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Corona II: Strafvollzug und COVID-19-Pandemie, oder: Versagung unbegleiteter Ausgänge

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Und als zweite Entscheidung zu Covid-19 der KG, Beschl. v. 20.04.2022 – 2 Ws 61/22 Vollz -, also mal etwas aus dem Strafvollzug und der COVID-19-Pandemie

Es geht um die Zulässigkeit bzw. die Versagung unbegleiteter Ausgänge: Die sind dem  Gefangenen mit der Begründung nicht gewährt worden, dass diese nur in Ausnahmefällen genehmigt werden, um das Risiko eines COVID-19-Ausbruchs im geschlossenen Vollzug durch Sicherstellung der Abstands- und Hygieneregeln auch während des Ausgangs durch Begleitung zu minimieren.

Dagegen die Rechtsmittel des Gefangenen, die letztlich auch beim KG keinen Erfolg hatten:

„b) Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag des Gefangenen indes rechtsfehlerfrei (hilfsweise) als unbegründet erachtet.

aa) Zu Recht hat die Kammer angenommen, dass die Ermessensentscheidung (§ 115 Abs. 5 StVollzG) der Justizvollzugsanstalt, unbegleitete Ausgänge gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG Bln nur in Ausnahmefällen zu erlauben, nicht zu beanstanden ist.

Es begegnet dabei insbesondere keinen Bedenken, dass die Haftanstalt dem Ziel, Infektionen mit dem Coronavirus unter den Gefangenen zu vermeiden, ein hohes Gewicht beigemessen hat. Denn die Vollzugsbehörden müssen angesichts der COVID-19-Pandemie umfassende Maßnahme ergreifen, um ihrer besonderen Fürsorgepflicht für alle Gefangenen gerecht zu werden und diese nach Möglichkeit vor einer Infektion mit dem Coronavirus und den damit verbundenen erheblichen Gefahren für Gesundheit und Leben zu schützen (vgl. KG, Beschluss vom 31. Mai 2021 – 5 Ws 64/21 Vollz –). Soweit das Landgericht Regensburg (Beschlüsse vom 17. Februar 2022 – SR StVK 149/22 –, juris und 11. November 2021 – SR StVK 1144/21 –, juris) dagegen die Auffassung vertritt, allgemeine Erwägungen zum notwendigen Infektionsschutz in der Justizvollzugsanstalt ohne Bezug zu einer Gefahr für die Sicherheit und Ordnung können die Versagung von Vollzugslockerungen nicht rechtfertigen, da die Verhinderung einer Verbreitung von SARS-Cov-2 eine Angelegenheit des Infektionsschutzes sei und die Haftanstalt keine Infektionsschutzbehörde sei, vermag dies bereits aufgrund der Pflicht der Anstalt zum Gesundheitsschutz der Inhaftierten nicht zu überzeugen (so auch Öhrlein/Krä in BeckOK Strafvollzugsrecht Bayern, 15. Edition Stand 1. Juli 2021, Art. 3 Rn. 28a), zumal nach den Strafvollzugsgesetzen allein die Vollzugsbehörden und nicht etwa das Gesundheitsamt dazu berufen sind, über Lockerungsmaßnahmen im Strafvollzug zu entscheiden.

Die Strafvollstreckungskammer ist auch zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bewertung der Justizvollzugsanstalt Plötzensee, die Einhaltung der aus Infektionsschutzgründen gebotenen Abstands- und Hygieneregeln durch die Gefangenen sei bei unbegleiteten Ausgängen nicht hinreichend zu kontrollieren, sodass diese nur ausnahmsweise zu gestatten seien, nicht zu beanstanden ist. Es hat sich gezeigt, dass die sogenannte „AHA-Regel“ (Abstand halten, Hygieneregeln beachten, Alltagsmaske tragen) ein wirksames Mittel ist, um sich gegen das Coronavirus zu schützen. Vor diesem Hintergrund ist es ein nachvollziehbares Anliegen der Haftanstalt, die Einhaltung der Abstands- und Hygienemaßnahmen durch Begleitung der Ausgänge der Gefangenen zu kontrollieren.

