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Corona II: Mitfahrt eines Beschäftigten im Firmen-Kfz, oder: Gilt/galt die Maskenpflicht an der Arbeitsstätte?

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Und im zweiten Posting dann der BayObLG, Beschl. v. 18.12.2023 – 201 ObOWi 1077/23 – zur Frage eines Verstoßes gegen pandemiebedingte Maskenpflicht an der Arbeitsstätte wegen bloßer Mitfahrt eines Beschäftigten in Firmenfahrzeug.

Das AG hat den den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Maskenpflicht gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen des AG befand sich der Betroffene, der Malermeister ist, am 07.12.2020 mit weiteren fünf Personen in einem Transporter auf dem Weg zu einer Baustelle in Neumarkt in der Oberpfalz. Der Mindestabstand von 1,5 Metern im Fahrzeug wurde nicht eingehalten, keiner der Insassen trug einen Mund-Nasen-Schutz. Das AG hat in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, dass auch ein Firmenfahrzeug, das von den Mitarbeitern genutzt wird, als Arbeitsplatz i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen sei. Der Betroffene habe vorsätzlich gehandelt, weil er gewusst habe, dass er keinen Mund-Nasen-Schutz trage und dies auch nicht beabsichtigte. Er habe deshalb vorsätzlich gegen die Maskenpflicht nach § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV verstoßen.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die Erfolg hatte. Das BayObLG legt – wie gewohnt 🙂 – umfangreich das, warum wegen der bloßen Mitfahrt eines Beschäftigten in einem Firmenfahrzeug kein Verstoß gegen die pandemiebedingte Maskenpflicht an der Arbeitsstätte vorliegt. Insoweit beschränke ich mich hier wegen des Umfangs der Begründung auf die Leitsätze der Entscheidung, die lauten:

    1. Die Maskenpflicht am Arbeitsplatz bzw. an der Arbeitsstätte dient dem Arbeitsschutz. Deshalb sind die Begriffe der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes in der 9. BayIfSMV entsprechend der Begrifflichkeit im Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung zu verstehen.
    2. Ein Firmenfahrzeug, das von Mitarbeitern für die Fahrt zu einer Baustelle genutzt wird, ist nicht als Arbeitsplatz oder Arbeitsstätte i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV anzusehen. Eine weitergehende Auslegung überschreitet die Grenze des möglichen Wortsinns und widerspricht den Begriffsdefinitionen aus arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen.

Die Begründung dann bitte im Volltext selbt lesen.

Aber: Frei gesprochen hat das BayObLG nicht, sondern zurückverwiesen. Begründung:

„3. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kommt somit kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Nr. 3 der 9. BayIfSMV in Betracht, wohl aber ein Verstoß gegen die in § 3 Abs. 1 Nr. 2 der 9. BayIfSMV angeordnete Kontaktbeschränkung. Danach war der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken nur gestattet mit den Angehörigen des eigenen Hausstands sowie zusätzlich den Angehörigen eines weiteren Hausstands, solange dabei eine Gesamtzahl von insgesamt höchstens fünf Personen nicht überschritten wird. Dies gilt nach § 3 Abs. 3 der 9. BayIfSMV nicht für berufliche und dienstliche Tätigkeiten, bei denen ein Zusammenwirken mehrerer Personen zwingend erforderlich ist.

Da sich hier nach den Feststellungen sechs Personen im Fahrzeug aufhielten, kommt eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Nr. 1 der 9. BayIfSMV in Betracht.

a) Hinsichtlich der möglichen Verwirklichung des Tatbestandes des Verstoßes gegen die Kontaktbeschränkung erweisen sich die Urteilsfeststellungen aber als lückenhaft (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO, sodass dem Senat keine eigene Entscheidung möglich ist.

