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Wiedereinsetzung I: Revision ans falsche LG gesandt, oder: Wann hat man davon erfahren?

Frist Termin

Und heute dann Fristversäumung und Wiedereinsetzung mit zwei Entscheidungen vom BGH und einer AG-Entscheidung.

Hier dann zunächst der BGH, Beschl. v. 29.08.2024 – 2 StR 382/24 – mal wieder mit einer klassischen Problematik zur Wiedereinsetzung, nämlich dem nicht ausreichen begründeten Wiedereinsetzungsantrag. Obwohl: Das ist an sich gar nicht so schwer.

Das LG hat den Angeklagten am 07.05.2024 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Mit elektronischem Schriftsatz vom 25.06.2024, eingegangen beim LG am selben Tag, hat die Verteidigerin des Angeklagten für diesen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision beantragt und zur Begründung vorgetragen und glaubhaft gemacht, sie habe die Revisionseinlegungsschrift am 10.05.2024 versehentlich an ein anderes als das zuständige LG gesandt und dies erst nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist bemerkt. Zugleich hat sie für den Angeklagten Revision gegen das Urteil des LG eingelegt.

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen und dabei die Stellungnahme des GBA „eingerückt“:

„Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt hierzu ausgeführt:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller, sofern sich – wie hier – die Wahrung der Frist des § 45 Abs. 1 StPO nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 – 4 StR 319/22 -, juris Rn. 2 mwN). An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es. Der Antrag vom 25. Juni 2024 enthält keine ausreichenden Angaben dazu, wann das Hindernis weggefallen ist, das der Fristwahrung entgegenstand. Besteht das Hindernis in der fehlenden Kenntnis von einer Fristversäumung, ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten entscheidend; auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Verteidigers kommt es nicht an (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 375/22 -, juris ohne Rn.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger – wie hier – ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2022 – 4 StR 319/22 -, juris Rn. 2 mwN). Wann dem Angeklagten die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist bekannt geworden ist, wird indes nicht vorgetragen und ergibt sich auch nicht eindeutig aus dem Inhalt der Akten. Da überdies offenbleibt, auf welchem Weg und wann die Verteidigerin des Angeklagten vom Versäumnis Kenntnis erlangt hat, fehlt auch insofern ein möglicher Anknüpfungspunkt, um eine vor Ablauf der Wochenfrist liegende Kenntniserlangung des Antragstellers auszuschließen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 – 5 StR 375/22 -, juris ohne Rn.; vom 31. Januar 2023 – 4 StR 237/22 -, juris Rn. 1). Verbleiben aber – wie hier – Zweifel an der Rechtzeitigkeit des Antrags, geht dies zu Lasten des Antragstellers (BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14 -, juris Rn. 12). Da sich bei derzeitigem Kenntnisstand nicht beurteilen lässt, ob die Nachholung der Revisionseinlegung innerhalb der Antragsfrist erfolgte (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO), kommt vorliegend auch keine Wiedereinsetzung von Amts wegen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2022 – 4 StR 76/22 -, juris Rn. 4).““

Ich verstehe es nicht. Warum macht man sich keine Checkliste dazu, was in den Antrag gehört, und arbeitet die dann bei der Begründung ab?

KCanG I: KCanG-Freigrenze bei mehreren Mengen, oder: Irrige Gehilfenvorstellung über Handelsgegenstand

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Heute gibt es zum Start in die 1. Adventswoche 2024 einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit zwei BGH-Entscheidungen, von denen ich aber nur den Leitsatz vorstelle. Den Rest empfehle ich dem Selbststudium. Beide Entscheidungen stammen vom 1. Strafsenat, beides sind sog. Leitsatzentscheidungen.

Hier sind dann:

An verschiedenen Wohnsitzen und dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichzeitig vorgehaltene Cannabismengen sind zur Bestimmung der strafrechtlich relevanten Freigrenze nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG zusammenzurechnen.