Es handelt sich auch nicht um eine – unzulässige – generelle coronabedingte Beschränkung der vollzugsöffnenden Maßnahme (vgl. KG, a. a. O., BayObLG, a. a. O.). Die Justizvollzugsanstalt hat vielmehr unbegleitete Ausgänge in Ausnahmefällen zugelassen, für die der Gefangene indes nichts vorgetragen hat. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, den Umstand, dass der Gefangene zum damaligen Zeitpunkt noch keine Corona-Impfung erhalten hat, bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Denn die in Deutschland gängigen COVID-19-mRNA-Impfstoffe der Firmen BioNTech/Pfizer und Moderna sowie der Vektor-Impfstoff der Firma AstraZeneca bieten ausweislich der online abrufbaren Informationen des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de) eine sehr hohe Wirksamkeit gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung und eine gute Wirksamkeit gegen eine symptomatische SARS-CoV-2-Infektion bei den zum maßgeblichen Zeitpunkt in Deutschland vorherrschenden Virusvarianten.

Eine andere Beurteilung ergibt sich zudem auch nicht daraus, dass die 7-Tage-Inzidenz in Berlin nach dem zutreffenden Vortrag des Gefangenen im Mai und Juni 2021 ausweislich der online abrufbaren Aufstellung des Robert-Koch-Instituts (www.rki.de) regelmäßig unter oder knapp über 10 lag. Denn die auch vom jeweiligen Testaufkommen abhängige 7-Tage-Inzidenz gibt die Zahl der Neuinfektionen innerhalb der vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohner an und kann jederzeit – auch sprunghaft – ansteigen.

Schließlich vermag der Rechtsbeschwerde auch nicht der Umstand zum Erfolg zu verhelfen, dass die Justizvollzugsanstalt Plötzensee keine „Schnelltestung“ in der Anstalt vorgenommen hat, um unbegleitete Ausgänge zu ermöglichen. Denn auch negative Schnelltests sind nur „Momentaufnahmen“ und bieten keine Gewähr dafür, dass die getestete Person nicht erkrankt ist und nur kurze Zeit später auch – bei entsprechender Virenlast – möglicher Überträger der Krankheit ist. Da gerade eine unentdeckte Coronainfektion des Gefangenen im Rahmen eines Ausgangs verhindert werden soll, bieten negative Schnell- und PCR-Tests – anders als bei Besuchern, die die Haftanstalt sodann wieder verlassen (vgl. dazu KG, a. a. O.) – mithin keinen hinreichend sicheren Schutz vor einem COVID-19-Ausbruch in der Haftanstalt.

bb) Der Beschluss des Landgerichts entspricht auch den Anforderungen, die § 267 StPO an die Begründung strafrechtlicher Urteile stellt. Die Strafvollstreckungskammer hat die entscheidungserheblichen Tatsachen und die (tragenden) rechtlichen Erwägungen noch ausreichend dargelegt, sodass diese eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ermöglichen.“

Corona I: Teilnahme am „Weihnachts-Sing-Flashmob“, oder: Ansammlung, Veranstaltung und Versammlung

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Und dann nach längerer Zeit mal wieder ein Montag mit Corona-Entscheidungen.

Hier zunächst der BayObLG, Beschl. v. 31.03.2022 – 202 ObOWi 220/22 – zum Begriff der Ansammlung. Es geht um einen „Weihnachts-Sing-Flashmob“ im Dezember 2020.

Das AG hat die Betroffene wegen vorsätzlicher Teilnahme an einer Veranstaltung entgegen § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, mit der die Betroffene vorträgt, dass das Weihnachtssingen ein „stiller Protest“ gegen die Coronamaßnahmen gewesen sei.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts postete die anderweitig verfolgte T. wenige Tage vor dem 20.12.2020 um 14:52 Uhr in die Facebook-Gruppe ‚U-Dorf steht auf‘ folgenden Text:

„Einladung zum Weihnachts-Sing-Flashmob am Sonntag, 20.12.2020 um 15 Uhr in F. am Marktplatz. Bringt gerne auch Kerzen und Lichter mit. Wir hoffen auf rege Beteiligung.“

