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Belehrungsfehler II: Das LG hebt auf, das AG hat nur durchgewunken

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Nach dem Posting zum OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.07.2013 – 2 OLG Ss 113/13 – (vgl. dazu Belehrungsfehler I: Der verdichtete Tatverdacht hier nun die zweite Entscheidung zu Belehrungsfragen. Zwar kein OLG, aber ein LG, nämlich das LG Saarbrücken und der LG Saarbrücken, Beschl. v. 27.05.2013 – 6 Qs 61/13 – mit einer ähnlich Fallgestaltung wie beim OLG Nürnberg. Hier wurde dem Beschuldigten eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) vorgeworfen. Die Fahrereigenschaft des Beschuldigten war fraglich. Der Beschuldigte war nicht während der Fahrt angehalten worden, sondern hatte seine Fahrereigenschaft erst im Wege einer informellen Befragung beim erstmaligen Antreffen in seiner Wohnung gegenüber ermittelnden Polizeibeamten eingeräumt Nach erfolgter Belehrung machte der Beschuldigte dann keine Angaben mehr. Die Angaben des Beschuldigten aus der informellen Befragung hat das AG bei seiner Entscheidung über einen § 111a-Antrag der Staatsanwaltschaft zugrunde gelegt.

Die Beschwerde des Beschuldigten hatte dann aber beim LG Erfolg. Das LG hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) aufgehoben. Es hat (ebenfalls) eine Belehrungspflicht bejaht:

„Vorliegend fuhren die Beamten nach einer Meldung durch die bisher nicht vernommene Zeugin N. die per ZEVIS-Halterauskunft ermittelte Anschrift des Halters des Fahrzeugs VW mit dem amtlichen Kennzeichen xxx. an. Dieses Kennzeichen war durch die Zeugin N. durchgegeben worden. Die Zeugin N. hatte auch von Verkehrsverstößen berichtet, u. a. einem Rotlichtverstoß auf Höhe der BMW-Niederlassung in S.-Sch. sowie dem Fahren von „Schlangenlinien“. Die Polizeibeamten fanden das Fahrzeug an der Halteranschrift mit dem von der Zeugin durchgegebenen Kennzeichen vor. An der Motorhaube und dem Auspuff war keine Wärme feststellbar, wobei die Außentemperatur -1 °C betrug. Nach zweimaligem Klopfen an der Anschrift M.-str. in St. I. öffnete der Beschuldigte und wurde ohne weiteren Hinweis auf den Anlass der Befragung befragt, ob er der Halter des Fahrzeuges VW T5 sei, was er bejahte. Dann wurde er weiter befragt, ob er gerade mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sei. Auch diese Frage bejahte der Beschuldigte. Erst nachdem die Beamten in die Wohnung eingelassen wurden und sodann äußere Hinweise auf eine Alkoholisierung des Beschuldigten wahrnehmen, wurde er gem. § 136 StPO belehrt.

In diesem Fall hätte ermessensfehlerfrei eine Belehrung erfolgen müssen, nachdem der Beschuldigte bestätigte, der Halter des Fahrzeugs VW, amtliches Kennzeichen xxxxx., zu sein. Zum Zeitpunkt der Befragung stand für die Beamten aufgrund der ihnen bekannten Schilderungen der Zeugin Neu fest, dass zumindest ein Anfangsverdacht einer Ordnungswidrigkeit wegen des in Saarbrücken durch den Fahrer des Fahrzeugs VW T5 begangenen Rotlichtverstoßes vorliegt. Über § 46 Abs. 1 OWiG kommt bereits der § 136 Abs. 1 StPO zur Anwendung. Eine Belehrungspflicht über das Schweigerecht bestand daher bereits bevor die Beamten die Alkoholisierung des Beschuldigten wahrnehmen konnten, denn auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren muss sich niemand selbst belasten.

