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Sleepless in Berlin – Vernehmung nach 38 Stunden ohne Schlaf?

© J.J.Brown - Fotolia.com

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Gestern sind zwei Entscheidungen des 5. Strafsenats des BGH auf dessen HP eingestellt worden, die zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt sind, also „große Entscheidungen“. Vielleicht ein wenig das Vermächtnis des Vorsitzenden des 5. Strafsenats Clemens Basdorf, der zum 01.11.2014 in den Ruhestand gegangen ist? Nun, man weiß es nicht, m.E. aber jedenfalls „bemerkenswerte“ Entscheidungen, von denen ich hier zunächst über den BGH, Beschl. v. 21.01.2014 – 5 StR 296/14 – berichten will. Er behandelt eine Problematik aus § 136a StPO – unzulässige Vernehmungsmethoden – die mich schon ein wenig fassungslos – ein Teil der Kommentatoren liebt dieses Wort – zurücklässt. Es geht nämlich um eine Übermüdungsproblematik, zu der der BGH folgendes „feststellt“.

  • Es handelt sich um ein Totschlagsverfahren. Die Angeklagte soll  ihr neugeborenes Kind unmittelbar nach der Geburt getötet haben.
  • Zugrunde gelegt wird ein polizeiliches Geständnis vom 10.12.2012.
  • Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung um 21.25 Uhr hatte die 23 Jahre alte Angeklagte mindestens 38 Stunden nicht geschlafen.
  • In den frühen Morgenstunden des 10.12.2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein einen Jungen geboren, den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte.
  • Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet.
  • Bei einem Toilettengang gegen 8.00 Uhr brach sie ohnmächtig zusammen.
  • Ein weiterer körperlicher Zusammenbruch folgte kurze Zeit später.
  • Ihre Mutter fand die Angeklagte gegen Mittag apathisch und weinend vor. Sie äußerte hier und später, nicht mehr leben zu wollen.
  • Am Nachmittag wurde sie ins Krankenhaus verbracht, wo ein Dammriss genäht wurde.
  • Gegen 16.00 Uhr kam sie zur Beobachtung auf eine Station.
  • Von 17.00 Uhr bis 17.30 Uhr wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot geboren worden sei.
  • Im Anschluss an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt.
  • Um 20.00 Uhr erhielt sie zwei Baldriandragees, weil sie nicht zur Ruhe gelangte.
  • Gegen 20.30 Uhr wurde sie erneut verantwortlich vernommen. Zunächst wurde mit ihr ein lediglich in einem polizeilichen Vermerk erfasstes Vorgespräch geführt, in dem sie die Tat weiterhin leugnete.
  • Um 21.00 Uhr wurde den vernehmenden Polizeibeamten das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer Le-bendgeburt auszugehen sei. Die Beamten konfrontierten die Angeklagte sogleich mit diesem Ergebnis. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab.
  • Um 21.25 Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Vernehmung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat. Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.

Bei diesem Verlauf sieht der BGH „eine Fülle von gewichtigen Gründen“, aufgrund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultie-render Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt. Wohl war, kann man nur sagen. Nicht sleepless in Seattle, sondern in Berlin? Und das 38 Stunden lang vor einer für das Verfahren entscheidenden Vernehmung. Das macht mich schon fassungslos.

Und: Man ist auch noch über das weitere Prozedere erstaunt, wenn man liest:

„Bei dieser Sachlage kann der Senat davon absehen, freibeweislich der Frage nachzugehen, wie es erklärt werden kann, dass die entscheidende zweistündi-ge Vernehmung keine andere Dokumentierung erfahren hat, als diejenige in einem Protokoll von lediglich etwas mehr als vier, zudem großzügig formatierten Druckseiten.“

Dazu kann man dan nur noch sagen: Ohne Worte.

Nachtrag: In der Überschrift waren es zunächst nur 36 Stunden 🙂

Der unzulässige Deal: Geständnis gegen „Absehen von U-Haft“

© FotolEdhar - Fotolia.com

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Im U-Haftrecht kennen wir die Diskussion um die sog. apokryphen Haftgründe, also andere als in § 112 StP0 im Gesetz normierte Gründe für die Anordnung der U-Haft, die im Verborgenen schlummern. Wir kennen auch die Diskussion und den plakativen Satz: U-Haft schafft Rechtskraft. Mit einer Fallkonstellation, die darüber noch hinausging, hatte sich vor einiger Zeit das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2013 – 2 Ws 264/13 – zu befassen.