Zwischen den Straftatbeständen des Konsumcannabisgesetzes und denen des Betäubungsmittelgesetzes besteht eine tatbestandliche Verwandtschaft dergestalt, dass eine Fehlvorstellung des Gehilfen über die Substanz, deren Umgangs wegen sich der Haupttäter strafbar macht, nicht zum Entfallen des Gehilfenvorsatzes führt. Stellt sich der Gehilfe irrig vor, der Haupttäter handle mit Cannabis anstelle von vom Betäubungsmittelgesetz erfassten Substanzen, kann er sich wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis strafbar machen.

 

StGB II: K.O.-Tropfen gibt es mittels einer Pipette, oder: K.O.-Tropfen sind kein gefährliches Werkzeug

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Als zweite Entscheidung dann der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmte BGH, Beschl. v. 08.10.2024 – 5 StR 382/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt (u.a. § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB). Nach den Feststelllungen des LG besuchten am Vorabend eines Konzertes besuchten die Nebenklägerin und ihre Freundin den Angeklagten und dessen Verlobte, um bei ihnen zu übernachten. Der Austausch sexueller Handlungen war nicht vorgesehen. Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte gleichwohl, der bereits stark angetrunkenen Nebenklägerin heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte sie dadurch sexuell enthemmen, um dann mit und an ihr sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er tropfte das GBL mittels einer Pipette in ein nicht alkoholisches Getränk, das er der Nebenklägerin gab, die es nichtsahnend austrank. Dabei erkannte er und nahm billigend in Kauf, dass die Frau in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnte, in dem sie sich gegen solche Handlungen nicht würden wehren können. Ihm war bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das GBL zeigte die vom Angeklagten erwünschte Wirkung. Es kam zu sexuellen Handlungen. Der Angeklagte erkannte, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern. Ohne die heimliche Gabe der GBL-Tropfen hätte die Nebenklägerin sich nicht auf den erheblich älteren und ihr erst seit kurzer Zeit bekannten Angeklagten eingelassen. Die Revision des Angeklagten war teilweise erfolgreich:

„2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Verurteilung wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB keinen Bestand.

a) Zu Recht hat die Strafkammer allerdings angenommen, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichte. Ebenso wenig bestehen rechtliche Bedenken dagegen, dass sie das heimliche Verabreichen von GBL-Tropfen als Anwendung von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB gewertet hat (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1991 – 5 StR 498/90, BGHR StGB § 177 Abs.1 Gewalt 9 [zum unbemerkten Beibringen von LSD]; vom 15. September 1998 – 5 StR 173/98 [zur Verabreichung bewusstseinstrübender Mittel]).

b) Es hält aber der materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass die Strafkammer das Verabreichen von GBL mittels einer Pipette als ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewertet hat.

aa) GBL-Tropfen stellen für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang bringen (vgl. zur Bedeutung der Wortlautgrenze BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvL 1/20, BVerfGE Band 160, 284, NJW 2022, 1160 Rn. 96 ff.); auf die Frage der konkreten Dosierung oder der Gefährlichkeit des Mittels kann es daher nicht maßgeblich ankommen (in diesem Sinne aber möglicherweise BGH, Beschlüsse vom 6. März 2018 – 2 StR 65/18, NStZ-RR 2018, 141; vom 15. Juli 1998 – 1 StR 309/98). Insoweit gilt:.

(1) Bei einem Werkzeug handelt es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird (Duden Band 10, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „Werkzeug“ unter 1.a, S. 1121). Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, sind sie keine Gegenstände und ihnen kann damit auch keine Werkzeugqualität zukommen. GBL-Tropfen können mithin ohne eine Verletzung der sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Wortlautgrenze nicht als Werkzeug im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften bewertet werden (vgl. zu alldem MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15 mwN; ebenso LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20).

(2) Dies wird von systematischen Erwägungen gestützt. …. „

bb) Dass der Angeklagte die GBL-Tropfen mittels eines Gegenstandes, hier einer Pipette, in ein für die Nebenklägerin bestimmtes Getränk träufelte, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

(1) Für § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, an den die Vorschrift des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB angelehnt ist, gilt:

Eine Körperverletzung wird „mittels“ einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potentiell gefährliches Tatmittel verursacht wird (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138, 153; Beschluss vom 15. August 2023 – 4 StR 514/22 Rn. 17; jeweils mwN). Ein Gegenstand ist danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Dies kann beim Einsatz von Flüssigkeiten, Gasen oder auch Strahlen der Fall sein, wenn sie durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden. Voraussetzung ist indes, dass durch den Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper eingewirkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 – 3 StR 186/12, NStZ-RR 2012, 308; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15; LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 6 mwN).