Zum einen gilt die Kontaktbeschränkung nicht für berufliche und dienstliche Tätigkeiten, bei denen ein Zusammenwirken mehrerer Personen zwingend erforderlich ist. In dem Urteil sind keine Feststellungen zu der Art der in Aussicht genommenen Tätigkeit und der Notwendigkeit der gemeinsamen Fahrt enthalten.

Zum anderen ergibt sich aus dem Urteil (konsequenterweise) auch nichts Tragfähiges zum subjektiven Tatbestand des Betroffenen bezüglich der Kontaktbeschränkung.

b) Da die Fahrt am 07.12.2020 erfolgte, ist im Falle des fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Nr. 2 der 9. BayIfSMV die Tat bereits verjährt. Am 07.12.2020 waren vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten nach § 73 Abs. 2 IfSG a.F. mit einer Geldbuße bis zu 25.000 Euro bedroht, sodass die fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 73 Abs. 2 IfSG a.F., § 17 Abs. 2 OWiG mit Geldbuße bis zu 12.500 EUR bedroht war. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG zwei Jahre. Eine Anhörung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) erfolgte am 07.12.2020, der Bußgeldbescheid (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG) wurde erst am 12.12.2022 und damit nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist erlassen.

…..“

Nun ja, kann man machen. Aber m.E. schreit die Sache nach mehr als drei Jahren aber mehr nach § 47 Abs. 2 OWiG als nach einer erneuten Hauptverhandlung.

Corona I: Maskenpflicht bei der Kfz-Zulassungsstelle, oder: Kfz-Zulassungsstelle ist kein „Dienstleistungsbetrieb“

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Zum Wochenstart heute dann mal wieder ein bisschen was zu Corona (und Drumherum). Mit der rechtlichen Aufarbeitung haben wir sicherlich noch länger zu tun.

Ich stelle zunächst den BayObLG, Beschl. v. 12.07.2023 – 201 ObOWi 521/23 – vor. Er behandelt noch einmal eine Problemati in Zusammenhang mit der Maskenpflicht. Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässig begangenen Verstoßes gegen die Maskenpflicht verurteilt. Dazu hat das AG folgende Feststellungen getroffen:

„Am 31.07.2020 gegen 10:45 Uhr suchte der Betroffene die Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts A. auf, um ein Fahrzeug umzumelden. Er trug zunächst eine Mund-Nasen-Maske, nahm diese aber in der Folgezeit ab und setzte sie trotz mehrfacher Aufforderungen eines Security-Mitarbeiters nicht mehr auf. Der Betroffene hätte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er zum Tragen der Maske verpflichtet war.

Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr i.S.d. § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV gehandelt habe, in welchem für den Betroffenen als Kunden gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der 6. BaylfSMV Maskenpflicht gegolten habe. Der Betroffene habe daher nach § 22 Nr. 4 der 6. BaylfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG jedenfalls fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit begangen.“

Das sieht das BayObLG anders, die Rechtsbeschwerde hatte also Erfolg:

„2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklicht.

Nach §§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, 22 Nr. 4 der zu diesem Zeitpunkt geltenden 6. BayIfSMV i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG handelte ordnungswidrig, wer in Dienstleistungsbetrieben mit Kundenverkehr, sofern nicht die Art der Dienstleistung die Maskenpflicht nicht zuließ, als Kunde gegen die Maskenpflicht verstieß.

Bei einer Kfz-Zulassungsstelle des Landratsamts handelt es sich nicht um einen Dienstleistungsbetrieb mit Kundenverkehr und bei dem Betroffenen nicht um einen Kunden i.S.d. vorgenannten Vorschriften. Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob bei der Subsumtion einer staatlichen Kfz-Zulassungsstelle unter den Begriff des Dienstleistungsbetriebs der Wortsinn der Norm, welche die Grenze ihrer Auslegung bildet (vgl. hierzu BayObLG DAR 2022, 156 = NStZ 2022, 495), überschritten ist. Die dahingehende Subsumtion widerspricht zum einen der obergerichtlichen verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zum Begriff des Dienstleistungsbetriebs. Außerdem sprechen systematische Erwägungen dafür, dass staatliche Behörden nicht vom Begriff des Dienstleistungsbetriebs erfasst werden sollten.

