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BtM I: Besitz von BtM setzt Besitzwillen voraus, oder: Allein Kenntnis/Billigung der Lagerung keine Beihilfe

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Und heute dann ein „BtM-Tag“ 🙂 , also ein Tag mit Entscheidungen zu BtM.

Zunächst hier das BGH, Urt. v. 08.12.2022 – 5 StR 351/22. Das LG hat den Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen Euro verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestĂĽtzten Revision eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„1. Der Bruder des Angeklagten brachte Mitte August 2021 etwa 2.620 Gramm Marihuana mit knapp 220 Gramm THC, fast 3.420 Gramm Haschisch mit gut 1.050 Gramm THC und rund 272 Gramm Kokain mit circa 226 Gramm CHC in das Gästezimmer der Wohnung des Angeklagten, um die Betäubungsmittel fĂĽr den sukzessiven gewinnbringenden Weiterverkauf zu lagern. Er hatte das Zimmer frĂĽher zeitweilig bewohnt und verfĂĽgte noch ĂĽber einen WohnungsschlĂĽssel. Aufgrund dessen konnte er die in zwei Sporttaschen, einer karierten Einkaufstasche, einer KunststofftĂĽte und drei PlastiktĂĽten verstauten Betäubungsmittel in die Wohnung bringen, ohne dass der Angeklagte hiervon Kenntnis erlangte. Nachdem dieser auf die im Gästezimmer gelagerten Drogen aufmerksam geworden war, bat er seinen Bruder, sie wegzuschaffen. Dieser sagte zu, der Bitte nachzukommen, sobald er einen anderen Lagerort gefunden habe. Der Angeklagte „nahm dies hin, wobei er seinem Bruder zu verstehen gab, dass eine weitere Lagerung im Gästezimmer allenfalls noch fĂĽr eine kurze Zeit bzw. wenige Wochen in Betracht komme, um seinen Bruder zu einem zĂĽgigen Herausschaffen der Betäubungsmittel aus der Wohnung zu bewegen.“ Auch im weiteren Verlauf inspizierte der Angeklagte die Sportaschen und die EinkaufstĂĽte nicht und fasste sie nicht an. Aufgrund des Geruchs nahm er an, dass es sich bei den Drogen um größere Mengen Marihuana handelte. Von den weiteren Betäubungsmittelarten und den Mengen blieb er in Unkenntnis. Die zum Verkauf bestimmten Betäubungsmittel und weitere fast 19 Gramm Marihuana mit rund  1,9 Gramm THC, die der Angeklagte fĂĽr den Eigenkonsum unterhalb des Couchtisches im Gästezimmer verwahrte, wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung am 2. September 2021 sichergestellt.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten mit Blick auf das zu seinem Eigenkonsum bestimmte Marihuana wegen Besitzes von Betäubungsmitteln für schuldig befunden. Im Übrigen habe ihm kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden können. Ein Besitz an den im Gästezimmer gelagerten Drogen seines Bruders sei nicht gegeben, denn der Angeklagte habe mit ihnen „zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise umgehen oder sie in seiner Wohnung“ haben wollen. Eine Beihilfe zum Handeltreiben seines Bruders durch ein Tun scheide aus, weil er „keine aktive Hilfe“ zum Betäubungsmittelhandel seines Bruders geleistet habe; für eine Verurteilung wegen einer Beihilfe durch Unterlassen fehle es an einer Garantenstellung des Angeklagten.

Dazu meint der BGH:

„1. Entgegen der Auffassung der Revision ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von einer Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge abgesehen hat.

a) Besitz im Sinne des Betäubungsmittelrechts setzt ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten. Besitzer im betäubungsmittelrechtlichen Sinne ist dabei nicht nur ein Eigenbesitzer. Auch ein Fremdbesitzer, der die tatsächliche Verfügungsgewalt für einen anderen ausübt und keine eigene Verfügungsgewalt in Anspruch nehmen will, besitzt die Betäubungsmittel; das gilt insbesondere für den Verwahrer (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 2022 – 1 StR 75/22 Rn. 7; vom 18. November 2021 – 3 StR 131/21 Rn. 9).