Daran fehlt es hier. Denn der Angeklagte verwendete die Pipette lediglich als Dosierungshilfe und brachte mit ihr die Tropfen weder unmittelbar dem Körper der Nebenklägerin bei, noch hatte dieses – für sich genommen in der konkreten Verwendungsart ungefährliche – Instrument (insoweit möglicherweise weitergehend zur besonderen Form der Verabreichung eines Narkosemittels per Infusion: BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18, NStZ 2019, 273) selbst Kontakt zum Körper der Nebenklägerin. Die Pipette war hier lediglich ein Mittel, um die GBL-Tropfen mit dem Körper der Nebenklägerin mittelbar in Verbindung zu bringen, die ihre gesundheitsschädliche Wirkung – nach Konsum des Getränks über einen Stoffwechselprozess – erst noch entfalten mussten. Sie war daher nicht geeignet, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen; ihr haftete die erforderliche potentielle Gefährlichkeit nicht an. Die Pipette war danach kein gefährliches Werkzeug, sondern lediglich Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes; Handlungen unter Verwendung solcher Art Tatmittel unterfallen aber § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 11 mwN). Für die Tasse als bloßes Trinkgefäß, aus der die Nebenklägerin den mit GBL versetzten Apfelsaft selbständig trank, gilt erst recht nichts anderes……

(3) Für die Auslegung des Merkmals des gefährlichen Werkzeugs in § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB kann nichts anderes gelten.

Die von der Strafkammer angestellten teleologischen Erwägungen, nach der angesichts vergleichbarer Gefährlichkeit die Gleichbehandlung der Verwendung von sedierend wirkenden Substanzen und beispielsweise „Holzknüppeln“ geboten sei, negieren die aufgezeigten Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen gestützt kann insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden (in diesem Sinne auch MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 18). Soweit sich das Landgericht mit dem Vergleich zu Holzknüppeln auf das oben erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. November 1950 (4 StR 20/50, BGHSt 1, 1) bezogen haben sollte, in dem diese ebenfalls genannt werden, hätte es verkannt, dass der damalige Angeklagte dem Raubopfer Salzsäure aus einem Topf unmittelbar ins Gesicht schüttete und damit den Tatbestand der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs erfüllte.

Ungeachtet dessen bedürfte es der von der Strafkammer vorgenommenen Auslegung des Werkzeugbegriffs auch nicht, um zu einer schuldangemessenen Ahndung von Fällen der Verabreichung sedierender Substanzen im Rahmen des § 177 StGB zu kommen. Denn es ist dem Tatgericht unbenommen, solche Taten, in denen der Täter – wie hier – ein sehr gefährliches und in seiner konkreten Wirkungsweise, gerade in Kombination mit erheblichen Mengen Alkohol, kaum zu kontrollierendes Mittel im Sinne des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bei sich führt und sogar für die Tatbegehung einsetzt, bei der Strafzumessung entsprechend zu würdigen. Der Gesetzgeber hat bei den Strafobergrenzen in den Strafrahmen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB keinen Unterschied gemacht (§ 38 Abs. 2 StGB).

c) Obschon der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen durch das Verwenden des K.O.-Mittels zugleich § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 StGB verwirklichte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 5 StR 163/16 Rn. 3), sieht sich der Senat daran gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abzuändern. Denn nach den Feststellungen liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte.

Zwar hat das Landgericht in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es nur von einer „jedenfalls“ abstrakten Lebensgefahr ausgegangen ist. Dies steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Auffindesituation. Danach bestand bei der Nebenklägerin „aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit wie das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens“. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, dass dieses Risiko im zweiten Rechtsgang als eine konkrete Todesgefahr bewertet werden kann. Dies gilt auch in subjektiver Hinsicht: Denn nach den Feststellungen war dem Angeklagten bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das Verböserungsverbot steht einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 StR 519/19 Rn. 7 mwN).“

Als Verteidiger wird man sich für den zweiten Rechtsgang wegen der Ausführungen des BGh unter c) Sorgen machen müssen.

