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Aktive Nutzungspflicht gilt auch für „die Bayern“, oder: Sofortige Beschwerde als elektronisches Dokument

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Und dann als zweite Entscheidung der OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2022 – 2 WF 148/22 – zur Frage der aktiven Nutzungspflicht gem. § 130d StPO für die Staatskasse.

Mit Beschluss vom 17.05.2022 hat das AG Aschaffenburg der Antragsgegnerin für ihr Ehescheidungsverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung einer Zahlungsverpflichtung bewilligt und ihr die Rechtsanwaltskanzlei pp. als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet. Der Beschluss ist am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt.

Hiergegen hat die Bezirksrevisorin bei dem LG Aschaffenburg mit Schriftsatz vom 30.05.2022 Beschwerde nach § 127 Abs. 3 ZPO eingelegt mit dem Ziel, einen Einmalbetrag in Höhe der auf die Partei entfallenden Verfahrenskosten anzuordnen, welchen die Antragsgegnerin aus der Verwertung ihres hälftigen Miteigentumsanteils am früheren Wohnhaus der Familie, dem Anwesen pp.-Straße in K., aufbringen solle. Die Beschwerdeschrift ist in Papierform zur Akte gelangt, indem die Bezirksrevisorin nach Einsichtnahme in das Verfahrenskostenhilfeheft dieses samt Beschwerdeschrift vom 30.05.2022 an das Amtsgericht zurückgeleitet hat.

Das AG hat nach Anhörung der Antragsgegnerin durch Beschluss vom 12.08.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, wo es am 24.08.2022 eingegangen ist. Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und keine Wiedereinsetzung gewährt:

„Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist als unzulässig zu verwerfen, da innerhalb der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde keine formgerechte Beschwerde eingegangen ist, §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 127 Abs. 3, 569 Abs. 2, 130d S. 1 ZPO. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist eingeräumt werden, da die gesonderte Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde durch die Staatskasse aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle am 18.08.2022 abgelaufen ist und eine Wiedereinsetzung insoweit ausscheidet.

1. Auf die Frage, ob die Bezirksrevisorin als Behörde i.S.d. § 130d ZPO anzusehen ist, kommt es ebenso wenig an, wie auf ihre An- oder Eingliederung in die Justiz und ihre Dienststellung. Denn Beschwerdeführer ist der Freistaat Bayern, der von der Bezirksrevisorin vertreten wird. Maßgeblich ist daher auf den Freistaat Bayern abzustellen und nicht auf die Bezirksrevisorin.

Der Freistaat Bayern ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO als „Staatskasse“ beschwerdeberechtigt, wenn Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, ohne dass Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Dabei wird er nach § 5 Abs. 1 Nummer 7 lit. e der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26.10.2021 (Vertretungsverordnung – VertV) und Abschnitt A. 3. der Gemeinsamen Bekanntmachung zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertV) durch den Bezirksrevisor vertreten. Der Bezirksrevisor ist insoweit innerorganisatorisch dem Freistaat Bayern zugeordnet und tritt als für diesen Handelnder auf.

Für den Freistaat Bayern als juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 130d ZPO. Danach unterliegen u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden seit 01.01.2022 für schriftlich einzureichende Erklärungen der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Der dort geregelte aktive Nutzungszwang gilt also auch für schriftliche Verfahrenshandlungen der „Staatskasse“ wie die vorliegende sofortige Beschwerde.

Die Bezirksrevisorin als deren Vertreterin (Vertreterin des Freistaates Bayern) hätte die sofortige Beschwerde deshalb als elektronisches Dokument übermitteln müssen (vgl.- insofern zu § 4 JVEG – Landgericht Lübeck, Beschluss vom 28.09.2022, 7 T 341/22 – juris und die Entscheidung des Senats vom 04.11.2022, 2 WF 167/22). Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den aktiven Nutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.

2. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist gewährt werden. Es kann dahinstehen, ob sich die Unkenntnis über die zwingende Einreichung einer sofortigen Beschwerde nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 3 S. 3, 569 Abs. 2, 130d ZPO ab dem 01.01.2022 mangels bislang ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung hierzu als unverschuldet darstellt. Denn mittlerweile ist die Ausschlussfrist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde nach § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle abgelaufen. Der Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 17.05.2022, mit welchem der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, ist nicht verkündet worden, sondern am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt. Die Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 5 ZPO ist damit am 18.08.2022 abgelaufen. Erst am 24.08.2022 ist das Verfahren beim Oberlandesgericht eingegangen, so dass eine formgerechte Rechtsmitteleinlegung im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden konnte.

In die abgelaufene Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO kann hingegen keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Zum einen steht der Zweck der Ausschlussfrist, die Bestandsschutz in die getroffene gerichtliche Bewilligungsentscheidung schaffen soll (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, 16.09.2016, OVG 5 M 36.15, Juris), einer Wiedereinsetzung entgegen. Zudem ist eine Wiedereinsetzung auf die ausdrücklich in § 233 ZPO bezeichneten Fristen beschränkt und die Frist aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO ist dort nicht aufgenommen worden.

Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist damit als unzulässig zu verwerfen. Ausführungen zur Frage der Begründetheit des Rechtsmittels sind daher nicht veranlasst.“

Rechtsmittel I: Rechtsmitteleinlegung per beA, oder: falsches Dateiformat, „fremdes“ beA, Ersatzeinreichung

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Und in die 47 KW. geht es dann mal wieder mit einigen Entscheidungen zur Rechtsmitteleinlegung. Drei von den vier Entscheidungen, die ich heute vorstelle, befassen sich mit dem beA/elektronischen Dokument, eine hat nichts damit zu tun. Daher würde die „Themen-Überschrift“ „beA“ nicht bei allen Postings passen. Ich habe deshalb „Rechtsmittel“ genommen.

Hier dann zuerst die drei „beA_Entscheidungen“:

Allein der Umstand, dass Schriftsätze entgegen § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 14 ERVV nicht im Dateiformat pdf, sondern im Dateiformat docx eingereicht worden, führt nicht zur Formungültigkeit der darin enthaltenen Prozesserklärungen. Formunwirksamkeit tritt nur nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber führen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann.

Eine vom Verteidiger maschinenschriftlich signierte Revisionseinlegungsschrift, die aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eines nicht am Verfahren beteiligten anderen Rechtsanwalts übersandt und durch diesen qualifiziert elektronisch signiert worden ist, genügt nicht den Anforderungen der §§ 341 Abs. 1, 32d Satz 2, 32a Abs. 3 StPO.

    1. Für eine wirksame Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO muss der Rechtsanwalt darlegen und glaubhaft machen, dass die elektronische Übermittlung im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung aus technischen Gründen unmöglich war. Gleiches gilt für die vorübergehende Natur des technischen Defektes. Es genügt eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen.
    2. Bezüglich des Zeitpunktes der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung kommt nach dem Wortlaut von § 130d Satz 3 ZPO („oder“) dem Zeitpunkt der Ersatzeinreichung selbst kein Vorrang gegenüber der – dann jedoch „unverzüglichen“ – Nachholung zu.
    3. Im Anwendungsbereich des § 130d Satz 3 ZPO genügt für die Glaubhaftmachung eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung über das Scheitern der Übermittlung. Fehlt diese bzw. wird sie nicht ohne schuldhaftes Zögern beigebracht, ist die Ersatzeinreichung unwirksam.

beA II: Rechtsanwalt in eigener Sache „Rechtsanwalt“, oder: Es gilt die „aktive Nutzungspflicht“

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Im zweiten beA-Posting dann eine Entscheidung zum „Nutzungsverpflichteten“, und zwar der VG Berlin, Beschl. v. 05.05.22 – VG 12 L 25/22. Gestritten worden ist dort um die Einstellung der Zwangsvollstreckung. Das hatte der antragstellende Rechtsanwalt in einem vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin betriebenen Zwangsvollstreckungsverfahren beantragt. Das VG hat den Antrag als unzulässig angesehen, da der Antragsteller § 55d Satz 1 VwGO nicht beachtet habe:

„1. Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, da der Antragsteller ihn entgegen § 55d Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – nicht als elektronisches Dokument eingereicht hat.