Unter diesem Text wurde ein Flyer geteilt, der seinerseits mit singenden Engeln versehen war. Zudem wurden die Liedtexte zu den geplanten Liedern als PDF-Datei zum Download zur Verfügung gestellt. Am 20.12.2020 gegen 14:45 Uhr wurden auf dem Marktplatz in F. Stühle aufgestellt und Liedtexte verteilt. Gegen 15:00 Uhr wurde das erst Lied ‚We are the world‘ von den nunmehr zehn anwesenden Teilnehmern, unter welchen sich auch die Betroffene befand, angestimmt. Es erfolgte vor und während des Singens keine Meinungsäußerung durch die angetroffenen Personen. Nach dem Ende des ersten Liedes wurde die Zusammenkunft nach ungefähr zehn Minuten durch die Polizei aufgelöst.

Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Eine „Ansammlung“ i.S.d. § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV setzt ein Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Personen voraus. Bei der Festlegung der erforderlichen Anzahl der Teilnehmer sind die Besonderheiten des Einzelfalles und insbesondere der infektionsschutzrechtliche Zweck, der darauf gerichtet war, die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden, zu berücksichtigen.
  2. Eine nach § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV verbotene „Veranstaltung“ ist anzunehmen, wenn ein Veranstalter, ein bestimmter Veranstaltungsgegenstand und auch ein Minimum an Organisation vorhanden sind.
  3. Unter eine vom Verbot des § 5 der 11. BayIfSMV ausdrücklich ausgenommene „Versammlung“ im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind. Maßgeblich für eine Versammlung ist mithin die gemeinschaftliche Meinungskundgabe.

Corona I: Verfahrensverzögerung wegen Corona, oder: Gibt es eine Entschädigung?

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Heute dann zum Wochenstart zwei Entscheidungen, die mit Corona zu tun haben. Aber mal etwas anderes als Impfpass und Owis, nämlich: Verfahrensverzögerung und Fitness-Studio.

Zunächst hier das BFH, Urt. v. 27.10.2021 – X K 5/20, auf das ich erst jetzt durch eine PM des BFH aufmerksam geworden bin.

In dem vom BFH entschiedenen Verfahren ging es um eine Kage, die der Kläger 2018 gegen Umsatzsteuerbescheide erhoben hatte. Zwei Jahre nach Klageeingang hatte der Kläger eine Verzögerungsrüge wegen der Besorgnis erhoben, dass das Verfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Das Klageverfahren wurde dann acht Monate später – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Zustellung des Urteils beendet.

Nachfolgend hat der Kläger dann Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von mindestens 600 EUR erhoben. Er begründete diese im Wesentlichen damit, dass der Entschädigungsanspruch zwar verschuldensunabhängig sei, sodass es nicht auf ein pflichtwidriges Verhalten bzw. Verschulden der mit der Sache befassten Richter ankomme. Somit könne die unangemessene Verfahrensdauer auch nicht mit dem Hinweis auf eine chronische Überlastung der Gerichte, länger bestehende Rückstände oder eine angespannte Personalsituation gerechtfertigt werden. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers müssten aber die verfahrensverzögernden Umstände zumindest innerhalb des staatlichen bzw. dem Staat zurechenbaren Einflussbereichs liegen.

Der BFH hat die Klage abgewiesen. Die mehrmonatige Verzögerung des Ausgangsverfahrens beruhe auf Einschränkungen des finanzgerichtlichen Sitzungsbetriebs ab März 2020. Diese seien Folge der Corona-Pandemie und der zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen. Es handele sich nicht um ein spezifisch die Justiz betreffendes Problem, da andere öffentliche und private Einrichtungen und Betriebe ebenso betroffen (gewesen) seien. Die Corona-Pandemie sei – jedenfalls zu Beginn – als außergewöhnliches und in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands beispielloses Ereignis anzusehen, die weder in ihrem Eintritt noch in ihren Wirkungen vorhersehbar gewesen wäre. Von einem Organisationsverschulden der Justizbehörden im Hinblick auf die Vorsorge für die Aufrechterhaltung einer stets uneingeschränkten Rechtspflege könne daher ebenfalls nicht ausgegangen werden.

