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Teilnahme des Verteidigers am Anhörungstermin, oder: Keine Vernehmungsterminsgebühr

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Im Strafverfahren gibt es zahlreiche Termine außerhalb der Hauptverhandlung, an denen der Verteidiger mit seinem Mandanten teilnehmen kann/muss. Es stellt sich dann immer die Frage, ob der Verteidiger dafür eine sog. Vernehmungsterminsgebühr abrechnen kann. Dazu äußert sich für einen Anhörungstermin in Zusammenhang mit der Unterbringung des Angeklagten das LG Potsdam im LG Potsdam, Beschl. v. 12.08.2024 – 25 KLs 5/23.

In einem Verfahren wegen des Vorwurfs des schweren Raubes hatte die Strafkammer zugleich mit der Eröffnung des Verfahrens die psychologische Begutachtung des – mittlerweile rechtskräftig verurteilten – Angeklagten angeordnet. Da der Angeklagte mehrfach nicht zu Explorationsterminen beim Sachverständigen erschienen ist, hat die Strafkammer seine vorübergehende Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß § 81 StPO erwogen und den Angeklagten hierzu mündlich angehört. Zu dem Anhörungstermin am 29.08.2023 hat die Kammer auch den Pflichtverteidiger geladen. Die vorübergehende Unterbringung des Angeklagten ist dann nicht erfolgt, da der Angeklagte in dem Anhörungstermin mit dem ebenfalls anwesenden Sachverständigen Explorationstermine vereinbart hat, die er auch einhielt.

In seinem Vergütungsfestsetzungsantrag hat der Pflichtverteidiger für die Wahrnehmung des Anhörungstermins eine Vernehmungsterminsgebühr gemäß Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG mit 150,00 EUR berechnet. Die Rechtspflegerin hat diese Gebühren nicht festgesetzt und darauf verwiesen, dass die Wahrnehmung des Anhörungstermins durch die allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten sei. Dagegen hat der Pflichtverteidiger Erinnerung eingelegt, die die Strafkammer, der die Sache vom Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist, zurückgewiesen hat:

„2. In der Sache hat die Erinnerung keinen Erfolg. Dem Verteidiger steht für die Wahrnehmung des Anhörungstermins vom 29. August 2023 keine Gebühr gemäß Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG zu.

a) Nach dieser Vorschrift kann der Verteidiger die Vergütung seiner Teilnahme an einem Termin außerhalb der Hauptverhandlung verlangen, in dem „über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung“ verhandelt wird. Nach dem Wortlaut der Regelung ist mit der „einstweiligen Unterbringung“ nur die – grundsätzlich bis auf Weiteres – angeordnete Freiheitsentziehung gemäß § 126a StPO gemeint und nicht die – auf die Dauer der Untersuchung, längstens jedoch auf sechs Wochen befristete – vorläufige Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung, die ausdrücklich die „einstweilige Unterbringung“, und damit die amtliche Überschrift von § 126a StPO, in Bezug nimmt. Hinzu kommt, dass die Vergütungsvorschrift die „einstweilige Unterbringung“ neben dem Haftbefehl aufführt, was ebenfalls – nur – auf § 126a StPO hinweist, da die einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO das Pendant zum Haftbefehl darstellt, wie die vielfältigen Verweise in § 126a Abs. 2 StPO auf das Haftbefehlsrecht belegen. Abgesehen hiervon erfordert die Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO nicht zwingend eine Anhörung oder gar die Verkündung einer Entscheidung. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur – ganz selbstverständlich – davon ausgegangen, dass die Vergütungsregel in Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG nur die Verkündungs- und Vorführungstermine gemäß § 126a Abs. 2 in Verbindung mit §§ 115, 118 StPO erfassen, nicht jedoch Anhörungstermine im Vorfeld einer Entscheidung gemäß § 81 StPO oder ähnliche Anhörungen (vgl. etwa Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., RVG VV 4102, Rn. 11; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4102 VV, Rn. 25; Knaudt in: BeckOK RVG, 64. Ed., VV 4102, Rn. 8). Soweit dies ersichtlich ist, ist diese Frage in der Rechtsprechung und der Literatur jedoch nicht – jedenfalls nicht tragend – entschieden worden, sodass der hier zu treffenden Entscheidung eine gewisse grundsätzliche Bedeutung beikommt. Im Falle seiner Anwendbarkeit lägen nämlich die kostenrechtlichen Voraussetzungen der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG vor, da der Verteidiger in dem Anhörungstermin verhandelt hat, indem er Erklärungen und Stellungnahmen abgegeben hat, auch wenn dies aus dem Terminsprotokoll nicht ersichtlich ist, da sich dieses auf die Erklärungen des Angeklagten konzentriert. So hat der Verteidiger die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung zur Gutachtenvorbereitung aufgeworfen und im Übrigen den Sinn der Maßnahme bezweifelt, da eine gegen ihren Willen zwangsweise untergebrachte Person sich kaum für ein zielführendes Explorationsgespräch öffnen dürfte; hierbei hat der Verteidiger die besonderen Persönlichkeitsvariablen des Angeklagten dargelegt, der Probleme im Umgang mit fremdbestimmten Situationen habe.