Nach § 55d Satz 1 VwGO haben u.a. Rechtsanwälte vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

a) Der zeitliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist eröffnet. Sie ist nach Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) am 1. Januar 2022 in Kraft getreten, der hiesige Antrag ist am 24. Januar 2022 bei Gericht eingegangen.

b) Auch der personelle Anwendungsbereich der Vorschrift ist eröffnet, weil der Antragsteller Rechtsanwalt ist. Der Behandlung des Antragstellers als Rechtsanwalt steht nicht entgegen, dass er vorliegend nicht als Prozessvertreter für einen Dritten, sondern in eigener Angelegenheit auftritt.

Dem Wortlaut von § 55d VwGO ist nicht zu entnehmen, ob der Begriff des Rechtsanwalts status- oder rollenbezogen verwandt wird, ob also der Status als Rechtsanwalt genügt, um den Pflichten des § 55d VwGO zu unterliegen oder ob darüber hinaus zu fordern ist, dass der Rechtsanwalt im konkreten Fall auch tatsächlich als solcher auftritt. Letzteres Verständnis hätte zur Folge, dass eine Person dann nicht als Rechtsanwalt zu behandeln wäre, wenn sie zwar als solcher zugelassen ist, jedoch in einer eigenen Angelegenheit nicht als solcher, sondern als Privatperson auftritt. Eine solche Auslegung könnte im Lichte der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG -) und Justizgewährung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) geboten sein, da es zweifelhaft erscheint, ob es sich rechtfertigen lässt, dass einem Rechtsanwalt wegen der Verletzung beruflicher Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr auch in privaten Angelegenheiten der Zugang zu den Gerichten verwehrt bleibt.

Vorliegend kann jedoch dahinstehen, welches Begriffsverständnis § 55d VwGO zugrunde liegt. Selbst wenn § 55d VwGO verlangt, dass ein Rechtsanwalt als solcher vor Gericht auftritt, so ist auch diese Voraussetzung vorliegend erfüllt. Der Antragsteller ist ausweislich des Briefkopfes seiner Schriftsätze stets als „Rechtsanwalt O. T.“ aufgetreten und hat daher bewusst diese Rolle angenommen. Es ist daher – ohne dass der Antragsteller dies gesondert hervorheben müsste – davon auszugehen, dass er sich im hiesigen Verfahren als Rechtsanwalt selbst vertritt, was bei seinem Obsiegen gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 91 Abs. 2 Satz 3 Zivilprozessordnung – ZPO – zur Folge hätte, dass er vom Antragsgegner seine Gebühren und Auslagen erstattet verlangen könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 19. Februar 2018 – 17 W 198/17BeckRS 2018, 6561, Rn. 10). Auch der sich selbst vertretende Rechtsanwalt ist als Rechtsanwalt zu behandeln, da die Personenverschiedenheit von Anwalt und Mandant kein kennzeichnendes Merkmal einer anwaltlichen Tätigkeit ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2010 – IV ZR 188/08NJW 2011, 232, 234, Rn. 21; Toussaint in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 78 Rn. 29).

c) § 55d VwGO ist schließlich auch sachlich anwendbar. Bei dem Antrag nach § 123 VwGO handelt es sich um einen schriftlichen Antrag, der nunmehr nach § 55d VwGO durch einen Rechtsanwalt elektronisch einzureichen ist (zum Schriftlichkeitserfordernis siehe Puttler in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO § 123 Rn. 65).

d) Eine schriftliche Antragstellung war auch nicht ausnahmsweise nach § 55d Satz 3 VwGO möglich. Nach dieser Vorschrift bleibt eine Übermittlung nach allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 55d Satz 4 VwGO glaubhaft zu machen. Dies hat der Antragsteller nicht getan. Er hat vielmehr lediglich pauschal behauptet, dass es bei der Nutzung seines besonderen elektronischen Anwaltspostfaches zu Zugangsstörungen komme. Art und Häufigkeit der Zugangsstörungen hat der Antragsteller ebenso wenig dargelegt und glaubhaft gemacht wie etwaige Bemühungen, diese Störungen zu beseitigen.

