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Echternacher Springprozession beim LG Braunschweig – zwei vor – eins zurück

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Der im Gebührenrecht ergangene LG Braunschweig, Beschl. v.08.03.2012 5 Qs 39/12 erinnert mich ein wenig an die Echternacher Springprozession – vor und zurück. Denn

Der Leitsatz 1:„Für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG genügt es, wenn ein vermögensrechtlicher Anspruch in Strafverfahren miterledigt wird. Das Entstehen der Gebühren nach Nr. 4143 VVRVG ist nicht von einem förmlichen Antrag nach § 406 Abs. 1 StPO abhängig“ ist richtig.

Der Leitsatz 2: „Die Tätigkeit des Pflichtverteidigers, die zu einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 StPO gegen Erfüllung einer Auflage zur Schadenswiedergutmachung führt, führt zwar zur Gebühr Nr. 4143 VV RVG, darauf erstreckt sich der Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers jedoch nicht.“ m.E. nicht. M.E. gilt insoweit der Satz: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Gebühr Nr. 4143 VV RVG in einem Fall, wie er der Entscheidung zugrunde liegt, entsteht, dann muss man m.E. diese Gebühr auch „als gesetzliche Gebühr“ entstehen lassen. Wenn der Pflichtverteidiger in Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens tätig wird und dafür – wovon ja auch das LG ausgeht – Gebühren entstehen, dann entstehen sie auch als gesetzliche Gebühren. Hier bekommt dann die Diskussion um die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbeiordnung auf das Adhäsionsverfahren Bedeutung, der das LG offensichtlich ausweichen wollte. Sie wäre zwar nicht direkt, aber sicherlich indirekt zu führen gewesen.

Das Adhäsionsurteil

Adhäsionsverfahren nehmen in der Praxis an Bedeutung zu. Das zeigt sich m.E. an der zunehmenden Zahl von Entscheidungen auch des BGH, die es zum Adhäsionsverfahren gibt. Deshalb der Hinweis auf den BGH, Beschl. v.23.02.2012 – 4 StR 602/11 – der sich noch einmal mit den Anforderungen an das Adhäsionsurteil bzw. an adhäsionsrechtlichen Teil eines Urteils befasst.

Das LG hatte den Angeklagtenauf der Grundlage von § 823 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung von ihm bereits gezahlter 1.000 €verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von (noch) 5.000 € zu zahlen. Zur Begründung hatte es ausgeführt, der Angeklagte habe Leben und Gesundheit der Nebenklägerin ganz erheblich verletzt; beim Würgen habe sie Todesangst verspürt. Eine billige Entschädigung in Höhe von 6.000 Euro sei daher angemessen.

Dazu der BGH (noch einmal):

Diese Begründung trägt den Adhäsionsausspruch schon deshalb nicht, weil die Strafkammer, wie es regelmäßig erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344), die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin nicht erörtert hat. Ob sich im Einzelfall eine ausreichende Begründung aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben kann (so BGH, Urteil vom 27. September 1995 – 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4) oder ausdrückliche Feststellungen für eine gerechte Festsetzung des Schmerzensgeldes immer unabdingbar sind (so Senatsbeschluss vom 14. Mai 1996 – 4 StR 174/96, StV 1997, 302), kann hier offen bleiben. Aus dem angefochtenen Urteil ergeben sich weder die Höhe der Einkünfte des freiberuflich tätigen Angeklagten und seine sonstigen Vermögensumstände noch Näheres über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Nebenklägerin. Angesichts der Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldes hätte es hierzu entsprechender Feststellungen bedurft. Ohne sie lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Verpflichtung zur Zahlung des zuerkannten Betrages für den Angeklagten eine unbillige Härte bedeutet.“

PKH abgelehnt – kein Rechtsmittel.