a) Wie das Amtsgericht im Ausgangspunkt zutreffend feststellt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Begriff des Dienstleistungsbetriebes im Rahmen der insoweit wortgleichen 4. BayIfSMV zwar weit verstanden und darunter sämtliche Einrichtungen mit Kundenkontakt gefasst, welche gegen Entgelt immaterielle Leistungen erbringen (BayVGH, Beschl. v. 29.05.2020 – 20 NE 20.953 bei juris [Rn. 33]). Auch der Senat hat keinen Anlass, von dieser Definition abzurücken.

b) Das Amtsgericht hat jedoch die Kfz-Zulassungsstelle eines Landratsamts rechtsfehlerhaft unter die vorgenannte Definition des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs subsumiert, und dabei die erforderliche Abgrenzung des Begriffs des Dienstleistungsbetriebs von dem einer Behörde missachtet. Zwar handelt es sich bei der Kfz-Zulassungsstelle unzweifelhaft um eine Einrichtung mit Außenkontakt, welche immaterielle Leistungen erbringt. Die entsprechenden Leistungen werden jedoch – ungeachtet eventuell zu entrichtender Gebühren – nicht ‚gegen Entgelt‘ im Sinne der Definition eines Dienstleistungsbetriebs erbracht.

Bei einem Landratsamt handelt es sich vielmehr um ein in das Gefüge der öffentlichen Verwaltung eingeordnetes Organ der Staatsgewalt mit der Aufgabe, unter öffentlicher Autorität nach eigener Entschließung für Staatszwecke tätig zu werden. Eine solche Stelle nimmt Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG) und unterfällt somit dem Behördenbegriff im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHZ 25, 185, 188; BVerfGE 10, 20, 48; Fischer StGB 70. Aufl. 2023 § 11 Rn. 29). Sie unterscheidet sich daher fundamental von einer Einrichtung, deren Zweck auf die Erwirtschaftung einer Gegenleistung ausgerichtet und deren Existenz von einer solchen abhängig ist.

Der Begriff des Entgelts bezeichnet nach allgemeiner Rechtsauffassung die in einem Vertrag vereinbarte Gegenleistung, die mit der von der Gegenseite zu erbringenden Leistung in einem Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) steht (vgl. nur BGH NJW 1980, 2133; Grüneberg/Bearbeiter? BGB 83. Aufl. vor § 311 Rn. 8; Becker in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl., § 309 Rn. 7).

Der Betroffene, der auf dem Landratsamt vorstellig wurde, wollte mit diesem keinen privatrechtlichen Vertrag über die Ummeldung seines Fahrzeugs schließen, sondern seinen rechtlichen Verpflichtungen als Halter eines Kraftfahrzeugs nachkommen, da Änderungen von Fahrzeug- oder Halterdaten nach § 13 FVZ der Verwaltungsbehörde mitzuteilen sind, und das Unterlassen entsprechender Angaben nach § 48 Nr. 12 FZV ordnungswidrig ist. Gegebenenfalls von ihm zu zahlende Gebühren für die Ummeldung seines Kraftfahrzeugs wären auch keine Gegenleistung für das Tätigwerden der Verwaltungsbehörde gewesen. Gebühren sind vielmehr öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer, öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (BVerfGE 50, 217, 226 m.w.N.). Eine etwaige Gebührenpflicht des Betroffenen stellte sich daher für ihn als die Auferlegung einer einseitigen hoheitlichen Maßnahme dar, nicht jedoch als vertragliche Gegenleistung im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung.

c) Es besteht auch kein Anhaltspunkt, dass der Verordnungsgeber mit der Schaffung des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV eine Verwaltungsbehörde als Unterfall eines Dienstleistungsbetriebs gesehen hat und sie den für einen Dienstleistungsbetrieb geltenden Regelungen unterwerfen wollte.