Hier die Leitsätze zu dem BFH-Urteil vom 27.10.2021:

  1. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers setzt der (verschuldensunabhängige) Entschädigungsanspruch i.S. des § 198 GVG voraus, dass die Umstände, die zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer geführt haben, innerhalb des staatlichen bzw. dem Staat zurechenbaren Einflussbereichs liegen müssen.
  2. Eine zu Beginn der Corona-Pandemie hierdurch verursachte Verzögerung beim Sitzungsbetrieb führt nicht zur Unangemessenheit der gerichtlichen Verfahrensdauer i.S. des § 198 Abs. 1 GVG, da sie nicht dem staatlichen Verantwortungsbereich zuzuordnen ist.
  3. Bei der Corona-Pandemie und den zur Eindämmung getroffenen Schutzmaßnahmen handelt es sich nicht um ein spezifisch die Justiz betreffendes Problem, da sie ??was ihr Personal und die Verfahrensbeteiligten anbelangt?? ebenso betroffen ist wie andere öffentliche und private Einrichtungen und Betriebe.

Corona II: Ärztliche „Befreiung“ von der Maskenpflicht, oder: Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen

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Und im zweiten Corona-Posting dann zunächst der OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.04.2022 – 2 Rb 37 Ss 25/22 –, der zu den Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der bußgeldbewehrten Maskenpflicht Stellung nimmt.

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 06.07.2021 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Nichttragens einer nicht medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasenbedeckung entgegen der zur Tatzeit gültigen Corona-Verordnung in Baden-Würrtemberg verurteilt. Nach den vom AG getroffenen Feststellungen hielt sich die Betroffene am 12.12.2020 um 13:26 Uhr in den Geschäftsräumen eines Einkaufsmarktes auf, ohne die erforderliche Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Dabei habe die Betroffene gewusst, dass sie sich in einem Ladengeschäft aufhielt, in dem eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden muss. Dass der Betroffenen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, habe sie nicht glaubhaft gemacht. Das von ihr vorgelegte ärztliche Attest habe dazu nicht ausgereicht, weil sich aus ihm nicht nachvollziehbar ergebe, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten seien, woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und wenn ja welche Vorerkrankungen vorliegen und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Die bloße Feststellung, dass die Betroffene aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müsse, genüge insoweit nicht.

Dagegen der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das OLG hat zugelassen, das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und die Betroffene frei gesprochen. Das OLG nimmt ausführlich zu den Anforderungen an die ärztliche Befreiuung und an die Glaubhaftmachung Stellung. Ich stelle hier nur die Leitsätze des Beschlusses ein, den Rest bitte selbst lesen:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthielt mit den in den §§ 28, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende, verfassungskonforme Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO vom 30. November 2020 angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung in und im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufzentren und Ladengeschäften) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 CoronaVO.
  2. Auch ein verwaltungsrechtlicher Erlaubnistatbestand, den eine Straf- oder Bußgeldvorschrift in Bezug nimmt (wie die Bußgeldbewehrung eines Verstoßes gegen die in § 3 Abs. 1 CoronaVO geregelte Maskenpflicht in § 19 Nr. 2 CoronaVO, sofern keiner der Ausnahmetatbestände nach § 3 Abs. 2 CoronaVO vorliegt), unterliegt jedenfalls dann den strengen Beschränkungen des Art. 103 Abs. 2 GG, wenn er zur Ausfüllung der straf- oder bußgeldrechtlichen Blankettnorm herangezogen und damit selbst zum Teil der Straf- bzw. Bußgeldnorm wird.
  3. Allein aus der Verwendung des Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO ist – auch in Verbindung mit dem jedenfalls durch gefestigte Rechtsprechung konkretisierten Begriff der „Glaubhaftmachung“ – für den Normadressaten nicht erkennbar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung zu stellen sind.
  4. Eine Auslegung des in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO verwandten Begriffs „ärztliche Bescheinigung“ dahingehend, dass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests mit Angaben dazu erforderlich sei, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und ggf. welche relevanten Vorerkrankungen bestanden und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist, stellt eine vom Willen des baden-württembergischen Verordnungsgebers offensichtlich abweichende Auslegung der Ausnahmevorschrift dar und verletzt damit das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besondere Geltung beanspruchende Bestimmtheitsgebot aus Ar.t 103 Abs. 2 GG, das die Legislative von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen.

