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Entbindung III: Der unwirksame Entbindungsantrag, oder: Keine Abwesenheitsverhandlung

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Die dritte und letzte „Entbindungsentscheidung“ – für heute 🙂 – kommt dann vom OLG Naumburg. Geschickt hat mir den OLG Naumburg, Beschl. v. 06.02.2019 – 1 Ws 25/19 – der Kollege Schneider aus Leipzig.

Der Beschluss hat eine ganz interessante Konstellation zur Grundlage. Nämlich ein widersprüchliches Verhalten des Gerichts, dass es in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandelt hat, nachdem es zuvor zu erkennen gegeben hat, dass ein wirksamer Entbindungsantrag nicht vorliegt. Das geht so nicht, sagt das OLG unter Bezug auf die Stellungnahme der GStA:

„…. 2. Die fristgerecht begründete und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 8 StPO einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Der Betroffene hat in seiner Rechtsbeschwerdebegründung vom 14. November 2018 zu Recht eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung wegen Verstoßes des Gerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gerügt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 Rn. 59). Das Gericht hat dem Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 22. August 2018 ausdrücklich mitgeteilt, es liege ein wirksamer Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung am 28. August 2018 nicht vor, weshalb der Entbindungsantrag ,,nach hiesiger Auffassung derzeit zurückzuweisen“ sei. Es mag sein, dass die Rechtsauffassung des Gerichts falsch ist und das Gericht seinen Irrtum beim genauen Lesen der Vollmachtsurkunde vom 5. März 2018 nachträglich erkannt hat. Dies ändert aber nichts daran, dass das Gericht mit jenem Schreiben vom 22. August 2018 einen Rechtsschein geschaffen hat und der Betroffene darauf vertrauen durfte, das Gericht werde nach § 74 Abs. 2 OWiG verfahren, wenn er, der Betroffene, der Hauptverhandlung fernbleibe. Eine Entbindung des Betroffenen setzt nämlich gemäß § 73 Abs. 2 OWiG einen Antrag“ voraus, der nach Auffassung des Gerichts gerade nicht vorliegen sollte. Da das Amtsgericht entgegen seinem Schreiben vom 22. August 2018 gehandelt hat und zwischen dem Verfahrensfehler und dem Urteil, das nach Verhandlung zur Sache verkündet worden ist, eine konkret-kausale Beziehung besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 Rn. 59 m. w. N.), beruht das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes. Es kann keinen Bestand haben, auch weil es dem Betroffenen prozessuale Rechte entzieht.

Das Urteil vom 28. August 2018 ist deshalb mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Es besteht kein Anlass, die Sache einer anderen als der bislang zuständigen Abteilung des Amtsgerichts Halle (Saale) zu übertragen.“

Dem tritt der Senat bei.“

Geht wirklich nicht 🙂 .

Entbindung II: Erst am Terminstag eingegangen? oder: Nichtbescheidung = Gehörsverstoß

Bei der zweiten „Entbindungsentscheidung“, die ich vorstelle, handelt es sich um den BayObLG, beschl. v. 15.04.2019 – 202 ObOWi 400/19. Problematik: Die Nichtbescheidung eines erst am Terminstag übermittelten Entbindungsantrags.

M.E. reicht es , wenn ich von diesem Beschluss die (amtlichen) Leitsätze einstelle. Auch die vom BayObLG entschiedenen Fragen sind nämlich im Grunde „Schnee von gestern“ = in der Rechtsprechung schon häufiger entschieden. Allerdings, das räume ich ein: Die Frage, wann denn nun der Entbindungsantrag bei Gericht sein muss, damit dieses noch verpflichtet ist, ihn zu bescheiden, wird nicht ganz einheitlich gesehen. Und aufpassen muss man bei diesen kurzfristigen Anträgen auch immer, dass daraus nicht eine „Gehörsrügenfalle“ wird.