aa) Angesichts der peniblen Ausdifferenzierung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen für verschiedenste Bereiche des öffentlichen Lebens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber das für das Funktionieren des öffentlichen Lebens zentrale Gebiet der öffentlichen Staatsverwaltung als Wirtschaftsleben verstanden hat und die Verwaltungsbehörden lediglich als Unterfall des Dienstleistungsbetriebs hatte regeln wollen. Der Verordnungsgeber hat die Vorschrift des § 12 Abs. 2 der 6. BayIfSMV über Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr zwischen Regelungen für Betriebe des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr (§ 12 Abs. 1 der 6. BayIfSMV) und den Bestimmungen für Arzt- und Zahnarztpraxen (§ 12 Abs. 3 der 6. BayIfSMV) platziert. Außerdem befindet sich die Vorschrift des § 12 der 6. BayIfSMV unter dem Oberbegriff „Teil 4 Wirtschaftsleben“, in dem weiter die Gastronomie (§ 13 der 6. BayIfSMV) und die Beherbergung (§ 14 der 6. BayIfSMV) geregelt werden. Unabhängig von dem Umstand, dass hoheitliches Verwaltungshandeln allein schon sprachlich nicht unter den Oberbegriff „Wirtschaftsleben“ subsumiert werden kann, ist den sonst unter diesem Begriff erfassten Einrichtungen gemeinsam, dass es sich um solche handelt, in welchen sich typischerweise Personen zur Erbringung einer Leistung zum Zwecke und mit dem Ziel der Erlangung einer Gegenleistung treffen. Es wäre in diesem Zusammenhang im höchsten Maße systemwidrig, wenn der Verordnungsgeber hoheitliches Handeln, das sich, wie ausgeführt, inhaltlich von synallagmatischen Geschäftsbeziehungen unterscheidet, im Rahmen ausschließlich solcher Geschäftsbeziehungen erfasst hätte.

bb) Angesichts des für die Existenz des Staates in seiner Gesamtheit unerlässlichen Funktionierens seiner Verwaltung liegt es ganz im Gegenteil nahe, dass der Verordnungsgeber den Umgang seiner Bürger mit der staatlichen Verwaltung bewusst (noch) nicht durch bußgeldbewehrte Einschränkungen pauschal reglementieren wollte. Mitarbeiter und Besucher staatlicher Behörden waren dem Infektionsrisiko durch das Coronavirus deswegen nicht schutzlos ausgeliefert, weil die Leiter der staatlichen Behörden kraft ihres Hausrechtes und unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse vor Ort jederzeit die Möglichkeit hatten, den Zugang zu ihren Einrichtungen zu reglementieren. Mit einer Bußgeldbewehrung musste dies nicht zwingend einhergehen. Dieses Ergebnis wird zumindest indiziell dadurch gestützt, dass der Verordnungsgeber in § 24 Abs. 1 Nr. 1 der ab 02.11.2020 geltenden 8. BayIfSMV eine weitergehende bußgeldbewehrte Maskenpflicht auf den Begegnungs- und Verkehrsflächen von öffentlichen Gebäuden oder öffentlich zugänglichen Gebäuden geschaffen hat, für die in dieser Verordnung ansonsten keine besonderen Regelungen vorgesehen waren. Für eine solche Regelung wäre kein oder kaum ein Anwendungsbereich verblieben, wenn Gebäude der öffentlichen Verwaltung bereits von dem im inhaltlich unverändert übernommenen § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 der 8. BayIfSMV genannten Begriff des Dienstleistungsbetriebs umfasst gewesen wären.“

Corona I: Die Maskenpflicht – binnen und buten, oder: Ungebühr des sich selbst verteidigenden Rechtsanwalts

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In die 2. KW. 2022 starte ich mit Entscheidungen zu Corona. In diesem ersten Posting zunächst zwei Beschlüsse des OLG Oldenburg, die beide aus demselben Verfahren stammen. In dem Verfahren ging es um einen Maskenverstoß.

