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Fernwirkung, oder: Nicht belehrt, dann Beweisverwertungsverbot auch im Zivilverfahren

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„Strafrecht meets Zivilrecht“ war mein erster Gedanke, als ich zwei mir vor einigen Tagen überlassene (Zivil)Urteile aus dem Rheinland gelesen hatte. Oder man kann auch sagen: Manchmal ist es auch für den Zivilisten ganz gut, mal in der Strafrechtskiste nachzuschauen. Bei den beiden Entscheidungen handelt es ich um das AG Brühl, Urt. v. 28.05.2015 – 21 C 140/14 – und das dazu ergangene Berufungsurteil des LG Köln, das LG Köln, Urt. v. 13.01.2016 – 13 S 129/15.

In dem Zivilverfahren ist von den Parteien um den Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall gestritten worden, an dem der Kläger mit seinem BMW und der damals 15 Jahre alte Beklagte als Fußgänger beteiligt waren. Der Beklagte überquerte die Straße. Es kam zum Zusammenstoß mit dem Fahrzeug des Klägers. An dem Fahrzeug des Klägers wurde der Außenspiegel beschädigt und die Beifahrertür verkratzt; Aufwendungen rund 1.300 EUR. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei ohne auf eine rot zeigende Fußgängerampel und den fließenden Verkehr zu achten auf die Straße und gegen die Seite seines Fahrzeugs gelaufen. Er habe – bei der Unfallaufnahme gegenüber den unfallaufnehmenden Polizeibeamten – angegeben, dass er ohne auf den Verkehr zu achten auf die Straße gelaufen sei, um den auf der anderen Straßenseite haltenden Bus noch zu erreichen und nicht länger auf den nächsten warten zu müssen. Der Beklagte hat das bestritten. Er hält im Übrigen die Angaben gegenüber den Polizeibeamten als unverwertbar, da er von denen nicht umfassend auf sein sich aus §§ 136 StPO, 46 OWiG ergebendes Schweigerecht hingewiesen worden sei. Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG hat sie auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen.

Das LG geht von einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der vom Beklagten gemachten Angaben aus und das war es dann für die Klage:

Zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme waren die Polizeibeamten verpflichtet, den Beklagten zu belehren, weil sie ihn als Unfallversursacher und damit auch als Beschuldigten einer Ordnungswidrigkeit vernommen haben, §§ 46 OWIG, 136 StPO. Dabei war bei dem minderjährigen Beklagten zusätzlich eine Belehrung erforderlich, dass er berechtigt ist, vor einer Aussage zur Sache seine Eltern zu kontaktieren, § 67 JGG. Diese gesetzliche Regelung beruht auf der kriminologisch gesicherten Erkenntnis, dass jugendliche Beschuldigte gegenüber Erwachsenen eine deutlich höhere „Geständnisfreudigkeit“ aufweisen, also in geringerem Umfang in der Lage sind, auch bei ansonsten korrekter Belehrung über das Schweigerecht von ihrer Aussagefreiheit dahingehend Gebrauch zu machen, auf Angaben zur Sache möglicherweise zu verzichten. Das Recht auf Konsultation der Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter, welches in § 67 I und II JGG seinen Niederschlag findet, trägt zumindest auch und insbesondere diesem Umstand Rechnung und steht deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Entschließungsfreiheit des jugendlichen Beschuldigten in Bezug auf seine Rechte gern. §§ 136, 163 a StPO (LG Saarbrücken, Urteil vom 31. Juli 2009 — 3 Ns 20 Js 26/08 (32/09), 3 Ns 32/09 —, Rn. 22, juris)

Aus den Angaben der Polizeibeamten im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht ergibt sich jedoch, dass diese den Beklagten tatsächlich nicht über sein Konsultationsrecht belehrt haben.

Im hier zu entscheidenden Fall führt das bestehende Beweiserhebungsverbot (keine Vernehmung zur Sache ohne ordnungsgemäße Belehrung) auch zu einem Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess mit der Folge, dass das Amtsgericht die Vernehmung der Polizeibeamten als Zeugen für seine Überzeugungsbildung nicht hätte verwerten dürfen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die strafprozessuale Belehrung des Beschuldigten (wegen § 46 OWiG auch jene nach dem Recht der Ordnungswidrigkeiten) zwar nicht darauf gerichtet, diesen auch vor einer zivilrechtlichen Verfolgung zu schützen. Vielmehr soll sie den Beschuldigten allein davor bewahren, aktiv zu seiner strafrechtlichen Verfolgung beitragen zu müssen.