Dort hatte der Beschuldigte ein Geständnis abgelegt. Das hatte das LG aber wegen eines Verstoßes gegen § 136a Abs. 1 Satz 3 StPO als unverwertbar angesehen und deshalb die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Beschuldigten abgelehnt. Das LG ist davon ausgegangen, dass dem Angeschuldigten, gegen den der Haftgrund der Fluchtgefahr  zum Zeitpunkt dessen Festnahme vorgelegen habe, ein i.S. des § 136a StPO unzulässiger Vorteil versprochen worden sei, und zwar: „Der Angeschuldigte habe gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten seine Aussagebereitschaft von dem Nichtergehen eines Untersuchungshaftbefehls abhängig gemacht.  Der Vernehmungsbeamte habe daraufhin mit der Staatsanwaltschaft Rücksprache gehalten und ihm anschließend erklärt, dass kein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gestellt werde. Diese Vorgehensweise habe das Versprechen eines nicht vorgesehenen Vorteils beinhaltet“.

Das hat die Staatsanwaltschaft natürlich nicht hingenommen und ist in die Beschwerde gegangen. Damit hatte sie aber beim OLG keinen Erfolg:

Nach dem Inhalt der vorbezeichneten Vermerke ist der in Aussicht gestellte Vorteil (der „Nichtinhaftierung“) mit dem Erfordernis eines Geständnisses verknüpft worden, indem seitens der Ermittlungsbehörden eine nach Maßgabe des § 136a Abs. 1 Satz 3  Alt. 2 StPO unzulässige enge Verbindung zwischen einem Geständnis und einer Entlassung gezogen worden ist. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung unter Ziffer 04 des polizeilichen Abschlussvermerks vom 02.01.2013, nach dem auf den Antrag auf Untersuchungshaft „insbesondere“ verzichtet worden sei, „da der Tatverdächtige im Rahmen des Vorgesprächs bereits signalisiert hatte, nur ein Geständnis abzulegen, wenn er nicht in Untersuchungshaft ginge“. Dafür spricht auch die Formulierung in dem nach Anklageerhebung auf Veranlassung der Strafkammer gefertigten dritten Vermerk vom 28.01.2013, wonach die geständige Einlassung des Beschuldigten die Begründung „untermauert“, dass er sich dem Verfahren stellt und sich nicht durch Flucht entziehen will. Bereits diese Formulierungen stehen im Widerspruch zu den Ausführungen in der Beschwerdebegründung, nach der die Auskunft, es werde von der Beantragung eines Haftbefehls abgesehen werden, nicht mit der geständigen Einlassung verknüpft, sondern ausschließlich aufgrund der Prüfung und Verneinung der Haftgründe durch den zuständigen Staatsanwalt erfolgt sei.

Die Darstellung der Beschwerdebegründung überzeugt aus weiteren Gründen nicht. Aus den von der Strafkammer zutreffend aufgeführten Gründen hat der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO – auch bereits zum Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme und der Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei – objektiv vorgelegen; auf die diesbezüglichen Ausführungen der Kammer, die neben der konkreten Straferwartung auf die laufenden Bewährungen verwiesen hat, mit deren Widerruf der Angeschuldigte rechnen musste, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Von Fluchtgefahr ist offenbar auch die Polizei selbst ausgegangen, die den Beschuldigten im Anschluss an die Wohnungsdurchsuchung am 19.12.2012 vorläufig festgenommen hat. Zum Zeitpunkt der vorläufigen Festnahme war der Angeschuldigte nicht auf frischer Tat betroffen oder verfolgt worden, so dass für die vorläufige Festnahme allein der Festnahmegrund des § 127 Abs. 2 StPO in Betracht kam. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft Köln, für die vorläufige Festnahme gemäß § 127 StPO genüge ein Fluchtverdacht, geht insoweit fehl, als dass das Vorliegen eines Fluchtverdachts nur für den Fall einer vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 1 StPO, nicht aber für den hier einschlägigen Festnahmegrund des § 127 Abs. 2 StPO genügt (vgl. Karlsruher Kommentar-Schultheiß, a.a.O., § 127 Rn. 16, 36 Meyer-Goßner, a.a.O., § 127 Rn. 9 f, 18). Für eine Festnahme auf Grundlage der letztgenannten Vorschrift ist das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 112 f., 126 a StPO erforderlich.“