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beA II: Glaubhaftmachung des technischen Defektes, oder: Zumindest eine „laienverständliche“ Darstellung

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Die zweite Entscheidung, die sich mit Fragen in Zusammenhang mit dem beA-Versand – besser: einem missglückten beA-Versand – befasst, ist der BGH, Beschl. v. 05.09.2023 – 3 StR 256/23.

Das LG hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Urteil wurde am Mittwoch, den 15.02.2023, in Anwesenheit des Angeklagten und seiner Verteidigerin verkündet worden. Die Frist zur Einlegung der Revision endete damit am 22.02.2023 um 24 Uhr (§ 341 Abs. 1, § 43 Abs. 1 StPO). Am Donnerstag, den 23.02.2023, hat der Angeklagte durch Schriftsatz seiner Verteidigerin Revision eingelegt. Zugleich hat die Rechtsanwältin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass eine Übermittlung über das elektronische Anwaltspostfach (beA) „gestern wegen technischer Probleme nicht möglich“ gewesen sei. Sie hat die Aufnahme eines Bildschirms beigefügt, auf dem die Eingabemaske eines beA-Postfachs abgebildet ist. Dort finden sich folgende Angaben: Absender (es folgt der Name der Verteidigerin), Empfänger: Landgericht Duisburg, Aktenzeichen Empfänger (es folgt das Aktenzeichen des Landgerichts Duisburg in dieser Sache), Betreff: Revision. Außerdem ist der Hinweis „Fehler beim Aufbau der Verbindung“ zu sehen. Datum und Uhrzeit des Screenshots sind ebenso wenig zu erkennen wie ein etwa zu übermittelndes Schriftstück.

Der BGh hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen:

„Dieses Vorbringen genügt nicht den rechtlichen Darlegungsanforderungen des § 45 StPO. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

„Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 S. 1 StPO). In dem Antrag ist ein Lebenssachverhalt darzulegen und glaubhaft zu machen, der das fehlende Verschulden des Angeklagten an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung entgegenstehen. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 S. 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Zudem ist innerhalb der Antragsfrist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 S. 2 StPO).

Die Glaubhaftmachung der hier geltend gemachten vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss (vgl. BGH – 4 StR 104/22, BeckRS 2022, 25316, BGH – 5 StR 328/22, BeckRS 2022, 28366, BGH – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647; Siegmund: Anforderungen bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs, NJW 2023, 1681 Rn. 23 mwN, beck-online).

Zwar genügt insoweit eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen, doch auch diesen Anforderungen genügt das aus einem Satz bestehende Antragsvorbringen nicht. Insbesondere wird aus dem beigefügten Screenshot, der weder Datum noch Uhrzeit enthält und nur einen einzigen Sendungsversuch eines nicht mitgeteilten Textes dokumentiert, nicht erkennbar, wie lange am 22.02.2023 das vorübergehende technische Zustellungshindernis bestand und wann der Sendungsversuch erfolgte. Insoweit wäre ein glaubhaft gemachter Vortrag veranlasst gewesen, wann und wie oft Rechtsanwältin H.   , die offensichtlich eine für einen solchen Fall gesetzlich vorgesehene Ersatzzustellung gem. § 32d Satz 3 StPO nicht vorgenommen oder auch nur in Erwägung gezogen hat (vgl. BGH – II ZB 22/16, NJW-RR 2017, 1084, beck-online), versuchte, die schriftliche Revisionseinlegung am 22.02.2023 per beA zu übersenden. Ferner ist nichts dazu vorgetragen, ob und wie Rechtsanwältin H.    versuchte, etwa über Kontakt mit dem Landgericht, Abhilfe zu schaffen und das technische Problem zu beheben (BGH 2 StR 140/22, NStZ-RR 2023, 115, beck-online). An einem Werktag (der 22.02.2023 war ein Mittwoch) erscheint dies nicht offensichtlich unzumutbar.

Aufgrund der Unzulässigkeit des gestellten Wiedereinsetzungsantrags ist auch die verspätet eingelegte Revision des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen.“

Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend, dass die Verteidigerin von der Gelegenheit zur Stellungnahme zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Gebrauch gemacht hat.

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Warum hatte der Anwalt keine aktive Chip-Karte?

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Und als zweite Entscheidung zum beA dann der OVG Lüneburg, Beschl. v. 03.02.2023 – 12 ME 6/23 – zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der Übermittlung. Dort war eine Beschwerde nur per Fax eingereicht worden. Das hat dem OVG nicht gereicht:

„….. Aus der Zusammenschau dieser Regelungen ergibt sich, dass anwaltliche Besc/hwerdeschriften gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – wie hier gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – grundsätzlich als elektronisches Dokument eingereicht werden müssen.