b) Eine entsprechende Anwendung der Nr. 4102 VV RVG auf weitere, dort nicht bezeichneten Tätigkeiten des Rechtsanwalts außerhalb der Hauptverhandlung kommt nicht in Betracht. Bei der genannten Regelung handelt es sich nämlich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen und eine Analogie nicht zugänglich ist. Der Gesetzgeber hat dem Verteidiger enumerativ nur in den dort genannten Fallgestaltungen einen Vergütungsanspruch für Termine außerhalb der Hauptverhandlung zugesprochen. Dies ist die allgemeine Meinung in der Literatur (vgl. Kapischke in: Ahlmann/Kapischke/Pankaz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Aufl., VV 4102, Rn. 22; Burhoff, a.a.O., VV 4102 Rn.47 f.; ders. in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., VV 4102, Rn. 5; Felix in Toussaint, a.a.O., VV RVG Nr. 4102, Rn. 3; Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11), während in der Rechtsprechung bisweilen trotzdem Analogien gezogen worden sind (etwa LG Hamburg, Beschluss vom 19.10.2020, 601 Qs 28/20; vgl. auch die Nachweise bei Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11.1). Diese ausnahmsweise vorgenommenen Analogien sind jedoch systemwidrig, da Nr. 4102 VV RVG selber eine Ausnahmeregelung ist, die abschließend auflistet, für welche Termine außerhalb der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt eine Gebühr beanspruchen kann. Abgesehen hiervon fehlt es an einer (zudem: systemwidrigen) Regelungslücke, die durch eine Analogie zu schließen wäre, da sich aus der Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 zum vierten Teil VV RVG ergibt, dass durch die im VV geregelten Gebühren die gesamte Tätigkeit des Verteidigers entgolten wird, soweit keine ausdrückliche abweichenden Regelungen erfolgen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8.8.2011, 1 Ws 89/11; KG, Beschluss vom 18.11.2011,1 Ws 86/11; OLG Köln, Beschluss vom 23.7.2014, III-2I Ws 416/14 und OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.1.2023, 2 WS 156/22 (S); jeweils zitiert nach Juris). Die Tätigkeit des Verteidigers im dem Anhörungstermin vom 29. August 2023 ist durch seine allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten.“

So traurig es auch ist: Man muss dem LG folgen. Der Hinweis auf den Wortlaut ist eindeutig. In der Nr. 4102 S. 1 Nr. 3 VV RVG ist nur von der „einstweiligen Unterbringung“, also von § 126a StPO, die Rede. Zutreffend ist es auch, dass das LG die Vorschrift nicht entsprechend angewendet hat. Den Argumenten des LG ist nichts hinzuzufügen. Sie entsprechen der Argumentation in der Literatur und der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung.

Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber endlich mal aufrafft und in einem 3. KostRMoG die Nr. 4102 VV RVG überarbeitet und durch sie weitere Termine erfasst, an denen der Rechtsanwalt teilnimmt. Denn der Verweis auf die Verfahrensgebühr ist für diesen angesichts der doch recht geringen Gebührensätze nur ein schwacher Trost.

Das LG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Frage gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. mit § 33 Abs. 3 S. 2 RVG die Beschwerde zugelassen. Man wird zu der Frage also ggf. bald etwas vom OLG Brandenburg hören, allerdings wird es m.E. wahrscheinlich die Entscheidung des LG bestätigen. Das würde auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des OLG liegen.

beA I: Nochmals BGH zur „einfachen Signatur“, oder: Maschinenschriftliche Namenswiedergabe genügt

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Und heute im Kessel Buntes mal wieder zwei Entscheidungen zum elektronischen Dokument (beA). Beide kommen aus dem zivilrechtlichen Bereich, haben aber auch in anderen Verfahrensarten Bedeutung/Auswirkungen.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 30.11.2023 – III ZB 4/23noch einmal zum Begriff der „einfachen Signatur“.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem der Kläger, ein pensionieruter Polizeibeamter für auf Schießständen des beklagten Landes erlittene gesundheitliche Beeinträchtigungen Schmerzensgeld und die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich aller zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden.