Das AG hat den Betroffenen, einen Rechtsanwalt, wegen eines Verstoßes gegen eine Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich betreffend die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an öffentlichen Plätzen zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Der Betroffene hatte sich trotz Maskenpflicht geweigert – auch auf eine entsprechende Aufforderung der Polizei hin, – eine Maske im öffentlichen Raum aufzusetzen. In der Hauptverhandlung hat sich der Betroffene dann selbst verteidigt. In der Hauptverhandlung ist dann ein Ordnungsgeld von 150 EUR ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft festgesetzt worden, weil sich der Betroffene trotz Aufforderung durch den Vorsitzenden geweigert hat, in der Hauptverhandlung eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen. Dagegen dann die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier zu dem Ordnungsgeldbeschluß – das ist m.E. die rechtlich interessantere Entscheidung – der erste OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21. Das OLG führt zu dem Ordnungsgeldbeschluss aus:

„Auch in der Sache selbst lässt das festgesetzte Ordnungsgeld weder dem Grund noch der Höhe nach Rechtsfehler erkennen.

Das Ordnungsgeld konnte zunächst gegen den Betroffenen, auch wenn er von Beruf Rechtsanwalt ist und sich selbst verteidigt hat, festgesetzt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Rechtsstellung eines sich selbst verteidigenden Rechtsanwaltes folgendes ausgeführt:

„Dagegen ist es nach übereinstimmender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nicht zulässig, dass der Rechtsanwalt in dem von der Strafprozessordnung und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gebrauchten Sinne sein eigener Verteidiger sein kann. Der Status des Verteidigers und die Stellung des Beschuldigten oder Betroffenen sind offensichtlich miteinander unvereinbar: Der Verteidiger nimmt nicht nur ein durch privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag erteiltes Mandat wahr, sondern wird als unabhängiges – mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes – Organ der Rechtspflege grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft im Strafprozess tätig. Seine Position ist deshalb mit einer spürbaren Distanz zum Beschuldigten hin ausgestattet (vgl Kurzka, MDR 1974 S 817). Ihm sind Beschränkungen auferlegt, die die Strafprozessordnung einem Beschuldigten aus guten Gründen nicht abverlangt (vgl BGHSt 9, 71 (73); 14, 172 (174); Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 4. Aufl 1977, S 29f; § 68 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, abgedruckt bei Kleinknecht, aaO, § 137 vor Rdnr 1). Daraus folgt beispielsweise: Der im Strafgeldverfahren oder Bußgeldverfahren beschuldigte Rechtsanwalt kann in eigener Sache weder sein Wahlverteidiger sein, noch kann er in Fällen notwendiger Verteidigung zu seinem eigenen Pflichtverteidiger bestellt werden (vgl BGH, NJW 1954, S 1415; Kurzka, MDR 1974, S 817; Kleinknecht, aaO, § 138 Rdnr 3, § 140 Rdnr 1; Löwe-Rosenberg, aaO, § 140 Rdnr 2). Er hat kein Recht auf Akteneinsicht (Löwe-Rosenberg, aaO, § 147 Rdnr 3; Kleinknecht, aaO, § 147 Rdnr 8; Klussmann, NJW 1973 S 1965). Er ist weder zum Kreuzverhör nach § 239 StPO berechtigt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8; Löwe-Rosenberg, aaO, § 239 Rdnr 6) noch zur Befragung von Mitangeklagten nach § 240 Abs 2 Satz StPO befugt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8). In den Anwendungsbereichen des § 176 GVG und der §§ 168c Abs 3, 231 Abs 2, 231a, 231b und 247 StPO hat seine berufliche Qualifikation als Rechtsanwalt keine Bedeutung.
(BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1980 – 2 BvR 752/78 –, BVerfGE 53, 207-218, Rn. 22)“.

