund)Aussagen des Rechts der Strafaussetzung zur Bewährung und des Widerrufs (§ 56f StGB) behandelt der KG, Beschl. v. 14.02.2014 – 2 Ws 60-61/14, nämlich die Frage der Zulässigkeit des Bewährungswiderrufs trotz positiver Prognose des letzten Tatrichters und die Frage nach der Frist für Bewährungswiderruf. Dazu zunächst die Leitsätze:

1. Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf der Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem aufgrund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen, erfährt dann eine Einschränkung, wenn dessen Prognoseentscheidung nicht durch Tatsachen belegt ist.

2. Der Ablauf der Bewährungszeit hindert den Widerruf nur dann, wenn der Verurteilte damit nicht mehr zu rechnen brauchte.

Und dazu das KG im Beschluss dann im Einzelnen:

Zu Leitsatz 1:

c) Der Grundsatz, dass sich das für den Widerruf einer Strafaussetzung zuständige Gericht der zeitnahen Prognose eines Tatrichters anschließen soll, weil diesem aufgrund der Hauptverhandlung bessere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Oktober 2013 – 2 Ws 498/13 – und vom 12. April 2010 – 2 Ws 175/10 – mit weit. Nachweisen), steht einem Widerruf vorliegend nicht entgegen. Denn dieser Grundsatz gilt nur dann, wenn dessen Prognose durch neue Tatsachen nachvollziehbar belegt ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Juni 2003 – 5 Ws 263/03 – und 21. Mai 2003 – 5 Ws 177/03 – mit weit. Nachweisen).

Daran fehlt es hier. Die Bewährungsentscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten überzeugen nicht. Dass ihr keineswegs – wie im Urteil vom 3. März 2009 ausgeführt – (jedenfalls ohne bleibenden Erfolg) eindringlich vor Augen geführt wurde, welche Konsequenzen bei weiteren Straftaten drohen, ergibt sich bereits daraus, dass sie bereits kurze Zeit später wieder straffällig wurde. Auch die dort angeführte Ausbildung hinderte ihr kriminelles Tun nicht. Angesichts des Werdeganges der Verurteilten, die im Jahre 2011 auch den Kontakt zu ihrem Bewährungshelfer abgebrochen hat, ist die erneute Bewährungsentscheidung des Amtsgerichts vom 6. September 2013 schlicht nicht nachvollziehbar. Aufgrund der festgestellten Mängel in den Begründungen der Prognoseentscheidungen stehen die beiden jüngsten Bewährungsentscheidungen dem Widerruf nicht entgegen.

 Zu Leitsatz 2:

2. Eine Frist innerhalb der der Widerruf erfolgen muss, sieht das Gesetz nicht vor, insbesondere  § 56g Abs. 2 Satz 2 StGB ist nicht entsprechend anwendbar (vgl. OLG Hamm NStZ 1998, 478, 479; Senat NJW 2003, 2468, 2469). Grundsätzlich hindert  der Ablauf der Bewährungszeit den Widerruf nicht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verurteilte mit dem Widerruf nicht mehr zu rechnen brauchte (vgl. BGH NStZ 1998, 586; OLG Hamm a.a.O.; OLG Zweibrücken NStZ 1988, 501; Senat, Beschluss vom 15. August 2001 – 5 Ws 437/01 –). Der dafür maßgebliche Zeitpunkt lässt sich nicht allgemein festlegen; es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei ist nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das Kriterium (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Februar 1996 – 5 Ws 471/95 –). Maßgebend ist, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte,   oder ob das Verfahren ohne einen solchen ungebührlich verzögert wurde. Die Vertrauensbildung ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein sich entwickelnder Prozess, in dessen Verlauf der Verurteilte auch die Bearbeitungszeiten bei den Gerichten und der Staatsanwaltschaft berücksichtigen muss(vgl. Senat, Beschluss vom 31. Januar 1996 – 5 Ws 7/96 –).“

Umkehrung von: „Wie du mir, so ich dir“, aber auch: Bewusste Falsch-/Fehlmessung?

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Oft kommt es in der Verteidigung auf Kleinigkeiten an. Das macht mal wieder das AG Alsfeld, Urt. v. 10.02.2014 – 4 OWi-805 Js32700/13 – deutlich. Es behandelt sicherlich keinen alltäglich Fall, zeigt aber sehr schön, worauf man als Verteidiger achten muss/sollte und verdeutlicht damit m.E. auch noch einmal die Bedeutung des Einsichtsrecht des Verteidigers in alle Unterlagen, die eine Messung und ein Messgerät betreffen.

