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Strafzumessung II: Nochmals Urteil wegen BtM-Delikte, oder: Einlassungsverhalten und Gewerbsmäßigkeit

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Und als zweite Entscheidung  heute dann das BGH, Urt. v. 20.07.2022 – 5 StR 29/22. Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hat:

„1. Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit entfernt, dass sie sich nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Spielraums bewegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist daher ausgeschlossen. Das Revisionsgericht muss die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 StR 545/20 mwN). Dies gilt in gleicher Weise für die Bildung der Gesamtstrafe (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2022 – 5 StR 369/21).

2. Daran gemessen weist die Strafzumessung weder zugunsten noch zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten Rechtsfehler auf.

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist dem Landgericht bei der „Bewertung des Einlassungsverhaltens“ kein Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten unterlaufen.

Das Landgericht hat strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits vor Prozessbeginn ein umfassendes Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung wiederholt hat. Angesichts der damals noch nicht geklärten Rechtsfrage der Verwertbarkeit von Encrochat-Daten hat es die geständigen Angaben als nicht „nur taktisch motiviert“ bewertet, sondern als „besonders werthaltig“ und von aufrichtiger Reue getragen. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Denn das Landgericht hat mit diesen Erwägungen lediglich begründet, weshalb es dem (frühzeitigen) Geständnis trotz gewichtiger belastender Beweismittel ein ungemindertes strafmilderndes Gewicht beigemessen hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106). Weil das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer auf einem echten Reue- und Schuldgefühl beruhenden Einlassung ausgegangen ist, hindert auch der Umstand, dass der Angeklagte die Qualität des gehandelten LSD relativiert hat, nicht, das Geständnis als „werthaltig“ zu bewerten und ihm daher eine erhebliche strafmildernde Bedeutung beizumessen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 2 StR 589/18).

Die vom Landgericht vorgenommene Gewichtung des strafmildernden Gehalts des Geständnisses hält sich im Rahmen des tatgerichtlichen Ermessens und weist daher keinen Rechtsfehler auf.

b) Anders als der Generalbundesanwalt meint, stellt es keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht die festgestellte gewerbsmäßige Tatbegehung nicht als bestimmenden Strafzumessungsumstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zulasten des Angeklagten berücksichtigt hat.

Zwar kann die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 3 StR 319/20; Urteil vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20). Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt auch insofern: Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, entscheidet das Tatgericht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2021 – 6 StR 127/21). Eine strafzumessungsrechtlich beachtliche Lücke deckt die Revision nicht auf (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21 Rn. 55 [in NJW 2021, 2813 nicht abgedruckt]; vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).

c) Im Übrigen setzt die Beschwerdeführerin lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts; dies ist revisionsrechtlich unbehelflich. Entgegen der Revision sind weder die Einzelstrafen noch die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar niedrig.“

BtM III: Zwei „klassische Strafzumessungsfehler“, oder: Was man als Strafkammer wissen sollte

Und die dritte Entscheidung, die ich vorstelle, ist der BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 StR 80/22. In ihm geht es auch um die Strafzumessung, Die Strafkammer hatte zwei „klassische Fehler“ gemacht, die aber keine Folgen hatten. Richtig, nach Auffassung des BGH das Urteil beruhte nicht auf diesen Fehlern:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Im Rahmen der Strafzumessung in den Fällen II. 35.) bis 37.) der Urteilsgründe sind die Erwägungen des Landgerichts nicht frei von Bedenken, soweit es strafschärfend berücksichtigt hat, dass es sich bei Ecstasy „nicht mehr um eine weiche Droge“ handele. Damit hat die Strafkammer dem Angeklagten das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet. Die mindere Gefährlichkeit einer „weichen“ Droge wie Cannabis kann bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2020 – 4 StR 537/19 Rn. 11; Beschluss vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16 Rn. 12; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 29 ff. BtMG Rn. 120). Dem bloßen Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrundes bei einem Betäubungsmittel mittlerer Gefährlichkeit wie Ecstasy (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2019 – 4 StR 463/18 Rn. 11 mwN) darf hingegen keine straferhöhende Wirkung beigemessen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17 Rn. 5 mwN zu Amphetamin; s. ferner BGH, Beschluss vom 9. November 2017 – 4 StR 393/17 Rn. 4; Beschluss vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17 Rn. 12).

