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Corona I: Teilnahme am „Weihnachts-Sing-Flashmob“, oder: Ansammlung, Veranstaltung und Versammlung

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Und dann nach längerer Zeit mal wieder ein Montag mit Corona-Entscheidungen.

Hier zunächst der BayObLG, Beschl. v. 31.03.2022 – 202 ObOWi 220/22 – zum Begriff der Ansammlung. Es geht um einen „Weihnachts-Sing-Flashmob“ im Dezember 2020.

Das AG hat die Betroffene wegen vorsätzlicher Teilnahme an einer Veranstaltung entgegen § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Dagegen die Rechtsbeschwerde, mit der die Betroffene vorträgt, dass das Weihnachtssingen ein „stiller Protest“ gegen die Coronamaßnahmen gewesen sei.

Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts postete die anderweitig verfolgte T. wenige Tage vor dem 20.12.2020 um 14:52 Uhr in die Facebook-Gruppe ‚U-Dorf steht auf‘ folgenden Text:

„Einladung zum Weihnachts-Sing-Flashmob am Sonntag, 20.12.2020 um 15 Uhr in F. am Marktplatz. Bringt gerne auch Kerzen und Lichter mit. Wir hoffen auf rege Beteiligung.“

Unter diesem Text wurde ein Flyer geteilt, der seinerseits mit singenden Engeln versehen war. Zudem wurden die Liedtexte zu den geplanten Liedern als PDF-Datei zum Download zur Verfügung gestellt. Am 20.12.2020 gegen 14:45 Uhr wurden auf dem Marktplatz in F. Stühle aufgestellt und Liedtexte verteilt. Gegen 15:00 Uhr wurde das erst Lied ‚We are the world‘ von den nunmehr zehn anwesenden Teilnehmern, unter welchen sich auch die Betroffene befand, angestimmt. Es erfolgte vor und während des Singens keine Meinungsäußerung durch die angetroffenen Personen. Nach dem Ende des ersten Liedes wurde die Zusammenkunft nach ungefähr zehn Minuten durch die Polizei aufgelöst.

Das BayObLG hat die Rechtsbeschwerde verworfen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

  1. Eine „Ansammlung“ i.S.d. § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV setzt ein Zusammentreffen einer größeren Anzahl von Personen voraus. Bei der Festlegung der erforderlichen Anzahl der Teilnehmer sind die Besonderheiten des Einzelfalles und insbesondere der infektionsschutzrechtliche Zweck, der darauf gerichtet war, die Ausbreitung des Corona-Virus zu unterbinden, zu berücksichtigen.
  2. Eine nach § 5 Satz 1 der 11. BayIfSMV verbotene „Veranstaltung“ ist anzunehmen, wenn ein Veranstalter, ein bestimmter Veranstaltungsgegenstand und auch ein Minimum an Organisation vorhanden sind.
  3. Unter eine vom Verbot des § 5 der 11. BayIfSMV ausdrücklich ausgenommene „Versammlung“ im verfassungsrechtlichen Sinne fallen nur solche Veranstaltungen, die durch eine gemeinschaftliche, auf Kommunikation angelegte Entfaltung mehrerer Personen gekennzeichnet sind. Maßgeblich für eine Versammlung ist mithin die gemeinschaftliche Meinungskundgabe.

Corona II: Anzeige der Versammlung zu Coronazeiten, oder: Kunstfreiheit und faktischer Versammlungsleiter

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Das zweite Posting des Tages stellt den OLG Celle, Beschl. v. 28.08.2021 – 3 Ss (OWi) 156/21 – vor. Er behandelt zwar nicht unmittelbar eine „Corona-Frage“, es geht aber um eine Versammlung, bei der die Pandemiefrage zumindest wohl auch eine Rolle gespielt hat.

Das AG hat den Betroffenen wegen „Nichtanzeigens einer Versammlung unter freiem Himmel als Versammlungsleiter bei der zuständigen Behörde“ zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt und dazu folgende Feststellungen getroffen:.