Ja, richtig gelesen, PKH. Und das im Strafverfahren? Ja, auch das ist richtig, wenn es nämlich u.a. um den Nebenkläger und seinen Adhäsionsantrag geht. Wird dafür keine PKH bewilligt, gibt es dagegen kein Rechtsmittel, sagt das OLG Brandenburg, Beschl. v.  20.10.2010 – 1 Ws 167/10. Begründet wird das wie folgt:

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe im Adhäsionsverfahren richtet sich gemäß § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO nach den entsprechenden Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§§ 114 ff. ZPO). Hiervon nicht erfasst sind jedoch die Bestimmungen des § 127Abs. 2, 3 ZPO über Rechtsmittel. Denn insoweit enthält § 404 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO für das Strafverfahren eine abschließende Sonderregelung, nach welcher die in Prozesskostenhilfesachen ergehenden Entscheidungen nicht anfechtbar sind (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2007, 254 m.w.N., OLG Düsseldorf JurBüro 1990, 908, KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 4 Ws 146/07 -). Diese Regelung gilt sowohl hinsichtlich einer Rechtsmittelbefugnis der Staatskasse (OLG Düsseldorf a.a.O.) wie auch hinsichtlich des vorliegenden Rechtsmittels der Antragstellerin. Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 404 Abs. 5 Satz 3 Halbsatz 2 StPO und § 406a Abs. 1 StPO wird nämlich die gesetzgeberische Grundentscheidung deutlich, die Rechtsmittelbefugnisse in Adhäsionssachen zu begrenzen, um das Strafverfahren nicht durch Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfe zu belasten und zu verzögern. Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe unterliegt mithin keiner Anfechtung. (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. unter Hinweis auf BT-Drucks. 10/5305, S. 16).“

Das gilt dann konsequenterweise auch für den Angeklagten, wenn man davon ausgeht, dass die Bestellung seines Pflichtverteidigers sich nicht automatisch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt, sondern der Pflichtverteidiger insoweit im Wege der PKH bestellt werden muss.

Unentschieden

So steht es für den Verteidiger gebührenrechtlich nach dem LG Osnabrück, Beschl. v 25.02.2011 – 6 Ks / 830 Js 55726/08 – 5/09, der zwei Fragen behandelt:

  1. Die in Rspr. und Lit. höchst umstrittene Frage, ob sich die Pflichtverteidigerbestellung auch automatisch auf das Adhäsionverfahren erstreckt und der Verteidiger ohne Erweiterung bzw. besondere Bestellung auch die Gebühr Nr. 4143 VV RVG geltend machen kann. Insoweit hat der Verteidiger „verloren“, da sich das LG der wohl überwiegenden Auffassung angeschlossen hat, die eine besondere Bestellung verlangt.
  2. Die Frage der Berechnung der für den sog. Längenzuschlag maßgeblichen Hauptverhandlungsdauer (z.B. Nr. 4110 VV RVG). Da ging es darum, ob eine längere Unterbrechung der Hauptverhandlung, die durch das Einlassungsverhalten des Angeklagten entstanden war, dem Verteidiger zugute kam. Das hat das LG bejaht, da es sich insoweit um eine unvorhergesehene Unterbrechung gehandelt habe. Da hat der Verteidiger „gewonnen“.

Also: Unentschieden.

Auch du mein Sohn Brutus – KG ändert Rechtsprechung

Auch du also, habe ich gedacht, als der Kollege mir die Entscheidung des KG v. 24.06.2010 – 1 Ws 22/10 übersandte.

Das KG hat nämlich- ohne Vorwarnung – seine Rechtsprechung zur Frage des Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung geändert. Bisher war es der Auffassung, dass diese auch das Adhäsionsverfahren umfasst. Nun hat es sich der abweichenden Auffassung der OLG angeschlossen.

Für den Pflichtverteidiger hatte das zur Folge, dass ihm für die Revisionsinstanz die Gebühr Nr. 4143, 4144 VV RVG entgangen ist. Ein wenig ist er aber auch selbst schuld an dem Verlust. Denn er hatte es an sich richtig gemacht und beim LG die Erweiterung seiner Bestellung beantragt (= beantragt, nach PKH-Grundsätzen beigeordnet zu werden). Das hatte das LG auch gemacht. Der Pflichtverteidiger hatte nur übersehen, dass diese Beiordnung nur für den jeweiligen Rechtszug gilt und er beim BGH den Antrag hätte wiederholen müssen.