Hier dann die Leitsätze:

  1. Vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es die Aufklärungs- und Fürsorgepflicht, dass sich das Gericht bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine Entschuldigungsnachricht des Betroffenen vorliegt (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 23.05.2017 – 3 Ss OWi 654/17).
  2. Auch dann, wenn der Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG erst am Sitzungstag kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht (hier: 20 Minuten), darf der Einspruch jedenfalls dann nicht ohne vorherige Entscheidung über die Entbindung verworfen werden, wenn der Antrag mit ‚offenem Visier‘, d.h. nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt“ oder „verklausuliert“ eingereicht und bei seiner Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des Amtsgerichts und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle übersandt worden ist. Darauf, ob der Entbindungsantrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist, kommt es nicht an (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 23.05.2017 – 3 Ss OWi 654/17).

Den zitierten OLG Bamberg, Beschluss hatte ich hier (natürlich) auch: Bescheidung eines erst am Terminstag eingereichten Entbindungsantrags, oder: Gehörsverstoß.

StPO II: Richtiger Beweisantrag, oder: Ablehnung wegen Bedeutungslosigkeit

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Die zweite „StPO-Entscheidung“, der OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2018 – 4 RVs 143/18, hat mir der Kollege Ramloh aus Duisburg übersandt. Er behandelt u.a. die Ablehnung eines Beweisantrages wegen „Bedeutungslosigkeit“. Das LG hatte einen Beweiantrag des Verteidigers abgelehnt. Das ist in der Revision erfolgreicht gerügt worden:

„1. Die Revision hat mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.

a) Mit Beschluss vom 17. Januar 2018 (vgl. Anlage III zum Tagesprotokoll vom 17. Januar 2018) hat die Strafkammer den im Hauptverhandlungstermin vom selben Tage und als Anlage II zum Tagesprotokoll genommenen Beweisantrag der Angeklagten verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 S. 2 StPO abgelehnt.

aa) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Die Angeklagte hat beantragt, Herrn F. zu laden und zum Beweis folgender Tatsachen zu vernehmen:

[1]. Bei Frau M. handelt es sich um eine Prostituierte, die regelmäßig Kunden in ihrer Wohnung empfängt und dieser Tätigkeit mindestens seit 2009 nachgeht,

[2] Im Rahmen dieser Tätigkeit gehörte Herr pp.. nach den Mitteilungen der Frau M. Herrn J. gegenüber zu ihren Kunden.

[3] Im Rahmen dieser Tätigkeit erhielt Frau C. 2009 oder 2010 ihrer Mitteilung an Herrn J. nach als „Gegenleistung“ für die regelmäßige Hingabe an Herrn R. verbunden mit einem vorherigen –  nicht sexuell geprägten Zusammensein – die Finanzierung eines Urlaubs in der dominikanischen Republik im Werte von ca. 3.000,00 Euro.“

Aus diesen Tatsachenbekundungen des Zeugen — so die Angeklagte in ihrem Antrag – sei zu folgern, dass der Zeuge R.  der Frau C. eine Zuwendung in Höhe von 3.000,00 Euro habe zukommen lassen. Dies rechtfertige den Schluss, dass die äußerst große Wahrscheinlichkeit bestehe, dass weitere Leistungen durch Herrn R. an Frau C. erfolgt seien. Dies wiederum belege, dass Herr pp. im Kernbereich seiner Angaben, bewusst unwahre Tatsachen bekundet habe. Er habe nämlich behauptet, mit Ausnahme zu Frau S.  Frau E., Frau K. und Frau A. keine weiteren Beziehungen zu Frauen gehabt zu haben. Den Angaben des Zeugen R.  könne insgesamt keinerlei Glauben mehr geschenkt werden.

In ihrem als Anlage III zum Tagesprotokoll vom 17. Januar 2018 genommenen Beschluss hat die Strafkammer die Frage, ob es sich bei dem o.g. Antrag um einen Beweisantrag oder einen Beweisermittlungsantrag handelt, dahinstehen lassen und ausgeführt, der Antrag sei jedenfalls gemäß § 244 Abs. 3 3. 2 Var. 2 StPO abzulehnen. Die unter Beweis gestellte Behauptung sei für die Entscheidung der Kammer ohne Bedeutung, da sie lediglich mögliche, aber keine zwingenden Schlüsse zulasse. Diese nur möglichen Schlüsse wolle die Kammer angesichts der bisherigen Beweisaufnahme nicht ziehen.

bb) Vorgenannte Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

(1) Zunächst handelt es sich bei dem o.g. Antrag um einen „echten“ Beweisantrag, dessen Ablehnung eines begründeten Gerichtsbeschlusses bedarf, vgl. § 244 Abs. 5 und 3 StPO, und nicht um einen bloßen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung allein an § 244 Abs. 2 StPO zu messen ist.