Dass der Antragsteller die bisherigen Schriftsätze einscannen müsste, um sie elektronisch einreichen zu können, begründet entgegen seiner Ansicht keine technische Unmöglichkeit i.S.v. § 55d Satz 3 VwGO.

e) Der Formmangel nach § 55d VwGO führt zur Unwirksamkeit der Antragstellung und somit zur Unzulässigkeit des Antrags (vgl. die Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO BT-Drs. 17126/24, S. 27).“

 

 

beA II: Verstoß gegen die „aktive Nutzungspflicht“, oder: Kranker Rechtsanwalt als „technische Störung“?

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Die zweite Entscheidung zum beA/elektronisches Dokument kommt vom KG aus Berlin. Ergangen ist der KG, Beschl. v. 25.02.2022 – 6 U 218/21 – in einem  Verfahren, in dem der Kläger von der Beklagten Leistungen aus einer Unfallversicherung verlangt. Die Klage ist abgewiesen worden. Das Urteil des LG ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.10.2021 zugestellt worden. Der Rechtsanwalt hat für den Kläger gegen das Urteil des LG am 04.11.2021 mit per Telefax übermittelten Schriftsatz Berufung eingelegt. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz bei Gericht eingegangen. Auf Antrag vom 29.11.2021 ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 04.01.2022 verlängert worden.

Am 04.01.2021 geht dann um 15.25 Uhr der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung als Telefax beim KG ein. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz mit der Berufungsbegründung eingegangen. Der Kläger hat auf einen Hinweis des Gerichts mit Schriftsatz vom 07.01.2022 vorgetragen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter vom 26.12.2021 bis zum 02.01.2022 im Weihnachtsurlaub in Österreich befunden habe. Dort sei der Prozessbevollmächtigte am 01.01.2022 erkrankt. Es seien eine leicht erhöhte Temperatur, Schnupfen, Gliederschmerzen und ein Kratzen im Hals aufgetreten. Diese Symptome seien erst am 06.01.2022 abgeklungen. Um ein Coronaleiden auszuschließen, habe der Prozessbevollmächtigte am 02.01.2022 einen Antigen-Schnelltest durchgeführt, der wiederholt kein eindeutiges Ergebnis gezeigt habe. Deshalb habe er am 03.01.2022 eine PCR-Testung in Anspruch genommen, wobei ihm das Negativ-Testat am 06.01.2022 vorgelegen habe. Die Berufungsbegründungsschrift habe der Prozessbevollmächtigte am 03. und 04.01.2022 zuhause gefertigt, ausgedruckt und unterschrieben. Eine elektronische Versendung von zuhause aus sei nicht möglich gewesen, da die beA-Hardware und Software am Arbeitsplatz im Büro in Berlin installiert seien. Auch ein Fax-Gerät habe dem Prozessbevollmächtigten zuhause nicht zur Verfügung gestanden. Die Berufungsbegründungsschrift sei daher am Nachmittag von einem Boten in das Büro des Prozessbevollmächtigten in Berlin gebracht worden, in dem er mit einer Steuerberatungs-GmbH in Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Über den Faxanschluss der GmbH sei die Begründung an das KG versandt worden. Anschließend sei die Begründung in den Briefkasten des Justizboten in der Littenstraße beim LG Berlin eingeworfen worden zur Versendung an das KG.