Das LG hat die Klage mit am 07.04 2022 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestelltem Urteil abgewiesen. Hiergegen hat dieser am 27.04.2022 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist zunächst um einen Monat und alsdann im Einvernehmen mit dem Beklagten um eine weitere Woche bis zum 14.07.2022 verlängert worden. Die Berufungsbegründung des Klägers ist jedoch erst im Laufe des 15.07.2022 beim Berufungsgericht eingegangen. Zuvor war am selben Tag kurz nach zwei Uhr früh ein Antrag des Klägers eingegangen, die Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Tag zu verlängern. Nachdem die Senatsvorsitzende des Berufungsgerichts diesen Antrag abgelehnt hatte, hat es die vom Kläger zudem beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht bewilligt und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet dieser sich mit der Rechtsbeschwerde. Er macht im Wesentlichen geltend:

„Am Abend des 14. Juli 2022 habe sein Prozessbevollmächtigter die Berufungsbegründungsschriftsätze für das vorliegende sowie die beiden Parallelverfahren 9 U 44/22 und 9 U 45/22 fertiggestellt. Anschließend habe er mit dem ansonsten zuverlässig arbeitenden Kanzleidrucker „Canon …“ zunächst die beiden Schriftsätze in den Parallelverfahren ausgefertigt und diese mit Anlagen um 22.22 Uhr beziehungsweise 22.30 Uhr erfolgreich per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) an das Berufungsgericht übermittelt. Beim anschließenden Versuch der drucktechnischen Ausfertigung des Berufungsbegründungsschriftsatzes in der vorliegenden Sache gegen 22.30 Uhr habe der Kanzleidrucker einen seinem Prozessbevollmächtigten bis dahin unbekannten Fehler gemeldet und den Druckbefehl nicht ausgeführt. Der Prozessbevollmächtigte habe sich um Fehlerbehebung bemüht, was jedoch absehbar bis um 24.00 Uhr nicht zu bewerkstelligen gewesen sei. Er habe deshalb seinen „Back-up-Drucker“ (Modell „Brother …“) aktiviert, der zuverlässig arbeite, aber im Vergleich mit dem Canon-Drucker nur über eine erheblich geringere Druckgeschwindigkeit verfüge. Da zu besorgen gewesen sei, dass die drucktechnische Ausfertigung des umfangreichen Schriftsatzes samt Anlagen mit diesem Drucker vor 24.00 Uhr nicht mehr gelingen würde, habe sein Prozessbevollmächtigter einen kurzen Schriftsatz mit der Bitte um eine Fristverlängerung um einen Tag unter Verweis auf die technischen Schwierigkeiten gefertigt, welche die Ausfertigung und Übermittlung verzögert hätten. Dieser Schriftsatz habe allerdings erst um 2.04 Uhr des Folgetages per beA abgesetzt und zugestellt werden können; zuvor am 14. Juli 2022 seien drei Übermittlungsversuche – um 23.46 Uhr, 23.53 Uhr und 23.56 Uhr – aufgrund einer technischen Störung im beA-System gescheitert.

Sein Prozessbevollmächtigter habe sich sodann weiter um die Fehlerbehebung am Canon-Drucker bemüht. Nach eingehender Befassung mit dem Drucker-Handbuch und Neuinstallation des Druckertreibers sei ihm dies schließlich gelungen, so dass er am 15. Juli 2022 die Berufungsbegründung habe ausfertigen und per beA habe übermitteln und mit einem weiteren am 15. Juli 2022 per beA an das Berufungsgericht übermittelten Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe beantragen können…..“

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen, weil  die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind:

„1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt: Die Berufung des Klägers sei als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufungsbegründungsschrift erst am 15. Juli 2022 und damit nach Ablauf der bis zum 14. Juli 2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Der Vortrag des Klägers vermöge eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu rechtfertigen, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen Verschulden sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, am 14. Juli 2022 überhaupt nicht versucht habe, die Berufungsbegründungsschrift per beA an das Berufungsgericht zu übermitteln. Vielmehr sei am 14. Juli 2022 lediglich versucht worden, einen Fristverlängerungsantrag per beA zu übersenden, der jedoch mangels Einwilligung der Gegenseite, welche realistischerweise auch nicht mehr zu erlangen gewesen sei, nicht habe erfolgversprechend sein können. Außerdem sei nicht nachvollziehbar dargetan worden, dass für eine Übermittlung per beA ein Ausdrucken des Schriftsatzes nötig gewesen sei.

2. Das wirft keine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die die Entscheidung tragenden Ausführungen des Berufungsgerichts halten sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Es hat das Rechtsmittel des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat die Berufung nicht innerhalb der bis zum 14. Juli 2022 verlängerten Frist begründet. Mit Recht hat die Vorinstanz den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung dieser Frist (§ 233 Satz 1, § 236 ZPO) abgelehnt.

a) Nach § 233 Satz 1 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Sie muss die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen glaubhaft machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 – XII ZB 228/22, NJW-RR 2023, 760 Rn. 13). Dabei bedarf die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt an Eides statt oder unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (vgl. BGH, Zwischenurteil vom 25. Juli 2023 – X ZR 51/23, GRUR 2023, 1481 Rn. 16; Beschlüsse vom 26. Januar 2023 – V ZB 11/22, MDR 2023, 862 Rn. 11; vom 21. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Leitsatz 1 und Rn. 15 und vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17, NJW-RR 2018, 445 Rn. 14). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumung von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2023 aaO).