Ein Beweisantrag ist das ernsthafte, unbedingte oder an eine Bedingung geknüpfte Verlangen eines Prozessbeteiligten, über eine die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betreffende Behauptung durch bestimmte, nach der StPO zulässige Beweismittel Beweis zu erheben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage 2018, § 244 Rn. 18, m.w.N.).

Ein Beweisantrag muss bestimmte Beweistatsachen bezeichnen (vgl. BGH NStZ 1993, 550 – zitiert nach beckonline; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn. 20). Wird – wie hier – ein Zeuge als Beweismittel benannt, müssen diese Beweistatsachen dem Zeugenbeweis zugänglich sein (vgl. BGH, a.a.O.). Ein Zeuge kann grundsätzlich nur über seine eigene Wahrnehmung vernommen werden (vgl. BGH, a.a.O.; m.w.N.). Gegenstand des Zeugenbeweises können nur solche Umstände sein, die mit dem benannten Beweismittel unmittelbar bewiesen werden sollen. Soll aus den Wahrnehmungen des Zeugen auf ein bestimmtes weiteres Geschehen geschlossen werden, ist nicht dieses weitere Geschehen, sondern nur die Wahrnehmung des Zeugen tauglicher Gegenstand des Zeugenbeweises (vgl. BGH, a.a.O.).

Nach dem Vorbringen der Angeklagten in ihrem Beweisantrag kann der benannte Zeuge J. den letztlich behaupteten Sachverhalt – nämlich Kontakte des Zeugen R. zu Frau C. und Schenkung eines Betrages von 3.000,00 Euro für eine Urlaubsreise nicht aus unmittelbarer eigener Wahrnehmung, sondern lediglich als Zeuge vom Hörensagen bekunden. Dies bedingt, dass Gegenstand des Zeugenbeweises hier nur die Wahrnehmungen des Zeugen aus seinen Unterredungen mit Frau C. sein können.

Gemessen hieran sind die Beweisbehauptungen hinreichend bestimmt. Denn jedenfalls aus den Formulierungen „nach den Mitteilungen der Prostituierten Frau C. gegenüber“ und „ihrer Mitteilung an Herrn J. nach“ sowie dem Gesamtzusammenhang ergibt sich, dass Gegenstand des Zeugenbeweises die Wahrnehmungen des Zeugen F. aus Gesprächen mit Frau C        . sein sollen, und nicht etwaige Schlussfolgerungen seinerseits hieraus.

(2) Indes eröffnet die seitens der Strafkammer vorgenommene Begründung der Ablehnungsentscheidung dem Senat nicht die Möglichkeit, deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Wird ein Beweisantrag – wie vorliegend – wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt, muss der Beschluss die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst (vgl. BGH Beschluss vom 27. März 2012, Az. 3 StR 47/17 — zitiert nach juris; BGH Beschluss . vom 29. Dezember 2014, Az. 2 StR 211/14 — zitiert nach juris; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung/Krehl, 7. Auflage, § 244 Rn. 144 — zitiert nach beckonline; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 244 Rn. 56). Verfolgt der Beweisantrag seiner Stoßrichtung nach das Ziel, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen zu erschüttern, bedarf die Ablehnungsentscheidung der Begründung, warum die zu beweisende (Indiz-) Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe (vgl. BGH Beschlüsse vom 27. März 2012 und 29. Dezember 2014, a.a.O.). Hierbei entsprechen die Anforderungen an die Begründung grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf die Entscheidungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (vgl. BGH Beschlüsse vom 27. März 2012 und 29. Dezember 2014, a.a.O.). Dies nötigt zu einer Einführung der behaupteten Beweistatsache in das bis dahin gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH Beschluss vom 29. Dezember 2014, a.a.O.).