b) Gemessen daran hält die rechtliche Würdigung des Landgerichts der Nachprüfung stand. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht mit Recht einen Besitzwillen des Angeklagten verneint. Zwar „nahm“ der Angeklagte danach ausdrücklich „hin“, dass sein Bruder „jedenfalls … größere Mengen Marihuana“ – wenn auch nur für eine kurze Zeit – im Gästezimmer seiner Wohnung aufbewahrte. Dies allein genügt aber nicht für die rechtliche Wertung, er sei Besitzer der Betäubungsmittel gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2022 – 1 StR 75/22 Rn. 8). Ein Verhalten des Angeklagten, das über die bloße Billigung der kurzzeitigen Lagerung in der Wohnung hinausging, hat das Landgericht nicht festgestellt, vielmehr aber gewichtige gegen einen Besitzwillen des Angeklagten sprechende Umstände: Die Betäubungsmittel wurden ohne seine Kenntnis in seine Wohnung gebracht. Sein Bruder verfügte über einen eigenen Schlüssel zu der Wohnung und ging dort selbständig ein und aus; er konnte daher jederzeit ohne die Mitwirkung des Angeklagten auf die Drogen zugreifen. Der Angeklagte ließ die Betäubungsmittel, die größtenteils in nicht einsehbaren Taschen verpackt waren, unangetastet und drängte seinen Bruder dazu, sie zügig aus der Wohnung zu schaffen. Dem Umstand, dass er mit seinem Bruder über die kurzzeitige Fortdauer der Lagerung der Drogen im Gästezimmer der Wohnung sprach und sie nicht nur stillschweigend hinnahm, kommt unter diesen Umständen kein entscheidendes Gewicht zu. Soweit die Revision anführt, der Besitzwille ergebe sich daraus, dass der Angeklagte sich ausdrücklich dazu bereit erklärte, „die Drogen für seinen Bruder … zu verwahren“, löst sie sich von den Urteilsfeststellungen. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe mit Betäubungsmitteln „zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise umgehen oder sie in seiner Wohnung haben“ wollen, und aufgrund dessen einen (Eigen- oder Fremd-) Besitzwillen des Angeklagten verneint hat.

3. Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung auch stand, soweit das Landgericht sich an einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gehindert gesehen hat.

Das Landgericht ist rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass allein die Kenntnis und Billigung der Lagerung von Betäubungsmitteln in der Wohnung ohne eine irgendwie geartete, die Handelstätigkeit objektiv fördernde Unterstützungshandlung nicht die Voraussetzungen der strafbaren Beihilfe erfüllt  (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 6 StR 227/20 Rn. 3, StV 2021, 423).

a) Einen derartigen Unterstützungsbeitrag des Angeklagten durch positives Tun hat es indes nicht festgestellt. Insbesondere lässt sich den Urteilsfeststellungen keine auf die künftige Billigung des Rauschgifthandels in der Wohnung bezogene Zusage des Angeklagten entnehmen, die als psychische Unterstützung der Taten des Mitangeklagten gewertet werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2016 – 4 StR 459/15 Rn. 4; siehe zur Abgrenzung auch BGH, Urteil vom 25. April 2017 – 5 StR 106/17 Rn. 5, NStZ-RR 2017, 219, 220). Anders als die Revision meint, lässt sich eine solche auch nicht darin erblicken, dass der Angeklagte bei der Hinnahme der Fortdauer der Lagerung der Betäubungsmittel seinem Bruder zu verstehen gab, dies komme allenfalls noch für eine kurze Zeit in Betracht, um ihn zu deren zügigen Beendigung zu bewegen. Denn diesem Verhalten mangelt es an der – für die Annahme einer psychischen Beihilfe notwendigen – objektiv fördernden Funktion für das Handeltreiben seines Bruders und einer entsprechenden Willensrichtung des Angeklagten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 206/11 Rn. 3, NStZ 2012, 316 f.). Dies wird durch folgende Überlegung bestätigt: Hätte der Angeklagte die Fortdauer der Lagerung stillschweigend hingenommen, wäre dies keine Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gewesen. Gelangte man unter den gegebenen Umständen zu einer gegenteiligen Bewertung, hätte sich der Angeklagte nur deshalb bestraft gemacht, weil er bei der Hinnahme der Fortdauer der Lagerung ausdrücklich auf deren zügige Beendigung hingewirkt hat. Dies würde jedoch zu einem Wertungswiderspruch führen, weil derjenige, der stillschweigend die zeitlich unbegrenzte Lagerung von Betäubungsmitteln in seiner Wohnung hinnimmt, besserstünde als derjenige, der bei der Hinnahme dieses Zustandes zusätzlich (ausdrücklich) auf dessen baldige Beendigung hinwirkt.

