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AE III: Akteneinsicht des Nebenklägers, oder: Aussage-gegen-Aussage

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Und als dritte Entscheidung dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 06.09.2021 – 4 Ws 153/21 – zur Akteneinsicht an die Vertreterin der Nebenklägerin in einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation. Dazu das OLG:

„Der Senat kann dahinstehen lassen, ob in Konstellationen, in denen Aussage gegen Aussage steht, bei Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklägervertreterin generell eine Gefährdung des Untersuchungszwecks i.S.v. § 406e Abs. 2 S. 2 StPO zu gewärtigen ist (OLG Hamburg, Beschl. v. 21.03.2016 – 1 Ws 40/16 – juris; Eisenberg JR 2016, 390, 394; Hinderer StraFo 2016, 76 ff.) oder ob eine solche erst nach Betrachtung der Umstände des Einzelfalls angenommen werden kann (so etwa: KG Berlin StraFo 2019, 116 f.; OLG Braunschweig StraFo 2016, 75, 76; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.02.2021 – 2 Ws 27/21 – juris). Auch wenn man der zweiten Auffassung folgt, führt die Ausübung des durch die Norm eingeräumten Ermessens, zu dessen Überprüfung der Senat mangels gesetzlicher Beschränkung der Überprüfungskompetenz (wie etwa in § 453 Abs. 2 StPO) in vollem Umfang berufen ist (vgl. § 309 Abs. 2 StPO), dazu, im vorliegenden Fall nur eine eingeschränkte Akteneinsicht in dem vom Landgericht vorgenommenen Umfang zu gewähren. Der Angeklagte bestreitet die Tat und es liegt eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor. Es wird daher im Hauptverfahren auf eine eingehende Würdigung der den Angeklagten belastenden Aussage der Nebenklägerin einschließlich ihrer Entstehungsgeschichte und Aussagekonstanz ankommen. Zwar drängt die Kenntnis der Verfahrensakten nicht zur Annahme der Unrichtigkeit von Aussagen und mit der Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts geht nicht typischerweise eine Entwertung des Realitätskriteriums der Aussagekonstanz einher (BGH JR 2016, 390 und BGH JR 2016, 391). Auch ist vorliegend angesichts des geringen Alters der Nebenklägerin und der Zusicherung der Nebenklägervertreterin, ihr den Akteninhalt nicht zugänglich zu machen, nicht zu gewärtigen, dass die Nebenklägerin ihre verschriftlichte Aussage bzw. Teile der verschriftlichten Aussage ihrer Mutter gleichsam „zum Auswendiglernen“ erhält. Andererseits war die Aussage der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren bei der Polizei so detailarm (und Angaben zum Tatgeschehen erfolgten eher mühsam und auf immer erneute Vorhalte), dass die Kenntnis der Akteninhalte – und sei dies auch nur durch entsprechende Vorhalte im Rahmen eines vorbereitenden Gesprächs mit der Nebenklägervertreterin – sehr wohl die Würdigung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Hauptverfahren erschweren und damit den Untersuchungszweck gefährden könnte. Demgegenüber ist die Beeinträchtigung der Rechte der Nebenklägerin gering, denn – wie der Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausführt – ihrer anwaltlichen Vertreterin kann unmittelbar nach ihrer Vernehmung bzw. der Vernehmung ihrer Mutter und noch vor Entlassung dieser Zeugen Akteneinsicht gewährt werden, so dass diesen entsprechende Vorhalte – nach einer zunächst von etwaigen Kenntnissen der Akteninhalte unbeeinflussten Aussage – gemacht werden können. Sollte eine längere Verhandlungspause innerhalb eines Verhandlungstages für die Wahrnehmung der Akteneinsicht nicht ausreichen, wird das Landgericht ggf. auch die Anberaumung eines weiteren Fortsetzungstermins in Erwägung ziehen müssen.“

AE II: AE im Bußgeldverfahren, oder: (Beschränkte) Akteneinsicht in SV-Gutachten eines anderen Verfahrens

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In der zweiten Entscheidung, dem LG Chemnitz, Beschl.v. 22.07.2021 – 2 Qs 127/21, über die der Kollege Gratz schon im VerkehrsrechtsBlog berichtet hat, geht es auch um Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, und zwar in Zusammenhang mit Leivtec XV 3.

Das AG hatte dazu in einem Verfahren ein Sachverständigengutachten eingeholt. Es haben dann  Verteidiger von Betroffenen aus anderen Verfahren, über § 475 StPO Einsicht in das Gutachten verlangt. Das AG hat das abgelehnt, das LG Chemnitz hat Akteneinsicht gewährt:

„Die Beschwerden sind zulässig und begründet.