Daher kann das Beweisverwertungsverbot des Strafprozesses jedenfalls nicht ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen werden. Entscheidend ist aber eine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall (BGH Urteil vom 10.12.2002 — VI ZR 378/01), wobei hier nach Auffassung der Kammer den Interessen des Beklagten ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen ist. Die Kammer verkennt dabei nicht das überaus beachtliche Interesse des Klägers an der Wahrheitsfindung durch das erkennende Gericht, welchem nach den oben aufgezeigten Maßstäben des Bundesgerichtshofes im Zivilprozess jedenfalls grundsätzlich auch der Vorrang gebührt. Die Kammer hat auch berücksichtigt, dass dem Kläger an dem Umstand, dass hier ein Beweisverwertungsverbot im Raume steht, kein Verschulden trifft. So kann im Gegenteil das Verhalten des Klägers im Rahmen der Unfallaufnahme unter keinem Gesichtspunkt beanstandet werden. Dennoch sprechen hier die folgenden Erwägungen aus Sicht der Kammer allein für ein Beweisverwertungsverbot:

Maßgeblich ist insoweit, dass der Beklagte zum Zeitpunkt seiner Vernehmung minderjährig war. So betraf insbesondere auch die die Kammer leitende Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH aaO) gerade keine Konstellation, in der ein Minderjähriger beteiligt gewesen wäre. Dieser Umstand verdient aber nach Auffassung der Kammer — in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Berufung ¬im Rahmen der hier erforderlichen Abwägung eine besondere Beachtung. Wegweisend für den Zivilprozess ist § 455 ZPO, wonach eine parteiverantwortliche Vernehmung von Minderjährigen bis zum vollendeten 16. Lebensjahr zu unterbleiben hat, und an ihrer Stelle ausschließlich die gesetzlichen Vertreter zu vernehmen sind. Das spricht dafür, dass auch im Zivilprozess eine „verantwortliche“ Aussage Minderjähriger überhaupt erst ab dem 16. Lebensjahr in Betracht kommen soll. Der Beklagte war zum Zeitpunkt des Unfalls und der Vernehmung erst 15 Jahre alt…..“

OVG Münster zickt, oder: Rüffel für das BVerfG aus Münster

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Ich hatte vor einiger Zeit über den BVerfG, Beschl. v. 28.06.2014 – 1 BvR 1837/12 berichtet (vgl. Verkehrsrechtler aufgepasst – BVerfG: „erhebliche Bedenken“, wenn man den Richtervorbehalt „flächendeckend aushebelt…“). In dem hatte das BVerfG Bedenken geäußert, das „bei der Entziehung von Führerscheinen offenbar generell die Verwertung von Erkenntnissen akzeptiert wird, die auf Blutentnahmen beruhen, welche unter Verstoß gegen den einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden. Auch wenn der in § 81a Abs. 2 StPO gesetzlich angeordnete Richtervorbehalt nicht auf einer zwingenden verfassungsrechtlichen Vorgabe beruhen mag (vgl. BVerfGK 14, 107 <113>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 -, EuGRZ 2011, S. 183 <185>), bestehen doch aus rechtsstaatlicher (Art. 20 Abs. 3 GG) wie auch grundrechtlicher (Art. 2 Abs. 2 GG) Sicht erhebliche Bedenken gegen eine Praxis, die den gesetzlichen Richtervorbehalt für den Bereich verwaltungsbehördlicher Eingriffsmaßnahmen durch eine großzügige Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel (vgl. zu Beweisverwertungsverboten BVerfGE 65, 1 <43 ff.>; 106, 28 <48 ff.>; 113, 29 <61>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, NJW 2006, S. 2684 <2686>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09 -, NJW 2011, S. 2417 <2419>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 1596/10 und 2 BvR 2346/10 -, juris, Rn. 18) flächendeckend aushebelt.