b) Gemessen daran ist die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch das Berufungsgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Es fehlt bereits an einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung, weswegen es dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der vorliegenden Sache – nachdem er am 14. Juli 2022 um 22.22 Uhr und um 22.30 Uhr die Berufungsbegründungsschriftsätze in den (Parallel-)Verfahren 9 U 44/22 und 9 U 45/22 erfolgreich per beA an das Berufungsgericht hatte übermitteln können – ab 22.30 Uhr aus technischen Gründen nicht (mehr) möglich gewesen sein soll, den nach seiner Darlegung zu diesem Zeitpunkt auch schon fertiggestellten Berufungsbegründungsschriftsatz ebenfalls erfolgreich per beA an das Berufungsgericht zu versenden, und er noch nicht einmal den Versuch einer Versendung dieses Schriftsatzes unternommen hat. Denn der Umstand, dass sein Canon-Drucker ab 22.30 Uhr seinen Dienst versagte, vermag das nicht zu erklären, weil die (erfolgreiche) Übersendung eines Schriftsatzes an ein Gericht per beA eine vorherige „drucktechnische Ausfertigung“ dieses Schriftsatzes nicht voraussetzt. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO ist ein elektronisches Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln (siehe zu der erforderlichen Version die Zweite Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz zu § 5 ERVV, BAnz AT vom 18. Februar 2022 B2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV). Zur Herstellung eines Dokuments im PDF-Format ist es nicht notwendig, es zuvor auszudrucken und sodann einzuscannen. Vielmehr lässt sich eine PDF-Datei unmittelbar elektronisch herstellen. Der vorherige Ausdruck des Dokuments ist auch nicht notwendig, um die gemäß § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO bei Übermittlung aus dem beA erforderliche einfache Signatur anzubringen. Hierfür ist es nicht erforderlich, das Dokument handschriftlich zu signieren und einzuscannen. Vielmehr genügt für die einfache Signatur die maschinenschriftliche Wiedergabe des Namens des Verfassers am Ende des Textes (BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 10; BSG, NJW 2022, 1334 Rn. 9; BAGE 172, 186 Rn. 15 mwN). Das Berufungsgericht hat es daher zu Recht als „nicht nachvollziehbar dargetan“ angesehen, dass für eine Übermittlung per beA „ein Ausdrucken des Schriftsatzes überhaupt nötig gewesen wäre“.

Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und somit dem Kläger selbst (§ 85 Abs. 2 ZPO) gereicht es daher zum Verschulden, dass am 14. Juli 2022 ab 22.30 Uhr kein einziger Versuch unternommen worden ist, die – zu diesem Zeitpunkt angabegemäß bereits fertiggestellte – Berufungsbegründung per beA an das Berufungsgericht zu übermitteln; für das Vorliegen einer technischen Störung des beA zwischen 22.30 Uhr und 23.45 Uhr und damit dafür, dass eine Übermittlung des Schriftsatzes per beA in diesem Zeitraum nicht gelungen wäre, gibt es keinen Anhaltspunkt.

c) Dahinstehen kann, ob am 14. Juli 2022 ab 23.46 Uhr eine technische Störung des beA vorgelegen hat. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte die letzte Viertelstunde der am 14. Juli 2022 um 24.00 Uhr ablaufenden Berufungsbegründungsfrist – obschon er dazu berechtigt gewesen wäre (vgl. zB BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – VI ZB 5/17, NJW-RR 2018, 958 Rn. 11; BVerfGE 69, 381, 385) – nicht für die Übermittlung der Berufungsbegründung vorgesehen. Er hat vielmehr während dieses Zeitraums lediglich versucht, einen (nicht erfolgversprechenden, dazu sogleich unter Buchstabe d) Fristverlängerungsantrag per beA an das Berufungsgericht zu schicken.

d) Den am 15. Juli 2022 um 2.04 Uhr formgerecht beim Berufungsgericht eingereichten Fristverlängerungsantrag hat die Vorsitzende des Berufungssenats mit Verfügung vom 18. Juli 2022 und der (zutreffenden) Begründung abgelehnt, dass der Antrag erst nach Ablauf der bis zum 14. Juli 2022 verlängerten Frist eingegangen sei. Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist setzt einen vor Fristablauf gestellten Antrag voraus; die Verlängerung einer bereits verfallenen Frist ist schon begrifflich nicht mehr möglich (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1991 – VI ZB 26/91, BGHZ 116, 377 f). Die von der Rechtsbeschwerde aufgeworfene, ihrer Ansicht nach Anlass zur Fortbildung des Rechts gebende Frage, ob das Berufungsgericht gehalten gewesen wäre, auch ohne Einwilligung des Beklagten die begehrte Fristverlängerung um einen Tag zu gewähren, stellt sich daher auch mit Blick auf den von ihr angezogenen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. August 2019 – VII ZB 35/17, NJW 2020, 157 – nicht. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof bereits ausgesprochen, dass der Berufungskläger grundsätzlich nicht darauf vertrauen darf, dass ihm ohne Einwilligung des Gegners eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bewilligt wird, und infolgedessen ein erfolgversprechender Antrag auf weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr rechtzeitig gestellt werden kann, wenn die Einwilligung nicht vorliegt und nach 23.00 Uhr am letzten Tag der Frist realistischerweise auch nicht mehr zu erlangen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2021 – III ZB 64/20, NJW-RR 2021, 1143 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 4. März 2004 – IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742).