Das Landgericht hat zudem rechtsfehlerhaft in den Fällen II. 35.) und 36.) der Urteilsgründe, in denen es den Angeklagten jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt hat, straferschwerend herangezogen, dass die Betäubungsmittel „auch tatsächlich in Umlauf gelangt“ seien. Mit dieser Erwägung hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Denn der Handel mit Betäubungsmitteln erfasst typischerweise deren Verkauf an andere Personen und damit auch, dass die Betäubungsmittel in den Verkehr geraten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 – 2 StR 13/21; Beschluss vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17 Rn. 11).

Der Senat kann allerdings mit Blick auf die weiteren Zumessungserwägungen ausschließen, dass die in den Fällen II. 35.) bis 37.) der Urteilsgründe verhängten (maßvollen) Einzelgeldstrafen auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruhen.“

Sollte man an sich als Strafkammer wissen…..

BtM II: Amphetamin BtM von mittlerer Gefährlichkeit, oder: Die Einziehung beim Kurierfahrer

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Author Orlan

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 26.07.2022 – 3 StR 193/22 – kommt auch vom BGH. In ihm nimmt der BGH zu zwei Fragen Stellung: Nämlich zu Strafzumessung und zur Einziehung.

Zur Strafzumessung führt er aus:

„1. Die umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf insofern nur das Folgende:

Die Strafkammer hat sowohl bei der Prüfung des Vorliegens minder schwerer Fälle im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne schulderhöhend gewertet, dass es sich bei dem tatgegenständlichen Amphetamin um „ein jedenfalls nicht unterdurchschnittlich gefährliches Betäubungsmittel“ handelte. Diese Erwägung stößt auf rechtliche Bedenken. Denn Amphetamin ist ein Betäubungsmittel von mittlerer Gefährlichkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2022 – 1 StR 83/22, juris Rn. 4; vom 18. März 2019 – 5 StR 462/18, juris; vom 14. August 2018 – 1 StR 323/18, StV 2019, 339 Rn. 4; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 943, 946). Damit aber darf der Art des Betäubungsmittels bei Amphetamin für sich genommen keine schulderhöhende Wirkung beigemessen werden (BGH, Beschlüsse vom 18. März 2019 – 5 StR 462/18, juris; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1801; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 797, 945). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil aber nicht. Angesichts der übrigen Strafzumessungserwägungen, der festgesetzten Einzelstrafen und der Höhe der Gesamtstrafe ist auszuschließen, dass die Strafkammer geringere Einzelstrafen und eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn sie den Umstand, dass die Taten Amphetamin betrafen, nicht als schulderhöhend angesehen hätte.

Und zur Einziehungsentscheidung heißt es:

„2. Die Einziehungsentscheidungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in vollem Umfang stand.

a) Die Einziehung von 1.795,01 Gramm Cannabiskraut, 52,45 Gramm Kokainzubereitung und einer Flasche mit 779,73 Gramm Amphetaminöl hat zu entfallen. Denn nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wurden diese Betäubungsmittel zwar anlässlich von Durchsuchungen der Wohnung des Angeklagten in dieser aufgefunden und sichergestellt. Sie standen jedoch in keinem Bezug zu den verfahrensgegenständlichen Taten; diese hatten den Transport von anderen Betäubungsmitteln durch den Angeklagten als Kurier für einen Dritten zum Gegenstand. Damit kommt eine Einziehung der vorgenannten Betäubungsmittel gemäß § 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 33 Satz 1 BtMG nicht in Betracht, weil sie keine Tatobjekte der abgeurteilten Taten waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2022 – 3 StR 122/22, juris Rn. 27; vom 2. November 2021 – 3 StR 324/21, juris Rn. 5; vom 27. Januar 2021 – 3 StR 471/20, juris Rn. 4). Eine Einziehung im vorliegenden Verfahren nach § 76a StGB scheidet schon mangels eines hierauf gerichteten Antrags der Staatsanwaltschaft (§ 435 Abs. 1 StPO) aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95 Rn. 17 mwN; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 33 Rn. 452).

b) Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist, soweit diese in Höhe von mehr als 21.600 € angeordnet worden ist, nicht tragfähig begründet.

aa) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Kuriertätigkeit Betäubungsmittel an einen Käufer lieferte und im Gegenzug die Kaufpreise in Höhe von insgesamt 21.600 € entgegennahm. Diese kehrte er an seinen Hintermann aus, der ihn jeweils direkt bei der Übergabe entlohnte. Insgesamt bekam der Angeklagte für seine Kurierfahrten von seinem Auftraggeber 3.300 €, wobei ihm ein Anteil in Höhe von 500 € mit der ausdrücklichen Bestimmung übergeben wurde, dieser solle der Erstattung von Auslagen für die Anmietung eines Kurierfahrzeuges dienen. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit dem von ihm vereinnahmten Entgelt für die Betäubungsmittel in Höhe von 21.600 € sowie dem als Tatlohn und Auslagenerstattung erhaltenen Betrag in Höhe von 3.300 € insgesamt 24.900 € durch die urteilsgegenständlichen Taten erlangte. Dementsprechend hat sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in dieser Höhe angeordnet, davon im Hinblick darauf, dass der Angeklagte das Entgelt für die übergebenen Betäubungsmittel an seinen Hintermann auskehrte, in Höhe von 21.600 € als Gesamtschuldner.

bb) Während die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 21.600 € keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, hält die darüber hinausgehende Einziehung des als Tatlohn und Auslagenerstattung erlangten Betrages in Höhe von insgesamt 3.300 € der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Da der Angeklagte seinen Kurierlohn und die Auslagenerstattung jeweils nach der Ablieferung vereinnahmten Entgelts erhielt, liegt es nicht fern, dass er von seinem Auftraggeber aus dem Taterlös entlohnt wurde, den er diesem zuvor als vereinnahmtes Entgelt aus dem Betäubungsmittelverkauf übergeben hatte. In diesem Fall schiede eine Wertersatzeinziehung in Höhe des Kurierlohns und der Auslagenerstattung aus, weil es ansonsten zu einer nicht statthaften doppelten Abschöpfung vom Angeklagten im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangter Vermögenswerte käme (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2019 – 5 StR 130/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20 Rn. 15). Da die Urteilsgründe sich zu dieser Frage nicht verhalten, sind sie insofern durchgreifend lückenhaft. Soweit die Strafkammer die Einziehung des Wertes von Taterträgen hinsichtlich des vom Angeklagten erlangten Kurierlohns und der Auslagenerstattung in Höhe von zusammen 3.300 € angeordnet hat, bedarf die Sache daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Die bislang zur Wertersatzeinziehung getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie lediglich zu ergänzen sind.“

Ergebnis: Auf dem Fehler bei der Strafzumessung beruhte das LG-Urteil nach Ansicht des BGH nicht, also hatte der Fehler – außer dem Rüffel – keine Auswirkungen. Zur Einziehung hat der BGH aufgehoben und zurückverwiesen.

BtM I: Der Angeklagte als Kurierfahrer des „Kokstaxi“, oder: Täterschaft oder Teilnahme?

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die mit Betäbungsmitteln zu tun haben. Nichts Weltbewegendes, aber immerhin.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 11.04.2022 – 4 StR 461/21.Das LG hat den Angeklagten u.a. „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in der Nacht zum 27. September 2020 einen Lieferservice für Betäubungsmittel als sogenanntes „Kokstaxi“. Für die Ausübung dieser Tätigkeit erhielt er ein Mobiltelefon, auf dem sich ein Messengerdienst mit einer voreingestellten Chatgruppe befand, über die Betäubungsmittel bestellt werden konnten. Im Handschuhfach des von ihm geführten Mietfahrzeugs befanden sich mindestens 15 Eppendorfgefäße mit einem Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt ca. 6,7 Gramm Kokain-Hydrochlorid und vier Tüten mit ca. 16 Gramm Blütenständen von Cannabispflanzen, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf an Kunden bestimmt waren. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob der Angeklagte sich selbst als Verkäufer betätigte und das Rauschgift sowie das Handy selbst in das Fahrzeug verbracht hatte oder ob er das Fahrzeug wissentlich bereits mit den Betäubungsmitteln und dem Mobiltelefon übernommen hatte. Jedenfalls wickelte er die einzelnen Bestellungen selbständig ab.