Und als zweite Entscheidung dann noch der AG Dilligen, Beschl. v. 18.02.2022 – 303 OWi 106 Js 123156/21 jug. Den Betroffenen – vier Minderjährige, drei Heranwachsende – ist in dem Verfahren zur Last gelegt worden, am 27.04.2021 um 17:35 Uhr an einem Gemeindeweiher mit mehr als 3 Personen aus verschiedenen Haushalten zusammengekommen zu sein und öffentlich gefeiert zu haben und dadurch gegen die damals geltenden Vorschriften der 12. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-VO verstoßen zu haben. Gegen sie waren Bußgelder zwischen 400,- EUR und 600,- EUR festgesetzt worden. Das AG hat das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.

„Die Verfahren waren allesamt gem. § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen.

Es bestehen Zweifel, ob sich gegen die Betroffenen ein Tatnachweis würde führen lassen. Der Vorwurf fußt im Wesentlichen nicht auf dem Umstand, dass man vor Ort die Betroffenen selbst angetroffen hat, sondern dass ihre jeweiligen Mobiltelefone am Steg des Weihers durch die Polizei sichergestellt und über die Rufnummer den Betroffenen in der Folge zugeordnet wurden.

Es stellt sich freilich die Frage, wie die Telefone ihren Weg an den Weiher gefunden haben. Die Betroffenen lassen sich jedoch – berechtigt – zur Sache nicht ein und bestreiten ihre Anwesenheit.

Im Rahmen der Betroffenenvernehmungen durch die Polizei wurden nicht in jedem Fall die Erziehungsberechtigten der Betroffenen hinzugezogen, was aber jedenfalls bei den jugendlichen Betroffenen geboten gewesen wäre.

3, § 4, 5 der 12. BayIfSMV untersagten zum fraglichen Zeitpunkt den gemeinsamen Aufenthalt und das Feiern mit mehreren Personen außerhalb des eigenen Hausstandes.

Der gemeinsame Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen war indes nicht bußgeldbewehrt.

Die weitere Aufklärung des Sachverhaltes erscheint unverhältnismäßig, zumal allen Beteiligten weiterhin ein umfassendes Schweigerecht zusteht, §§ 136, 163 StPO i.V.m. § 46 OWiG, und unmittelbare Tatzeugen nicht vorhanden sind.“

Wenn man es so liest, muss man schon ein wenig schmunzeln über den „gemeinsamen Aufenthalt von Mobiltelefonen mehrerer Personen„. Andererseits ist aber doch ein wenig erschrocken über die Höhe der angeordneten Geldbußen, freut sich dann aber über die „Einsicht“ des AG, das Verfahren einzustellen – und das mit einer „befürwortenden“ Staatsanwaltschaft. Was ist los in Bayern? 🙂

Corona I: Schweigepflicht von Apothekenmitarbeitern?, oder: Generalprävention bei der Strafzumessung

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Heute dann wieder Corona-Tag mit zwei Entscheidungen, und zwar einmal AG und einmal OLG.

Hier zunächst die AG-Entscheidungen, und zwar das (rechtskräftige) AG Landstuhl, Urt. v. 25.01.2022 – 2 Cs 4106 Js 15848/21. Das hat wegen Urkundenfälschung (§ 267 StGB) verurteilt, und zwar geht es um das Vorlegen eines gefälschten Impfpasses mit dem Ziel des Erhalts eines digitalen Impfzertifikats mit QR-Code. Insoweit nichts Besonderes, die Ausführungen dazu kann man sich schenken.