b) Eine Beihilfe durch Unterlassen setzt eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB voraus. Eine solche liegt hier nicht vor. Denn ein Wohnungsinhaber hat grundsätzlich nicht die Rechtspflicht, gegen ein von ihm bemerktes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch Dritte in seiner Wohnung einzuschreiten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 445/20 Rn. 48; Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 6 StR 227/20 Rn. 5, StV 2021, 423).“

Strafzumessung II: Nochmals Urteil wegen BtM-Delikte, oder: Einlassungsverhalten und Gewerbsmäßigkeit

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Und als zweite Entscheidung  heute dann das BGH, Urt. v. 20.07.2022 – 5 StR 29/22. Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hat:

„1. Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit entfernt, dass sie sich nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Spielraums bewegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist daher ausgeschlossen. Das Revisionsgericht muss die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 StR 545/20 mwN). Dies gilt in gleicher Weise fĂĽr die Bildung der Gesamtstrafe (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2022 – 5 StR 369/21).

2. Daran gemessen weist die Strafzumessung weder zugunsten noch zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten Rechtsfehler auf.

a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist dem Landgericht bei der „Bewertung des Einlassungsverhaltens“ kein Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten unterlaufen.

Das Landgericht hat strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits vor Prozessbeginn ein umfassendes Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung wiederholt hat. Angesichts der damals noch nicht geklärten Rechtsfrage der Verwertbarkeit von Encrochat-Daten hat es die geständigen Angaben als nicht „nur taktisch motiviert“ bewertet, sondern als „besonders werthaltig“ und von aufrichtiger Reue getragen. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Denn das Landgericht hat mit diesen Erwägungen lediglich begründet, weshalb es dem (frühzeitigen) Geständnis trotz gewichtiger belastender Beweismittel ein ungemindertes strafmilderndes Gewicht beigemessen hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106). Weil das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer auf einem echten Reue- und Schuldgefühl beruhenden Einlassung ausgegangen ist, hindert auch der Umstand, dass der Angeklagte die Qualität des gehandelten LSD relativiert hat, nicht, das Geständnis als „werthaltig“ zu bewerten und ihm daher eine erhebliche strafmildernde Bedeutung beizumessen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 2 StR 589/18).

Die vom Landgericht vorgenommene Gewichtung des strafmildernden Gehalts des Geständnisses hält sich im Rahmen des tatgerichtlichen Ermessens und weist daher keinen Rechtsfehler auf.

b) Anders als der Generalbundesanwalt meint, stellt es keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht die festgestellte gewerbsmäßige Tatbegehung nicht als bestimmenden Strafzumessungsumstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zulasten des Angeklagten berücksichtigt hat.

Zwar kann die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 – 3 StR 319/20; Urteil vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20). Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt auch insofern: Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, entscheidet das Tatgericht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2021 – 6 StR 127/21). Eine strafzumessungsrechtlich beachtliche Lücke deckt die Revision nicht auf (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 – 3 StR 21/21 Rn. 55 [in NJW 2021, 2813 nicht abgedruckt]; vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).

c) Im Ăśbrigen setzt die BeschwerdefĂĽhrerin lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts; dies ist revisionsrechtlich unbehelflich. Entgegen der Revision sind weder die Einzelstrafen noch die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar niedrig.“

BtM III: Zwei „klassische Strafzumessungsfehler“, oder: Was man als Strafkammer wissen sollte