Da die Beschwerdeführer am hier zugrundeliegenden Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht beteiligt sind, gelten für diese die Beschränkungen des § 305 S. 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 304 Rn. 7).

Die Beschwerdeführer haben gem. § 475 Abs. 1 StPO einen Anspruch auf beschränkte Akteneinsicht durch Übersendung einer anonymisierten Form des Sachverständigengutachtens ohne Falldaten; schutzwürdige Belange des Betroffenen stehen nicht entgegen.

Das berechtigte Interesse liegt in der Verteidigung von Mandanten in anderen Verfahren, bei denen ebenfalls ein Messgerät des genannten Typs zum Einsatz kam. Die hier mit dem Sachverständigengutachten gewonnenen Erkenntnisse können für die Frage der Geeignetheit des Messgerätetyps auch in anderen Ordnungswidrigkeitenverfahren bedeutsam sein. Entgegenstehende schutzwürdige Belange des hier Betroffenen sind weder dargelegt noch ersichtlich. Datenschutzbelange können gewahrt werden, indem eine anonymisierte Gutachtenfassung zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wird.

Die begehrte Einsichtnahme war daher – beschränkt – zu gewähren. Die Kammer hat gem. § 309 Abs. 2 StPO die in der Sache erforderliche Entscheidung getroffen.“

AE I: AE im Bußgeldverfahren, oder: skandalös, wenn die Behörden die eindeutige Rechtslage ignorieren

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Heute dann mal ein Tag mit Akteneinsichtsentscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v. 09.09.2021 – 48 OWi 410/21 [b] zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Den Beschluss muss man in die Kategorie: Wenn dem AG der Draht aus der (sprichwörtlichen) Mütze springt, einordnen. Oder in: Deutliche Worte.

Es geht um die Gewährung vollständiger Akteneinsicht in Form der Übermittlung der gesamten Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung in einem Bußgeldverfahren. Der Verfahrensgang eribt sich aus dem Beschluss, der einen bemerkenswerten letzten Absatz hat:

„Die Verwaltungsbehörde hat am 19.05.2021 gegen 09:16 Uhr eine Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsübertretung) festgestellt, welche vom Führer des Kraftrades mit dem amtlichen Kennzeichen pp. begangen wurde.

Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit hat die Verwaltungsbehörde den Betroffenen als Halter des Fahrzeuges am 29.06.2021 angehört.

Hierauf hat sich der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 24.06.2021 bestellt und beantragt, die Ermittlungsakte einzusehen. Insbesondere hat er beantragt, einem vom Mandanten selbst ausgewählten Sachverständigen Einblick in die unverschlüsselten Messdaten aller Messungen des Tattages zu gewähren. Die Behörde hat daraufhin dem Verteidiger die gesamte Bußgeldakte in Kopie kommentarlos überlassen. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Kreispolizeibehörde des Rheinisch Bergischen Kreises der Bußgeldstelle des Rheinisch Bergischen Kreises mitgeteilt hat, dass die Herausgabe von Rohmessdaten der gesamten Messreihe nur auf gerichtliche Anforderung erfolgen werde.

Der Betroffene hat dies als Verweigerung gewertet, ihm die Daten der gesamten Messreihe zu übermitteln und daher diesbezüglich am 09.07.2021 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt.

Die Bußgeldbehörde hat – wie mittlerweile üblich – diesen Antrag ohne weiteren Kommentar an das Gericht weitergeleitet. Eine Begründung der Verweigerung erfolgte nicht.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

In der Sache hat er auch Erfolg.

Es ist mittlerweile einhellige und bis zum Bundesverfassungsgericht anerkannte obergerichtliche Rechtsprechung, dass auch und gerade im standardisierten Messverfahren der Betroffene nicht nur Anspruch darauf hat, dass ihm im Rahmen der Akteneinsicht die digitalen Daten bezüglich der ihn betreffenden Messung überlassen werden, sondern die digitalen Daten bezüglich der gesamten vollständigen Messserie.

Die diesbezügliche Rechtsauffassung des Gerichtes ist der Verwaltungsbehörde hinreichend bekannt. Das Gericht erspart sich daher eine weitergehende Begründung. Die Behörde und die Kreispolizeibehörde mögen die nachvollziehbare Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2020 (Az. 2 BvR 1616/18) entnehmen.

Aus vorstehenden Gründen trägt die Verwaltungsbehörde selbstverständlich auch die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Für das Gericht ist es schlichtweg skandalös, dass sowohl der Rheinisch Bergische Kreis als auch die Kreispolizeibehörde in schlichter lgnorierung der mittlerweile eindeutigen Rechtslage in nahezu jedem streitigen Bußgeldverfahren bezüglich einer Geschwindigkeitsübertretung Kosten zulasten des Steuerzahlers produzieren, die regelmäßig deutlich über den „Einnahmen“ aus der Geldbuße stehen.“

StPO II: Dauerbrenner Akteneinsicht Nebenkläger?, oder: Wann ist der Untersuchungszweck gefährdet?