Diesem Begründungserfordernis genügt der Beschluss des Landgerichts vom 17. Januar 2018 nicht. Er erschöpft sich in der pauschalen Erwägung, dass die Kammer die nur möglichen Schlüsse nicht ziehen wolle, ohne dies mit konkreten Erwägungen zu belegen oder das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme darzustellen. Insoweit weist die Angeklagte in ihrer Gegenerklärung zutreffend darauf hin, dass es der Strafkammer oblegen hätte, eine den vorgenannten Anforderungen genügende Begründung ihres Beschlusses vorzunehmen und dass eine solche nicht durch die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ersetzt oder nachgeholt werden kann.

Auf diesem Verfahrensfehler beruht der Schuldspruch, vgl. § 337 Abs. 1 StPO. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil insoweit bei gesetzeskonformer Behandlung des Beweisantrages anders ausgefallen wäre. Denn es ist insbesondere nicht auszuschließen, dass die Strafkammer die Glaubwürdigkeit des Zeugen R. und die Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen abweichend beurteilt hätte.

Beanstandet hat das OLG zudem, dass die Strafkammer den Beweisantrag der Angeklagten verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen § 245 Abs. 2 S. 3 StPO abgelehnt hat. Insoweit: Selbststudium 🙂 .

Ablehnung I: „Geheimabsprache“ über „Aufklärungshilfe“, oder: Keine (geheime) Verständigung zu Lasten Dritter

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Heute dann mal ein „Ablehnungstag“, also drei Entscheidungen zur Besorgnis der Befangenheit und/oder zum Ablehnungsverfahren (§§ 24 ff. StPO u.a.).

Ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 10.01.2019 – 5 StR 648/18, den ich auch auch ebenso gut in der Rubrik „Anfängerfehler“ hätte bringen können. Ergangen ist die Entscheidung in einem Verfahren mit sieben Angeklagten, denen vorgeworfen worden ist, in unterschiedlicher Tatbeteiligung mehrfach als Mitglied einer Bande mit Heroin und Kokain Handel getrieben zu haben, wobei ein Angeklagter N. als „Bandenchef“ fungiert haben soll. An den ersten beiden Hauptverhandlungstagen räumten alle Angeklag­ten den Handel im Wesentlichen ein, habe aber in bestritten, Mitglieder einer Bande gewesen zu sein.

Nach dem dritten Verhandlungstag fanden sich die beiden Verteidiger des N. auf Aufforderung des Vorsitzenden in dessen Dienstzimmer ein. Nach seiner Einschätzung war den Gesprächs­teilnehmern bewusst, dass lediglich die Einlassung des Angeklagten N. erörtert werden solle. Der Vorsitzende bemerkte, dass die Einlassung zwar be­reits sehr umfangreich sei, in ihrer bisherigen Form jedoch kein Geständnis im Sinne der Anklage darstelle. Eine erhebliche Strafmilderung komme nur in Betracht, wenn ein umfassendes Geständnis bereits am Anfang des Verfah­rens vorläge. Bei Bestätigung der Anklage in vollem Umfang nach durchgeführ­ter Beweisaufnahme stehe eine Gesamtfreiheitsstrafe „von sieben Jahren plus minus x“ im Raum. Ob und ggf. in welchem Umfang eine durch den Angeklagten N. ge­leistete Aufklärungshilfe in Bezug auf einen anderweitig Verfolgten zu einer wei­teren Strafmilderung führe, könne derzeit nicht beurteilt werden.

Auf den Hinweis eines Verteidigers, dass der Angeklagte N. aufgrund der familiären Verbundenheit nichts über seinen mitangeklagten Onkel Ha. sagen wolle, erwiderte der Vorsitzende, dass es jedem Angeklagten freistehe, selbst zu entscheiden, ob und in wel­chem Umfang er sich äußere. Der Vorsitzende bat die Gesprächsteilnehmer, über das Gespräch Still­schweigen zu wahren. Über den Gesprächsverlauf fertigte der Vorsitzende keinen Vermerk.

