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Aktive Nutzungspflicht auch fürs FA im InsO-Verfahren, oder: Wenn das Finanzamt nicht glaubhaft macht

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Es mehren sich die Entscheidungen zur (neuen) aktiven Nutzungspflicht für elektronische Dokumente (Stichwort: beA). Ich hatte ja am vergangenen Samstag hier auch schon über zwei Entscheidungen berichtet (vgl. Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr).

Heute stelle ich hier im „Kessel Buntes“ eine weitere Entscheidung vor, und zwar zum Insolvenzantragsverfahren. Dazu hat der AG Hamburg, Beschl. v. 21.02.2022 – 67h IN 29/22 – Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte ein Finanzamt (!!) mit normaler Briefpost v. 07.02.2022, Eingang: 09.02.2022, beim Insolvenzgericht Hamburg einen Gläubigerinsolvenzantrag gegen die Schuldnerin mit dem Vortrag gestellt, diese schulde „die in der Anlage ersichtlichen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe v. EUR 80.382, 84“; die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen der §§ 251, 254 ff. der AO seien gegeben.

Das Insolvenzgericht hat mit Verfügungshinweis v. 10.02.2022, dem Finanzamt am 15.02.2022 zugestellt, auf die Geltung v. § 130d ZPO i.V.m. § 4 InsO und auf die mangelnde Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen. Mit elektronischer Post, Servereingang am 17.02.2022, 14:30 Uhr, sandte das Finanzamt kommentarlos den bisher unter dem 07.02.2022 datierten Insolvenzantrag mit gleichem Wortlaut, aber mit Datum v. 16.02.2022, neu ein. Das Insolvenzgericht hat die Insolvenzanträge v. 07.02.2022 u. v. 16.02.2022 als unwirksam angesehen.

„1.1 Die Vorschrift des § 130 d ZPO gilt seit dem 1.1.2022. Der Geltungsbereich erfasst auch schriftlich einzureichende Anträge und vorbereitende Schriftsätze an die Gerichte von Behörden. Die Norm gilt über § 4 InsO auch für die vorbezeichneten Schriftstücke im Insolvenzverfahren (H. Büttner, ZInsO 2022, 277 mwN). Die Antragstellerin ist im Sinne der Vorschrift eine Behörde. Sie hat seit 1.1.2022 ihre Insolvenzanträge in elektronischer Form einzureichen (§ 130d Satz 1 ZPO). Für Gläubigeranträge besteht hierüber in der Literatur, soweit ersichtlich, auch kein Meinungsstreit, wohingegen für Schriftstücke und Anträge v. Insolvenzverwaltern aufgrund der „Bereichslehre“ (dazu HambKommInsR/Frind, 9.Aufl., § 56 Rn.17 mwN) durchaus ein Geltungsdisput besteht (dazu jüngst mwN H.Büttner, ZInsO 2022, 277).

Aus dem Bereich der Finanzämter sind Ersuchen an das Insolvenzgericht gerichtet worden, die Anwendung der vorgenannten Vorschrift „auszusetzen“ oder ein „Moratorium“, zumindest ca. bis Ende März, für die Anwendung vorzusehen, da teilweise die technischen Voraussetzungen zur Übermittlung v. Schriftstücken in elektronischer Form noch nicht geschaffen bzw. Die Anwendung noch teilweise nicht eingeübt bzw. die Anwendung noch teilweise nicht sicher ablaufend sei. Diesen Ersuchen ist nicht zu folgen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 130d ZPO durch Gesetz v. 10.10.2013 (BGBl. I, 3786) in die ZPO eingefügt, aber ihre Geltung sehr großzügig prolongiert hat. Die Einführung der vorgenannten Antragseinreichungsvoraussetzung kam daher mit einer Vorbereitungszeit v. acht Jahren und 2,5 Monaten nicht überraschend. Zum anderen sieht die Norm kein gerichtliches Ermessen bei der Anwendung vor. Die Sentenz „sind zu übermitteln“ ist ein eindeutiger gesetzlicher Normbefehl. Die Einhaltung des § 130d ZPO ist nicht verzichtbar (H. Büttner, ZInsO 2022, 277, 281).

Zum Dritten ist zu bedenken, dass Rechtsfolge der Nichteinhaltung der durch § 130d ZPO normierten Einreichungsform die Unwirksamkeit der jeweiligen Eingabe und Verfahrenshandlung ist (BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.1.2022, ZPO § 130d Rn. 6). Das hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Ein unter Verletzung der Nutzungspflicht eingereichter Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Eines gerichtlichen Hinweises auf die Norm des § 130d ZPO bedarf es zumindest gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern nicht. Würde das Insolvenzgericht ein Insolvenzverfahren aufgrund eines unwirksamen Antrages betrieben, eventuell sogar Sicherungs- oder Zwangsmaßnahmen (z.B. nach Nichtbeantwortung oder unzureichender Auskunft durch den Schuldner) verhängen, käme eine Amtshaftung (§ 839 BGB) in Betracht. Das Betreiben eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines ersichtlich unwirksamen Antrages verbietet sich. Das Insolvenzgericht muss, da Insolvenzantragsverfahren stete Eilverfahren sind, für eine zeitnahe Entscheidung über unzulässige oder gar unwirksame Anträge sorgen, (auch), um mögliche Kreditschädigungen der Antragsgegner aufgrund möglicher Behauptungen, gegen diese „liefe ja ein Insolvenzverfahren“ zu unterbinden.