„Nach den Feststellungen trafen sich der Betroffene, die Zeuginnen W. und T. sowie sechs weitere Personen am 9. Januar 2021 gegen 10:00 Uhr auf dem Parkplatz am …platz in G., um – wie einige Tage zuvor während eines Treffens der Bürgerinitiative „Aufklärung und Menschlichkeit“ geplant – durch eine Aktion auf die von ihnen als negativ empfundenen Auswirkungen der Pandemiepolitik aufmerksam zu machen. Sie zogen weiße Malerkittel an, setzten Theatermasken auf und bewegten sich – angeführt von dem Betroffenen und der Zeugin W. – in einer zweireihigen Formation im Gleichschritt und mit marionettenartigen Bewegungen über den …weg, wo gerade der Wochenmarkt stattfand, in Richtung …straße. Dabei spielten sie über eine Lautsprecheranlage auf einem von ihnen mitgeführten Handwagen eine Computerstimme ab, die mitteilte: „Impfen ist Nächstenliebe“, „Schützt die Ungeborenen, verzichtet auf ihre Zeugung“, „Verratet eure Nachbarschaft“. Ferner wurden aufgezeichnete Redebeiträge dritter Personen abgespielt. Nach etwa 50 m stoppte die Formation auf ein Handzeichen des Betroffenen und formierte sich zu einem Kreis. Der Betroffene, die Zeugin W. und eine weitere Person erhielten von den anderen Teilnehmern Plakate überreicht, auf denen zu lesen war: „Wie viele traumatisierte Kinder sind für euch akzeptabel?“, „Wie viel bedeutet dir deine Freiheit?“, „Wer bestimmt dein Leben?“, „Wenn nicht du, wer dann?“, „Jetzt ist die Zeit gekommen uns zu erheben“, „Wie viele Tote durch Maßnahmen sind für dich akzeptabel?“. Nach dem Zeigen der Plakate nahmen die Teilnehmer unter Führung des Betroffenen und der Zeugin W. wieder ihre zweireihige Formation ein, zogen einige Meter weiter, hielten auf Handzeichen des Betroffenen erneut an, bildeten einen Kreis und zeigten die Plakate. Anschließend nahmen sie wieder die ursprüngliche Formation ein und bewegten sich weiter. Nach ca. 30 Minuten trafen sie auf Polizeibeamte. Der Betroffene erklärte diesen den Grund und Zielrichtung der Aktion. Ferner teilte er ihnen mit, dass die Aktion an dieser Stelle beendet sei. Eine vorherige Anzeige der Aktion bei der Stadt G. war nicht erfolgt.

Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt. Das OLG hat die als unbegründet verwofen. Dazu gibt es folgende Leitsätze:

  1. Die Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 NVersG gilt auch für Versammlungen, die zugleich in den Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fallen. Eine einschränkende Auslegung ist insoweit bereits deshalb nicht geboten, weil die bloße Anzeigepflicht die künstlerische Ausgestaltung der Versammlung nicht einschränkt.

  2. Da nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 NVersG nicht die unterbliebene Anzeige, sondern die Durchführung einer Versammlung unter freiem Himmel ohne vorherige Anzeige geahndet wird und aufgrund der fehlenden Anzeige ein Versammlungsleiter nicht bestimmt worden ist, wird der „faktische Versammlungsleiter“ von dem Bußgeldtatbestand erfasst.

  3. „Faktischer Versammlungsleiter“ ist, wer – persönlich bei der Veranstaltung anwesend – die Ordnung der Versammlung handhabt und den äußeren Gang der Veranstaltung bestimmt, insbesondere die Versammlung eröffnet, unterbricht und schließt. Auf der Seite des Leiters ist dabei weiterhin erforderlich, dass er diese Funktionen übernommen hat, auf Seiten der Teilnehmer hingegen, dass sie mit deren Ausübung durch ihn einverstanden sind.