In dem folgenden Hauptverhandlungstermin lehnte der Verteidiger des Angeklagten Ha. den Vorsitzenden aufgrund der ihm bekanntgewordenen Unterredung wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dem Antrag haben sich andere Angeklagte angeschlossen. Der Vorsitzende teilte den Inhalt des Gesprächs nicht mit. Das Befangenheitsgesuch wurde vom LG als unbegründet zurückgewiesen. Begründung:

Es begegne keinen rechtlichen Bedenken, dass die abgelehnten Richter mit den Verteidigern des Angeklagten N.    ein Gespräch außerhalb der Hauptverhandlung geführt hätten, in dem es auch darum gegangen sei, den Verteidigern die vorläufige Einschätzung der abgelehnten Richter über die rechtlichen Folgen darzulegen, mit denen der Angeklagte N.   im Fall eines unveränderten Einlassungsverhaltens einerseits und im Falle eines umfassenden Geständnisses im Sinne der Anklage einschließlich der Schilderung der Tatbeiträge der übrigen Angeklagten andererseits unter Umständen zu rechnen habe. Bei den genannten Straferwartungen handele es sich trotz der durchaus erheblichen Differenz um vertretbare Rechtsfolgen. Dass eine Verständigung nach § 257c StPO wegen der Einordnung als minder schwere Fälle vielleicht nicht hätte geschlossen werden dürfen, stelle für sich genommen keinen Befangenheitsgrund dar. Gleiches gelte für die Bitte um Vertraulichkeit. Die dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter seien diesbezüglich schlüssig und erklärten nachvollziehbar, warum um Vertraulichkeit gebeten worden und dass beabsichtigt gewesen sei, die übrigen Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit im Rahmen des Fortsetzungstermins am 27. November 2017 entsprechend zu informieren.“

Dagegen die Revision, die erfolgreich war. Der BGH sieht es – zutreffend – anders als die Kammer und meint: Geheimabsprachen hinter verschlossenen Türen gibt es nicht:

„2. Die zulässig erhobenen Rügen der Verwerfung der Gesuche zur Ablehnung des Vorsitzenden und des Berichterstatters führen zur Aufhebung des Urteils.

Nach § 24 Abs. 2 StPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Das ist der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. November 1967 – 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 341 mwN; vom 23. Januar 1991 – 3 StR 365/90, BGHSt 37, 298, 302). Danach haben die Beschwerdeführer den Vorsitzenden und den Berichterstatter mit Recht abgelehnt.

a) Der Bundesgerichtshof hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen mit einzelnen Angeklagten unter Ausschluss von Mitangeklagten besondere Zurückhaltung geübt werden muss, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 103 ff.; vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 229; vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, StV 2011, 72, 73). Dies galt hier in besonderem Maße. Sämtliche Angeklagten, darunter die Beschwerdeführer, hatten die tatsächlichen Voraussetzungen einer Bande im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30a Abs. 1 BtMG bestritten. Es lag auf der Hand, dass sich das vom Vorsitzenden angesprochene „Geständnis im Sinne der Anklage“ durch den Angeklagten N. , das aus Sicht der abgelehnten Richter für ihn eine bis um drei Jahre geminderte Gesamtfreiheitsstrafe zu rechtfertigen vermochte, zum Nachteil der Beschwerdeführer auswirken konnte. Schon aufgrund dieser Verfahrenslage drängte sich auf, dass bei den am Gespräch nicht beteiligten Beschwerdeführern berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen konnten; denn aus ihrer Sicht stand zu befürchten, dass auf Betreiben der abgelehnten Richter ihre Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne ihre Kenntnis gleichsam mitverhandelt würde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, aaO, S. 104; vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, aaO).

b) Dem Vorsitzenden hätte es deshalb oblegen, eine umfassende und unverzügliche Information aller Verfahrensbeteiligter über die Durchführung und den Inhalt des Gesprächs zu gewährleisten, um von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit sowie der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorzubeugen und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Rechnung zu tragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, aaO; vom 5. Oktober 2010 – 3 StR 287/10, aaO). Der insoweit „unverzüglich“ herzustellenden Transparenz stand jedoch vorliegend bereits entgegen, dass der nächste Hauptverhandlungstag, an dem nach den dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter die Information hätte stattfinden sollen, wegen des Erholungsurlaubs des Vorsitzenden erst nach knapp drei Wochen stattfinden würde. Den damit naheliegenden Weg einer im Termin vom 8. November 2017 vorab erteilten Information, dass geplant sei, mit dem Angeklagten N. und danach mit den Mitangeklagten Gespräche „zur Erörterung ihrer Einlassung“ zu führen, hat der Vorsitzende nicht beschritten. Er hat die Verteidiger des Angeklagten N. im Gegenteil gebeten, das Gespräch vertraulich zu behandeln. Dies war – wie auch der weitere Verlauf erweist – geeignet, den Eindruck einer „Geheimabsprache“ nochmals zu verstärken.