Was ist/war passiert? Dem Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen, die er am 31.01.2013 begangen haben sollte. Das bei der Messung verwendete Messgerät war am Dienstag, den 22. 1. 2013, zur Reparatur gebracht worden und wurde am gleichen Tag wieder repariert mitgenommen. Bei der Reparatur wurden eichrelevante Öffnungen vorgenommen. Am Montag, den 28.01.2013, wurde durch den Verantwortlichen bei der Polizei die Neueichung beantragt. Kurze Zeit später erhielt er die Mitteilung, dass der zuständige Eichbeamte erkrankt war. Am 19.03.2013, also rund 7 Wochen später, erfolgte eine Nachfrage. Auf diese wurde mitgeteilt, dass der Mitarbeiter immer noch erkrankt sei. Schließlich wurde das Gerät am 09.04.2013 in einem anderen Bundesland geeicht.

Das AG hat den Betroffenen frei gesprochen. Es hat die Messung als

„unwirksam [angesehen], weil sie mit einem ungeeichten Messgerät durchgeführt wurde.

Gemäß § 13 EichO erlischt die Eichung vorzeitig, wenn wie hier (infolge von Reparaturen) Hauptstempel, Sicherungsstempel oder Kennzeichnungen entfernt werden mussten. Nach Abs. 2 gilt dies allerdings dann nicht, wenn die erneute Eichung „unverzüglich“ beantragt wurde.

Vorliegend liegen zwischen Reparatur und Eichantrag 6 Tage, dies kann nicht mehr als unverzüglich angesehen werden. „Unverzüglich“ ist nach allgemeiner Definition ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist der Maßstab, der an eine „Unverzüglichkeit“ zu stellen ist von der Art der verlangten Handlung (wie z. B. entsprechenden Vorbereitungen, Abläufen etc) abhängig. Nach Auffassung des Gerichts ist für den vorliegenden Fall allerdings ein ebenso strenger Maßstab zu stellen, wie an die Verkehrsteilnehmer selbst oder an (wenn auch an anderer Stelle) an staatliche Stellen. Der Autofahrer hat nach ständiger Rechtsprechung zu § 142 StGB kaum 24 Stunden Zeit, einen Unfall zu melden, sofern er die Unfallstelle erlaubterweise verlassen hat. Auch die Vorführung einer Person, die aufgrund eines Haftbefehls ergriffen wurde, vor dem Haftrichter hat „unverzüglich“ zu erfolgen, wobei dies spätestens am Tage nach der Ergreifung stattzufinden hat. Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der Tatsache, dass die Stellung des Antrags auf Neueichung – und nur darauf kommt es bei § 13 Abs. 2 EichO an – kein sonderlich schwerer bzw. komplizierter Vorgang ist, der einer besonderen Vorbereitung o. ä. bedürfte, ist vorliegend der Ablauf von fast 1 Woche nicht mehr als unverzüglich anzusehen.

Also Umkehrung des Beschlusses: Wie du mir, so ich dir. Will heißen: Wenn ich als Staat usw. an anderer Stelle kurze Fristen vorgeben, dann muss ich die ggf. auch für mich selbst gelten lassen. Wenn man das AG-Urteil richtig versteht, bedeutet das: „Unverzüglich“ i.S. von 13 Abs. 2 EichO bedeutet, dass der Antrag spätestens in zwei Tagen gestellt sein muss.

Offen gelassen hat das AG eine weitere interessante Frage, nämlich die, ob dem Sinn des Gesetzes damit genüge getan wurde, dass zwar ein Neueichungsantrag gestellt wurde, in Kenntnis der Tatsache, dass keine Eichung erfolgen kann, dennoch gemessen wurde und sich erst nach fast 2 Monaten darum gekümmert wurde, dass nun auch tatsächlich neugeeicht wurde.“ Im Grunde genommen haben wir es also mit einer bewussten Falsch/Fehlmessung zu tun, oder?