Obwohl in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes § 178 GVG nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist auch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt zulässig (vergleiche Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., RN 2727; OLG Köln, Beschluss vom 3.3.2010, 2 Ws 62/10, juris).

Die beharrliche Weigerung des Betroffenen der Aufforderung des Vorsitzenden zu folgen, eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, stellt eine Ungebühr dar:

Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (OLG Stuttgart, a.a.O.)

Das Gericht war zunächst berechtigt, vom Betroffenen das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris; OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251). Soweit der Betroffene argumentiert, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung widerspräche § 176 Abs. 2 GVG, haben sich die beiden vorgenannten Oberlandesgerichte mit diesem Einwand in überzeugender Weise auseinandergesetzt. Hierauf kann verwiesen werden.

Durch die Weigerung des Betroffenen, trotz mehrfacher Aufforderung die dem eigenen auch als dem Schutz der übrigen Beteiligten dienende Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, hat der Betroffene den Ablauf der Sitzung nachhaltig gestört. Letztlich ist die Sitzung erst dann zur Sache fortgesetzt worden, als der Betroffene des Saales verwiesen worden war und in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.“

Jetzt lassen wir mal die Frage der „Ungebühr“ außen vor. Eins ist auf jeden Fall richtig: Der Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt, ist „normaler“ Angeklagter/Betroffener mit der Folge, dass § 178 GVG auch für ihn gilt.

Und zur Hauptsache – also zur Rechtsbeschwerde – dann noch der Leitsatz aus dem zweiten OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21; der ist m.E. nicht so interessant, das man das alles schon einmal gelesen hat.

„Ein Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung konnte auch vor Inkrafttreten des § 28a IfSG mit einem Bußgeld geahndet werden.“

Und wenn schon das OLG unser Handbuch zitiert hier dann <<Werbemodus an>< der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, beide brandaktuell, die man hier – einzeln oder im Paket – bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.

Corona I: Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, oder: Verfassungsmäßig

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Und zum Wochenstart zwei „Corona-Entscheidungen“.

Zunächst stelle ich den KG, Beschl. v. 13.08.2021 – 3 Ws (B) 198/21 – vor. Es geht um die Verfassungsmäßigkeit der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin hat gegen die Betroffene wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln eine Geldbuße von 150 EUR festgesetzt. Auf ihren Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten die Betroffene wegen des im Bußgeldbescheid bezeichneten vorsätzlichen Verstoßes zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Im Einzelnen hat es festgestellt, dass die Betroffene am 02.07.2020 um 20.49 Uhr am S- Bahnhof Westkreuz eine in Richtung Potsdam fahrende S-Bahn betreten hat, ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Auch nachdem die Betroffene durch eine Polizeibeamtin aufgefordert worden war, weigerte sie sich, eine Maske anzulegen. Selbst nach der anschließenden Personalienfeststellung, zu der die Betroffene die S-Bahn verlassen musste, hatte die Betroffene kein Einsehen und bestieg die nächste Bahn wiederum ohne Maske.

Gegen diese Verurteilung wendet sich die Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet die Anwendung des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV u.a. deshalb, weil die Vorschrift nicht verfassungsgemäß zustande gekommen und auch materiell unverhältnismäßig, mithin verfassungswidrig sei. Daneben sei die Tat auch nicht, wie es die Vorschrift formuliere, „in geschlossenen Räumen“ begangen worden. Schließlich macht die Betroffene geltend, geglaubt zu haben, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 SARS-CoV-2 IfSV aus gesundheitlichen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit gewesen zu sein.

Das KG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, sie dann aber als unbegründet verworfen. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG folgt, dass der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ umfassend ist und der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnet, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird.

