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Muss der Verteidiger ohne Gebühren arbeiten? – offenbar in dem ein oder anderen Fall wohl: Ja

Es gibt gebühren- bzw. kostenrechtliche Dauerbrenner. Einer davon ist die in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, ob dem Rechtsanwalt Tätigkeiten, die er im Berufung- oder Revisionsverfahren erbracht hat, zu erstatten sind, wenn die Staatsanwaltschaft ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, der Verteidiger aber eben schon für den Angeklagten tätig geworden ist.

Dazu hat das KG vor kurzem erst für das Revisionsverfahren Stellung genommen (RVGreport 2010, 351 = JurBüro 2010, 599 = VRR 2010, 479). Seine dort geäußerte ablehnende Auffassung überträgt es im KG, Beschl. v.  19.05.2011 – 1 Ws 168/10 nun auf das Berufungsverfahren mit den im Wesentlichen gleichen Argumenten. Dazu will ich hier aber gar nicht näher Stellung nehmen, sondern verweise insoweit einfach auf meine Ausführungen in RVGreport 2010, 351 = VRR 20101, 479).

Erwähnens-/Berichtenswert ist der Beschluss des KG m.E. aus folgendem Grund: Das KG führt u.a. auch noch aus:

Ein verständiger und erfahrener Verteidiger, der mit der Rechtslage vertraut ist, wird daher vor dem Eingang der Berufungsrechtfertigung auf voreilige Überlegungen, spekulative Beratungen sowie auf Mutmaßungen über Umfang und Erfolgsaussichten des Rechtsmittels verzichten. Das wird er ohne nennenswerten Zeitaufwand auch dem Angeklagten begreiflich machen können, dem es trotz eines verständlichen Beratungsinteresses zuzumuten ist, vor einer Inanspruchnahme des durch die Allgemeinheit (vor-) finanzierten Verteidigers die Rechtsmittelbegründung abzuwarten.

Wenn man das liest, fragt man sich: Was denn nun? Ist eine Tätigkeit des Rechtsanwalt/Verteidigers erforderlich oder nicht? Die angeführte Passage spricht eher gegen den grundsätzlichen Ansatz des KG, anders ist „wird er ohne nennenswerten Zeitaufwand auch dem Angeklagten begreiflich machen können“ nicht zu verstehen. Muss aber der Verteidiger dem Angeklagten – wenn auch „ohne nennenswerten Zeitaufwand“ – in dem Verfahrensstadium etwas „begreiflich machen“, dann wird der Verteidiger wohl auch nach Auffassung des KG doch für den Angeklagten tätig. Diese Tätigkeit führt aber zum Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG, die dann aber auch, weil notwendig, zu erstatten bzw. festzusetzen ist. Kosten-/Gebührenfreies Arbeiten des Verteidigers sehen StPO und RVG nicht vor.

Auf den Zeitaufwand kommt es im Übrigen beim Pflichtverteidiger wegen des Pauschalcharakters der Gebühr nicht an. Beim Wahlanwalt wird sich der nicht „nennenswerte Zeitaufwand“ in der Gebührenhöhe wiederspiegeln. Alles in allem: Nicht ganz ohne Unebenheiten der Beschluss.

Dolmetscherkosten beim „Pflichti“ und: OLG liest dem Rechtspfleger die Leviten

Beim ausländischen Beschuldigten stellt sich für den beigeordneten Rechtsanwalt immer auch die Frage der Verständigung und der Übersetzung von Aktenbestandteilen, die er kennen muss, um sie mit dem Mandanten besprechen zu können.

So auch in OLG Dresden, Beschl. v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Das OLG sagt: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist – insoweit wohl h.M.

Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber – so das OLG – maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung  an einen Dolmetscher abzustellen. Der Verteidiger hatte nämlich ein Urteil übersetzen lassen, das auch die StA später hatte übersetzen lassen. Das OLG sagt: Sind zu erstatten.

Und: Das OLG liest dem Rechtspfleger, der die Erstattung abgelehnt hatte, die Leviten: Sehr vornehm ausgedrückt heißt das:

„Die Ablehnungsbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand“.

Der Rechtspfleger hatte die Akten wohl nicht richtig gelesen. 🙂

 

Sänk ju vor travelling wis Deutsche Bahn

Andere Ansicht“ berichtet gerade darüber, dass die Hitze bei der Deutschen Bahn zur Evakuierung von Fahrgästen geführt hat.

