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Corona I: Die Maskenpflicht – binnen und buten, oder: Ungebühr des sich selbst verteidigenden Rechtsanwalts

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In die 2. KW. 2022 starte ich mit Entscheidungen zu Corona. In diesem ersten Posting zunächst zwei Beschlüsse des OLG Oldenburg, die beide aus demselben Verfahren stammen. In dem Verfahren ging es um einen Maskenverstoß.

Das AG hat den Betroffenen, einen Rechtsanwalt, wegen eines Verstoßes gegen eine Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich betreffend die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an öffentlichen Plätzen zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Der Betroffene hatte sich trotz Maskenpflicht geweigert – auch auf eine entsprechende Aufforderung der Polizei hin, – eine Maske im öffentlichen Raum aufzusetzen. In der Hauptverhandlung hat sich der Betroffene dann selbst verteidigt. In der Hauptverhandlung ist dann ein Ordnungsgeld von 150 EUR ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft festgesetzt worden, weil sich der Betroffene trotz Aufforderung durch den Vorsitzenden geweigert hat, in der Hauptverhandlung eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen. Dagegen dann die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier zu dem Ordnungsgeldbeschluß – das ist m.E. die rechtlich interessantere Entscheidung – der erste OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21. Das OLG führt zu dem Ordnungsgeldbeschluss aus:

„Auch in der Sache selbst lässt das festgesetzte Ordnungsgeld weder dem Grund noch der Höhe nach Rechtsfehler erkennen.

Das Ordnungsgeld konnte zunächst gegen den Betroffenen, auch wenn er von Beruf Rechtsanwalt ist und sich selbst verteidigt hat, festgesetzt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Rechtsstellung eines sich selbst verteidigenden Rechtsanwaltes folgendes ausgeführt:

„Dagegen ist es nach übereinstimmender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nicht zulässig, dass der Rechtsanwalt in dem von der Strafprozessordnung und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gebrauchten Sinne sein eigener Verteidiger sein kann. Der Status des Verteidigers und die Stellung des Beschuldigten oder Betroffenen sind offensichtlich miteinander unvereinbar: Der Verteidiger nimmt nicht nur ein durch privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag erteiltes Mandat wahr, sondern wird als unabhängiges – mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes – Organ der Rechtspflege grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft im Strafprozess tätig. Seine Position ist deshalb mit einer spürbaren Distanz zum Beschuldigten hin ausgestattet (vgl Kurzka, MDR 1974 S 817). Ihm sind Beschränkungen auferlegt, die die Strafprozessordnung einem Beschuldigten aus guten Gründen nicht abverlangt (vgl BGHSt 9, 71 (73); 14, 172 (174); Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 4. Aufl 1977, S 29f; § 68 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, abgedruckt bei Kleinknecht, aaO, § 137 vor Rdnr 1). Daraus folgt beispielsweise: Der im Strafgeldverfahren oder Bußgeldverfahren beschuldigte Rechtsanwalt kann in eigener Sache weder sein Wahlverteidiger sein, noch kann er in Fällen notwendiger Verteidigung zu seinem eigenen Pflichtverteidiger bestellt werden (vgl BGH, NJW 1954, S 1415; Kurzka, MDR 1974, S 817; Kleinknecht, aaO, § 138 Rdnr 3, § 140 Rdnr 1; Löwe-Rosenberg, aaO, § 140 Rdnr 2). Er hat kein Recht auf Akteneinsicht (Löwe-Rosenberg, aaO, § 147 Rdnr 3; Kleinknecht, aaO, § 147 Rdnr 8; Klussmann, NJW 1973 S 1965). Er ist weder zum Kreuzverhör nach § 239 StPO berechtigt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8; Löwe-Rosenberg, aaO, § 239 Rdnr 6) noch zur Befragung von Mitangeklagten nach § 240 Abs 2 Satz StPO befugt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8). In den Anwendungsbereichen des § 176 GVG und der §§ 168c Abs 3, 231 Abs 2, 231a, 231b und 247 StPO hat seine berufliche Qualifikation als Rechtsanwalt keine Bedeutung.
(BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1980 – 2 BvR 752/78 –, BVerfGE 53, 207-218, Rn. 22)“.