Ich stelle hier nur die Ausführungen des AG zur Verwertbarkeit der Erkenntnisse der Apothekenmitarbeiter und zur Strafzumessung ein:

„Soweit das Gericht seine Überzeugungsbildung neben dem Geständnis des Angeklagten auch auf die durchgeführte Beweisaufnahme gestützt hat, war es an der Verwertung der Beweismittel, die aus der Offenlegung der Erkenntnisse der Apothekenmitarbeiter gewonnen wurden, aus Rechtsgründen nicht gehindert.

Ungeachtet der Frage, ob eine Schweigepflichtverletzung in der vorliegenden Konstellation überhaupt ein Beweisverwertungsverbot begründen könnte, wogegen nach Ansicht des Gerichts gewichtige Argumente sprechen, waren die Apothekenmitarbeiter zur Einschaltung der Polizei und zur Offenbarung ihrer Erkenntnisse jedenfalls berechtigt. Die tatbestandliche Verwirklichung von § 203 StGB ist gerechtfertigt.

Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass gefälschte Impfpässe in Apotheken vorgelegt werden, um mit dem Erhalt des COVID-Zertifikats am öffentlichen Leben teilzunehmen. Angesichts des Umstands, dass in allen Bundesländern mehr oder weniger einheitliche Regelungen zum Schutz des Gesundheitssystems vor einer durch zu viele schwere Verläufe der Erkrankung verursachten Überlastung sowie zum Schutz von Individuen vor den Gesundheitsgefahren, die mit einer solchen Erkrankung einhergehen, geschaffen wurden, die an den Impfstatus anknüpfen, stellt eine Umgehung des zur Teilnahme am öffentlichen Leben in vielen Bereichen erforderlichen Impfnachweises eine Dauergefahr für Leib und Leben sowie für das Schutzgut der Funktionsfähigkeit der Gesundheitsfürsorge dar. Selbst für den Fall der Verweigerung der Ausstellung des Impfzertifikats durch die Apothekenmitarbeiter wäre naheliegend davon auszugehen, dass der Angeklagte einen erneuten Versuch in einer anderen Apotheke unternommen hätte, in der die Fälschung möglicherweise nicht auffällt, sodass in der Folge eine Realisierung der Gefahr konkret zu besorgen war. Da die entsprechenden Gefahren jederzeit in einen Erfolg umschlagen können, wenn nicht konsequent gegen den Gebrauch des gefälschten Impfausweises eingeschritten wird, sind Apothekenmitarbeiter in solchen Fällen regelmäßig aus § 34 StGB zur Offenbarung der Tatsache, dass der Verdacht einer Urkundenfälschung besteht, berechtigt.

5.

In Ausfüllung des Strafrahmens des § 267 Abs. 1 StGB hat das Gericht maßgeblich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Tat umfassend eingeräumt sowie den Namen der Vermittlerin, von der er den Impfpass erworben hat, genannt und damit weitere Ermittlungsansätze für die Strafverfolgungsbehörden zur Bekämpfung der gewerblichen Impfpassfälschung gegeben hat.

Zu seinem Nachteil hat sich indes ausgewirkt, dass er bereits in zwei Fällen strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wobei es sich in einem Fall um eine einschlägige Vorverurteilung handelt und im anderen Fall jedenfalls ein mit der vorliegenden Tat vergleichbarer Unrechtsgehalt vorliegt.

Zudem war bei der Strafzumessung ausnahmsweise auch der generalpräventive Gesichtspunkt der Abschreckung strafschärfend zu berücksichtigen. Bei der Generalprävention handelt es sich auch bei der Strafhöhenbemessung um einen legitimen Strafzweck, dessen Ziel es ist, durch die Härte des Strafausspruchs bei möglichen künftigen Tätern ein Gegengewicht zu der Versuchung oder Neigung zu schaffen, Gleiches oder Ähnliches wie der Angeklagte zu tun (Schäfer/Sander/ van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 839 m.w.N.).

Dabei hat das Gericht insbesondere bedacht, dass sich die Strafe auch bei Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte noch im Rahmen des Schuldangemessenen halten muss (BGHSt 28, 318 (326); BGH, NStZ 1983, 501; 1984, 409; 1986, 358) und der Strafhöhenbestimmung diesen Rahmen zugrunde gelegt.