Die Ablehnung der Fristverlängerung ist unanfechtbar (§ 225 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2023 – V ZB 15/22, NJW 2023, 2883 Rn. 6). Soweit die Rechtsbeschwerde ausführt, der Wiedereinsetzungsantrag habe sich auf das Fristverlängerungsgesuch bezogen, ist sie dahingehend zu bescheiden, dass gegen die Versäumung eines rechtzeitigen Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht möglich ist (Senat, Beschluss vom 16. Oktober 1986 – III ZB 30/86, VersR 1987, 308).“

Corona I: Maskenpflicht bei der Kfz-Zulassungsstelle, oder: Kfz-Zulassungsstelle ist kein „Dienstleistungsbetrieb“

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Zum Wochenstart heute dann mal wieder ein bisschen was zu Corona (und Drumherum). Mit der rechtlichen Aufarbeitung haben wir sicherlich noch länger zu tun.

Ich stelle zunächst den BayObLG, Beschl. v. 12.07.2023 – 201 ObOWi 521/23 – vor. Er behandelt noch einmal eine Problemati in Zusammenhang mit der Maskenpflicht. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässig begangenen Verstoßes gegen die Maskenpflicht verurteilt. Dazu hat das AG folgende Feststellungen getroffen:

„Am 31.07.2020 gegen 10:45 Uhr suchte der Betroffene die Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts A. auf, um ein Fahrzeug umzumelden. Er trug zunächst eine Mund-Nasen-Maske, nahm diese aber in der Folgezeit ab und setzte sie trotz mehrfacher Aufforderungen eines Security-Mitarbeiters nicht mehr auf. Der Betroffene hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er zum Tragen der Maske verpflichtet war.

Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr i.S.d. § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV gehandelt habe, in welchem für den Betroffenen als Kunden gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der 6. BaylfSMV Maskenpflicht gegolten habe. Der Betroffene habe daher nach § 22 Nr. 4 der 6. BaylfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG jedenfalls fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit begangen.“

Das sieht das BayObLG anders, die Rechtsbeschwerde hatte also Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht.

Nach §§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, 22 Nr. 4 der zu diesem Zeitpunkt geltenden 6. BayIfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG handelte ordnungswidrig, wer in Dienstleistungsbetrieben mit Kundenverkehr, sofern nicht die Art der Dienstleistung die Maskenpflicht nicht zuließ, als Kunde gegen die Maskenpflicht verstieß.

Bei einer Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts handelt es sich nicht um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr und bei dem Betroffenen nicht um einen Kunden i.S.d. vorgenannten Vorschriften. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob bei der Subsumtion einer staatlichen Kfz-Zulassungsstelle unter den Begriff des Dienstleistungsbetriebs der Wortsinn der Norm, welche die Grenze ihrer Auslegung bildet (vgl. hierzu BayObLG DAR 2022, 156 = NStZ 2022, 495), überschritten ist. Die dahingehende Subsumtion widerspricht zum einen der obergerichtlichen verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zum Begriff des Dienstleistungsbetriebs. Außerdem sprechen systematische Erwägungen dafür, dass staatliche Behörden nicht vom Begriff des Dienstleistungsbetriebs erfasst werden sollten.

a) Wie das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend feststellt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Begriff des Dienstleistungsbetriebes im Rahmen der insoweit wortgleichen 4. BayIfSMV zwar weit verstanden und darunter sämtliche Einrichtungen mit Kundenkontakt gefasst, welche gegen Entgelt immaterielle Leistungen erbringen (BayVGH, Beschl. v. 29.05.2020 – 20 NE 20.953 bei juris [Rn. 33]). Auch der Senat hat keinen Anlass, von dieser Definition abzurücken.

b) Das Amtsgericht hat jedoch die Kfz-Zulassungsstelle eines Landratsamts rechtsfehlerhaft unter die vorgenannte Definition des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs subsumiert, und dabei die erforderliche Abgrenzung des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs von dem einer Behörde missachtet. Zwar handelt es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle unzweifelhaft um eine Einrichtung mit Außenkontakt, welche immaterielle Leistungen erbringt. Die entsprechenden Leistungen werden jedoch – ungeachtet eventuell zu entrichtender Gebühren – nicht ‚gegen Entgelt‘ im Sinne der Definition eines Dienstleistungsbetriebs erbracht.