Da werde ich dann doch schmerzlich an meine Erlebnisse vom vergangenen Freitag mit der DB erinnert, zwar keine Evakuierung, aber:

  • Geplante Abfahrt in Leipzig: 16.51 Uhr. Der ICE nach Berlin kommt mit ca 15 – 20. Minuten Verspätung, aus denen „wegen des hohen Fahrgastaufkommens“ locker ca. 25 werden. Hintergrund: In dem nach Berlin weiterfahrenden Zugteil war in einem Waggon die Klimaanlage ausgefallen :-). Die dort sitzenden Fahrgäste waren umgesetzt worden in einen anderen Zugteil, der jedoch in Leipzig blieb, so dass sie jetzt wieder umziehen mussten (in den Wagen ohne Klimaanlage :-().
  • Dann gemächliche (warum eigentlich bei den Preisen?) Fahrt nach Leipzig, ohne Halt in Wittenberg, aber dafür in Bitterfeld und Dessau (in Dessau die Mitteilung, dass die Austrittsstufen nicht ausgefahren werden können; warum hält man dann da?).
  • Weiterhin langsames Vorkämpfen von Bahnhof zu Bahnhof, Verspätung inzwischen mehr als 60 Minuten, was dazu führt, dass die Erstattungsanträge verteilt werden. Allgemeiner Heiterkeit, als man sieht, dass die etwa 75 cm lang sind. Es lebe die heilige Bürokratia. Von den Toiletten ist etwa jede zweite geschlossen/defekt. Klimaanlage schafft die Hitze nur mühsam.
  • Mitteilung: Wir halten nicht in Südkreuz (eine Mitfahrerin ruft zum 3. Mal ihren inzwischen leicht genervten Ehemann an, um das Abholen umzuorganisieren).
  • Zur allgemeinen Erheiterung trägt der Schaffner vor der Ankunft in Berlin HBF Anschlüsse vor, die bereits mehr als eine Stunde zurückliegen.
  • Mein erster Anschluss in Berlin HBF tief ist weg, mein zweiter Anschluss in HBF hoch wackelt, aber vielleicht bekomme ich ihn noch. Dann nur max. 60 Minuten später in MS. Nein, der DB gelingt es, auch den Anschluss noch zu verpassen :-(, also geht es erst planmäßig um 19.50 Uhr – Richtung Westen.
  • Der ICE kommt aber mit 15 Minuten Verspätung in Berlin HBF an: Folge: Der Anschluss zum Reginalverkehr von Hamm, wo ich umsteigen muss, nach MS, klappt nicht. Da stehen nur 11 Minuten zur Verfügung. Aber: Vielleicht habe ich ja Glück und der Anschlusszug ist – wie immer – fahrplanmäßig zu spät (von der Schaffnerin erfährt man jetzt erstmals den Grund für das Chaos: Acht (!!) Personenschäden, „normal/Tag sind drei; warum sagt man das nicht eher?).
  • In Spandau wartet der ICE 10 Minuten länger als üblich, um den Fahrgästen, die im falschen Zugteil sitzen (einmal Ri Oldenburg, einmal Ri Köln) und die 10-malige Ansage in Berlin HBF nicht gehört oder beachtet haben, die Möglichkeit zum Umsteigen zu geben.
  • In Wolfsburg erhalten wir keine Einfahrt für den fahrplanmäßigen Halt, weil das Gleis noch von dem dort außerplanmäßig haltenden ICE Richtung FFM besetzt ist.
  • Zwischendurch auf dem Weg nach Hamm immer mal wieder Baustellen. Verspätung inzwischen satte 25 Minuten (also nichts mit: Wir holen das wieder raus).
  • Damit ist der Anschluss in Hamm sicher weg und die Wartezeit dort beträgt rund 70 Minuten auf den nächsten fahrplanmäßigen  Zug nach MS um 00.10 Uhr, denn natürlich ist an einem Freitagabend die Anbindung nach MS „ausgedünnt“.
  • Also auf Vorschlag des Schaffners (netter Kölsche Jong mit einem vortrefflichen Englisch) Weiterfahrt nach Dortmund und dort umsteigen in die Eurobahn. Die fährt an sich um 23.35 Uhr, heute aber um 23.40, und wartet auf jeden Fall. Vorsichtige Frage: Wirklich? Antwort: Sicher.
  • In Dortmund dann Wechsel von Bahnsteig 11 zu Bahnsteig 21, dort dann die um 23.37 abfahrende Eurobahn erreicht (wenn ich sie nicht erreicht hätte, wäre es aber nicht schlimm gewesen, da noch ein ICE nach MS fuhr, der mit rund 50 Minuten Verspätung noch hinter uns hing).
  • Ankunft in MS dann nicht wie geplant: 22.30 sondern 00.30 Uhr.