Obwohl in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes § 178 GVG nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist auch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt zulässig (vergleiche Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., RN 2727; OLG Köln, Beschluss vom 3.3.2010, 2 Ws 62/10, juris).

Die beharrliche Weigerung des Betroffenen der Aufforderung des Vorsitzenden zu folgen, eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, stellt eine Ungebühr dar:

Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (OLG Stuttgart, a.a.O.)

Das Gericht war zunächst berechtigt, vom Betroffenen das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris; OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251). Soweit der Betroffene argumentiert, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung widerspräche § 176 Abs. 2 GVG, haben sich die beiden vorgenannten Oberlandesgerichte mit diesem Einwand in überzeugender Weise auseinandergesetzt. Hierauf kann verwiesen werden.

Durch die Weigerung des Betroffenen, trotz mehrfacher Aufforderung die dem eigenen auch als dem Schutz der übrigen Beteiligten dienende Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, hat der Betroffene den Ablauf der Sitzung nachhaltig gestört. Letztlich ist die Sitzung erst dann zur Sache fortgesetzt worden, als der Betroffene des Saales verwiesen worden war und in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.“

Jetzt lassen wir mal die Frage der „Ungebühr“ außen vor. Eins ist auf jeden Fall richtig: Der Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt, ist „normaler“ Angeklagter/Betroffener mit der Folge, dass § 178 GVG auch für ihn gilt.

Und zur Hauptsache – also zur Rechtsbeschwerde – dann noch der Leitsatz aus dem zweiten OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21; der ist m.E. nicht so interessant, das man das alles schon einmal gelesen hat.

„Ein Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung konnte auch vor Inkrafttreten des § 28a IfSG mit einem Bußgeld geahndet werden.“

Und wenn schon das OLG unser Handbuch zitiert hier dann <<Werbemodus an>< der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, beide brandaktuell, die man hier – einzeln oder im Paket – bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.

Corona I: Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, oder: Verfassungsmäßig

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Und zum Wochenstart zwei „Corona-Entscheidungen“.

Zunächst stelle ich den KG, Beschl. v. 13.08.2021 – 3 Ws (B) 198/21 – vor. Es geht um die Verfassungsmäßigkeit der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin hat gegen die Betroffene wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln eine Geldbuße von 150 EUR festgesetzt. Auf ihren Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten die Betroffene wegen des im Bußgeldbescheid bezeichneten vorsätzlichen Verstoßes zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Im Einzelnen hat es festgestellt, dass die Betroffene am 02.07.2020 um 20.49 Uhr am S- Bahnhof Westkreuz eine in Richtung Potsdam fahrende S-Bahn betreten hat, ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Auch nachdem die Betroffene durch eine Polizeibeamtin aufgefordert worden war, weigerte sie sich, eine Maske anzulegen. Selbst nach der anschließenden Personalienfeststellung, zu der die Betroffene die S-Bahn verlassen musste, hatte die Betroffene kein Einsehen und bestieg die nächste Bahn wiederum ohne Maske.

Gegen diese Verurteilung wendet sich die Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet die Anwendung des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV u.a. deshalb, weil die Vorschrift nicht verfassungsgemäß zustande gekommen und auch materiell unverhältnismäßig, mithin verfassungswidrig sei. Daneben sei die Tat auch nicht, wie es die Vorschrift formuliere, „in geschlossenen Räumen“ begangen worden. Schließlich macht die Betroffene geltend, geglaubt zu haben, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 SARS-CoV-2 IfSV aus gesundheitlichen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit gewesen zu sein.

Das KG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, sie dann aber als unbegründet verworfen. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

  1. Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG folgt, dass der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ umfassend ist und der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnet, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird.

