AE I: AE im Bußgeldverfahren, oder: skandalös, wenn die Behörden die eindeutige Rechtslage ignorieren

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Heute dann mal ein Tag mit Akteneinsichtsentscheidungen.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem AG Bergisch-Gladbach, Beschl. v. 09.09.2021 – 48 OWi 410/21 [b] zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Den Beschluss muss man in die Kategorie: Wenn dem AG der Draht aus der (sprichwörtlichen) Mütze springt, einordnen. Oder in: Deutliche Worte.

Es geht um die Gewährung vollständiger Akteneinsicht in Form der Übermittlung der gesamten Messreihe zu einer Geschwindigkeitsmessung in einem Bußgeldverfahren. Der Verfahrensgang eribt sich aus dem Beschluss, der einen bemerkenswerten letzten Absatz hat:

„Die Verwaltungsbehörde hat am 19.05.2021 gegen 09:16 Uhr eine Verkehrsordnungswidrigkeit (Geschwindigkeitsübertretung) festgestellt, welche vom Führer des Kraftrades mit dem amtlichen Kennzeichen pp. begangen wurde.

Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit hat die Verwaltungsbehörde den Betroffenen als Halter des Fahrzeuges am 29.06.2021 angehört.

Hierauf hat sich der Verteidiger des Betroffenen mit Schriftsatz vom 24.06.2021 bestellt und beantragt, die Ermittlungsakte einzusehen. Insbesondere hat er beantragt, einem vom Mandanten selbst ausgewählten Sachverständigen Einblick in die unverschlüsselten Messdaten aller Messungen des Tattages zu gewähren. Die Behörde hat daraufhin dem Verteidiger die gesamte Bußgeldakte in Kopie kommentarlos überlassen. Hieraus ist zu entnehmen, dass die Kreispolizeibehörde des Rheinisch Bergischen Kreises der Bußgeldstelle des Rheinisch Bergischen Kreises mitgeteilt hat, dass die Herausgabe von Rohmessdaten der gesamten Messreihe nur auf gerichtliche Anforderung erfolgen werde.

Der Betroffene hat dies als Verweigerung gewertet, ihm die Daten der gesamten Messreihe zu übermitteln und daher diesbezüglich am 09.07.2021 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt.

Die Bußgeldbehörde hat – wie mittlerweile üblich – diesen Antrag ohne weiteren Kommentar an das Gericht weitergeleitet. Eine Begründung der Verweigerung erfolgte nicht.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.

In der Sache hat er auch Erfolg.

Es ist mittlerweile einhellige und bis zum Bundesverfassungsgericht anerkannte obergerichtliche Rechtsprechung, dass auch und gerade im standardisierten Messverfahren der Betroffene nicht nur Anspruch darauf hat, dass ihm im Rahmen der Akteneinsicht die digitalen Daten bezüglich der ihn betreffenden Messung überlassen werden, sondern die digitalen Daten bezüglich der gesamten vollständigen Messserie.

Die diesbezügliche Rechtsauffassung des Gerichtes ist der Verwaltungsbehörde hinreichend bekannt. Das Gericht erspart sich daher eine weitergehende Begründung. Die Behörde und die Kreispolizeibehörde mögen die nachvollziehbare Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 12.11.2020 (Az. 2 BvR 1616/18) entnehmen.

Aus vorstehenden Gründen trägt die Verwaltungsbehörde selbstverständlich auch die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen.

Für das Gericht ist es schlichtweg skandalös, dass sowohl der Rheinisch Bergische Kreis als auch die Kreispolizeibehörde in schlichter lgnorierung der mittlerweile eindeutigen Rechtslage in nahezu jedem streitigen Bußgeldverfahren bezüglich einer Geschwindigkeitsübertretung Kosten zulasten des Steuerzahlers produzieren, die regelmäßig deutlich über den „Einnahmen“ aus der Geldbuße stehen.“

5 Gedanken zu „AE I: AE im Bußgeldverfahren, oder: skandalös, wenn die Behörden die eindeutige Rechtslage ignorieren

  1. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Das gibt einen dicken Daumen hoch für den Kollegen. So muss man´s machen 🙂

    Ob die andere Seite was draus lernt, bleibt abzuwarten.

  2. meine5cent

    Nur mal zum Verständnis an den Bloghausherrn, bei aller Freude über die Entscheidung:
    Hier ging es doch um die Messreihe, also die Daten aller Messungen, auch von Fahrzeugen Dritter.

    Die verlinkte und vom AG zitierte BVerfG-Entscheidung nennt mE die Messreihe gar nicht (siehe Rn. 4: „Rohmessdaten der gegenständlichen Messung“ , ggf. Messfilm). Also ist das mE doch gar nichts mit Bindungswirkung.

    Und glasklare Rechtslage aufgrund obergerichtlicher Entscheidungen gibt es doch wohl doch auch nicht, nachdem Zweibrücken gerade erst vor ein paar Monaten die Frage „Messreihe“ dem BGH vorgelegt hat?

  3. Detlef+Burhoff

    @meine5cent

    Können Sie auch mal ohne Nörgeln. Das Richtern (?) Die Entscheidung ggf. Nicht gefällt…

  4. meine5cent

    Sorry, wieso nörgeln? Das war eine einfache Frage: worauf kann Ihrer Ansicht nach das AG seine Auffassung, Messreihen seien Gegenstand der BVerfG-Entscheidung stützen (und uU auf die Bindungswirkung des 31 BVerfG) bzw. woraus soll sich obergerichtlich völlig klar ergeben, dass Messreihen herauszugeben seien, wenn es gerade erst eine frische Vorlage an den BGH gibt (die Sie ja auch hier vorgestellt haben).
    Man kann sich ja über die Entscheidung freuen, aber ob sie rechtlich zutreffend begründet ist, kann man unter Juristen ja evtl. auch mal diskutieren.

  5. Detlef Burhoff

    Die BVerfG-Entscheidung ist m.E. mehr als deutlich, was herauszugeben ist. Alles.

    Dass die OLG das dann zum Teil mal wieder anders sehen, allen voran die Bayern, überrascht nicht.

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