Dazu zickt 🙂 nun das OVG Münster, das im OVG Münster, Beschl. v. 26.11.2015 – 16 E 648/15 -, in dem es einen PKH-Antrag ablehnt zur Frage der Verwertung ggf. kontaminierter Beweismittel des Strafverfahren im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren Stellung nimmt und dazu die OVG-Rechtsprechung wiederholt, wonach die Frage anders zu entscheiden sei als im Strafverfahren. Bei der Gelegenheit bekommt das BVerfG dann einen Rüffel – so ein bisschen wie: Hausaufgaben nicht gemacht -, wenn das OVG ausführt:

„Der Senat hält an diesen Grundsätzen fest und sieht sich hieran auch nicht durch die Bedenken gehindert, die das Bundesverfassungsgericht in einem Kammerbeschluss gegen die verwaltungsgerichtliche Praxis geäußert hat, Erkenntnisse, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt nach § 81a Abs. 2 StPO gewonnen wurden, bei der Entziehung von Führerscheinen zu verwerten. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juni 2014 ? 1 BvR 1837/12 ?, NJW 2015, 1005 = juris, Rn. 13.

Denn der Beschluss des Bundesverfassungsgericht beschränkt sich auf ein obiter dictum, ohne die Bedenken näher zu begründen und ohne sich mit der seit langem gefestigten Rechtsprechung auseinanderzusetzen, die u. a. von verschiedenen Obergerichten eingehend mit der allgemeinen Bedeutung von Beweisverwertungsverboten im Gefahrenabwehrrecht begründet wird. Vgl. zuletzt: OVG Lüneburg, Urteil vom 20. November 2014 – 11 LC 232/13 ?, NVwZ-RR 2015, 336 = juris, Rn. 33 m. w. N.; zustimmend i. Ü. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 24 Rn. 33.“

Man „zickt“ und wirft dem BVerfG vor: Obiter dictum, ohne sich damit näher auseinander zu setzen. Selbst ist man m.E. aber nicht viel besser, wenn man die Frage in einem PKH-Verfahren entscheidet. Wie war das noch mit den Steinen und dem Glashaus.

Ring frei III: OLG Rostock zur Auswertung von Messungen durch Private, oder: Alles in allem – unschön

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Der OLG Rostock, Beschl. v. 17.11.2015 – 21 Ss OWi 158/15 zur (zulässigen) Auswertung der Geschwindigkeitsmessung durch einen privaten Dienstleister schlägt Wellen. Es ist bereits in Blogs darüber berichtet worden und ich bin inzwischen von so vielen Lesern meines Blogs auf diesen Beschluss hingewiesen worden, dass ich dann mal eine Planänderung vornehme. An sich hatte ich den Beschluss erst für morgen vorgesehen aber. Aber nun dann jetzt schon.

Aufgehoben hat das OLG Rostock ein Urteil des AG Parchim v. 01.04.2015, das ein Beweisverwertungsverbot angenommen hatte, weil die Verwaltungsbehörde die Auswertung von Rohmessdaten einer Geschwindigkeitsmessung, deren Ergebnis dann schließlich zur Einleitung eines Bußgeldverfahrens gegen den Fahrer wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geführt hatte, in vollem Umfang in die Hände eines privaten Unternehmen gegeben hatte (vgl. dazu auch – ein anderes –  AG Parchim, Urt. v. 01.04.2015 –  5 OWi 2215/14 und dazu Ring frei II: AG Parchim: Der „Landkreis..“ hat „…. zu vertuschen versucht…“. Der Amstrichter hatte frei gesprochen und dabei die Verwaltungsbehörde nicht geschont. Die Staatsanwaltschaft ist in die Rechtsbeschwerde gegangen. Das OLG hat aufgehoben und zwar auf die Aufklärunsgrüge der Staatsanwaltschaft hin.

Da der Beschluss schon an vielen Stellen veröffentlicht ist, erspare ich mir an dieser Stelle Zitate und beschränke mich zunächst auf die Leitsätze des OLG:

1. Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.

2. Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.