  2. Staatliche Regelungen, die auch den vermutlich gesünderen und weniger gefährdeten Menschen in gewissem Umfang Freiheitsbeschränkungen abverlangen, sind zulässig, wenn gerade hierdurch auch den stärker gefährdeten Menschen, die sich ansonsten über längere Zeit vollständig aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen müssten, ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und Freiheit gesichert werden kann (Anschluss an VfGH Bln, Beschluss vom 20. Mai 2020 – VerfGH 81 A/20 -).

  3. Bei der gegebenen Gefährdungslage mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten, die auch eine katastrophale Überlastung des Gesundheitswesens einbezog, war der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel, zumindest für eine Übergangszeit, hinzunehmen.

Corona I: Maskenpflicht auf dem Wochenmarkt, oder: Die galt/gilt u.a. nur für den Kunden

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Ich habe schon etwas länger keine Entscheidungen zu Corona-Fragen mehr vorgestellt. Die Berichterstattung ist aber – wie man ggf. meinen könnte – dazu nicht ein gestellt. Es lag nur nichts Passendes vor. Heute habe ich dann wieder zwei Entscheidungen, mit denen ich die Berichterstattung in der 32. KW. eröffne.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.07.2021 – 202 ObOWi 756/21 – zur Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf Wochenmärkten. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am Dienstag, den 08.09.2020, hielt sich die Betroffene gegen 12:05 Uhr an einem Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in O. auf. Die Betroffene, die keine Mund-Nasen-Bedeckung trug, unterhielt sich mit dem Standbetreiber, der sich außerhalb des Verkaufswagens befand. Sie wusste um die Pflicht zur Tragung einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Wochenmarkt, weil sie bereits eine Woche vorher von einem Beamten des Ordnungsamtes darauf hingewiesen worden war.“

Aufgrund dieser Feststellungen hat das AG wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Tragung eines Mund-Nasen-Schutzes auf dem Wochenmarkt nach § 22 Nr. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom 19.06.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 14.07.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 403) verurteilt. Das BayObLG hat aufgehoben:

„a) Die nach § 22 Nr. 4 BayIfSMV bußgeldbewehrte Verpflichtung zur Tragung einer Maske auf Wochenmärkten nach § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV betraf nicht etwa jedermann, der sich auf dem Wochenmarkt aufhielt oder diesen passierte. Vielmehr ist die Maskenpflicht ausdrücklich beschränkt auf das Verkaufspersonal, die Kunden und ihre Begleitpersonen.

b) Dass die Betroffene, bei der sich mangels gegenteiliger Feststellungen noch ableiten lässt, dass sie nicht zum Verkaufspersonal gehört, sich als Kundin oder als Begleitperson eines Kunden auf dem Wochenmarkt aufhielt, kann den Urteilsgründen indes nicht entnommen werden. Als Kunde ist eine Person dann anzusehen, wenn sie entweder in konkrete Kaufverhandlungen eintritt oder sich wenigstens auf dem Wochenmarkt in der Absicht aufhält, dort Waren zu erwerben. Der bloße Umstand, dass die Betroffene sich mit einem Standbetreiber auf dem Marktplatz unterhielt, lässt auch bei lebensnaher Betrachtung nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass sie Kundin oder Begleiterin eines Kunden in dem genannten Sinne war. Dies gilt umso mehr, als sie sich nach den Urteilsfeststellungen mit dem Standbetreiber, der sich zudem außerhalb des Verkaufsstandes befand, lediglich unterhielt.

c) Auch wenn es unter Berücksichtigung des Zwecks der Infektionsschutzvorschriften im Einzelfall möglicherweise keinen Unterschied macht, ob sich eine Person als Kunde oder als Passant oder gar nur zum Zeitvertreib auf einem Wochenmarkt aufhält, kann sich die Rechtsprechung schon wegen des aus dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) resultierenden Analogieverbots über die ausdrückliche Einschränkung des Täterkreises in § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV nicht hinwegsetzen (vgl. allgemein zum Analogieverbot bei infektionsschutzrechtlichen Bußgeldnormen zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 ObOWi 660/21 bei juris).“