Auf rechtlichen Hinweis des KG vom 11.01.2022 hat der Kläger die Berufungsbegründung am dann 24.01.2022 als elektronisches Dokument übermittelt und vorgebracht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument am 04.01.2022 aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei Sein Prozessbevollmächtigter hat daraufhin mit per beA am 24.01.2022 eingegangenem Schriftsatz vom „4. Januar 2022“ anwaltlich versichert, für seinen Verhinderungsfall Vorkehrungen getroffen zu haben. Er arbeite in Bürogemeinschaft mit einem anderen Rechtsanwalt zusammen. Beide seien als Einzelanwälte ohne Büropersonal tätig. Es bestehe die Absprache, dass bei Abwesenheit des einen Rechtsanwaltes der andere Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigter für diesen tätig wird, soweit dies erforderlich sei. Er selbst habe am 02.1. wieder im Büro sein wollen. Der andere Rechtsanwalt sei am 04.01.2022 wegen eigener Urlaubsabwesenheit für den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht erreichbar gewesen.

Das KG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden ist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist könne nicht erfolgen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine Ausnahme von der seit dem 01.01.2022 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen (§§ 130 a, 130 d ZPO), besteht gemäß § 130 d S. 2 ZPO nur dann, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist.

2. Sieht sich der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen (hier: ausstehendes Ergebnis eines PCR-Testes zum Ausschluss eines Coronaleidens) nicht in der Lage, seine Kanzleiräume aufzusuchen und den Schriftsatz dort elektronisch zu übermitteln, stellt dies keine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen dar.

3. Die technische Störung ist gemäß § 130 d S. 3 ZPO unmittelbar bei der Ersatzeinreichung auf herkömmlichen Wege oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; die Mitteilung von Gründen erst 20 Tage nach Einreichung des Originalschriftsatzes genügt diesen Anforderungen nicht.

4. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 S. 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt vor dem Fristablauf nicht alle ihm noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wie etwa die Suche nach einem vertretungsbereiten Kollegen zur formwirksamen Einreichung der fertigen Berufungsbegründungsschrift.

Aktive Nutzungspflicht auch fürs FA im InsO-Verfahren, oder: Wenn das Finanzamt nicht glaubhaft macht

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Es mehren sich die Entscheidungen zur (neuen) aktiven Nutzungspflicht für elektronische Dokumente (Stichwort: beA). Ich hatte ja am vergangenen Samstag hier auch schon über zwei Entscheidungen berichtet (vgl. Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr).

Heute stelle ich hier im „Kessel Buntes“ eine weitere Entscheidung vor, und zwar zum Insolvenzantragsverfahren. Dazu hat der AG Hamburg, Beschl. v. 21.02.2022 – 67h IN 29/22 – Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte ein Finanzamt (!!) mit normaler Briefpost v. 07.02.2022, Eingang: 09.02.2022, beim Insolvenzgericht Hamburg einen Gläubigerinsolvenzantrag gegen die Schuldnerin mit dem Vortrag gestellt, diese schulde „die in der Anlage ersichtlichen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe v. EUR 80.382, 84“; die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen der §§ 251, 254 ff. der AO seien gegeben.

Das Insolvenzgericht hat mit Verfügungshinweis v. 10.02.2022, dem Finanzamt am 15.02.2022 zugestellt, auf die Geltung v. § 130d ZPO i.V.m. § 4 InsO und auf die mangelnde Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen. Mit elektronischer Post, Servereingang am 17.02.2022, 14:30 Uhr, sandte das Finanzamt kommentarlos den bisher unter dem 07.02.2022 datierten Insolvenzantrag mit gleichem Wortlaut, aber mit Datum v. 16.02.2022, neu ein. Das Insolvenzgericht hat die Insolvenzanträge v. 07.02.2022 u. v. 16.02.2022 als unwirksam angesehen.