Wäre bei dem Anfangsverdacht einer StVO-Ordnungswidrigkeit die Frage danach, ob der in örtlicher und zeitlicher Nähe zum verursachenden Fahrzeug angetroffene Halter das Fahrzeug gefahren hat, ohne Belehrung über das Schweigerecht zulässig, liefe der durch die §§ 46 Abs. 1 OWiG, 136 Abs. 1, 163 Abs. 4 StPO gewollte Schutzzweck leer, denn der Beschuldigte lieferte dann ohne Belehrung regelmäßig den einzigen zu seiner Überführung fehlenden Sachverhaltsbaustein, ohne über seine Rechte belehrt zu sein.“

M.E. ebenfalls zutreffend. Folgende Hinweise/Anmerkungen:

  • Der Beschluss hat gerade auch im Bußgeldverfahren Bedeutung, wo häufig auch vorschnell Angaben gemacht werden, von denen der Mandant später gerne wieder abrücken möchte. Auch hier zieht das LG die „Belehrungsschwelle“ sehr früh.
  • Der Beschluss ist zudem insofern von Interesse, weil er beweist, dass sich ein „früher Widerspruch“ gegen die Verwertung kontaminierte Beweismittel schon im Ermittlungsverfahren lohnen kann  (vgl. dazu auch Burhoff, HV, Rn. 3504).
  • Bemerkenswert ist an dem Beschluss schließlich: Der Ermittlungsrichter hatte dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf vorläufige Entziehung nach § 111a StPO entsprochen, also letztlich durchgewunken, ohne überhaupt auf die Frage der Verwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten einzugehen. Das lässt in meinen Augen tief blicken. Ich brauche jetzt hier keine Kommentare zur Arbeitsbelastung pp. Die enthebt nicht, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen sorgfältig und sauber zu prüfen.

Belehrungsfehler I: Der verdichtete Tatverdacht

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Heute machen wir mal einen „Belehrungstag“ mit zwei Entscheidungen, die zeigen, dass es auf die (richtige) Belehrung nicht nur in Kapitalstrafsachen ankommt, sondern die Frage eben auch in Feld-/Wald- und Wiesenfällen eine Rolle spielen kann. Zunächst in dem Zusammenhnag der Hinweis auf den OLG Nürnberg, Beschl. v. 04.07.2013 – 2 OLG Ss 113/13.

Da war mit dem Pkw des Angeklagten war ein Verkehrsunfall verursacht  worden. Der Fahrer hatte sich nach dem Verkehrsunfall unerlaubt entfernt. Der Angeklagte wird dann von der Polizei als der Halter des Pkw ermittelt und kurze Zeit nach dem Verkehrsunfall von einem Polizeibeamten aufgesucht. Dieser schildert dem Angeklagten, worum es geht, nämlich um einen angeblichen Unfall seines Fahrzeugs, und fragt ihn, wer soeben mit dem Fahrzeug unterwegs gewesen sei. Der Angeklagte räumt daraufhin die Fahrereigenschaft ein. In der Hauptverhandlung lässt sich der Angeklagte dann nicht zur Sache ein. Das AG vernimmt den Polizeibeamten und stellt aufgrund seiner Angaben die Fahrereigenschaft des Angeklagten zum Unfallzeitpunkt fest.

Die Sprungrevision hatte beim OLG Erfolg. Das OLG hat eine Belehrungspflicht des Polizeibeamten bejaht und, da er nicht belehrt hatte, ein Beweisverwertungsverbot angenommen:

„Vorliegend war es seitens des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten ermessensfehlerhaft, den Angeklagten vor der Befragung nicht als Beschuldigten zu behandeln und entsprechend zu belehren. Der mögliche Täter war nicht mehr nur in einer nicht näher bestimmten Personengruppe zu suchen sondern der Tatverdacht hatte sich nach der Ermittlung des Angeklagten als Fahrzeughalter bereits auf ihn verdichtet, auch wenn grundsätzlich auch andere Personen als Nutzer des Fahrzeugs des Angeklagten in Betracht kommen (LG Koblenz NZV 2002, 422; AG Bayreuth NZV 2003, 202; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, Einleitung Rn. 78). Bei der Ausübung des Ermessens ist auch der gesetzliche Schutzzweck des § 136 Abs. 1 StPO zu berücksichtigen, dass durch die Belehrung gegenüber dem Beschuldigten eindeutig klargestellt werden soll, dass es ihm freisteht, keine Angaben zu machen. Dieses Belehrungsgebot will sicherstellen, dass der Beschuldigte vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht bewahrt wird, zu der er möglicherweise durch die Konfrontation mit dem amtlichen Auskunftsverlangen veranlasst werden könnte (BGHSt 42, 139). Dieser Schutzzweck wird im vorliegenden Fall nur dann gewahrt, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs vor seiner Befragung entsprechend belehrt wird.“

Wie gesagt: Belehrung ist eben auch in den Feld-, Wald- und Wiesenfällen von Bedeutung. Hat man als Verteidiger daran gedacht, muss man dann aber auch an den Widerspruch – spätestens in der Hauptverhandlung, dazu nachher mehr – denken (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 7. Aufl. 2013, Rn. 3491 ff.) und dann auch noch in der Revision ausreichend ausreichend vortragen. Dann ist alles gut 🙂 .

Ein kleiner Hinweis noch: An dem OLG-Beschluss freut mich, dass sich das OLG nicht von der etwas „spitzfindigen“ Betrachtungsweise der Generalstaatsanwaltschaft hat beeinflussen lassen. Denn die hatte beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, da kein Beweisverwertungsverbot bestanden habe, da der Polizeibeamte den Angeklagten nicht gefragt habe, ob er, sondern wer soeben mit dem Fahrzeug gefahren sei (s. dazu allerdings auch OLG Zweibrücken StRR 2010, 468 = VRR 2010, 420 = zfs 2010, 589). Von der Art der Fragestellung soll also die Frage des Tatverdachts abhängen?

Der unzulässige Deal: Geständnis gegen „Absehen von U-Haft“

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Im U-Haftrecht kennen wir die Diskussion um die sog. apokryphen Haftgründe, also andere als in § 112 StP0 im Gesetz normierte Gründe für die Anordnung der U-Haft, die im Verborgenen schlummern. Wir kennen auch die Diskussion und den plakativen Satz: U-Haft schafft Rechtskraft. Mit einer Fallkonstellation, die darüber noch hinausging, hatte sich vor einiger Zeit das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2013 – 2 Ws 264/13 – zu befassen.

Dort hatte der Beschuldigte ein Geständnis abgelegt. Das hatte das LG aber wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 Satz 3 StPO als unverwertbar angesehen und deshalb die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beschuldigten abgelehnt. Das LG ist davon ausgegangen, dass dem Angeschuldigten, gegen den der Haftgrund der Fluchtgefahr  zum Zeitpunkt dessen Festnahme vorgelegen habe, ein i.S. des § 136a StPO unzulässiger Vorteil versprochen worden sei, und zwar: „Der Angeschuldigte habe gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten seine Aussagebereitschaft von dem Nichtergehen eines Untersuchungshaftbefehls abhängig gemacht.  Der Vernehmungsbeamte habe daraufhin mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache gehalten und ihm anschließend erklärt, dass kein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt werde. Diese Vorgehensweise habe das Versprechen eines nicht vorgesehenen Vorteils beinhaltet“.

Das hat die Staatsanwaltschaft natürlich nicht hingenommen und ist in die Beschwerde gegangen. Damit hatte sie aber beim OLG keinen Erfolg:

Nach dem Inhalt der vorbezeichneten Vermerke ist der in Aussicht gestellte Vorteil (der „Nichtinhaftierung“) mit dem Erfordernis eines Geständnisses verknüpft worden, indem seitens der Ermittlungsbehörden eine nach Maßgabe des § 136a Abs. 1 Satz 3  Alt. 2 StPO unzulässige enge Verbindung zwischen einem Geständnis und einer Entlassung gezogen worden ist. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung unter Ziffer 04 des polizeilichen Abschlussvermerks vom 02.01.2013, nach dem auf den Antrag auf Untersuchungshaft „insbesondere“ verzichtet worden sei, „da der Tatverdächtige im Rahmen des Vorgesprächs bereits signalisiert hatte, nur ein Geständnis abzulegen, wenn er nicht in Untersuchungshaft ginge“. Dafür spricht auch die Formulierung in dem nach Anklageerhebung auf Veranlassung der Strafkammer gefertigten dritten Vermerk vom 28.01.2013, wonach die geständige Einlassung des Beschuldigten die Begründung „untermauert“, dass er sich dem Verfahren stellt und sich nicht durch Flucht entziehen will. Bereits diese Formulierungen stehen im Widerspruch zu den Ausführungen in der Beschwerdebegründung, nach der die Auskunft, es werde von der Beantragung eines Haftbefehls abgesehen werden, nicht mit der geständigen Einlassung verknüpft, sondern ausschließlich aufgrund der Prüfung und Verneinung der Haftgründe durch den zuständigen Staatsanwalt erfolgt sei.

Die Darstellung der Beschwerdebegründung überzeugt aus weiteren Gründen nicht. Aus den von der Strafkammer zutreffend aufgeführten Gründen hat der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO – auch bereits zum Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme und der Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei – objektiv vorgelegen; auf die diesbezüglichen Ausführungen der Kammer, die neben der konkreten Straferwartung auf die laufenden Bewährungen verwiesen hat, mit deren Widerruf der Angeschuldigte rechnen musste, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Von Fluchtgefahr ist offenbar auch die Polizei selbst ausgegangen, die den Beschuldigten im Anschluss an die Wohnungsdurchsuchung am 19.12.2012 vorläufig festgenommen hat. Zum Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme war der Angeschuldigte nicht auf frischer Tat betroffen oder verfolgt worden, so dass für die vorläufige Festnahme allein der Festnahmegrund des § 127 Abs. 2 StPO in Betracht kam. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft Köln, für die vorläufige Festnahme gemäß § 127 StPO genüge ein Fluchtverdacht, geht insoweit fehl, als dass das Vorliegen eines Fluchtverdachts nur für den Fall einer vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO, nicht aber für den hier einschlägigen Festnahmegrund des § 127 Abs. 2 StPO genügt (vgl. Karlsruher Kommentar-Schultheiß, a.a.O., § 127 Rn. 16, 36 Meyer-Goßner, a.a.O., § 127 Rn. 9 f, 18). Für eine Festnahme auf Grundlage der letztgenannten Vorschrift ist das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 112 f., 126 a StPO erforderlich.“

Die Handy-Videoaufnahme im Vergewaltigungsverfahren

In einem beim LG Weiden i. d. OPf.  anhängigen Vergewaltigungsverfahren hat eine Handy-Videoaufnahme eine Rolle als Beweismittel gespielt, das die Tochter des Angeklagten gefertigt hatte. Wovon bleibt im BGH, Beschl. v. 08.08.2013 – 1 StR 306/13 offen. Aus dem (knappen) BGH-Beschluss ergibt sich dann weiter, dass jedenfalls der Angeklagte in der Revision ein auf § 252 StPO beruhendes Beweisverwertungsverbot geltend gemacht hat. Und damit ist er dann mal wieder an § 344 Abs. 2 Satz StPO gescheitert. Dieses Mal m.E. aber nicht, weil der BGH flugs die Messlatte höher gelegt hat, sondern:

„Die Rüge eines Verstoßes gegen § 252 StPO im Hinblick auf eine Handy-Videoaufnahme ist schon unzulässig. So ist nicht vorgetragen, ob die Tochter des Angeklagten in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht oder Entsprechendes eindeutig und bestimmt vorher erklärt hat bzw. ihre zur Entscheidung über die Verweigerung des Zeugnisses befugten Vertreter solches für sie getan haben. Aus dem Vortrag, dass sie bei ihrer Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter die „Aussage verweigert“ habe, ergibt sich dies nicht, da offen bleibt, in welchem Verfahren – wie der Senat den Urteilsausführungen entnehmen kann, gab es auch ein Verfahren we-gen der Vorwürfe zum Nachteil dieser Tochter – die ermittlungsrichterliche Vernehmung erfolgt ist. Zudem genügt der Vortrag der Revision auch insoweit nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, als offen bleibt, unter welchen Umständen die Handy-Videoaufnahme in den Besitz der Strafverfolgungsbehörden gelangt ist. Dies wäre indes erforderlich, um beurteilen zu können, ob sich das Verwertungsverbot des § 252 StPO überhaupt auf diese er-streckt (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2012 – 1 StR 137/12, NStZ 2013, 247 mwN).“

Gelegentlich lohnt sich ein Blick in die Rechtsprechung des BGH.

 

Spontanäußerung erlaubt keine Nachfrage. Wenn doch: Beweisverwertungsverbot!

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Entscheidungen des BGH, die sich mit Vernehmungs- und Belehrungsfragen und ggf. mit Beweisverwertungsverboten befassen sind für die Praxis immer von Bedeutung. Deshalb lohnt ein Blick – und mehr 🙂 – in den BGH, Beschl. v. 27.06.2013 – 3 StR 435/13, in dem sich der BGH mit der Selbstbelastungsfreiheit, dem Verteidigerkonsultationsrecht und einem Beweisverwertungsverbot befasst. Im Verfahren war der Angeklagte wegen des Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen und am folgenden Tag gegen 13.30 Uhr der zuständigen Ermittlungsrichterin vorgeführt worden, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß u.a. über seine in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO geregelten Rechte belehrte. Der Angeklagte benannte daraufhin seinen Verteidiger und erklärte, er wolle diesen beigeordnet bekommen. Daraufhin unterbrach die Ermittlungsrichterin die Vernehmung und versuchte, den Verteidiger telefonisch zu erreichen, was jedoch nicht gelang, da das Büro, worauf eine Bandansage hinwies, während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt war. Die Ermittlungsrichterin teilte dem Angeklagten sodann mit, sie habe den Verteidiger nicht erreichen können, woraufhin dieser erklärte, sich nicht zur Sache äußern zu wollen. Dieser Erklärung fügte der Angeklagte spontan hinzu, er kenne eine im Haftbefehl genannte Person, habe mit dieser aber nichts zu tun. Zum Verhalten dieser Person und zum eigentlichen Tatgeschehen äußerte sich der Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt nicht. An die Äußerung des Angeklagten anknüpfend stellte die Ermittlungsrichterin eine Frage zu dem Vorgang, aus dem sich später das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Es folgten weitere gezielte Fragen, und im weiteren Verlauf der Befragung ließ sich der Angeklagte umfassend zur Sache ein, wobei er einräumte, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Diese Einlassung revidierte er später im Rahmen eines Haftprüfungstermins und gab nunmehr an, sich nicht erinnern zu können, ob er das Opfer getreten habe. In der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte dann nicht eingelassen. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das LG die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen. Der Verteidiger sowohl gegen die Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch gegen Verwertung ihrer Aussage Widerspruch erhoben. Das LG hat den Widerspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlseröffnung im Urteil gegen ihn verwertet. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil aufgehoben.

Zur  Selbstbelastungsfreiheit und Verteidigerkonsultation hier nur kurz: Der BGH hat einen unzulässigen Eingriff der Ermittlungsrichterin in das in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO normierte Recht des Angeklagten, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor seiner Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, angenommen und das in dem Leitsatz zu der Entscheidung zusammengefasst:

Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen – zumal zum Randgeschehen – nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs.1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

Und: Er bejaht (!!) ein Beweisverwertungsverbot:

„Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbefehlsverkündung.

Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung al-ler maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede ste-henden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfah-rensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).

So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören – wie dargelegt – zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht sel-ten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem – wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt – selbst bei einer späteren Änderung des Aus-sageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 – 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).

Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezem-ber 2003 – 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Be-ratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache, was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.“