Und zu dem Beschluss dann einige erste Anmerkungen/Gedanken:

  • Das OLG hat durch den Einzelrichter entschieden,weil „das Verfahren keinen Anlass [bietet], zu Fragen der richterlichen Sachaufklärungspflicht oder zur Zulässigkeit der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Aufklärungsrüge zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzliche Ausführungen zu machen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Alle damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprobleme sind durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach und ausreichend geklärt.“ Und was ist mit der Frage des Beweisverwertungsverbotes? Ach so, ja die Frage hat man elegant damit „umschifft“, dass der Einzelrichter darauf die Entscheidung nicht gestützt hat, sondern zu den Fragen nur in einer „Segelanweisung“ Stellung genommen hat.
  • Und damit hat der Einzelrichter dann gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Damit ist dann nämlich auch die Frage der Divergenzvorlage auf jeden Fall vom Tisch: „Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof war aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 12.10.2015 zutreffend aufgeführten Gründen nicht veranlasst, zumal über die Frage eines Beweisverwertungsverbots vom Senats derzeit nicht entschieden werden musste, weil bereits die Aufklärungsrüge durchgreift.“ Und die Frage hätte m.E. im Raum gestanden, da u.a. das OLG Naumburg u.a. auf die „Erlasswidrigkeit“ (s)ein Beweisverwertungsverbot gestützt hatte (vgl. vgl. dazu auch OLG Naumburg, Beschl. v.07.05.2012 – 2 Ss Bz 25/12 und Hilfe von Privaten – Beweisverwertungsverbot für Messergebnisse im Straßenverkehr). Auch andere OLG haben das m.E. anders gesehen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.07.2003 – 2 Ss Owi 388/02).
  • Ob die Auffassung des OLG so richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Das OLG argumentiert zum „Erlass“: „Darauf, ob die Verwaltungsbehörde „erlasswidrig“ handelte, als sie die Datenaufbereitung und -auswertung einem privaten Dienstleister übertrug, kommt es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht an. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, würde dies für sich genommen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, weil dieser Erlass, der allein dem öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorgangs und seiner Auswertung dient, ausschließlich im Binnenverhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfaltet, nicht jedoch eine mit der Begründung subjektiver Rechte verbundene Außenwirkung, auf die sich ein Betroffener im Falle der Nichtbeachtung zu seinen Gunsten berufen könnte.“ Dazu würde man gerne man was „von ganz oben hören“, aber: Divergenzvorlage haben wir ja nicht.
  • Mich persönlich stört dann das „Abwatschen“ des Amtsrichters in der Begründung, warum man an eine andere Abteilung zurückverweist: „Der Senat hat es angesichts der auch im schriftlichen Urteil (dort insbesondere Seite 4) geäußerten harschen und in den Vorwurf bewusst rechtsstaatswidrigen Verhaltens gipfelnden Kritik des Tatrichters an den verwaltungsbehördlichen Verfahrens- und Verhaltensweisen, die auch über die Presse gezielt an die Öffentlichkeit getragen wurden, für erforderlich gehalten, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des nunmehr örtlich zuständigen Amtsgerichts Ludwigslust – Zweigstelle Parchim – zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).“ Nun, wenn ich die Schilderung des Verfahrensgangs und des Verhaltens des Verwaltungsbehörde so lese, dann habe ich schon den Eindruck, dass die Verwaltungsbehörde versucht hat, das AG zu „ver……schen“. Und da soll er dann fröhlich bleiben? Wie hatte mir dann auch ein „richterlicher Hinweisgeber“ geschrieben: „So eine Klugscheißerei und dann noch auf den zuvor von der Behörde nach Strich und Faden verarschten Richter draufhauen, das ist unglaublich. Was lernt man daraus? Lieber 47 statt Freispruch…..,
  • Schließlich: Man muss sich als Verteidiger ja immer auch fragen, welche Lehren man aus solchen Entscheidungen zieht. Dem AG sind durch das OLG (weitere) Kontrollaufgaben übertragen/aufgegeben worden: „Ob die Tätigkeit der für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen, deren Sachkunde und Verfahrensweisen im konkreten Fall den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt, und ob deren Feststellungen und Bewertungen als richtig erscheinen und im weiteren Verfahren verwertbar sind, unterliegt der eigenverantwortlichen Prüfung und Kontrolle des Gerichts ….“ und „Wird die Auswertung von Rohdaten eines Verkehrsüberwachungsvorgangs – wie vorliegend – einem privaten Dienstleister überlassen, wird sich das Gericht und zuvor die Verfolgungsbehörde deshalb im Zweifelsfall davon zu überzeugen haben, dass diese Tätigkeit dort von ausreichend dafür geschulten und regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeitern unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen und mittels der im Zuge der Zulassung eines standardisierten Messverfahrens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software erfolgt.“ Damit hat der Verteidiger in solchen Fällen m.E. gar keine andere Wahl als durch Beweisanträge zu hinterfragen, ob diese Kontrollen erfolgt sind. Und wenn die Beweisanträge kommen, dann bin ich ja mal gespannt, wie die OLG reagieren, wenn die Amtsrichter die ablehnen und das in der Rechtsbeschwerde dann gerügt wird. Dann war im Zweifel die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Und damit schließt sich dann der Kreis.