Da der Angeklagte in der Tatnacht erkennbar zu schnell fuhr, fiel er einer Polizeistreife auf. Der Angeklagte floh vor den Polizeibeamten, die ihn nicht einzuholen vermochten. Nachdem er bereits eine Kreuzung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit bei Rotlicht und unter Nutzung des Radweges überquert hatte, fuhr der Angeklagte mit mindestens 90 km/h über die Rotlicht zeigende Ampel in den Bereich der nächsten Kreuzung ein, um dort nach links abzubiegen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit war das Fahrzeug dabei nicht mehr kontrollierbar, brach aus und prallte letztlich gegen eine Hauswand. An dem Gebäude entstand ein erheblicher Sachschaden. Der Angeklagte entfernte sich noch vor Eintreffen der Polizei zu Fuß vom Unfallort. Er war sich der mit seiner Fahrweise beim zu schnellen Einfahren in die Kreuzung verbundenen Risiken bewusst und nahm das angesichts der hohen Geschwindigkeit als naheliegend erkannte Unfallereignis zumindest billigend in Kauf. Zur Tatzeit war er – was er hätte wissen müssen – alkoholbedingt nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu führen, und – wie ihm bewusst war – nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.“

Der BGH hat die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens aufgehoben und den Angeklagten nur wegen Beihilfe verurteilt:

„a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt es für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 – 4 StR 174/14 , NStZ 2015, 225, 226; Urteil vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07 , NJW 2008, 1460; Urteil vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06 , BGHSt 51, 219 ). Erschöpft sich der Tatbeitrag im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn dem Auslieferer Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 – 4 StR 174/14 , NStZ 2015, 225, 226).

Daran gemessen tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob der Angeklagte ein eigenes Interesse an den abzuwickelnden Drogengeschäften hatte; weder eine finanzielle Beteiligung an den Geschäften noch eine sonstige Entlohnung oder ein anderweitiges eigennütziges Motiv ist festgestellt. Unklar bleibt zudem, ob der Angeklagte unmittelbar am Verkauf der Betäubungsmittel beteiligt war oder lediglich die über die Chatgruppe getätigten Bestellungen ausfahren und den zuvor schon unabhängig von seiner Mitwirkung festgesetzten Kaufpreis entgegennehmen sollte. Erfüllt sind jedoch die Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und – tateinheitlich – der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.“

BtM III: Zurückstellung der Strafvollstreckung, oder: Voraussetzungen und Therapiebereitschaft

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Und als letzte Entscheidung aus dem Bereich BtM habe ich dann hier noch den OLG Jena, Beschl. v. 13.04.2022 – 1 Ws 88/22, den mir die Kollegin A. Klein aus Erfurt geschickt hat. Es geht um die Zurückstellung der Strafvollstreckung.

Der Verurteilte ist u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die verbüßt der Verurteilte, Zwei-Drittel-Termin ist/war für den 22.08.2022 sowie Strafende für den 02.07.2023 notiert.

Um die Zurückstellung der Strafvollstreckung dieser Strafe gemäß § 35 BtMG geht es. Es sind – um es kurz zu machen – alle dafür, nur das LG will nicht mitmachen. Das geht dann hin und her, bis eben das OLG Jena in der Entscheidung – auf die Beschwerde der StA (!) – ein „Machtwort“ spricht und die Zustimmung erteilt:

„Die gemäß §§ 35 Abs. 2 Satz 1 BtMG, 304 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 2. Halbsatz BtMG.