  2. Staatliche Regelungen, die auch den vermutlich gesünderen und weniger gefährdeten Menschen in gewissem Umfang Freiheitsbeschränkungen abverlangen, sind zulässig, wenn gerade hierdurch auch den stärker gefährdeten Menschen, die sich ansonsten über längere Zeit vollständig aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen müssten, ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und Freiheit gesichert werden kann (Anschluss an VfGH Bln, Beschluss vom 20. Mai 2020 – VerfGH 81 A/20 -).

  3. Bei der gegebenen Gefährdungslage mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten, die auch eine katastrophale Überlastung des Gesundheitswesens einbezog, war der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel, zumindest für eine Übergangszeit, hinzunehmen.

Corona I: Maskenpflicht auf dem Wochenmarkt, oder: Die galt/gilt u.a. nur für den Kunden

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Ich habe schon etwas länger keine Entscheidungen zu Corona-Fragen mehr vorgestellt. Die Berichterstattung ist aber – wie man ggf. meinen könnte – dazu nicht ein gestellt. Es lag nur nichts Passendes vor. Heute habe ich dann wieder zwei Entscheidungen, mit denen ich die Berichterstattung in der 32. KW. eröffne.

Ich beginne mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.07.2021 – 202 ObOWi 756/21 – zur Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf Wochenmärkten. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am Dienstag, den 08.09.2020, hielt sich die Betroffene gegen 12:05 Uhr an einem Gemüsestand auf dem Wochenmarkt in O. auf. Die Betroffene, die keine Mund-Nasen-Bedeckung trug, unterhielt sich mit dem Standbetreiber, der sich außerhalb des Verkaufswagens befand. Sie wusste um die Pflicht zur Tragung einer Mund-Nasen-Bedeckung auf dem Wochenmarkt, weil sie bereits eine Woche vorher von einem Beamten des Ordnungsamtes darauf hingewiesen worden war.“

Aufgrund dieser Feststellungen hat das AG wegen eines Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Tragung eines Mund-Nasen-Schutzes auf dem Wochenmarkt nach § 22 Nr. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) vom 19.06.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 348) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der 6. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 14.07.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 403) verurteilt. Das BayObLG hat aufgehoben:

„a) Die nach § 22 Nr. 4 BayIfSMV bußgeldbewehrte Verpflichtung zur Tragung einer Maske auf Wochenmärkten nach § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV betraf nicht etwa jedermann, der sich auf dem Wochenmarkt aufhielt oder diesen passierte. Vielmehr ist die Maskenpflicht ausdrücklich beschränkt auf das Verkaufspersonal, die Kunden und ihre Begleitpersonen.

b) Dass die Betroffene, bei der sich mangels gegenteiliger Feststellungen noch ableiten lässt, dass sie nicht zum Verkaufspersonal gehört, sich als Kundin oder als Begleitperson eines Kunden auf dem Wochenmarkt aufhielt, kann den Urteilsgründen indes nicht entnommen werden. Als Kunde ist eine Person dann anzusehen, wenn sie entweder in konkrete Kaufverhandlungen eintritt oder sich wenigstens auf dem Wochenmarkt in der Absicht aufhält, dort Waren zu erwerben. Der bloße Umstand, dass die Betroffene sich mit einem Standbetreiber auf dem Marktplatz unterhielt, lässt auch bei lebensnaher Betrachtung nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass sie Kundin oder Begleiterin eines Kunden in dem genannten Sinne war. Dies gilt umso mehr, als sie sich nach den Urteilsfeststellungen mit dem Standbetreiber, der sich zudem außerhalb des Verkaufsstandes befand, lediglich unterhielt.

c) Auch wenn es unter Berücksichtigung des Zwecks der Infektionsschutzvorschriften im Einzelfall möglicherweise keinen Unterschied macht, ob sich eine Person als Kunde oder als Passant oder gar nur zum Zeitvertreib auf einem Wochenmarkt aufhält, kann sich die Rechtsprechung schon wegen des aus dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) resultierenden Analogieverbots über die ausdrückliche Einschränkung des Täterkreises in § 12 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV nicht hinwegsetzen (vgl. allgemein zum Analogieverbot bei infektionsschutzrechtlichen Bußgeldnormen zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 24.06.2021 – 202 ObOWi 660/21 bei juris).“

Corona: Maskenpflicht auch bei Inzidenz unter 50, oder: Reicht das Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht?