Alles in allem: Unschön.

Das „beschlagnahmte Handy“ des Rechtsanwalts, oder: „Steine statt Brot“

entnommen wikimedia.org Urheber User:Mattes

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Urheber User:Mattes

Der ein oder andere Leser wird sich vielleicht noch an das Posting: Applaus, Applaus, oder: „…fühlte ich mich nach der Lektüre Ihres Handbuches doch wesentlich weniger hilflos“ erinnern. Da ging es um den Vorwurf der versuchten Strafvereitelung, der einem Kollegen von der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach gemacht wurde. In dem Verfahren ging es dann auch um die Beschlagnahme/Sicherstellung des Handys des Kollegen und das Auslesen der darauf befindlichen Nachrichten. Die sache ist natürlich weitergegangen. Inzwsichen gibt es dazu einen landgerichtlichen Beschluss, nämlich den LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 09.11.2015 – 2 Qs 107/15. Dazu hatte der Kollege angefragt, ob ich an dem Interesse habe. Und das mit folgender Mail, die den „Sach- und Streitstand“ sehr schön zusammenfasst (wer es juristsich aufbereitet haben möchte…..bitte den Beschluss lesen). Der Kollege schreibt:

„Sehr geehrte Herr Kollege,
in obiger Angelegenheit gibt es einen kleinen Fortschritt.

Das Landgericht hat mir jetzt bestätigt, dass die (mündliche) richterliche DuSu-Anordnung rechtswidrig war, soweit mein Handy komplett ausgewertet wurde, also nicht beschränkt auf Telefonate/SMS in Zusammenhang mit den Beteiligten des konkreten Falles. Ursache hierfür war wohl, dass die Anordnung nirgendwo nachvollziehbar dokumentiert ist, weshalb die Staatsanwaltschaft unterschiedliche Versionen darüber verbreitet, was denn eigentlich angeordnet wurde. Toller Rechtsstaat!

Allerdings: Steine statt Brot!

Der Staatsanwalt hatte damals ausdrücklich und aktenkundig verfügt, dass nur Daten bis 12.8. um 11 Uhr ausgewertet werden dürfen. Darüber hat sich die Kripo hinweg gesetzt und auch noch SMS vom 12.8.15 um 14 Uhr, 16 Uhr und 18 Uhr erfasst. Insbesondere eine SMS von 16 Uhr wurde zum Anlass genommen, den Absender des SMS ebenfalls mit einer Hausdurchsuchung zu überziehen, um auch dessen Handy noch auszuwerten.

Dazu meint das LG Bad Kreuznach: macht nix, da nicht willkürlich. Das AG hätte ja vorher den Beschluss auch auf SMS nach 11 Uhr ausdehnen können, weshalb es egal sei, wenn SMS nach 11 Uhr gleich mitbeschlagnahmt werden (von einem Anwaltshandy). Mit anderen Worten: Die Vergewaltigung ist hinzunehmen, weil das dadurch entstandene Kind so schöne Augen hat.

Scheint mir aber Standardrechtsprechung zu sein, deshalb frage ich mal an, ob der Beschluss für Ihr Archiv dennoch interessant wäre. Falls ja, scanne ich ihn am Montag ein und maile ihn durch.