In ihrer Zuschrift an den Senat hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:

„Nach § 35 Abs. 1 BtMG steht die Entscheidung über die Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung für den Fall des Vorliegens der in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen im Ermessen des Gerichts, welches bei dieser Entscheidung die gleichen Kriterien anzulegen hat wie die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über den Zurückstellungsantrag. Die angefochtene Entscheidung ist daraufhin zu überprüfen, ob das Gericht bei seiner Entscheidung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob es seiner Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob es dabei die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens eingehalten hat (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.11.2011, 7 Zs 1573/11, zitiert nach juris). Das Gericht darf sich nicht auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Er-kenntnisse beschränken, sondern hat der Entscheidung auch die nach Urteilserlass von der Vollstreckungsbehörde ermittelten oder sonst bekannt gewordenen Umstände zugrunde zu legen (Münchener Kommentar – Kornprobst, BtMG, 4. Auflage, § 35 Rn. 117).

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 08.10.2021 wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

Das Landgericht Erfurt beschränkt sich in seinem Beschluss im Wesentlichen auf Erkenntnisse, die es Rahmen der Hauptverhandlung gewonnen hat. Es begründet die Ablehnung seiner Zustimmung im Beschluss vom 08.10.2021 damit, dass die Kammer im Urteil vom 21.06.2021 keine Feststellungen dazu getroffen habe. dass der Verurteilte die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Zwar besitze der Verurteilte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. pp. einen Hang i.S.d. § 64 StGB, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. Weitere belastbare Feststellungen zu einer Betäubungsmittelabhängigkeit, welche mehr als ein Hang sei, habe die Kammer aufgrund der fehlenden Explorationsbereitschaft des Verurteilten nicht treffen können. Auch wenn die JVA Hinweise auf eine bestehende Abhängigkeitserkrankung habe, sei diese nicht positiv festgestellt worden. Eine solche positive Feststellung sei jedoch zwingende Voraussetzung für die Erteilung einer gerichtlichen Zustimmung. In seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 02.03.2022 nimmt das Landgericht Erfurt auf diese Ausführungen Bezug….“

Dem schließt sich der Senat an und führt ergänzend noch folgendes aus:

Die Therapiebereitschaft eines Drogenabhängigen ist dann zu bejahen, wenn er ernsthaft gewillt ist, eine Therapie zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer geeigneten Einrichtung nach den dort geltenden Regeln, Anweisungen und Bedingungen anzutreten und durchzustehen, um eine bestehende Drogenabhängigkeit zu beseitigen, und an diesem Ziel aktiv mitzuarbeiten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17.10.2013, 2 VAs 77/13, bei juris, m.w.N.).

Wegen der stets gegenwärtigen Rückfallgefährdung nicht erfolgreich therapierter Drogenabhängiger ist deren Therapiebereitschaft in aller Regel brüchig und häufig schwankend. Deshalb dürfen an dieses Tatbestandsmerkmal keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, denn es ist auch Zweck der Zurückstellung, die Therapiemotivation zu fördern (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.). Gerade auch Risikoprobanden mit schlechter Prognose (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.) sollen mit der Vorschrift des § 35 BtMG erreicht werden. Der Nachweis fehlenden Therapiewillens ist schwierig. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.w.N.) herrscht Einigkeit, dass sich der Weg aus der Sucht als ein langes, auch von Rückschlägen begleitetes prozesshaftes Geschehen darstellt, so dass sich ein Behandlungserfolg häufig erst nach mehreren Therapieversuchen einstellt.

Deshalb lassen auch wiederholte Therapieabbrüche nicht ohne Weiteres den Schluss auf einen fehlenden Therapiewillen zu. Auch der Gesetzgeber geht in § 35 Abs. 5 BtMG ausdrücklich davon aus, dass ein früherer Widerruf einer erneuten Zurückstellung nicht entgegensteht. Maßgeblich kommt es darauf an, ob das Verhalten des Verurteilten über die Tatsache des Scheiterns früherer Therapieversuche hinaus konkrete Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Therapiebereitschaft begründet. Solche Gründe können in einer besonders verantwortungslosen und leichtfertigen Weise gefunden werden, mit der ein Verurteilter Therapiechancen vergibt, etwa indem er mehrfach Therapien nicht antritt oder nach sehr kurzer Zeit aufgibt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O., m.wN.), was ausweislich des Inhalts der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Hohenleuben vom 27.09.2021 beim Verurteilten nicht der Fall ist.“