„1.1 Die Vorschrift des § 130 d ZPO gilt seit dem 1.1.2022. Der Geltungsbereich erfasst auch schriftlich einzureichende Anträge und vorbereitende Schriftsätze an die Gerichte von Behörden. Die Norm gilt über § 4 InsO auch für die vorbezeichneten Schriftstücke im Insolvenzverfahren (H. Büttner, ZInsO 2022, 277 mwN). Die Antragstellerin ist im Sinne der Vorschrift eine Behörde. Sie hat seit 1.1.2022 ihre Insolvenzanträge in elektronischer Form einzureichen (§ 130d Satz 1 ZPO). Für Gläubigeranträge besteht hierüber in der Literatur, soweit ersichtlich, auch kein Meinungsstreit, wohingegen für Schriftstücke und Anträge v. Insolvenzverwaltern aufgrund der „Bereichslehre“ (dazu HambKommInsR/Frind, 9.Aufl., § 56 Rn.17 mwN) durchaus ein Geltungsdisput besteht (dazu jüngst mwN H.Büttner, ZInsO 2022, 277).

Aus dem Bereich der Finanzämter sind Ersuchen an das Insolvenzgericht gerichtet worden, die Anwendung der vorgenannten Vorschrift „auszusetzen“ oder ein „Moratorium“, zumindest ca. bis Ende März, für die Anwendung vorzusehen, da teilweise die technischen Voraussetzungen zur Übermittlung v. Schriftstücken in elektronischer Form noch nicht geschaffen bzw. Die Anwendung noch teilweise nicht eingeübt bzw. die Anwendung noch teilweise nicht sicher ablaufend sei. Diesen Ersuchen ist nicht zu folgen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 130d ZPO durch Gesetz v. 10.10.2013 (BGBl. I, 3786) in die ZPO eingefügt, aber ihre Geltung sehr großzügig prolongiert hat. Die Einführung der vorgenannten Antragseinreichungsvoraussetzung kam daher mit einer Vorbereitungszeit v. acht Jahren und 2,5 Monaten nicht überraschend. Zum anderen sieht die Norm kein gerichtliches Ermessen bei der Anwendung vor. Die Sentenz „sind zu übermitteln“ ist ein eindeutiger gesetzlicher Normbefehl. Die Einhaltung des § 130d ZPO ist nicht verzichtbar (H. Büttner, ZInsO 2022, 277, 281).

Zum Dritten ist zu bedenken, dass Rechtsfolge der Nichteinhaltung der durch § 130d ZPO normierten Einreichungsform die Unwirksamkeit der jeweiligen Eingabe und Verfahrenshandlung ist (BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.1.2022, ZPO § 130d Rn. 6). Das hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Ein unter Verletzung der Nutzungspflicht eingereichter Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Eines gerichtlichen Hinweises auf die Norm des § 130d ZPO bedarf es zumindest gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern nicht. Würde das Insolvenzgericht ein Insolvenzverfahren aufgrund eines unwirksamen Antrages betrieben, eventuell sogar Sicherungs- oder Zwangsmaßnahmen (z.B. nach Nichtbeantwortung oder unzureichender Auskunft durch den Schuldner) verhängen, käme eine Amtshaftung (§ 839 BGB) in Betracht. Das Betreiben eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines ersichtlich unwirksamen Antrages verbietet sich. Das Insolvenzgericht muss, da Insolvenzantragsverfahren stete Eilverfahren sind, für eine zeitnahe Entscheidung über unzulässige oder gar unwirksame Anträge sorgen, (auch), um mögliche Kreditschädigungen der Antragsgegner aufgrund möglicher Behauptungen, gegen diese „liefe ja ein Insolvenzverfahren“ zu unterbinden.

1.2 Die Übermittlung eines Schriftsatzes entgegen § 130d S.1 ZPO entfaltet keine Wirkung, sofern nicht die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 und S. 3 ZPO vorliegen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht mit Verfügung v. 10.2.2022 auf die Geltung der Vorschrift hingewiesen. Von einer Behörde ist zu erwarten, dass der Wortlaut des Gesetzes ohne weitere Hinweise zur erwarteten Umsetzung, insbesondere, wenn dieser so eindeutig ist, wie die vorbezeichneten Normsätze, gelesen und zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Das Gericht muss ohnehin auf die Geltung des § 130d ZPO eigentlich nicht hinweisen, da §§ 4 InsO, 139 ZPO keine Hinweise auf eine geltende Rechtslage erfordert.