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Als zweite StPO-Entscheidung „aus der Instanz“ dann der LG Kiel, Beschl. v. 02.08.2021 – 10 Qs 45/21. Er befasst sich mit der Frage des Umfangs der Akteneinsicht für den Nebenkläger/Verletzten, auch ein „Dauerbrenner“.

Das LG hat in einem Verfahren mit dem Vorwurf u.a. der wegen Körperverletzung nur teilweise Akteneinsicht gewährt, und zwar: Keine Akteneinsicht, soweit die Akten zeugenschaftliche Angaben der Nebenklägerin enthalten, aber wohl hinsichtlich des übrigen Akteninhalts:

„Nach § 406e Abs. 2 S. 2 StPO kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Verfahren, gefährdet erscheint. Der Untersuchungszweck im Sinne dieses gesetzlichen Versagungsgrundes ist gefährdet, wenn durch die Aktenkenntnis des Verletzten eine Beeinträchtigung der gerichtlichen Sachaufklärung (§ 244 II StPO) zu besorgen ist (vgl. nur BT-Drucks. 10/5305, S. 18).

So liegt es hier.

Zur Sicherstellung einer unbefangenen, zuverlässigen und wahren Aussage der Nebenklägerin in einer eventuellen späteren Hauptverhandlung ist es unerlässlich, ihr jede Möglichkeit der vorherigen -Kenntnisnahme vom Inhalt ihrer kriminalpolizeilichen Aussage zu nehmen. Für die Beweisführung steht – abgesehen von den vorliegenden Textnachrichten und den die Verletzungen dokumentierenden Lichtbildern – nämlich ausschließlich die Zeugenaussage der Nebenklägerin zur Verfügung, da sich der Angeschuldigte bislang nicht zur Sache eingelassen hat.

Die weiteren Zeugen haben zum Kerngeschehen keine Angaben machen können. Soweit Verletzungsbilder vorliegen, dokumentieren diese zwar die Folgen der Auseinandersetzung, vermögen aber keinen Aufschluss über Vorgeschehen und konkreten Hergang zu geben.

An einer solchen Verfahrenskonstellation ist – ebenso wie in der Beweiskonstellation von Aussage-gegen-Aussage – regelmäßig das durch § 406e Abs. 2 S. 2 StPO eingeräumte Ermessen dahingehend auf Null reduziert, dass die beantragte Akteneinsicht zu versagen ist (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 21. März 2016, BeckRS 2016, 7544).

Anderenfalls könnte nämlich später nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass mit der Zeugenaussage in der Hauptverhandlung – bewusst oder unbewusst – nicht etwas tatsächlich Erlebtes wiedergegeben wird, sondern lediglich der Akteninhalt reproduziert wird. Auch besteht die Gefahr, dass hierdurch bei den Verfahrensbeteiligten der falsche Eindruck einer Aussagekonstanz entsteht.

Der Umstand, dass der Angeschuldigte keine eigenen Angaben zum Tatvorwurf macht, sondern sich durch Schweigen verteidigt, steht der Annahme einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation nicht entgegen (vgl. BGH v. 06.12.2012, NStZ 2013, 180).

Dass die Nebenklägervertreterin versichert hat, der Mandantin die Ermittlungsakte nicht zugänglich zu machen, erlaubt keine andere Entscheidung. Denn zum einen ist die Einhaltung einer solchen Versicherung nicht mit der erforderlichen Sicherheit kontrollierbar (vgl. dazu und zum folgenden OLG Hamburg, Beschl. v. 24. Oktober 2014, NStZ 2015, 105). Und zum anderen ist eine solche Versicherung auch nicht durchsetzbar (vgl. dazu OLG Braunschweig, Beschl. v. 3. Dezember 2015, NStZ 2016, 629).