Diesem Erfordernis genügte die am 6. Januar 2023 bei dem Verwaltungsgericht Lüneburg eingegangene Beschwerdeschrift des anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht. Denn sie ist per Telefax übermittelt worden, und ein Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne des § 55a Abs. 3 und 4 VwGO (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 6).

Zwar bleibt in Abweichung von § 55d Satz 1 VwGO die anwaltliche Übermittlung (hier der Beschwerdeschrift) nach den allgemeinen Vorschriften – und damit auch per Telefax – zulässig, wenn eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich ist (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist dann aber bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) danach gemäß § 55d Satz 4 Halbs. 1 VwGO, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 294 ZPO glaubhaft zu machen (vgl. Gerken, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 3, 5. Aufl. 2022, § 130d Rn. 8).

Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor.

Der Antragsteller hat in der Beschwerdeschrift lediglich mitgeteilt und durch seinen Prozessbevollmächtigten anwaltlich versichern lassen, dass diesem eine Übersendung der Beschwerdeschrift „via beA“ technisch nicht möglich sei, da dessen „beA-Karte“ noch nicht habe aktiviert werden können. Weiterer Vortrag dazu fehlte zunächst. Erst auf Nachfrage des Senatsvorsitzenden hat er unter dem 19. Januar 2023 ergänzend vorgetragen und nach einem weiteren gerichtlichen Hinweis unter dem 27. Januar 2023 einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Wegen der Einzelheiten dieses weiteren Vortrags wird auf die genannten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Der Vortrag des Antragstellers läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass sein Prozessbevollmächtigter aus dem elektronischen Anwaltspostfach die Beschwerdeschrift nicht zeitgerecht habe übermitteln können, da er, der Anwalt, in der Zeit vom 19. bis zum 31. Dezember 2022 arbeitsunfähig erkrankt und deshalb an einer Vornahme der Aktivierung der neuen Chipkarte gehindert gewesen sei, deren es für solche Übermittlungen ab dem 1. Januar 2023 bedurft hätte. Diese Chipkarte sei dem Anwalt zwar bereits im September 2022 übersandt worden. Der Bestätigungslink (für den Karteneingang), über dessen Zugangszeitpunkt er keine  Angaben machen könne, habe aber nicht mehr funktioniert, als ihn der Anwalt habe verwenden wollen. Letzterer habe sich deswegen bereits am 3. Januar 2023 über die Hotline an die Bundesnotarkammer gewandt. Erst am 11. Januar und 13. Januar 2023 seien dem Anwalt daraufhin aber ein neuer Bestätigungslink für den Erhalt der Chipkarte bzw. die PIN für deren Verwendung zugegangen. Hätte die Bundenotarkammer – anstatt zuvor die anwaltliche E-Mail-Adresse zu überprüfen – schneller positiv auf den Anruf reagiert, wäre bereits am 6. Januar 2023 eine Übermittlung der Beschwerdeschrift aus dem besonderen Anwaltspostfach (wieder) möglich gewesen.

Dieses Geschehen genügt aus den folgenden Gründen nicht den nach § 55d Satz 3 und Satz 4 Halbs. 1 VwGO zu stellenden Anforderungen:

Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument kann sich zwar auch aus Ursachen ergeben, die in der Sphäre des einreichenden Rechtsanwalts liegen. Es muss sich dann aber um einen „Ausfall der technischen Einrichtungen“ des Anwalts (vgl. Gesetzentwurf der BReg. für ein Gesetz zur Förderung des elektr. Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27, zu Nr. 4 [§ 130d ZPO]) – also eine bei wertender Betrachtung „technische“ Ursache – handeln. Denn § 55d Satz 3 VwGO entbindet professionelle Einreicher nicht von der Notwendigkeit, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (vgl. Gesetzentwurf, a. a. O., S. 28). Eine Unmöglichkeit der Einreichung als elektronisches Dokument aus „technischen Gründen“ liegt folglich insbesondere dann nicht vor, wenn zwar die Technik einwandfrei funktioniert, sie aber dem Rechtsanwalt nicht zugänglich ist, weil dieser es versäumt hat, beizeiten die Zugangsvoraussetzungen zu ihr zu schaffen. Deshalb erfasst § 55d Satz 3 VwGO beispielsweise nicht die Fälle, dass ein Rechtsanwalt über keine Chipkarte verfügt, weil ihm bei seinem ersten Antrag auf Ausstellung derselben ein Fehler in der Schreibweise seines Vornamens unterlaufen war, sodass ihm die Karte nicht früh genug übersandt wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.3.2022 – 19 E 147/22 -, juris), oder dass sein spät gestellter signaturrechtlicher Antrag von der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer nicht mehr früh genug bearbeitet werden konnte (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 4.4.2022 – I-8 U 23/22 -, FamRZ 2022, 1219 f., hier zitiert nach juris). Anders als es in der Literatur teilweise vertreten wird (vgl. Gädeke, in: Ory/Weth, juris-PK-ERV, Bd. 3, 2. Aufl., § 55d VwGO, Rn. 31 [Stand: 15.12.2022]), dürfte die Lösung von Abgrenzungsfragen nicht in einer Großzügigkeit bei der Zuschreibung zu technischen Ursachen zu suchen sein. Denn den Prozessbeteiligten soll zwar erspart werden, die Ursachen technischer Störungen zu eruieren (vgl. OVG Schl.-Hol., Beschluss vom 13.6.2022 – 1 LA 1/22 -, BeckRS 2022, 15028, Rn. 3). Tritt aber klar zutage, dass typisch menschliches Versagen des professionellen Einreichers (wie etwa Vergesslichkeit oder Säumigkeit) das entscheidende, durch die Technik gleichsam nur in seiner Wirkung weitergegebene Hindernis für die zeitgerechte Übermittlung eines elektronischen Dokuments ist, liegt keine technische Störung vor. Das gilt namentlich dann, wenn gerade das Funktionieren von technischen Sicherungen gegen die unbefugte Nutzung eines besonderen Anwaltspostfachs dazu geführt hat, dass dieses Postfach seinem Inhaber im entscheidenden Moment nicht für eine aktive Nutzung zur Verfügung stand. Wer also seine Chipkarte nicht zeitgerecht beantragt, vorwerfbar den Aktivierungsvorgang verzögert, die Chipkarte unerreichbar verschlossen, verlegt oder verloren hat, ist nicht anders zu behandeln, als hätte er die technischen Einrichtungen seiner Anwaltskanzlei zur maßgeblichen Zeit deshalb nicht nutzen können, weil er sich aus deren Räumen ausgesperrt, den Türschlüssel verloren und nicht rechtzeitig einen (anderen) Schlüsselträger oder den Schlüsseldienst erreicht hätte. Auch dann liegen keine „technischen Gründe“ vor.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ließ sich aus dem Vortrag in der Beschwerdeschrift allenfalls ableiten, dass eine Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung der  Beschwerdeschrift aus „technischen Gründen“ für den 6. Januar 2023 nicht ausgeschlossen werden konnte, nicht aber, dass sie damals tatsächlich vorgelegen hat. Denn für „technische Gründe“ im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO reicht es keineswegs schon aus, dass ein Prozessbevollmächtigter – warum auch immer – über keine aktivierte Chipkarte verfügt, sondern kommt es maßgeblich darauf an, weshalb das nicht der Fall war. Darüber hat der Antragsteller jedoch weder am 6. Januar 2023 noch unverzüglich (vgl. dazu näher: BGH, Beschluss vom 21.9.2022 – XII ZB 264/22 -, FGPrax 2022, 287 f., Rn. 17) danach – und das hätte geheißen jedenfalls deutlich vor dem 19. Januar 2023 – im Sinne des § 55d Satz 4 Halbsatz 1 VwGO genügenden Aufschluss gegeben. Schon deshalb schied eine Anwendung des § 55d Satz 3 VwGO hier aus.

Davon abgesehen ergibt sich weder aus dem bereits in der Beschwerdeschrift vorgetragenen Geschehen noch den späteren Ergänzungen eine vorübergehende Unmöglichkeit der Übermittlung aus technischen Gründen im Sinne des § 55d Satz 3 VwGO.