Und die dritte Entscheidung, die ich vorstelle, ist der BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – 4 StR 80/22. In ihm geht es auch um die Strafzumessung, Die Strafkammer hatte zwei „klassische Fehler“ gemacht, die aber keine Folgen hatten. Richtig, nach Auffassung des BGH das Urteil beruhte nicht auf diesen Fehlern:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Im Rahmen der Strafzumessung in den Fällen II. 35.) bis 37.) der Urteilsgründe sind die Erwägungen des Landgerichts nicht frei von Bedenken, soweit es strafschärfend berücksichtigt hat, dass es sich bei Ecstasy „nicht mehr um eine weiche Droge“ handele. Damit hat die Strafkammer dem Angeklagten das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes angelastet. Die mindere Gefährlichkeit einer „weichen“ Droge wie Cannabis kann bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2020 – 4 StR 537/19 Rn. 11; Beschluss vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16 Rn. 12; Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vorbemerkungen zu §§ 29 ff. BtMG Rn. 120). Dem bloßen Fehlen eines solchen Strafmilderungsgrundes bei einem Betäubungsmittel mittlerer Gefährlichkeit wie Ecstasy (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2019 – 4 StR 463/18 Rn. 11 mwN) darf hingegen keine straferhöhende Wirkung beigemessen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17 Rn. 5 mwN zu Amphetamin; s. ferner BGH, Beschluss vom 9. November 2017 – 4 StR 393/17 Rn. 4; Beschluss vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17 Rn. 12).

Das Landgericht hat zudem rechtsfehlerhaft in den Fällen II. 35.) und 36.) der Urteilsgründe, in denen es den Angeklagten jeweils wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt hat, straferschwerend herangezogen, dass die Betäubungsmittel „auch tatsächlich in Umlauf gelangt“ seien. Mit dieser Erwägung hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Denn der Handel mit Betäubungsmitteln erfasst typischerweise deren Verkauf an andere Personen und damit auch, dass die Betäubungsmittel in den Verkehr geraten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2021 – 2 StR 13/21; Beschluss vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17 Rn. 11).

Der Senat kann allerdings mit Blick auf die weiteren Zumessungserwägungen ausschlieĂźen, dass die in den Fällen II. 35.) bis 37.) der UrteilsgrĂĽnde verhängten (maĂźvollen) Einzelgeldstrafen auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruhen.“

Sollte man an sich als Strafkammer wissen…..

BtM II: Amphetamin BtM von mittlerer Gefährlichkeit, oder: Die Einziehung beim Kurierfahrer

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Author Orlan

Die zweite Entscheidung des Tages, der BGH, Beschl. v. 26.07.2022 – 3 StR 193/22 – kommt auch vom BGH. In ihm nimmt der BGH zu zwei Fragen Stellung: Nämlich zu Strafzumessung und zur Einziehung.

Zur Strafzumessung fĂĽhrt er aus:

„1. Die umfassende materiellrechtliche ĂśberprĂĽfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf insofern nur das Folgende:

Die Strafkammer hat sowohl bei der PrĂĽfung des Vorliegens minder schwerer Fälle im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne schulderhöhend gewertet, dass es sich bei dem tatgegenständlichen Amphetamin um „ein jedenfalls nicht unterdurchschnittlich gefährliches Betäubungsmittel“ handelte. Diese Erwägung stößt auf rechtliche Bedenken. Denn Amphetamin ist ein Betäubungsmittel von mittlerer Gefährlichkeit (vgl. BGH, BeschlĂĽsse vom 19. Mai 2022 – 1 StR 83/22, juris Rn. 4; vom 18. März 2019 – 5 StR 462/18, juris; vom 14. August 2018 – 1 StR 323/18, StV 2019, 339 Rn. 4; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 943, 946). Damit aber darf der Art des Betäubungsmittels bei Amphetamin fĂĽr sich genommen keine schulderhöhende Wirkung beigemessen werden (BGH, BeschlĂĽsse vom 18. März 2019 – 5 StR 462/18, juris; vom 23. Januar 2018 – 3 StR 586/17, juris Rn. 5; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1801; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 797, 945). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil aber nicht. Angesichts der ĂĽbrigen Strafzumessungserwägungen, der festgesetzten Einzelstrafen und der Höhe der Gesamtstrafe ist auszuschlieĂźen, dass die Strafkammer geringere Einzelstrafen und eine niedrigere Gesamtstrafe verhängt hätte, wenn sie den Umstand, dass die Taten Amphetamin betrafen, nicht als schulderhöhend angesehen hätte.