Bei einem Landratsamt handelt es sich vielmehr um ein in das Gefüge der öffentlichen Verwaltung eingeordnetes Organ der Staatsgewalt mit der Aufgabe, unter öffentlicher Autorität nach eigener Entschließung für Staatszwecke tätig zu werden. Eine solche Stelle nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG) und unterfällt somit dem Behördenbegriff im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 25, 185, 188; BVerfGE 10, 20, 48; Fischer StGB 70. Aufl. 2023 § 11 Rn. 29). Sie unterscheidet sich daher fundamental von einer Einrichtung, deren Zweck auf die Erwirtschaftung einer Gegenleistung ausgerichtet und deren Existenz von einer solchen abhängig ist.

Der Begriff des Entgelts bezeichnet nach allgemeiner Rechtsauffassung die in einem Vertrag vereinbarte Gegenleistung, die mit der von der Gegenseite zu erbringenden Leistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) steht (vgl. nur BGH NJW 1980, 2133; Grüneberg/Bearbeiter? BGB 83. Aufl. vor § 311 Rn. 8; Becker in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 309 Rn. 7).

Der Betroffene, der auf dem Landratsamt vorstellig wurde, wollte mit diesem keinen privatrechtlichen Vertrag über die Ummeldung seines Fahrzeugs schließen, sondern seinen rechtlichen Verpflichtungen als Halter eines Kraftfahrzeugs nachkommen, da Änderungen von Fahrzeug- oder Halterdaten nach § 13 FVZ der Verwaltungsbehörde mitzuteilen sind, und das Unterlassen entsprechender Angaben nach § 48 Nr. 12 FZV ordnungswidrig ist. Gegebenenfalls von ihm zu zahlende Gebühren für die Ummeldung seines Kraftfahrzeugs wären auch keine Gegenleistung für das Tätigwerden der Verwaltungsbehörde gewesen. Gebühren sind vielmehr öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfGE 50, 217, 226 m.w.N.). Eine etwaige Gebührenpflicht des Betroffenen stellte sich daher für ihn als die Auferlegung einer einseitigen hoheitlichen Maßnahme dar, nicht jedoch als vertragliche Gegenleistung im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung.

c) Es besteht auch kein Anhaltspunkt, dass der Verordnungsgeber mit der Schaffung des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV eine Verwaltungsbehörde als Unterfall eines Dienstleistungsbetriebs gesehen hat und sie den für einen Dienstleistungsbetrieb geltenden Regelungen unterwerfen wollte.

aa) Angesichts der peniblen Ausdifferenzierung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen für verschiedenste Bereiche des öffentlichen Lebens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber das für das Funktionieren des öffentlichen Lebens zentrale Gebiet der öffentlichen Staatsverwaltung als Wirtschaftsleben verstanden hat und die Verwaltungsbehörden lediglich als Unterfall des Dienstleistungsbetriebs hatte regeln wollen. Der Verordnungsgeber hat die Vorschrift des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV über Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr zwischen Regelungen für Betriebe des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr (§ 12 Abs. 1 der 6. BayIfSMV) und den Bestimmungen für Arzt- und Zahnarztpraxen (§ 12 Abs. 3 der 6. BayIfSMV) platziert. Außerdem befindet sich die Vorschrift des § 12 der 6. BayIfSMV unter dem Oberbegriff „Teil 4 Wirtschaftsleben“, in dem weiter die Gastronomie (§ 13 der 6. BayIfSMV) und die Beherbergung (§ 14 der 6. BayIfSMV) geregelt werden. Unabhängig von dem Umstand, dass hoheitliches Verwaltungshandeln allein schon sprachlich nicht unter den Oberbegriff „Wirtschaftsleben“ subsumiert werden kann, ist den sonst unter diesem Begriff erfassten Einrichtungen gemeinsam, dass es sich um solche handelt, in welchen sich typischerweise Personen zur Erbringung einer Leistung zum Zwecke und mit dem Ziel der Erlangung einer Gegenleistung treffen. Es wäre in diesem Zusammenhang im höchsten Maße systemwidrig, wenn der Verordnungsgeber hoheitliches Handeln, das sich, wie ausgeführt, inhaltlich von synallagmatischen Geschäftsbeziehungen unterscheidet, im Rahmen ausschließlich solcher Geschäftsbeziehungen erfasst hätte.

bb) Angesichts des für die Existenz des Staates in seiner Gesamtheit unerlässlichen Funktionierens seiner Verwaltung liegt es ganz im Gegenteil nahe, dass der Verordnungsgeber den Umgang seiner Bürger mit der staatlichen Verwaltung bewusst (noch) nicht durch bußgeldbewehrte Einschränkungen pauschal reglementieren wollte. Mitarbeiter und Besucher staatlicher Behörden waren dem Infektionsrisiko durch das Coronavirus deswegen nicht schutzlos ausgeliefert, weil die Leiter der staatlichen Behörden kraft ihres Hausrechtes und unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse vor Ort jederzeit die Möglichkeit hatten, den Zugang zu ihren Einrichtungen zu reglementieren. Mit einer Bußgeldbewehrung musste dies nicht zwingend einhergehen. Dieses Ergebnis wird zumindest indiziell dadurch gestützt, dass der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 1 Nr. 1 der ab 02.11.2020 geltenden 8. BayIfSMV eine weitergehende bußgeldbewehrte Maskenpflicht auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen von öffentlichen Gebäuden oder öffentlich zugänglichen Gebäuden geschaffen hat, für die in dieser Verordnung ansonsten keine besonderen Regelungen vorgesehen waren. Für eine solche Regelung wäre kein oder kaum ein Anwendungsbereich verblieben, wenn Gebäude der öffentlichen Verwaltung bereits von dem im inhaltlich unverändert übernommenen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 der 8. BayIfSMV genannten Begriff des Dienstleistungsbetriebs umfasst gewesen wären.“