Sie wäre vielmehr auch bei einem frühzeitig umfassenderen Vortrag nicht in Betracht gekommen. Wie auf der Website der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer recherchiert werden kann, sind nämlich im Zuge des sogenannten „beA-Kartentauschs 2022“ die mit dem 31. Dezember 2022 ablaufenden Chipkarten zahlreicher Rechtsanwälte im letzten Quartal 2022 ausgewechselt worden. Hierzu wurden den Anwälten – ohne Antragserfordernis – postalisch eine neue Chipkarte übersandt sowie (per E-Mail) ein Bestätigungslink. Dieser Link war allerdings lediglich für 48 Stunden nutzbar. Erfolgte keine umgehende Bestätigung des Erhalts der Chipkarte durch den betroffenen Anwalt wurden daher bis zu drei „Erinnerungs-E-Mails“ an diesen versandt. Ohne wirksame Bestätigung des Erhalts der neuen Karte versandte die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer indessen keine PIN an den Karteninhaber. Insbesondere die seitens des Antragstellers mit Schriftsatz vom 27. Januar 2023 vorgelegten E-Mails vom 29. Dezember 2022 und 11. Januar 2023 rechtfertigen die Annahme, dass der seinem Prozessbevollmächtigten übersandte Bestätigungslink deshalb nicht mehr funktioniert hat, weil die 48-Stunden-Frist für seine Nutzung (längst) abgelaufen war, als der Anwalt erstmals versuchte, den Link zu verwenden. Da dem Rechtsanwalt die neue Chipkarte bereits im September 2022 zugegangen war, kann das auch nicht verwundern. Vielmehr hat er sich offenbar um die Aktivierung der neuen Chipkarte deshalb nicht beizeiten gekümmert, weil seine bisherige Chipkarte noch bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 funktionierte. Diese Ursache für den zeitlichen Verzug, mit dem er erst im Jahr 2023 seine PIN erhielt und daraufhin die neue Chipkarte aktivieren konnte, hat aber keine „technischen Gründe“…….“

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Unverzügliche Glaubhaftmachung ist erforderlich

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Und auch die zweite Entscheidung hat heute eine beA-Problematik zum Gegenstand. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 15.12.2022 – III ZB 18/22 – zur Frage der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 und 3 ZPO Stellung genommen. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich hatte sie bisher übersehen. Aber man kann gerade im Hinblick auf § 130d ZPO als Anwalt nicht vorsichtig genug sein. Daher kann man auch jetzt noch über die Entscheidung berichten.

Nach dem Sachverhalt hatte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 6.904,17 EUR nebst Zinsen verurteilt. Gegen das der Beklagten am 20.11.2021 zugestellte Urteil hat diese am 19.12.2021 durch Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten des OLG form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 20.12.2022 ebenfalls durch Einwurf in den Briefkasten des OLG eingereicht. Der Klägerin ist sodann mit Vorsitzendenverfügung vom 09.02.2022 eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt worden. Nachdem die Klägerin unter dem 10.02.2022 um Mitteilung gebeten hatte, ob die Berufungsbegründung gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht worden sei, ist die Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 11.02.2022 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen darauf hingewiesen worden, bei Setzung der Berufungserwiderungsfrist sei nicht aufgefallen, dass die Berufungsbegründung entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (iSd § 130d Satz 2 und 3 ZPO) sei weder in der Berufungsbegründung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage sei die Berufung möglicherweise nicht formgerecht entsprechend § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat daraufhin mit Schriftsatz vom 24.02.2022 eidesstattlich versichert, dass am 20.01.2022 nach dem Aufspielen eines Updates die „beA Client Security“ nicht mehr habe gestartet werden können. Diese habe erneut aufgespielt werden müssen, um die Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu beseitigen. Die Berufungsbegründung sei daher zur Fristwahrung als Brief in den Nachtbriefkasten des OLG eingelegt worden. Mit Beschluss vom 02.03.2022 hat das OLG die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten, die keinen Erfolg hatte. Der BGh führt zu § 130d ZPO aus:

„….. Das Berufungsgericht hat den Zugang der Beklagten zur Berufungsinstanz jedoch nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Die Auslegung und Anwendung von § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Insbesondere hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff „unverzüglich“ zutreffend im Sinne der in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Legaldefinition als „ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war das Berufungsgericht nicht gehalten, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach ihrem Inkrafttreten während einer (weiteren) Übergangsfrist nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden.

aa) Die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, ist durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I 3786) eingeführt worden und gemäß Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten. § 130d Satz 1 ZPO sieht unter anderem eine Pflicht für alle Rechtsanwälte vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Die Einreichung in dieser Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27). Ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments – wie im vorliegenden Fall – aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich, darf der Nutzungspflichtige gemäß § 130d Satz 2 ZPO das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt in Papierform oder als Telefax, übermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist (BT-Drucks. aaO). Um Missbrauch auszuschließen, bestimmt § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO allerdings, dass der Nutzungsberechtigte die vorübergehende technische Unmöglichkeit unaufgefordert schon bei der Ersatzeinreichung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) danach glaubhaft zu machen hat, wobei die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. aaO S. 28; BeckOK ZPO/von Selle, § 130d Rn. 5 [46. Edition, Stand: 1. September 2022]; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 130d Rn. 3; siehe auch BGH, Beschluss vom 12. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 13 zu § 14b Abs. 1 Satz 3 FamFG).