Und zur Einziehungsentscheidung heiĂźt es:

„2. Die Einziehungsentscheidungen halten der rechtlichen NachprĂĽfung nicht in vollem Umfang stand.

a) Die Einziehung von 1.795,01 Gramm Cannabiskraut, 52,45 Gramm Kokainzubereitung und einer Flasche mit 779,73 Gramm Amphetaminöl hat zu entfallen. Denn nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wurden diese Betäubungsmittel zwar anlässlich von Durchsuchungen der Wohnung des Angeklagten in dieser aufgefunden und sichergestellt. Sie standen jedoch in keinem Bezug zu den verfahrensgegenständlichen Taten; diese hatten den Transport von anderen Betäubungsmitteln durch den Angeklagten als Kurier fĂĽr einen Dritten zum Gegenstand. Damit kommt eine Einziehung der vorgenannten Betäubungsmittel gemäß § 74 Abs. 2 StGB i.V.m. § 33 Satz 1 BtMG nicht in Betracht, weil sie keine Tatobjekte der abgeurteilten Taten waren (vgl. BGH, BeschlĂĽsse vom 31. Mai 2022 – 3 StR 122/22, juris Rn. 27; vom 2. November 2021 – 3 StR 324/21, juris Rn. 5; vom 27. Januar 2021 – 3 StR 471/20, juris Rn. 4). Eine Einziehung im vorliegenden Verfahren nach § 76a StGB scheidet schon mangels eines hierauf gerichteten Antrags der Staatsanwaltschaft (§ 435 Abs. 1 StPO) aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95 Rn. 17 mwN; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 33 Rn. 452).

b) Die Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist, soweit diese in Höhe von mehr als 21.600 € angeordnet worden ist, nicht tragfähig begründet.

aa) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Kuriertätigkeit Betäubungsmittel an einen Käufer lieferte und im Gegenzug die Kaufpreise in Höhe von insgesamt 21.600 € entgegennahm. Diese kehrte er an seinen Hintermann aus, der ihn jeweils direkt bei der Übergabe entlohnte. Insgesamt bekam der Angeklagte für seine Kurierfahrten von seinem Auftraggeber 3.300 €, wobei ihm ein Anteil in Höhe von 500 € mit der ausdrücklichen Bestimmung übergeben wurde, dieser solle der Erstattung von Auslagen für die Anmietung eines Kurierfahrzeuges dienen. Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit dem von ihm vereinnahmten Entgelt für die Betäubungsmittel in Höhe von 21.600 € sowie dem als Tatlohn und Auslagenerstattung erhaltenen Betrag in Höhe von 3.300 € insgesamt 24.900 € durch die urteilsgegenständlichen Taten erlangte. Dementsprechend hat sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in dieser Höhe angeordnet, davon im Hinblick darauf, dass der Angeklagte das Entgelt für die übergebenen Betäubungsmittel an seinen Hintermann auskehrte, in Höhe von 21.600 € als Gesamtschuldner.

bb) Während die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 21.600 € keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, hält die darĂĽber hinausgehende Einziehung des als Tatlohn und Auslagenerstattung erlangten Betrages in Höhe von insgesamt 3.300 € der revisionsrechtlichen NachprĂĽfung nicht stand. Da der Angeklagte seinen Kurierlohn und die Auslagenerstattung jeweils nach der Ablieferung vereinnahmten Entgelts erhielt, liegt es nicht fern, dass er von seinem Auftraggeber aus dem Taterlös entlohnt wurde, den er diesem zuvor als vereinnahmtes Entgelt aus dem Betäubungsmittelverkauf ĂĽbergeben hatte. In diesem Fall schiede eine Wertersatzeinziehung in Höhe des Kurierlohns und der Auslagenerstattung aus, weil es ansonsten zu einer nicht statthaften doppelten Abschöpfung vom Angeklagten im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangter Vermögenswerte käme (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2019 – 5 StR 130/19, juris Rn. 11; Beschluss vom 21. August 2018 – 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20 Rn. 15). Da die UrteilsgrĂĽnde sich zu dieser Frage nicht verhalten, sind sie insofern durchgreifend lĂĽckenhaft. Soweit die Strafkammer die Einziehung des Wertes von Taterträgen hinsichtlich des vom Angeklagten erlangten Kurierlohns und der Auslagenerstattung in Höhe von zusammen 3.300 € angeordnet hat, bedarf die Sache daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Die bislang zur Wertersatzeinziehung getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie lediglich zu ergänzen sind.“

Ergebnis: Auf dem Fehler bei der Strafzumessung beruhte das LG-Urteil nach Ansicht des BGH nicht, also hatte der Fehler – auĂźer dem RĂĽffel – keine Auswirkungen. Zur Einziehung hat der BGH aufgehoben und zurĂĽckverwiesen.