Auf den Hinweis des Gerichtes v. 10.2.2022 hat die Antragstellerin nicht entsprechend § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO reagiert. Sie hätte ihre Übermittlung ihres Antrages v. 7.2.2022 mit normaler Briefpost nunmehr bereits bei dessen Einreichung, welches die „Ersatzeinreichung“ im Sinne der Vorschrift ist, mit einer glaubhaft gemachten Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung „aus technischen Gründen“ entschuldigen müssen. Dabei wäre auch vorzutragen gewesen, dass der Nutzungspflichtige die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhält und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe sorgt (BT-Drs. 17/12634, 27; BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn.4) und, dass die Störung nur vorübergehender Natur ist (Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO Rn.2). Strukturelle Mängel der IT-Infrastruktur des Nutzungspflichtigen oder gar Nutzungsunwille rechtfertigen den Rückgriff auf papierene Kommunikation nicht. Dies gilt auch, wenn dem Gericht Mängel der technischen Einrichtung des Absenders amtswegig bekannt sind (ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20 –, juris; Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. 10.2021 – 6 Sa 337/20 –, juris). Einen generellen Anwendungs-Dispens gibt es, wie ausgeführt, nicht.

Die Mittel der Glaubhaftmachung ergeben sich auch im Insolvenzverfahren aus § 294 ZPO (§ 4 InsO; BGH v. 11.6.2015, ZInsO 2015, 1566, Rn.9). Diese Glaubhaftmachung hätte die Antragstellerin mit der Ersatzeinreichung, also bereits bei Einreichung des schriftlichen Antrages, oder unverzüglich danach leisten müssen. „Unverzüglich“ ist im Sinne des § 121 Abs.1 BGB auszulegen. Ob eine „unverzügliche“ Einreichung in dem vorgenannten Sinne noch eine Einreichung auf den gerichtlichen Hinweis v. 10.2.2022 , da das Gesetz einen solchen nicht voraussetzt, darstellen würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin mit Übermittlung ihres elektronischen Antrags-Schriftstückes v. 16.2.2022, also nicht des Antrages v. 7.2.2022, der Nachreichung des ersatzweise eingereichten Schriftstückes im Sinne v. § 130d Satz 3 ZPO gar nicht nachgekommen ist, aber vor allem auch keinerlei Glaubhaftmachung im vorgenannten Sinne – spätestens hierzu – beigefügt hat.

Nachzureichen gewesen wäre im Übrigen das ursprüngliche Schriftstück (BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn. 4), hier der ursprüngliche Antrag. Der nunmehr elektronisch eingereichte Antrag v. 16.2.2022 ist unzulässig, da die Antragstellerin hiermit gleichzeitig zwei Insolvenzverfahren betreiben würde. Sie hätte zunächst den Antrag v. 7.2.2022 zurücknehmen müssen oder dessen rechtskräftige Abweisung abwarten müssen, bevor sie einen neuen Antrag ausbringt.

Soweit die Finanzverwaltungen teilweise an Insolvenzrichter herangetreten sind, um abzusprechen, wie solche Glaubhaftmachungen im vorgenannten Sinne für den Bereich des § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO abzufassen sind und zu lauten hätten, können sich Insolvenzgerichte hierzu weder im konkreten Verfahren noch gar außerhalb eines konkreten Verfahrens verhalten. Den Gerichten ist Rechtsberatung nicht erlaubt (§§ 2, 3 RDG, s. LG Hamburg NJW-RR 2016, 61) und die modellhafte Abfassung v. Glaubhaftmachungsvorbringen würde diesen Bereich erreichen.“