beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Unverzügliche Glaubhaftmachung ist erforderlich

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Und auch die zweite Entscheidung hat heute eine beA-Problematik zum Gegenstand. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 15.12.2022 – III ZB 18/22 – zur Frage der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 und 3 ZPO Stellung genommen. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich hatte sie bisher übersehen. Aber man kann gerade im Hinblick auf § 130d ZPO als Anwalt nicht vorsichtig genug sein. Daher kann man auch jetzt noch über die Entscheidung berichten.

Nach dem Sachverhalt hatte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 6.904,17 EUR nebst Zinsen verurteilt. Gegen das der Beklagten am 20.11.2021 zugestellte Urteil hat diese am 19.12.2021 durch Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten des OLG form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 20.12.2022 ebenfalls durch Einwurf in den Briefkasten des OLG eingereicht. Der Klägerin ist sodann mit Vorsitzendenverfügung vom 09.02.2022 eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt worden. Nachdem die Klägerin unter dem 10.02.2022 um Mitteilung gebeten hatte, ob die Berufungsbegründung gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht worden sei, ist die Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 11.02.2022 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen darauf hingewiesen worden, bei Setzung der Berufungserwiderungsfrist sei nicht aufgefallen, dass die Berufungsbegründung entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (iSd § 130d Satz 2 und 3 ZPO) sei weder in der Berufungsbegründung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage sei die Berufung möglicherweise nicht formgerecht entsprechend § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat daraufhin mit Schriftsatz vom 24.02.2022 eidesstattlich versichert, dass am 20.01.2022 nach dem Aufspielen eines Updates die „beA Client Security“ nicht mehr habe gestartet werden können. Diese habe erneut aufgespielt werden müssen, um die Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu beseitigen. Die Berufungsbegründung sei daher zur Fristwahrung als Brief in den Nachtbriefkasten des OLG eingelegt worden. Mit Beschluss vom 02.03.2022 hat das OLG die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten, die keinen Erfolg hatte. Der BGh führt zu § 130d ZPO aus:

„….. Das Berufungsgericht hat den Zugang der Beklagten zur Berufungsinstanz jedoch nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Die Auslegung und Anwendung von § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Insbesondere hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff „unverzüglich“ zutreffend im Sinne der in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Legaldefinition als „ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war das Berufungsgericht nicht gehalten, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach ihrem Inkrafttreten während einer (weiteren) Übergangsfrist nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden.

aa) Die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, ist durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I 3786) eingeführt worden und gemäß Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten. § 130d Satz 1 ZPO sieht unter anderem eine Pflicht für alle Rechtsanwälte vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Die Einreichung in dieser Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27). Ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments – wie im vorliegenden Fall – aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich, darf der Nutzungspflichtige gemäß § 130d Satz 2 ZPO das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt in Papierform oder als Telefax, übermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist (BT-Drucks. aaO). Um Missbrauch auszuschließen, bestimmt § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO allerdings, dass der Nutzungsberechtigte die vorübergehende technische Unmöglichkeit unaufgefordert schon bei der Ersatzeinreichung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) danach glaubhaft zu machen hat, wobei die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. aaO S. 28; BeckOK ZPO/von Selle, § 130d Rn. 5 [46. Edition, Stand: 1. September 2022]; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 130d Rn. 3; siehe auch BGH, Beschluss vom 12. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 13 zu § 14b Abs. 1 Satz 3 FamFG).

bb) Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als Rechtsanwalt beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2022 bekannt sein. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre schuldhaft und müsste von der Beklagten im Wege der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO hingenommen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 15). Der (fahrlässige) Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Formerfordernisse für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels vermag ihn nicht zu entlasten und rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH aaO Rn. 16). Dazu zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr (§§ 130a, 130d ZPO).

cc) Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Vorschrift gerade im Hinblick auf die zum 1. Januar 2022 eingetretene Rechtsänderung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 130d ZPO, obwohl er erst am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 in die Zivilprozessordnung eingefügt worden ist. Im Hinblick auf das Merkmal „unverzüglich“ hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für den sichersten Weg entscheiden müssen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 280 Rn. 69). Dieser hätte darin bestanden, die Art der technischen Störung bereits bei der Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen. Dazu wäre er auch in der Lage gewesen, weil ihm die Probleme mit der Client Security des beA von Anfang an bekannt waren. Die mit Schriftsatz vom 24. Februar 2022 – fünf Wochen nach der Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung und lediglich als Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis – erfolgte Glaubhaftmachung war nicht mehr „unverzüglich“, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. aaO S. 28). Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen und ein wochenlanges Zuwarten regelmäßig als zu lang anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2022 aaO Rn. 17).

b) Das Berufungsgericht hat auch den Anspruch der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht verletzt. Der Umstand, dass das Gericht den Formmangel im Sinne des § 130d Satz 1 ZPO zunächst übersehen hatte, vermag daran nichts zu ändern. Denn das Berufungsgericht hat auf die Anfrage der Klägerin nach der Wahrung der elektronischen Form seinen Irrtum korrigiert und die Beklagte auf den Formmangel unter Einräumung einer angemessenen Stellungnahmefrist hingewiesen. Dass das Gericht sodann die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen hat, ist die zwingende Konsequenz aus der Nichteinhaltung der elektronischen Form und der verspäteten Glaubhaftmachung im Sinne des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO.

c) Aus den vorgenannten Gründen scheidet auch ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus. Eine Überraschungsentscheidung liegt offenkundig nicht vor.“

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