„Sänk ju vor travelling wis Deutsche Bahn“ oder: Warum ist ein solches Verhalten eigentlich nicht strafbar? Wenn ich Uni-Professor wäre, würde ich das – glaube ich – mal als Klausur geben.

Das KG hat auch einen Igel in der Tasche :-)

Der Kollege Siebers hatte gestern über eine Amtsrichterin berichtet, die im Hinblick auf die Bestellung eines Pflichtverteidigers den berühmten „Igel in der Tasche“ hatte.

Dazu passt ganz gut diese Entscheidung des KG v. 27.04.2010 – 1 Ws 61/10, in der es einmal mehr um die Frage der anwaltlichen Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren geht, wenn die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel eingelegt und das dann vor Begründung zurückgenommen hat. Höchst streitige Frage, ist dann, ob der Angeklagte die durch eine zwischenzeitliche Beauftragung seines Rechtsanwaltes entstandene Verfahrensgebühr erstattet verlangen kann oder nicht.

Das KG sagt – wie die wohl überwiegenden Meinung – Nein, da überhaupt kein Grund besteht für die Beauftragung. Die war nicht erforderlich. M.E. ist das falsch und wird im Zivilrecht auch – zu Recht – anders gesehen. Der Verteidiger sollte den Mandanten aber auf diesen Streit hinweisen, damit der nicht überrascht ist, wenn er die „Musik selbst bezahlen muss“. Denn, dass die Gebühr „entsteht“, daran bestehen kein Zweifel.

Ich denke, jetzt wird es wieder Kommentare geben von wegen „raffgierige Rechtsanwälte, wie vor kurzem bei einem Blogbeitrag eines anderen Blogs, den ich nun leider nicht mehr wieder finde :-(.

Rechtspfleger bestimmt (doch) nicht über das Wann und Wie der anwaltlichen Tätigkeit.

Am 22.09.2009 hatte ich gepostet: „Bestimmt der Rechtspfleger über das Wann und Wie der anwaltlichen Tätigkeit?“ Dabei ging es um die Frage der Erstattung von Fotokopiekosten im Rahmen der Beratungshilfe. Jetzt hat das AG Halle zu der Frage Stellung genommen. Es führt in seinem Beschluss vom 08.02.2010 – 102 II 3103/09 aus:

“ Dass ein Rechtsanwalt, der einen Mandanten, berät, der angibt, Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden sein, Ablichtungen aus der Ermittlungsakte benötigt, um die Angelegenheit sachgerecht zu bearbeiten, versteht sich von selbst. Es kann nicht Sache des Gerichts sein, dem Rechtsanwalt nachträglich seine Arbeitsweise zu bewerten und zu kritisieren, indem ihm die Fertigung von Ablichtungen untersagt oder unzumutbar erschwert wird. Hierdurch würde die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten im außergerichtlichen Bereich (siehe hierzu die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2008, Az. 1 ByR 2310/06, und vom 11. Mai 2009, Az. 1 BvR 1517/09, beide zitiert nach juris) entgegen Art 3 Abs. 1 GG nicht mehr gewährleistet. Außerdem ist es unter Umständen nicht möglich, den Mandanten kurzfristig zu einem Termin zu „laden“ (wobei ein hoheitliches Verhältnis, in welchem eine Ladung ergehen kann, zwischen Rechtsanwalt und Mandant ohnehin nicht besteht) oder einen solchen Termin kurzfristig durchzuführen. Weiter braucht der Rechtsanwalt die (jedenfalls auszugsweise kopierte) Akte möglicherweise für weitere Besprechungstermin, für die Fertigung von Schriftsätzen im Rahmen der außergerichtlichen Vertretung sowie um seine Pflicht, gemäß § 50 Abs. 1 BRAO durch Handakten ein geordnetes Bild über die von ihm entfaltete Tätigkeit geben zu können, erfüllen zu können.

Angesichts der Tatsache, dass der Rechtsanwalt gemäß § 1 BRAO ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, kann es nicht Sache des Gerichts sein, dem Rechtsanwalt eine „geringfügige Änderung der anwaltlichen Praxis“ vorzuschreiben.

Es erscheint daher zweifelhaft, ob das Gericht an der von dem Rechtspfleger im Schreiben vom 27. August 2009 und der vom Bezirksrevisor in seiner Stellungnahme vom 26. Januar 2010 zitierten Rechtsprechung uneingeschränkt festhalten wird.“

Stimmt. Dem ist m.E. nichts hizuzufügen: Der Rechtspfleger bestimmt eben doch nicht über das Wann und Wie der anwaltlichen Tätigkeit.