1.2 Die Übermittlung eines Schriftsatzes entgegen § 130d S.1 ZPO entfaltet keine Wirkung, sofern nicht die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 und S. 3 ZPO vorliegen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht mit Verfügung v. 10.2.2022 auf die Geltung der Vorschrift hingewiesen. Von einer Behörde ist zu erwarten, dass der Wortlaut des Gesetzes ohne weitere Hinweise zur erwarteten Umsetzung, insbesondere, wenn dieser so eindeutig ist, wie die vorbezeichneten Normsätze, gelesen und zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Das Gericht muss ohnehin auf die Geltung des § 130d ZPO eigentlich nicht hinweisen, da §§ 4 InsO, 139 ZPO keine Hinweise auf eine geltende Rechtslage erfordert.

Auf den Hinweis des Gerichtes v. 10.2.2022 hat die Antragstellerin nicht entsprechend § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO reagiert. Sie hätte ihre Übermittlung ihres Antrages v. 7.2.2022 mit normaler Briefpost nunmehr bereits bei dessen Einreichung, welches die „Ersatzeinreichung“ im Sinne der Vorschrift ist, mit einer glaubhaft gemachten Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung „aus technischen Gründen“ entschuldigen müssen. Dabei wäre auch vorzutragen gewesen, dass der Nutzungspflichtige die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhält und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe sorgt (BT-Drs. 17/12634, 27; BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn.4) und, dass die Störung nur vorübergehender Natur ist (Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO Rn.2). Strukturelle Mängel der IT-Infrastruktur des Nutzungspflichtigen oder gar Nutzungsunwille rechtfertigen den Rückgriff auf papierene Kommunikation nicht. Dies gilt auch, wenn dem Gericht Mängel der technischen Einrichtung des Absenders amtswegig bekannt sind (ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20 –, juris; Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. 10.2021 – 6 Sa 337/20 –, juris). Einen generellen Anwendungs-Dispens gibt es, wie ausgeführt, nicht.

Die Mittel der Glaubhaftmachung ergeben sich auch im Insolvenzverfahren aus § 294 ZPO (§ 4 InsO; BGH v. 11.6.2015, ZInsO 2015, 1566, Rn.9). Diese Glaubhaftmachung hätte die Antragstellerin mit der Ersatzeinreichung, also bereits bei Einreichung des schriftlichen Antrages, oder unverzüglich danach leisten müssen. „Unverzüglich“ ist im Sinne des § 121 Abs.1 BGB auszulegen. Ob eine „unverzügliche“ Einreichung in dem vorgenannten Sinne noch eine Einreichung auf den gerichtlichen Hinweis v. 10.2.2022 , da das Gesetz einen solchen nicht voraussetzt, darstellen würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin mit Übermittlung ihres elektronischen Antrags-Schriftstückes v. 16.2.2022, also nicht des Antrages v. 7.2.2022, der Nachreichung des ersatzweise eingereichten Schriftstückes im Sinne v. § 130d Satz 3 ZPO gar nicht nachgekommen ist, aber vor allem auch keinerlei Glaubhaftmachung im vorgenannten Sinne – spätestens hierzu – beigefügt hat.

Nachzureichen gewesen wäre im Übrigen das ursprüngliche Schriftstück (BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn. 4), hier der ursprüngliche Antrag. Der nunmehr elektronisch eingereichte Antrag v. 16.2.2022 ist unzulässig, da die Antragstellerin hiermit gleichzeitig zwei Insolvenzverfahren betreiben würde. Sie hätte zunächst den Antrag v. 7.2.2022 zurücknehmen müssen oder dessen rechtskräftige Abweisung abwarten müssen, bevor sie einen neuen Antrag ausbringt.

Soweit die Finanzverwaltungen teilweise an Insolvenzrichter herangetreten sind, um abzusprechen, wie solche Glaubhaftmachungen im vorgenannten Sinne für den Bereich des § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO abzufassen sind und zu lauten hätten, können sich Insolvenzgerichte hierzu weder im konkreten Verfahren noch gar außerhalb eines konkreten Verfahrens verhalten. Den Gerichten ist Rechtsberatung nicht erlaubt (§§ 2, 3 RDG, s. LG Hamburg NJW-RR 2016, 61) und die modellhafte Abfassung v. Glaubhaftmachungsvorbringen würde diesen Bereich erreichen.“