 

Vorsitzender/BE krank? Na und, dann muss eben ein anderer Richter (unter)schreiben

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M.E. häufen sich in der letzten Zeit Verstöße gegen § 275 StPO, der die Urteilsabsetzungsfristen regelt. Denn ich stoße vermehrt auf BGH-Entscheidungen, in denen die Revisionen Erfolg haben, weil die Urteilsabsetzungsfrist überschritten worden ist und dafür nicht ausreichende Gründe vorliegen. So auch im BGH, Beschl. v. 18.12.2013 – 4 StR 390/13. Der Vorsitzende, der auch Berichterstatter war, ist nach Urteilsverkündung erkrankt. Deshalb kommt das Urteil verspätet zur Akte. Der BGH moniert das und die Verfahrensweise der Kammer:

„Ein solcher Umstand ist nicht etwa in der noch bei Eingang der Revisionsbegründung am 17. Juli 2013 andauernden Erkrankung des Vorsitzenden, der zugleich der Berichterstatter war, zu sehen. Der Vermerk der beisitzenden Richterin S. vom 13. Februar 2013 führt hierzu u.a. Folgen- des aus:

„Der Vorsitzende Richter am Landgericht K. wurde am 31.01.2013 aufgrund einer nicht vorhersehbaren schweren Erkrankung stationär im Krankenhaus aufgenommen. Nunmehr wurde bekannt, dass seine Erkrankung voraussichtlich einen längerfristigen Aufenthalt im Krankenhaus erfordert. …“

Auf diese Feststellung am Tag vor Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist durften sich die beisitzenden Richter nicht beschränken. Alle berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers sind für die Einhaltung der Frist nach § 275 Abs. 1 StPO verantwortlich. Beim Ausfall des Berichterstatters muss deshalb notfalls ein anderer erkennender Berufsrichter das Urteil abfassen, sofern ihm dies möglich und zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1975 – 1 StR 701/75, BGHSt 26, 247, 249; Beschlüsse vom 9. August 1988 – 5 StR 295/88, BGHR StPO § 338 Nr. 7 Fristüberschreitung 1, vom 27. April 1999 – 4 StR 141/99, NStZ 1999, 474, und vom 9. Dezember 2010 – 5 StR 485/10, StV 2011, 211). Gründe dafür, dass es den Beisitzern unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, innerhalb der verbleibenden Urteilsabset-zungsfrist von zwei Wochen das nicht sonderlich umfangreiche und schwierige Urteil selbst abzufassen, sind nicht ersichtlich. Der Senat vermag insbesondere den von der Revision mitgeteilten Vermerken der Richterin am Amtsgericht S. vom 13. Februar, 8. Mai und 4. Juni 2013 einen die Fristüberschreitung rechtfertigenden Grund nicht zu entnehmen: Der Umstand, dass bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist nicht geklärt worden ist, ob und in welchem Umfang Vorsitzender Richter am Landgericht K. bereits einen Urteilsentwurf gefertigt hatte, ist hierzu von vornherein ungeeignet. Die Stellungnahmen enthalten sich auch jeder Begründung dafür, dass die Abfassung des Urteils ohne Einsicht in Mitschriften des erkrankten Vorsitzenden nicht möglich gewesen sein sollte; das ist nach Sachlage auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2008 – 2 StR 492/07, BGHR StPO § 275 Abs. 1 Satz 4 Umstand 6). Sonach hat das Revisionsgericht davon auszugehen, dass Umstände, die eine Fristüberschrei-tung rechtfertigen könnten, fehlen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. August 1988 und vom 27. April 1999, jew. aaO).“

Ich denke, den BGH wird vor allem auch gestört haben, dass die Beisitzer „das nicht sonderlich umfangreiche und schwierige Urteil“ nicht selbst abgefasst haben.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft…