Die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte ist zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung geeignet. Ungeeignet ist sie regelmäßig bei Ausnahmesituationen, Konflikttaten oder bei Taten eines vermindert schuldfähigen Täters (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 841 m.w.N.), was vorliegend indes nicht der Fall ist. Straftaten im Zusammenhang mit der derzeit vorherrschenden Pandemielage, hierbei insbesondere Straftaten im Zusammenhang mit Impfpassfälschungen, sind Gegenstand erschöpfender medialer Berichterstattung und erregen regelmäßig erhebliches Aufsehen. Wie sich aus den in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesenen Presseberichten ergibt, reagiert die Presse bereits auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren wegen Impfpassfälschung zum Teil mit ausführlichen Berichterstattungen. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass insbesondere auch Verurteilungen im Zusammenhang mit der Fälschung von Impfpässen, die zum Urteilszeitpunkt wenn überhaupt nur vereinzelt festzustellen waren, medial aufgegriffen werden. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass eine Berichterstattung über die zeitnahe Verhängung einer empfindlichen Strafe anlässlich einer solchen Straftat ebenfalls eine abschreckende Wirkung auf potentielle Täter ausüben und sie von der Begehung vergleichbarer Taten abschrecken kann.

Die Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte ist schließlich zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung auch erforderlich. Erforderlichkeit liegt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung vor, wenn bei der abzuurteilenden Tat die Gefahr der Nachahmung besteht (BGH, BeckRS 2011, 428 Rn. 4 m.w.N.) oder weil bereits eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten festzustellen ist (BGH, NStZ 1986, 358; 2007, 702; NStZ-RR 2013, 240). Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn eine offenkundige Zunahme bestimmter Kriminalität vorliegt (BGH, NStZ-RR 2013, 169 (170); Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 844). So liegt der Fall hier. Das Gericht hat in der Beweisaufnahme verschiedene Presseartikel auszugsweise verlesen, die von einem starken Anstieg der Zahl gefälschter Impfpässe in der Bundesrepublik Deutschland, sowie insbesondere auch in Rheinland-Pfalz, berichten. So berichtet beispielsweise „die Zeit“ online darüber, dass bundesweit mehr als 11.000 Ermittlungsverfahren wegen gefälschter Impfpässe geführt werden. Auch die Tagesschau berichtet auf ihrer Internetseite von 12.000 Verfahren. Nach Angaben des SWR seien vom LKA Rheinland-Pfalz bereits zu Beginn des Monats Dezember 2021 483 Ermittlungsverfahren gezählt worden; Anfang Januar 2022 seien es bereits 924 Ermittlungsverfahren gewesen. Aus diesen Zahlen wird ein linearer Anstieg entsprechender Straftaten erkennbar, sodass es aus Sicht des Gerichts der Ergreifung von Gegenmaßnahmen zur Verhinderung eines weiteren Anstiegs der entsprechenden Kriminalität und zur Abschreckung von Nachahmungstätern dringend bedarf.

Unter Berücksichtigung sämtlicher, insbesondere der vorstehend dargestellten, Strafzumessungsgesichtspunkte hat das Gericht für die Tat eine Freiheitsstrafe von 3 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe war nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 StGB angesichts des Umstands, dass der Angeklagte bereits in 2 Fällen wegen Delikten mit vergleichbarem Unrechtsgehalt strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, zur Einwirkung auf diesen sowie aus den vorstehend dargestellten Gründen zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich.

Die Vollstreckung der Strafe war gem. § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, da nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der Hauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat, zu erwarten ist, dass dieser sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Der persönliche Eindruck des Gerichts hat zudem eine Bestätigung darin gefunden, dass der Angeklagte die Tat vorbehaltlos eingeräumt, das Unrecht seiner Tat eingesehen und glaubhaft beteuert hat, so etwas passiere ihm nie wieder. Ebenso ist aus dem Umstand, dass er trotz anfänglichen Zögerns schließlich bereit war, die Mittelsperson zu benennen, von der er den gefälschten Impfpass erhalten hat, erkennbar, dass der Angeklagte sich von der Tat distanziert hat….“