Soweit gegen meine Mandantin (die Zeugin) auch ein Strafverfahren eingeleitet wurde (natürlich nicht wegen Falschaussage, sondern wegen versuchter Strafvereitelung), verweigert mir die StA als Verteidiger (nicht als ausgeschlossener Zeugenbeistand) die Akteneinsicht mit der Begründung, man prüfe, ob ich auch als Verteidiger auszuschließen sei. Mein Hinweis, dass ich vollverwertiger Verteidger bin, so lange das OLG mich nicht abschießt, interessiert die StA nicht. Aber das ist nur eine der vielen Merkwürdigkeiten des Falles.“

Schon ein wenig eigenartig. Aber man sieht mal wieder, wohin die Rechtsprechung des BVerfG und BGH zum Abwägungsgebot und zum hypothetischen Kausalverlauf und das Geeiere um Beweisverwertungsverbote bei Durchsuchung und Beschlagnahme führt. Steine statt Brot…

Und zu:“… ein Hinweis, dass ich vollverwertiger Verteidger bin, so lange das OLG mich nicht abschießt, interessiert die StA nicht.“ Scheinen harte Sitten zu herrschen in Bad Kreuznach.

Und auf den Kollegen komme ich heute Mittag dann noch einmal zurück….

So lange es den „Richtervorbehalt“ gibt, muss man sich dran halten

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Die mit der Missachtung des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme bei Trunkenheits- und/oder Drogenfahrten (§§ 315c, 316 StGB; 24a StVG) zusammenhängenden Fragen haben vor einiger Zeit die Rechtsprechung und auch die Blogs intensiv beschäftigt. Der „Rechtsprechungsmarathon“ ist inzwischen abgeflaut. Ein OLG Naumburg, Beschl. v. 05.11.2015 – 2 Ws 201/15  – zeigt aber, dass es auch heute noch für den Verteidiger Sinn machen kann, sich mit den Fragen des § 81a Abs. 2 StPO zu befassen. In dem Beschluss hat das OLG die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den AG Zeitz, Beschl. v. 03.08.2015 – 13 OWi 723 Js 204201/15 – verworfen und das AG Zeitz bestätigt. Das AG hatte den Betroffenen vom Vorwurf der Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG freigesprochen. Es hatte für das Untersuchungsergebnis einer dort durchgeführten Blutprobenentnahme wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs.2 StPO ein Beweisverwertungsverbot angenommen. Die Blutprobe war an einem Sonntag um 16.30 Uhr entnommen worden, obwohl zu der Zeit, was den Polizeibeamten bekannt war, ein richterlicher Eildienst eingerichtet war. Der Polizeibeamte hatte – so weit er sich überhaupt nocht erinnern konnte – nur den „Diensthabenden“ benachrichtigt, sich dann aber nicht mehr weiter um die Sache gekümmert und die Blutprobe veranlasst. Dazu das OLG:

„Das Amtsgericht hat zu Recht angenommen, dass hier der Richtervorbehalt willkürlich bewusst und gezielt umgangen worden ist. Dafür spricht bereits, dass der Zeuge pp. nicht, wie erforderlich, schriftlich Gründe dafür niedergelegt hat, weshalb er sich nicht bemüht hat, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Information des Diensthabenden, wenn sie denn erfolgt sein sollte, reichte nicht aus, um dem Richtervorbehalt zu genügen. Die bloße Information des Diensthabenden ohne Rückfrage, ob der Richter erreicht wurde und wenn ja, wie er entschieden hat, würde nämlich den Richtervorbehalt in besonders deutlicher Weise missachten, nämlich dergestalt, dass der Richter zwar informiert werden soll, dem Polizeibeamten aber völlig egal ist, ob der Richter eine Blutentnahme anordnet oder diese ablehnt. Eine Respektierung des Richtervorbehalts setzt nicht nur die Information des Diensthabenden voraus, sondern auch eine Rückfrage dahingehend, ob der Richter erreicht wurde und wenn ja, ob er die Blutentnahme angeordnet oder eine solche Anordnung abgelehnt hat. All dies hat der Zeuge nicht getan, das erlaubt nur eine Schlussfolgerung: Es war ihm völlig gleichgültig, ob ein Richter erreichbar war und wenn ja, wie dieser entschied, auf jeden Fall wurde die Blutentnahme angeordnet.“

Treffend auch, wenn das OLG meint:

„Zuzustimmen ist der Generalstaatsanwaltschaft zwar, dass eine Blutentnahme einen minimalen Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und es sinnvoll wäre, den Richtervorbehalt insoweit abzuschaffen. Solange der Gesetzgeber ihn indes vorsieht, haben sich Exekutive und Judikative daran zu halten, weil sie an das Gesetz gebunden sind.“