VorsRiOLG: „Bin überlastet – schaffe 27 Seiten lesen in drei Tagen nicht…“

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Das Zusammenspiel von § 275 Abs. 1 StPO und § 338 Nr. 7 StPO hat schon mancher Revision zum Erfolg verholfen. So vor kurzem auch einer gegen ein Urteil des LG Erfurt. Das Urteil war dort nach sieben Hauptverhandlungstagen am 13.12.2012 verkündet worden. Die siebenwöchige Urteilsabsetzungsfrist lief am 31.01.2013 ab. Bis dahin war das Urteil des LG aber nicht vollständig bei der Geschäftsstelle eingegangen. Unterzeichnet war es nämlich nur von dem beisitzenden Richter am LG. Nicht hingegen vom (damaligen) Vorsitzenden Richter am LG. Dazu gab es einen Vermerk: „Vorsitzender Richter am Landgericht wurde zum Vorsitzenden Richter am Thüringer Oberlandesgericht in Jena ernannt. Auf telefonische Nachfrage am 29. Januar 2013 teilte er mit, dass er aufgrund der Arbeitsbelastung im Senat unabkömmlich und zeitlich nicht in der Lage ist, das hiesige Urteil noch vor Fristablauf zu unterzeichnen.“ Der hatte allerdings vorab einen Urteilsentwurf bekommen und hatte am 24.01.2013 Änderungswünsche mit dem Beisitzer besprochen. Diese hatte der danach eingearbeitet und am 29. 01.2013 den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht in Jena angerufen und gefragt, ob er das Urteil nochmals lesen und unterschreiben wolle. Der Vorsitzende hatte darauf wie aus dem Verhinderungsvermerk ersichtlich geantwortet. In seiner dienstlichen Erklärung vom 14.03,2013 hatte er dann noch ausgeführt, dass ungeachtet der dienstlich begründeten Ortsabwesenheit die hohe Belastung im Strafsenat in Jena – u.a. mit einem überdurchschnittlichen Anfall von Haftbeschwerden und Haftprüfungen – keinen Raum für eine rechtzeitige Lektüre und Unterzeichnung des nochmals überarbeiteten schriftlichen Originalurteils gelassen habe.

Das Ganze schmeckt dem BGH nicht, wie man dem BGH, Beschl. v. 26.09.2013 – 2 StR 271/13 – m.E. deutlich anmerkt. Denn er führt aus:

„Die Unterzeichnung eines Strafurteils ist ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358), dessen Vornahme nur ausnahmsweise wegen anderer Dienstgeschäfte zurückzustehen hat. …..

Legt man dies zugrunde, ist vorliegend nicht hinreichend dargetan, dass es dem Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht nicht möglich gewesen sein soll, die Urteilsgründe zu lesen und zu unterzeichnen. Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht – wie hier die Versetzung an das Thüringer Oberlandesgericht – im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 2 StR 331/10, NStZ 2011, 358 mwN). Auch kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften grundsätzlich einen Verhinderungsgrund darstellen (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., 2013 § 275 Rn. 22 mwN). Jedoch hatte das Urteil hier mit 27 Seiten einen überschaubaren Umfang. Einen Urteilsentwurf hatte der versetzte Richter bereits mit dem Berichterstatter durchgesprochen, sodass eine erneute Prüfung der Urteilsgründe nur einen begrenzten Umfang haben konnte. Auch ist nicht ersichtlich, dass eine Übermittlung des fertiggestellten Urteils und seine Unterzeichnung nach Durchsicht nicht auf anderem Wege hätte durchgeführt werden können. Vor allem aber ist der Verhinderungsgrund nicht hinreichend dargelegt. Dass der Vermerk von Richter am Landgericht auf der Urteilsurkunde aus Gründen der Praktikabilität notwendigerweise allgemein gehalten ist, ist an sich rechtlich nicht zu beanstanden. Da die Revision jedoch ausdrücklich geltend macht, dass die vermerkte Verhinderung auf willkürlichen, sachfremden Erwägungen beruht, hätte es näherer Darlegung in der dienstlichen Erklärung von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht bedurft, auf welchen Um-ständen die geltend gemachte Überlastung mit anderweitigen Dienstgeschäften beruht (vgl. BGHSt 31, 212). Insoweit ist die allgemein auf einen überdurchschnittlichen Anfall mit Haftsachen gestützte Erklärung nicht hinreichend substantiiert, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen, ob bei der Annahme der Verhinderung dem nach der gesetzlichen Regelung in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO erforderlichen Gewicht der persönlichen Unterschriftsleistung aus-reichend Rechnung getragen wurde.

Unabhängig von der Kritik des BGH am Inhalt des Verhinderungsverermerks, der in der Tat inhaltsleer ist – „aufgrund von Arbeitsbelastung unabkömmlich“ – ist alles und nicht: Will der zum VorsRiOLG beförderte ehemalige VorEiLG wirklich ernsthaft behaupten, dass er so überlastet war, dass er keine Zeit hatte bzw. finden konnte, innerhalb von drei Tagen: 29.01., 30.01., 31.01.2012, 27 Seiten, die bereits gelesen waren und in die Änderungdwünsche schon eingearbeitet waren, noch einmal zu lesen. Da muss es aber beim OLG Jena viele Haftsachen, die der beschleunigten Bearbeitung bedurften gegeben haben. So hat das wohl auch der BGH gesehen, wenn er auf den „überschaubaren Umfang“ des Urteils hinweis. In der Tat: sehr überschaubar, wenn man noch berücksichtigt, dass im Zweifel noch mindestens eine Seite des Urteils für Rubrum und Tenor wegfallen. Dann bleiben knapp 26 Seiten Text!Der VorsRiOLG sollte sich vielleicht auch mal überlegen, was man anderen Verfahrensbeteiligten zumutet, wenn man ihnen „Akteneinsicht für drei Tage“ gewährt und dann ein „Gürteltier“ von mehreren hundert Seiten schickt. Das soll alles machbar sein, aber 27 Seiten in drei Tagen schafft man nicht 🙁