StPO III: „Es handelt sich um „Verteidigerpost!“, oder: Auch Querlesen ist zur Kontrolle nicht erlaubt

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann noch etwas zu § 148 StPO, nämlich zum Begriff der „Verteidigerpost“.

Der Beschuldigte hat als Untersuchungsgefangener das Vorgehen eines Bediensteten der JVA  bei der Kontrolle der von ihm zu einer zu Verteidigerbesprechung mitgebrachten 14 handschriftlich beschriebenen Seiten beanstandet. Der Bedienstete hatte den Beschuldigten zu einer Besprechung mit dessen Verteidiger in die Vorführabteilung gebracht. Im Rahmen der Personenkontrolle auf der Station legte der Beschuldigte die beschriebenen Seiten auf dem Tisch ab und erklärte, dass es sich um Verteidigerpost handele, die der Bedienstete nicht lesen dürfe. Der Bedienstete erklärte daraufhin, er werde kurz darüber schauen, nahm die Unterlagen, blätterte sie durch und sichtete sie dabei auszugsweise, um feststellen zu können, ob es sich um Verteidigungsunterlagen handelte. Anschließend händigte er sie dem Antragsteller aus. Ob ein „Querlesen“ durch den Bediensteten stattfand, ist streitig.

Das LG Hamburg hat im LG Hamburg, Beschl. v. 17.01.2023 – 621 Ks 14/22 – die Vorgehensweise als rechtswidrig angesehen:

„2. Der Antrag ist auch begründet. Die Durchsicht der schriftlichen Unterlagen des Antragstellers am 13.12.2022 durch den Bediensteten der Antragsgegnerin war rechtswidrig. Sie verstieß gegen den Grundsatz des unüberwachten und ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem.

Gemäß § 23 Abs. 3 HmbUVollzG dürfen beim Besuch von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten mitgeführte Schriftstücke und sonstige Unterlagen übergeben werden, ihre inhaltliche Überprüfung ist nicht zulässig. Darüber hinaus wird der Schriftwechsel mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, soweit sie von den Untersuchungsgefangenen mit der Vertretung einer Rechtsangelegenheit nachweislich beauftragt wurden, gemäß § 25 Abs. 2 HmbUVollzG nicht überwacht. Auch der in § 148 Abs. 1 StPO niedergelegte Grundsatz des ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem beinhaltet, dass der Schriftverkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger inhaltlich nicht überwacht werden darf. Unter Anwendung dieses Grundsatzes beschränkt sich die Briefkontrolle der Haftanstalt darauf, ob sie nach den äußeren Kennzeichen eine Korrespondenz zwischen Mandanten und Verteidiger betrifft. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist die Post ohne inhaltliche Prüfung weiterzuleiten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.11.2004 —3 VAs 20/04 —, juris; Willnow in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 148 Rn. 8).

Allenfalls bei gewichtigen Anhaltspunkten für einen Missbrauch des Schutzes des ungehinderten Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem kann eine Durchsicht der Schriftstücke zulässig sein (OLG Frankfurt, a.a.O.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 148 Rn. 7).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe war das Vorgehen der Antragsgegnerin bei der Kontrolle der Unterlagen rechtswidrig. Bei einer umfassenden Würdigung der Angaben des Antragstellers, der Antragsgegnerin und der Stellungnahme des Bediensteten hat die Kammer vorliegend keine Zweifel daran, dass der Bedienstete pp, die beschriebenen Seiten im Wege des „Überfliegens“ oder „Querlesens“ inhaltlich daraufhin überprüfte, ob es sich um Verteidigerpoet handelte, und die Schriftstücke nicht lediglich — ohne Kenntnisnahme von ihrem Inhalt — daraufhin überprüfte, ob sich dazwischen oder darunter auch gefährliche oder verbotene Gegenstände befanden. Soweit die Antragsgegnerin ein solches „Querlesen“ bestreitet, setzt sie sich dabei zu ihrem eigenen Vortrag in Widerspruch:

Die Angabe des Bediensteten pp  in seiner Stellungnahme vom 20.12.2022, er habe die Unterlagen angeschaut, da sie nicht als Verteidigerunterlagen deklariert gewesen seien, bestätigt gerade die Darstellung des Antragstellers, wonach der Bedienstete die Unterlagen mit Blick auf deren Inhalt überprüfte. Dies ergibt sich auch unmissverständlich aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin, wonach der Bedienstete gezwungen gewesen sei, die Unterlagen kurz zu sichten, um sicher feststellen zu können, dass es sich um Verteidigungsunterlagen handelte: „Dem Bediensteten wäre es nicht möglich gewesen zu entscheiden, ob die mitgeführten Unterlagen tatsächlich Verteidigungsunterlagen waren, ohne diese wenigstens auszugsweise zu sichten.“ Nahezu identisch lautete der Antragsschrift zufolge auch die Erklärung des  Bediensteten gegenüber dem Verteidiger, Rechtsanwalt pp., noch am 13.12.2022. Ein solches Vorgehen setzt aber gerade das „Querlesen“ der Unterlagen voraus, das nach Angaben der Antragsgegnerin dennoch nicht stattgefunden haben soll. Die Angabe des Bediensteten in seiner Stellungnahme vom 20.12.2022, er habe die Unterlagen nur auf gefährliche und verbotene Gegenstände durchsucht, ist vor diesem Hintergrund mit dem übrigen Vortrag der Antragsgegnerin ebenso wie mit seinen übrigen Angaben nicht vereinbar. Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Bedienstete, wie von dem Antragsteller vorgetragen, diese Unterlagen tatsächlich mindestens auszugsweise „querlas“ und dieses Vorgehen auch gegenüber dem Verteidiger, Rechtsanwalt pp., wie im Antrag dargestellt auf Nachfrage bestätigte.

Der Umstand, dass es sich bei den Unterlagen – wie die Antragsgegnerin vorträgt -„nicht um offiziell gekennzeichnete ‚Verteidigerpost‘ handelte, sondern um ein Konvolut von handschriftlich beschriebenen Blättern, vermag nichts an der Rechtswidrigkeit dieses Vorgehens zu ändern. Denn der Antragsteller hatte diese Schriftstücke unmissverständlich zu Beginn der Kontrolle — wenn auch nur mündlich — als solche Verteidigerpost deklariert. Vor dem Hintergrund, dass er sich, wie der Bedienstete wusste, gerade auf dem Weg zum Verteidigergespräch befind, konnte somit über die Zuordnung der Schriftstücke keinerlei begründeter Zweifel bestehen. Der Schutz des ungehinderten Schriftverkehrs mit dem Verteidiger kann nicht geringer ausfallen, wenn der Untersuchungsgefangene (sogar) darauf verzichtet, die entsprechenden Schriftstücke in einem verschlossenen, mit „Verteidigerpost“ beschriebenen Umschlag zu verwahren, sofern wie hier die Zuordnung als Verteidigerpost dennoch eindeutig ist.“

OWi III: Inbegriff der OWi-Hauptverhandlung, oder: Wenn die OWi-Anzeige verlesen wurde

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Und als dritte Entscheidung dann etwas Verfahrensrechtliches aus dem OWi-Verfahren. Nichts Besonderes, aber immerhin und sicherlich ein Fehler, der häufiger gemacht wird. Es geht u.a. um den Begriff des Inbegriffs der Hauptverhandlung (§ 261 StPO).

Das AG hat den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO – also verbotswidrige Benutzung eines elektronischen Gerätes – verurteilt. Nach den Feststellungen ist der unmittelbar nach dem Verstoß von einem Polizeibeamten angehalten worden, der die Personallen des Betroffenen anhand des ihm vorgelegten Passes des Betroffenen festgestellt hat.

Das OLG hat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der GStA das Urteil des AG aufgehoben und führt dazu im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.11.2022 – IV-3 RBs 209/22 – aus:

„…. Zur Begründetheit des Rechtsmittels hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Senatszuschrift vom 10. November 2022 u.a. folgendes ausgeführt:

„Vorliegend beanstandet der Betroffene, dass das Urteil Bezug nimmt auf die in der Hauptverhandlung verlesene Ordnungswidrigkeitenanzeige (BI, 3 und 4 d.A.), diese Jedoch ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sei.

Gründet das Gericht seine Überzeugung auch auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Angeklagte dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern könnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den In § 261 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs (zu vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 5, November 2021 — 2 OWi 32 SsRs 254/21 —, Rn, 10, Juris).

Der Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs liegt nicht darin begründet, dass das Gericht die Beweismittel nicht in die Hauptverhandlung eingeführt hat, sondern darin, dass es im Urteil Beweismittel verwertet hat, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, Der Mangel des Urteils und damit die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen also in der Verwertung begründet (OLG Koblenz, a.a.O.),

Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist die Einführung der Strafanzeige im Wege der Verlesung nicht zu entnehmen, Damit wurde das rechtliche Gehör verletzt, da das Gericht eine Urkunde verwertet hat, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verwertung der schriftlichen Anzeige zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.“

 

Diesen Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an….“