StGB I: Voraussetzung für räuberische Erpressung, oder: (Objektbezogener) Erzwungener Gewahrsamswechsel

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Wir beginnen den heutigen StGB-Tag zum Warmwerden mit einem (kleinen) BGH-Beschluss, und zwar dem BGH, Beschl. v. 2 StR 139/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung für schuldig befunden hat. Dagegen hält der Schuldspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II.4. der Urteilsgründe wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt hat.

a) Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte auf der Suche nach Geld oder anderen stehlenswerten Gegenständen am Morgen des durch die unverschlossene Tür ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht geöffnetes Restaurant in Frankfurt-Sachsenhausen. Dabei war er auch bereit, im Restaurant anwesenden Personen Bargeld oder andere Wertgegenstände wegzunehmen oder diese gewaltsam zur Herausgabe solcher Gegenstände zu veranlassen. Im Restaurant durchsuchte der Angeklagte zunächst erfolglos den Gastraum, bevor er sich in Richtung der Sanitärräume begab, wo er auf die als Reinigungskraft tätige Geschädigte traf. Er forderte diese auf, ihm ihr Geld auszuhändigen, und schlug ihr, um seine Forderung zu unterstreichen, mit der flachen Hand ins Gesicht. Nachdem der Geschädigten – ohne dass es zu einer Herausgabe von Geld gekommen wäre – die Flucht gelungen war, verließ der Angeklagte das Restaurant durch den Gastraum. Dort entdeckte er auf dem Tresen ein zum Inventar des Restaurants gehörendes Mobiltelefon im Wert von 400 €, das er an sich nahm.

b) Diese Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung nicht. Zwar ermöglichte die Flucht der Geschädigten dem Angeklagten, das im Gastraum des Restaurants liegende Mobiltelefon an sich zu nehmen. Allerdings belegen die Feststellungen der Strafkammer nicht, dass die Gewaltanwendung des Angeklagten gegenüber der Geschädigten (auch) der erstrebten Überlassung des zum Inventar des Restaurants gehörenden Mobiltelefons diente. Der Angeklagte wollte die Geschädigte vielmehr zur Herausgabe von Bargeld nötigen, was ihm jedoch durch deren Flucht misslang. Den konkreten Tatentschluss zur Wegnahme des sich im Gastraum befindlichen Mobiltelefons fasste der Angeklagte erst nach der Flucht der Geschädigten, sodass es – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – an der notwendigen Verknüpfung zwischen Raubmittel und Wegnahme fehlt (vgl. MüKo-StGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 8). Feststellungen zu einem erzwungenen Gewahrsamswechsel gerade im Hinblick auf das entwendete Mobiltelefon hat die Strafkammer nicht getroffen. Die Tat stellt sich daher als versuchte räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (in Bezug auf das Handeln des Angeklagten gegenüber der Geschädigten) und mit Diebstahl (durch Wegnahme des Mobiltelefons) dar.“

beA I: Beschwerde geht als Irrläufer beim AG ein, oder: AG leitet per Post und nicht per beA weiter

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Heute dann zum Wochenstart zwei Entscheidungen zum beA/elektronischen Dokument.

Die erste kommt vom BGH. Sie hat folgenden Sachverhalt: In einem (familienrechtlichen) Verfahren beantragte eine Rechtsanwälting für ihre Mandantin sechs Tage vor Fristablauf per beA, die Frist zur Beschwerdebegründung erstmals um einen Monat zu verlängern. Diesen Schriftsatz sandte sie nicht an das zuständige Beschwerdegericht, sondern an die erste Instanz, das AG. Die Geschäftsstelle druckte den Antrag aus und leitete ihn per Post an das OLG weiter. Dort kam er neun Tage später an, drei Tage nach Ablauf der Begründungsfrist, an.