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Die zweite Entscheidung zum Wochenauftakt befasst sich mit Corona dem nächsten Dauerbrenner. Das AG Lüneburg hat im AG Lüneburg, Urt. v. 10.06.2021 – 34 OWi 260/21 –zur Frage eines bußgeldbewehrten Verstoßes gegen eine „Maskenpflicht“ und zu den Anforderungen an ein Attest zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Maske Stellung genommen.

Im Bußgeldbescheid war der Betroffenen vorgeworfen worden, sich am 16.11.2020 gegen 16:35 Uhr in Lüneburg im Bereich Am Ochsenmarkt ohne Maske aufgehalten zu haben. Das AG hat frei gesprochen. Das AG bezweifelt, ob ein bußgeldbewehrter Maskenverstoß bei einem Inzidenzwert von unter 50 – wie am Tattag – überhaupt vorliegt. Jedenfalls sei aber die Betroffene wirksam von einer etwaigen Maskenpflicht befreit.

Ich lasse jetzt hier mal die Ausführungen des AG zur Frage, ob überhaupt ein Maskenverstoß vorliegen konnte, außen vor. Denn die sind/waren m.E. überflüssig bzw. auf die Frage kam es nicht an, wenn man von einer wirksamen Befreiung ausgegangen ist. Und das hat das AG getan:

„3. Unabhängig von einer etwaigen Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung oder deren Folgen für das Bußgeldverfahren liegt jedenfalls im konkreten Fall im Ergebnis kein bußgeldrelevanter Maskenverstoß vor. Selbst wenn man davon ausginge, dass zum Tattag eine Maskenpflicht bestanden haben sollte und diese bußgeldrechtlich hätte geahndet werden können, ist die Betroffene wirksam von einer etwaig bestehenden Maskenpflicht befreit. Aufgrund Ziffer 4 der Allgemeinverfügung in Verbindung mit § 3 Abs. 6 der Corona-Verordnung vom 30.10.2020 in der Fassung vom 06.11.2020 gilt die Maskenpflicht nicht für Personen, die vom Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus medizinischen Gründen aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigung oder Vorerkrankung wegen Unzumutbarkeit befreit sind, und den Nachweis zur Glaubhaftmachung mitführen. Die Betroffene hat durch Vorlage einer Kopie des ärztlichen Attestes einer ortsansässigen Allgemeinmedizinerin datiert vom 04.06.2020 glaubhaft gemacht, von der Maskenpflicht befreit zu sein.

Soweit die Behörde der Auffassung ist, dass das seitens der Betroffenen vorgelegte Attest den Voraussetzungen eines Befreiungstatbestandes von der Pflicht zur Nutzung eines Mund-Nasen-Schutzes nicht genüge, kann dem nicht gefolgt werden.

Anders als andere Corona-Verordnungen verlangt weder § 3 Abs. 6 der Niedersächsische Corona-Verordnung noch die Allgemeinverfügung in den jeweils damals geltenden Fassungen die Angabe einer konkreten Diagnose. Bereits aufgrund des Bestimmtheitsgrundsatzes kann nicht ohne Weiteres eine über den Wortlaut hinausgehende Voraussetzungen zur Maskenbefreiung verlangt werden.