bb) Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als Rechtsanwalt beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2022 bekannt sein. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre schuldhaft und müsste von der Beklagten im Wege der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO hingenommen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 15). Der (fahrlässige) Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Formerfordernisse für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels vermag ihn nicht zu entlasten und rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH aaO Rn. 16). Dazu zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr (§§ 130a, 130d ZPO).

cc) Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Vorschrift gerade im Hinblick auf die zum 1. Januar 2022 eingetretene Rechtsänderung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 130d ZPO, obwohl er erst am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 in die Zivilprozessordnung eingefügt worden ist. Im Hinblick auf das Merkmal „unverzüglich“ hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für den sichersten Weg entscheiden müssen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 280 Rn. 69). Dieser hätte darin bestanden, die Art der technischen Störung bereits bei der Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen. Dazu wäre er auch in der Lage gewesen, weil ihm die Probleme mit der Client Security des beA von Anfang an bekannt waren. Die mit Schriftsatz vom 24. Februar 2022 – fünf Wochen nach der Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung und lediglich als Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis – erfolgte Glaubhaftmachung war nicht mehr „unverzüglich“, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. aaO S. 28). Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen und ein wochenlanges Zuwarten regelmäßig als zu lang anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2022 aaO Rn. 17).

b) Das Berufungsgericht hat auch den Anspruch der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht verletzt. Der Umstand, dass das Gericht den Formmangel im Sinne des § 130d Satz 1 ZPO zunächst übersehen hatte, vermag daran nichts zu ändern. Denn das Berufungsgericht hat auf die Anfrage der Klägerin nach der Wahrung der elektronischen Form seinen Irrtum korrigiert und die Beklagte auf den Formmangel unter Einräumung einer angemessenen Stellungnahmefrist hingewiesen. Dass das Gericht sodann die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen hat, ist die zwingende Konsequenz aus der Nichteinhaltung der elektronischen Form und der verspäteten Glaubhaftmachung im Sinne des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO.

c) Aus den vorgenannten Gründen scheidet auch ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus. Eine Überraschungsentscheidung liegt offenkundig nicht vor.“

Rechtsmittel I: Rechtsmitteleinlegung per beA, oder: falsches Dateiformat, „fremdes“ beA, Ersatzeinreichung

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Und in die 47 KW. geht es dann mal wieder mit einigen Entscheidungen zur Rechtsmitteleinlegung. Drei von den vier Entscheidungen, die ich heute vorstelle, befassen sich mit dem beA/elektronischen Dokument, eine hat nichts damit zu tun. Daher würde die „Themen-Überschrift“ „beA“ nicht bei allen Postings passen. Ich habe deshalb „Rechtsmittel“ genommen.

Hier dann zuerst die drei „beA_Entscheidungen“:

Allein der Umstand, dass Schriftsätze entgegen § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 14 ERVV nicht im Dateiformat pdf, sondern im Dateiformat docx eingereicht worden, führt nicht zur Formungültigkeit der darin enthaltenen Prozesserklärungen. Formunwirksamkeit tritt nur nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber führen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann.

Eine vom Verteidiger maschinenschriftlich signierte Revisionseinlegungsschrift, die aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach eines nicht am Verfahren beteiligten anderen Rechtsanwalts übersandt und durch diesen qualifiziert elektronisch signiert worden ist, genügt nicht den Anforderungen der §§ 341 Abs. 1, 32d Satz 2, 32a Abs. 3 StPO.

    1. Für eine wirksame Ersatzeinreichung gemäß § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO muss der Rechtsanwalt darlegen und glaubhaft machen, dass die elektronische Übermittlung im Zeitpunkt der beabsichtigten Einreichung aus technischen Gründen unmöglich war. Gleiches gilt für die vorübergehende Natur des technischen Defektes. Es genügt eine (laienverständliche) Darstellung des Defektes und der zu seiner Behebung getroffenen Maßnahmen.
    2. Bezüglich des Zeitpunktes der erforderlichen Darlegung und Glaubhaftmachung kommt nach dem Wortlaut von § 130d Satz 3 ZPO („oder“) dem Zeitpunkt der Ersatzeinreichung selbst kein Vorrang gegenüber der – dann jedoch „unverzüglichen“ – Nachholung zu.
    3. Im Anwendungsbereich des § 130d Satz 3 ZPO genügt für die Glaubhaftmachung eine (formgerechte) anwaltliche Versicherung über das Scheitern der Übermittlung. Fehlt diese bzw. wird sie nicht ohne schuldhaftes Zögern beigebracht, ist die Ersatzeinreichung unwirksam.