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beA II: Verstoß gegen die „aktive Nutzungspflicht“, oder: Kranker Rechtsanwalt als „technische Störung“?

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Die zweite Entscheidung zum beA/elektronisches Dokument kommt vom KG aus Berlin. Ergangen ist der KG, Beschl. v. 25.02.2022 – 6 U 218/21 – in einem  Verfahren, in dem der Kläger von der Beklagten Leistungen aus einer Unfallversicherung verlangt. Die Klage ist abgewiesen worden. Das Urteil des LG ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.10.2021 zugestellt worden. Der Rechtsanwalt hat für den Kläger gegen das Urteil des LG am 04.11.2021 mit per Telefax übermittelten Schriftsatz Berufung eingelegt. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz bei Gericht eingegangen. Auf Antrag vom 29.11.2021 ist die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 04.01.2022 verlängert worden.

Am 04.01.2021 geht dann um 15.25 Uhr der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung als Telefax beim KG ein. Am gleichen Tag ist auch der Originalschriftsatz mit der Berufungsbegründung eingegangen. Der Kläger hat auf einen Hinweis des Gerichts mit Schriftsatz vom 07.01.2022 vorgetragen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter vom 26.12.2021 bis zum 02.01.2022 im Weihnachtsurlaub in Österreich befunden habe. Dort sei der Prozessbevollmächtigte am 01.01.2022 erkrankt. Es seien eine leicht erhöhte Temperatur, Schnupfen, Gliederschmerzen und ein Kratzen im Hals aufgetreten. Diese Symptome seien erst am 06.01.2022 abgeklungen. Um ein Coronaleiden auszuschließen, habe der Prozessbevollmächtigte am 02.01.2022 einen Antigen-Schnelltest durchgeführt, der wiederholt kein eindeutiges Ergebnis gezeigt habe. Deshalb habe er am 03.01.2022 eine PCR-Testung in Anspruch genommen, wobei ihm das Negativ-Testat am 06.01.2022 vorgelegen habe. Die Berufungsbegründungsschrift habe der Prozessbevollmächtigte am 03. und 04.01.2022 zuhause gefertigt, ausgedruckt und unterschrieben. Eine elektronische Versendung von zuhause aus sei nicht möglich gewesen, da die beA-Hardware und Software am Arbeitsplatz im Büro in Berlin installiert seien. Auch ein Fax-Gerät habe dem Prozessbevollmächtigten zuhause nicht zur Verfügung gestanden. Die Berufungsbegründungsschrift sei daher am Nachmittag von einem Boten in das Büro des Prozessbevollmächtigten in Berlin gebracht worden, in dem er mit einer Steuerberatungs-GmbH in Bürogemeinschaft zusammenarbeite. Über den Faxanschluss der GmbH sei die Begründung an das KG versandt worden. Anschließend sei die Begründung in den Briefkasten des Justizboten in der Littenstraße beim LG Berlin eingeworfen worden zur Versendung an das KG.

Auf rechtlichen Hinweis des KG vom 11.01.2022 hat der Kläger die Berufungsbegründung am dann 24.01.2022 als elektronisches Dokument übermittelt und vorgebracht, dass die Übermittlung als elektronisches Dokument am 04.01.2022 aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei Sein Prozessbevollmächtigter hat daraufhin mit per beA am 24.01.2022 eingegangenem Schriftsatz vom „4. Januar 2022“ anwaltlich versichert, für seinen Verhinderungsfall Vorkehrungen getroffen zu haben. Er arbeite in Bürogemeinschaft mit einem anderen Rechtsanwalt zusammen. Beide seien als Einzelanwälte ohne Büropersonal tätig. Es bestehe die Absprache, dass bei Abwesenheit des einen Rechtsanwaltes der andere Rechtsanwalt als Unterbevollmächtigter für diesen tätig wird, soweit dies erforderlich sei. Er selbst habe am 02.1. wieder im Büro sein wollen. Der andere Rechtsanwalt sei am 04.01.2022 wegen eigener Urlaubsabwesenheit für den Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht erreichbar gewesen.

Das KG hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden ist. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist könne nicht erfolgen.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine Ausnahme von der seit dem 01.01.2022 bestehenden Verpflichtung der Rechtsanwälte, vorbereitende Schriftsätze nur noch als elektronisches Dokument bei Gericht einzureichen (§§ 130 a, 130 d ZPO), besteht gemäß § 130 d S. 2 ZPO nur dann, wenn dies aus technischen Gründen nicht möglich ist, weil entweder das Gericht auf diesem Wege nicht erreichbar ist oder bei dem Rechtsanwalt ein vorübergehendes technisches Problem aufgetreten ist.

2. Sieht sich der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen (hier: ausstehendes Ergebnis eines PCR-Testes zum Ausschluss eines Coronaleidens) nicht in der Lage, seine Kanzleiräume aufzusuchen und den Schriftsatz dort elektronisch zu übermitteln, stellt dies keine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen dar.

3. Die technische Störung ist gemäß § 130 d S. 3 ZPO unmittelbar bei der Ersatzeinreichung auf herkömmlichen Wege oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; die Mitteilung von Gründen erst 20 Tage nach Einreichung des Originalschriftsatzes genügt diesen Anforderungen nicht.

4. Ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 S. 1 ZPO wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor, wenn der Rechtsanwalt vor dem Fristablauf nicht alle ihm noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, wie etwa die Suche nach einem vertretungsbereiten Kollegen zur formwirksamen Einreichung der fertigen Berufungsbegründungsschrift.