Der auch in anderen Verfahren seitens der Behörde vorgelegte Aufsatz über das ärztliche Attest in der COVID-19 Pandemie, auf den sich die Behörde in Bezug auf das Erfordernis der konkreten Angaben in dem Attest bezieht, ist als eine „Interdisziplinäre Handreichung betreffend der Befreiung von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung“ betitelt und damit lediglich als Anleitung für die Ärzte beim Ausstellen eines Attestes zu verstehen, um den prüfenden Behörden die Arbeit zu erleichtern. Diese Angaben mögen im verwaltungsrechtlichen Verfahren sinnvoll sein und eine Arbeitserleichterung darstellen. Hierdurch wird aber kein verpflichtender Inhalt eines Attests definiert.

Unabhängig davon kann nach hiesiger Auffassung ein derart detailliertes Attest aber auch insbesondere aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht verlangt werden. Etwaige Entscheidungen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zur Befreiung von der Maskenpflicht im Schulunterricht können nicht ohne Weiteres auf das bußgeldrechtliche Verfahren übertragen werden. Denn die dortige Rechtsprechung bezog sich auf Anträge auf Feststellung zur Befreiung von der Maskenpflicht aus gesundheitlichen Gründen im jeweiligen Einzelfall, bei denen die Prüfung des Befreiungstatbestandes jeweils von dem ohnehin den datenschutzrechtlichen Bindungen unterliegenden Gericht vorgenommen wurde. Mittlerweile hat aber auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Eilverfahren, insbesondere für den – auch hier maßgeblichen – außerschulischen Bereich entschieden, dass das zum Nachweis einer Befreiung von der Maskenpflicht vorzulegende ärztliche Zeugnis keine konkret zu benennende gesundheitliche Beeinträchtigung (Diagnose) sowie keine konkreten weiteren Angaben beinhalten müsse (vgl. dazu nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 04.01.2021 – 11 S 132/20). Die Abwägung zwischen den Rechten eines Betroffenen an der Geheimhaltung seiner besonders sensiblen Gesundheitsdaten einerseits und dem Interesse der Verfolgungsbehörden, der Gefahr von Gefälligkeitsattesten vorzubeugen andererseits, fiel eindeutig zu Gunsten der Betroffenen aus. Inzwischen haben auch andere Länder klargestellt, dass sogar ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht in Schulen aus datenschutzrechtlichen Gründen keine konkrete Diagnose mehr zu enthalten hat (vgl. dazu nur Ebert/Rinne in „Offenbarungspflichten bei medizinischen Masken-Attesten, ARP 2021, 124 ff. und beck-online mit weiteren Nachweisen).

Die Argumentation des Landkreises Lüneburg, das Attest müsse lediglich der Polizei und den Verfolgungsbehörden vorgelegt werden, verfängt nicht und ist überdies nicht nachvollziehbar. Vielmehr hat die Betroffene das Attest jeder Person in jeder Situation vorzulegen, sobald sie ohne Maske Zugang begehrt. Demnach trifft zwar zu, dass die Betroffene indirekt selbst entscheidet, wem sie das Attest zeigt. Nachdem – wie allseits bekannt ist – aber jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt bis noch vor kurzem eine sehr umfangreiche fast flächendeckende Maskenpflicht sowohl in geschlossenen Räumlichkeiten als auch im öffentlichen Raum bestand, und die Betroffene demnach lediglich die Wahl hatte und hat, ohne Vorlage eines Attests von vorneherein auf Zugang gänzlich zu verzichten oder doch die Maske aufzusetzen, dürfte offensichtlich sein, dass das Verlangen eines derart detaillierten Attests unzumutbar ist. Inwieweit der Betroffenen ggf. von Privaten nach Vorlage des Attests der Zugang dennoch tatsächlich verwehrt wird bzw. werden könnte, ist unerheblich.