Warum ist ein unterschriebenes Urteil „für mehrere Wochen nicht bei den Akten?“

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Manchmal ist es vielleicht für die Verfahrensbeteiligten ganz gut, wenn der BGH Fragen nicht entscheidet und sie offen lässt. In dem Zusammenhang fragt man sich dann manchmal allerdings auch, warum sie dann in der Revisionsentscheidung angesprochen werden. Dafür kann es verschiedene Gründe geben: Sei es, dass der BGH eine zukünftige Rechtsprechungsänderung andeuten und vielleicht vorbereiten will, sei es, dass er die angesprochene (Streit)Frage bewusst nicht entscheiden will, sei es aber auch, dass er das Instanzgericht auf eine von ihm missbilligte Verfahrensweise hinweisen und damit erreichen will, dass man in Zukunft anders verfährt. Letzteres dürfte in meinen Augen Grund für den 5. Strafsenat des BGH gewesen sein, im BGH, Beschl. v. 24.10.2013 – 5 StR 333/13 – die Frage eines Verstoßes gegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht zu entscheiden, sondern offen zu lassen und das Urteil wegen eines Verstoßes gegen § 229 Abs. 1 und 2 StPO aufzuheben.

Denn: Ganz „sauber“ war die Verfahrensweise, die die Kammer beim LG Potsdam da zur Absetzung und zum Unterschreiben des Urteils angewendete hatte, nicht. M.E. merkt man dem BGH-Beschluss, deutlich das Unbehagen über die Verfahrensweise der Kammer an:

1. Eine Entscheidung über die auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO gestützte Rüge, das Urteil sei entgegen § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht rechtzeitig zu den Akten gebracht worden, ist dem Senat ohne eine freibeweisliche Klärung des Sachverhalts nicht möglich. Sollten die in der Urteilsurkunde vorgenommenen handschriftlichen Änderungen tatsächlich, wie von der Revision behauptet, nach Fristablauf vorgenommen worden sein, wäre das Urteil nicht als rechtzeitig zu den Akten gelangt anzusehen. Denn bei einer Urteilsfassung, die nach dem Willen der Richter noch durchgesehen und korrigiert werden soll, handelt es sich auch dann, wenn sie bereits von allen Richtern unterschrieben ist, nicht um das endgültige Urteil, sondern nur um einen Entwurf (BGH, Beschluss vom 3. November 1992 – 5 StR 565/92, BGHR StPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Urteilsurkunde 1). Ob das hier der Fall war, vermag der Senat aufgrund des Akteninhalts und der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden indes nicht abschließend zu beurteilen. Es hätte namentlich einer näheren Klärung bedurft, warum sich das unterschriebene und gemäß § 275 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht mehr abänderbare Urteil einem Vermerk der Geschäftsstellenmitarbeiterin zufolge nach dem Eingang auf der Geschäftsstelle am letzten Tag der Frist für mehrere Wochen nicht bei den Akten, sondern bei den Richtern befand. Zudem gäben die vom Beschwerdeführer behaupteten zahlreichen Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung, die ihrerseits offenbar nicht mit den handschriftlichen Änderungen der Urschrift in Zusammenhang stehen, Anlass zu weitergehender Aufklärung durch den Senat.

Der Senat sieht jedoch von weiteren freibeweislichen Erhebungen ab. Denn auf einen möglichen Revisionsgrund nach § 338 Nr. 7 StPO kommt es im Ergebnis nicht an.“

Nun ja, noch nicht ganz, aber das BGH, Urt. v. 18.07.2013 – 4 StR 84/13).und dazu: Rechtsbeugung: Heimliche “Nachbearbeitung” der Urteilsgründe – Finger weg! lassen grüßen