Das OLG hat die Beschwerde wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag der Rechtsanwältin wurde wegen Anwaltsverschulden zurück gewiesen. Begründung: Selbst, wenn der Verlängerungsantrag noch rechtzeitig beim OLG eingegangen wäre, wäre er in jedem Fall nicht formgerecht – per beA – eingereicht worden, da er – unstreitig – in Papierform beim OLG eingegangen war. Die Rechtsanwältin habe auch nicht darauf vertrauen dürfen, dass das AG ihn elektronisch weiterleiten würde.

Der BGH hat im Rechtsbeschwerdeverfahren mit dem BGH, Beschl. v. 24.10.2024 – XII ZB 411/23 – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt:

„Ausgehend hiervon hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei ein der Antragstellerin zurechenbares Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten darin gesehen, dass diese den von ihrer Mitarbeiterin gefertigten Fristverlängerungsantrag vor Versendung nicht darauf überprüft hat, ob er an das zuständige Rechtsmittelgericht adressiert war. Dass die Verfahrensbevollmächtigte diesen anwaltlichen Sorgfaltspflichten nicht genügt hat (vgl. zu den Sorgfaltsanforderungen nur BGH Beschluss vom 20. April 2023 – I ZB 83/22 – MDR 2023, 932 Rn. 11 mwN), wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt.

bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird die Kausalität des Anwaltsverschuldens für die Fristversäumung jedoch dadurch ausgeschlossen, dass bei im ordentlichen Geschäftsgang erfolgender postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingehen hätte müssen.

(1) Geht ein fristgebundener Schriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf der Beteiligte darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2016 – XII ZB 203/15 – FamRZ 2016, 1762 Rn. 12 mwN; BGH Beschluss vom 20. April 2023 – I ZB 83/22 – MDR 2023, 932 Rn. 14 mwN).

(2) Gemessen daran durfte die Antragstellerin darauf vertrauen, dass ihr Fristverlängerungsantrag bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingeht. Dahinstehen kann dabei, ob die Annahme des Beschwerdegerichts zutrifft, dass die Antragstellerin eine elektronische Weiterleitung ihres Fristverlängerungsantrags nicht erwarten durfte. Denn nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts wäre im Rahmen eines ordentlichen Geschäftsgangs zu erwarten gewesen, dass bei postalischer Weiterleitung des am 13. Juni 2023 beim Amtsgericht als elektronisches Dokument iSd § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 130 a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 130 d Satz 1 ZPO per beA eingegangenen Fristverlängerungsantrags dieser am 19. Juni 2023 und damit noch vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist beim Beschwerdegericht eingegangen wäre. Damit entfällt die Kausalität des anwaltlichen Verschuldens für die Fristversäumnis.

(a) Ob die postalische Weiterleitung eines als elektronisches Dokument eingegangenen Schriftsatzes zu einem fristwahrenden Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Beschwerdegericht führen kann, ist allerdings umstritten.

Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass es – bezogen auf den maßgeblichen Zugang beim zuständigen Beschwerdegericht – im Falle einer postalischen Weiterleitung eines per beA beim unzuständigen Gericht eingegangenen Schriftsatzes an der Wahrung der elektronischen Form iSd §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO fehle (vgl. OLG Bamberg FamRZ 2022, 1382, 1384; VGH Baden-Württemberg Beschluss vom 6. September 2022 – 12 S 1365/22 – juris Rn. 24 zu § 55 d VwGO; so wohl auch jurisPK-ERV/Jansen 2. Aufl. § 233 ZPO Rn. 87; Anders/Gehle/Göertz ZPO 82. Aufl. § 519 Rn. 5; Musielak/Borth/Frank/Borth FamFG 7. Aufl. § 14 Rn. 2). Nach anderer Ansicht wird das Formerfordernis aus §§ 130 d Satz 1, 130 a Abs. 3 und 4 ZPO auch durch die Einreichung eines mit einer einfachen Signatur versehenen Schriftsatzes per beA bei einem nicht zuständigen Gericht erfüllt (vgl. Bacher MDR 2022, 1441, 1443; so wohl auch Müller NVwZ 2022, 1150 f. bei elektronischer Weiterleitung).

(b) Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend…….“

Wegen der weiteren Begründung des BGH für seine Auffassung verweise ich auf den verlinkten Volltext.