Der vielfach vertretenen Auffassung, dass die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger den Angeklagten nicht beschwere, sondern im Gegenteil für diesen günstig sei, weil einer in der Hauptverhandlung gegebenen Aussagekonstanz infolgedessen nur eine erhebliche reduzierte Beweiskraft beigemessen werden könne (vgl. dazu OLG Schleswig, Beschluss vom 17. April 2018, Az. 1 Ws 195/18 (123/18), zitiert nach juris; OLG Braunschweig a.a.O.), kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil es mit dem im Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich angelegten Grundsatz der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege unvereinbar ist, wenn das Gericht durch die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger schon vorab dafür sorgt, dass das Verfahren faktisch nur noch mit einem Freispruch enden kann (vgl. dazu OLG Hamburg, Beschl. V. 21. März 2016, a.a.O.). Im Übrigen ist aber auch durchaus zweifelhaft, dass die Gewährung von Akteneinsicht für den Nebenkläger quasi naturgesetzlich einen Freispruch zur Folge hat. Vielmehr besteht durchaus auch die Gefahr, dass das Gericht es unterlässt, sich näher mit einer möglichen Verursachung der Aussagekonstanz allein durch vorherige Akteneinsicht auseinanderzusetzen, und auf dieser Grundlage zu Unrecht zu einem Schuldspruch gelangt (vgl. dazu und zum folgende OLG Hamburg, Beschl. v. 23. Oktober 2018, BeckRS 2018, 28084). Diese Gefahr ist umso größer einzuschätzen, als es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich nicht geboten ist, im späteren Urteil eine etwaige Kenntnis des Nebenklägers vom Inhalt der Verfahrensakten im Zusammenhang mit der Aussageanalyse zu erörtern, sondern nur dann, wenn Hinweise auf eine konkrete Falschaussagemotivation des Nebenklägers oder Besonderheiten in seiner Aussage dazu Anlass geben (vgl. BGH, Beschl. v. 5. April 2016, NStZ 2016, 367). Der Angeklagte kann also infolge einer Akteneinsichtsgewährung sogar einem erhöhten Risiko unterliegen, zu Unrecht verurteilt zu werden.

Die Kammer verkennt nicht, dass das Informationsrecht der Nebenklägerin sowie deren Recht auf Fürsorge, Gleichbehandlung und Menschenwürde durch die Versagung der Akteneinsicht nicht unerheblich eingeschränkt werden, doch ist dies von ihr im vorliegenden Einzelfall zur Sicherstellung der Wahrheitsfindung hinzunehmen, an der auch sie ein alles überragendes Interesse haben muss.“

OWi I: Kleiner Paukenschlag im Bußgeldverfahren, oder: BVerfG „watscht“ OLG Bamberg: So geht es nicht

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Heute dann drei OWi-Entscheidungen.

Und zum Wachwerden gibt es einen kleinen Paukenschlag aus Karlsruhe, und zwar: Ich erinnere an den OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18. Das ist/war die denkwürdige Entscheidung des OLG Bamberg, in dem dieses dem VerfG Saarland im Hinblick auf den VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) mal so richtig erklärt, wie es geht bzw. wie es nicht geht (vgl. dazu Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt). Wem es Spaß macht, der kann das ja alles noch einmal nachlesen, obwohl sich ja manches mit der Entscheidung des BVerfG in 2 BvR 1616/18 erledigt hat.

Aber: Nun hat sich eben noch einmal das BVerfG zu dem OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – gemeldet und erklärt dem OLG Bamberg, was eben nicht geht. Nämlich die Rechtsprechung  des OLG Bamberg – fortgeführt vom BayObLG – betreffend den Zugang des Betreoffenen zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Das sieht man in Bayern ja sehr restriktiv. Anders das BVerfG im BVerfG, Beschl. v.. 28.04. 2021 – 2 BvR 1451/18:

„1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Schweinfurt und den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 13. Juni 2018 richtet, und gibt ihr insoweit statt, da dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen insoweit vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

Das Urteil des Amtsgerichts und die Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Rechtsbeschwerde verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Fachgerichte haben verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen kann. Die generelle Versagung des Begehrens des Beschwerdeführers auf Informationszugang, welches dieser wiederholt im behördlichen und gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat, wird deshalb der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Gewährleistung nicht gerecht. Entgegen der Annahme der Fachgerichte handelt es sich hierbei auch nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 47 ff.). Auf dieser Fehlannahme beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg. Es ist auch nicht auszuschließen, dass bereits die Verurteilung des Beschwerdeführers auf dem Verstoß des Amtsgerichts Schweinfurt gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens beruht.

Da die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers schon aus den genannten Gründen Erfolg hat, kann offenbleiben, ob die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts Schweinfurt vom 23. Januar 2018 und des Oberlandesgerichts Bamberg vom 13. Juni 2018 den Beschwerdeführer auch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG oder in anderen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzen.“

Wird man in Bayern nicht gerne lesen, da man dort ja meint, alles (besser) zu wissen. Schön auch der Hinweis des BVerfG auf 2 BvR 1616/18. Damit macht das BVerfG m.E. deutlich, was es von der Rechtsprechung einiger OLG hält, die schon wieder dabei sind, die Entscheidung vom 12.11.2020 zu relativieren.