BtM I: Der Angeklagte als Kurierfahrer des „Kokstaxi“, oder: Täterschaft oder Teilnahme?

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die mit Betäbungsmitteln zu tun haben. Nichts Weltbewegendes, aber immerhin.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 11.04.2022 – 4 StR 461/21.Das LG hat den Angeklagten u.a. „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte.

Das LG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in der Nacht zum 27. September 2020 einen Lieferservice fĂĽr Betäubungsmittel als sogenanntes „Kokstaxi“. FĂĽr die AusĂĽbung dieser Tätigkeit erhielt er ein Mobiltelefon, auf dem sich ein Messengerdienst mit einer voreingestellten Chatgruppe befand, ĂĽber die Betäubungsmittel bestellt werden konnten. Im Handschuhfach des von ihm gefĂĽhrten Mietfahrzeugs befanden sich mindestens 15 Eppendorfgefäße mit einem Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt ca. 6,7 Gramm Kokain-Hydrochlorid und vier TĂĽten mit ca. 16 Gramm BlĂĽtenständen von Cannabispflanzen, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf an Kunden bestimmt waren. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob der Angeklagte sich selbst als Verkäufer betätigte und das Rauschgift sowie das Handy selbst in das Fahrzeug verbracht hatte oder ob er das Fahrzeug wissentlich bereits mit den Betäubungsmitteln und dem Mobiltelefon ĂĽbernommen hatte. Jedenfalls wickelte er die einzelnen Bestellungen selbständig ab.

Da der Angeklagte in der Tatnacht erkennbar zu schnell fuhr, fiel er einer Polizeistreife auf. Der Angeklagte floh vor den Polizeibeamten, die ihn nicht einzuholen vermochten. Nachdem er bereits eine Kreuzung mit deutlich ĂĽberhöhter Geschwindigkeit bei Rotlicht und unter Nutzung des Radweges ĂĽberquert hatte, fuhr der Angeklagte mit mindestens 90 km/h ĂĽber die Rotlicht zeigende Ampel in den Bereich der nächsten Kreuzung ein, um dort nach links abzubiegen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit war das Fahrzeug dabei nicht mehr kontrollierbar, brach aus und prallte letztlich gegen eine Hauswand. An dem Gebäude entstand ein erheblicher Sachschaden. Der Angeklagte entfernte sich noch vor Eintreffen der Polizei zu FuĂź vom Unfallort. Er war sich der mit seiner Fahrweise beim zu schnellen Einfahren in die Kreuzung verbundenen Risiken bewusst und nahm das angesichts der hohen Geschwindigkeit als naheliegend erkannte Unfallereignis zumindest billigend in Kauf. Zur Tatzeit war er – was er hätte wissen mĂĽssen – alkoholbedingt nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu fĂĽhren, und – wie ihm bewusst war – nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.“

Der BGH hat die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens aufgehoben und den Angeklagten nur wegen Beihilfe verurteilt:

„a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt es fĂĽr die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 – 4 StR 174/14 , NStZ 2015, 225, 226; Urteil vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07 , NJW 2008, 1460; Urteil vom 28. Februar 2007 – 2 StR 516/06 , BGHSt 51, 219 ). Erschöpft sich der Tatbeitrag im bloĂźen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn dem Auslieferer Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, ĂĽber den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 – 4 StR 174/14 , NStZ 2015, 225, 226).

Daran gemessen tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob der Angeklagte ein eigenes Interesse an den abzuwickelnden Drogengeschäften hatte; weder eine finanzielle Beteiligung an den Geschäften noch eine sonstige Entlohnung oder ein anderweitiges eigennĂĽtziges Motiv ist festgestellt. Unklar bleibt zudem, ob der Angeklagte unmittelbar am Verkauf der Betäubungsmittel beteiligt war oder lediglich die ĂĽber die Chatgruppe getätigten Bestellungen ausfahren und den zuvor schon unabhängig von seiner Mitwirkung festgesetzten Kaufpreis entgegennehmen sollte. ErfĂĽllt sind jedoch die Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und – tateinheitlich – der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.“