Hätten tatsächlich begründete Zweifel an der Kopie oder der inhaltlichen Richtigkeit des Attestes bestanden, wären weitere Ermittlungen angezeigt gewesen. Hätten diese ergeben, dass es sich tatsächlich um eine gefälschte Kopie bzw. ein gefälschtes Attest (wovon offenbar nicht einmal der Landkreis Lüneburg ausgegangen ist) oder um ein „Gefälligkeitsattest“ handelt, hätten entsprechende Maßnahmen ergriffen werden müssen. Hierfür lagen und liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor. Die Betroffene oder die Ärztin aufgrund eines angeblich zu „pauschalen“ Attests unter Generalverdacht immerhin einer Straftat (jedenfalls § 278 StGB) zu stellen, ist nicht nur völlig ungerechtfertigt, sondern könnte aufgrund der drohenden pauschalen Kriminalisierung im Einzelfall sogar dazu führen, dass ein Arzt das Ausstellen eines Attests trotz bestehender Diagnose verweigert und eine betroffene Person hierdurch kein berechtigtes Attest erhält bzw. eine Maske aufsetzt bzw. aufsetzen muss, obwohl dies aufgrund der vorliegenden Diagnose gesundheitsgefährdend wäre. In diesem Zusammenhang darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass ein Arzt immerhin einen verpflichtenden Eid abgelegt hat, der ihn unabhängig von etwaiger strafrechtlichen Bewertung zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet…..“

Corona II: Maskenpflicht bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs, oder: Wirksam

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Die zweite „Corona-Entscheidung“ kommt mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 11.06.2021 –2 Rb 35 Ss 94/21– auch aus Baden-Württemberg.

In der Entscheidung geht es um einen Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Masken bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs. Das AG hatte folgende Feststellungen getroffen:

„Am 30.09.2020 gegen 15.00 Uhr fuhr die Betroffene in pp. A mit der S-Bahn 1. Auf Höhe der Haltestelle A wurde durch eine Polizeistreife im Zug festgestellt, dass die Betroffene ihre nichtmedizinische Alltagsmaske unter dem Kinn trug und sich mit einer Pinzette Barthaare am Kinn herauszupfte. Bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die Betroffene ihr Fehlverhalten erkennen können und müssen.“

Das AG hat die Betroffene verurteilt. Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 S. 1 Infektionsschutzgesetz und § 19 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO) vom 23.06.2020 (GBl. S. 483) in der am 30.09.2020 geltenden Fassung vom 22.09.2020 (GBl. S. 721) gestützt worden. Festgesetzt hat das AG eine Geldbuße von 100 EUR. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte nur hinsichtlich der Höhe der Geldbuße Erfolg.

Die Entscheidung hat folgende (amtliche) Leitsätze:

  1. Das Infektionsschutzgesetz enthält mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO BW angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung bei Nutzung des öffentlichen und des touristischen Personenverkehrs) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 Corona-VO.
    2. Das bußgeldbewehrte Gebot des Tragens einer (nicht-medizinischen) Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Nr. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung) vom 23. Juni 2020 (GBl. S. 483) in der am 30. September 2020 geltenden Fassung vom 22. September 2020 (GBl. S. 721) ist verfassungsgemäß.
    3. Soweit § 3 Abs. 1 Nr. 1 Corona-VO vom 23. Juni 2020 bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs das Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung vorschreibt, wird für jeglichen Aufenthalt in den namentlich aufgeführten Fahrzeugen des öffentlichen Personenverkehrs das durchgängige Tragen eine Mund-Nasen-Bedeckung angeordnet. Der Verordnungsgeber hat in § 3 Abs. 2 CoronaVO einzelne Ausnahmen von der durchgängigen Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den in § 3 Abs. 1 genannten Orten (insbesondere im öffentlichen Personenverkehr) geregelt, dabei jedoch keine Ausnahme „bei Einhaltung eines Mindestabstands von über 1,5 Metern“ normiert. Eine solche Ausnahme gebot das Verfassungsrecht zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch nicht.

Etwas anders als OLG Stuttgart v. 14.05.2021. Aber auch hier gilt: Man wird abwarten müssen, was vom BVerfG auf die Vorlage des Thüringer VerfGH, Beschl. v. 19.05.2021 – 110/20 – kommt.