c) Das danach berechtigte Misstrauen der Beschwerdeführer, bei dem unter Ausschluss ihrer Verteidiger geführten Gesprächs seien ihnen zum Nachteil gereichende Umstände erörtert worden, ist durch die abgelehnten Richter in der Folge auch nicht ausgeräumt worden (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 301/07, NStZ 2008, 229; vom 22. September 2008 – 1 StR 323/08, NStZ 2009, 159, 160; vom 4. März 2009 – 1 StR 27/09, NStZ 2009, 701).

aa) Die Gelegenheit, die gebotene umfassende Information im vorgenannten Sinne eingangs des Termins vom 27. November 2017 nachzuholen, hat der Vorsitzende nicht genutzt. Der Senat kann nicht nachvollziehen, aus welchem Grund diese Verfahrensweise angesichts des Befangenheitsantrages nicht mehr „opportun“ gewesen sein könnte.

bb) Im Ergebnis das Gleiche gilt für die (ersten) dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter. Denn diese verhielten sich nicht zu dem in den Ablehnungsgesuchen als zentral herausgestellten Vorwurf einer „Geheimabsprache“. Sie legten auch nicht offen, von wem die Initiative für das Gespräch ausgegangen war. Die Offenbarung auch dieser Umstände erfolgte erst auf eine ausdrückliche Aufforderung im Ablehnungsverfahren. Auch aus Sicht eines verständigen Angeklagten vermochte dieses zögerliche Verhalten die Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter damit nicht mehr zu entkräften.

d) Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob die Vorgehensweise der abgelehnten Richter unter dem Aspekt einer unzulässigen Verfahrensabsprache auch gegenüber den Beschwerdeführern einen eigenständigen Befangenheitsgrund ergeben würde (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 23. Januar 1991 – 3 StR 365/90, aaO, S. 302 ff.; BeckOK StPO/Cirener, Stand: 15. Oktober 2018, § 24 Rn. 24 ff.; LR/Siolek, 27. Aufl., § 24 Rn. 58 ff.), was deswegen nicht fernliegt, weil das durch den Vorsitzenden initiierte und unter Ausschluss anderer Verfahrensbeteiligter geführte Gespräch über eine bloße Erörterung des Verfahrensstandes hinausging (zur Abgrenzung BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535, 536 f.).“

Sollte man als Vorsitzender, wenn man sich in der Rechtsprechung des BGh ein wenig auskennt – oder besser: auskennen sollte, – eigfentlich auch selbst drauf kommen.

Ablehnung der Dolmetscherin, oder: Die Dolmetscherin als psychosoziale Prozessbegleiterin?

entnommen wikimedia.org
Author Affemitwaffe

Über das BGH, Urt. v. 04.07.2018 – 2 StR 485/17 habe ich ebenfalls bereits berichtet. Das ist das Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung, in dem u.a. mit der Verfahrensrüge ein Beweisverwertungsverbot gegen die Verwertung eines „belauschten“ Verteidigergesprächs geltend gemacht worden war (vgl. Verteidiger III: Das “belauschte” Verteidigergespräch, oder: Mund halten, aber immer und überall.).

Ich komme dann heute auf dieses Urteil des BGH noch einmal zurück. Geltend gemacht war nämlich auch noch eine Verletzung von § 191 GVG in Verbindung mit §§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 StPO dadurch, dass das Landgericht die Ablehnung der bei der Vernehmung der Nebenklägerin hinzugezogenen Dolmetscherin wegen Besorgnis der Befangenheit zu Unrecht zurückgewiesen habe. Auch die Rüge hatte keinen Erfolg:

Der Rüge lag Folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Im Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am 22. Mai 2017 erschien die Dolmetscherin F. und berief sich auf ihren allgemein geleisteten Dolmetschereid. Sie war sodann bei der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin anwesend und übertrug deren Äußerungen aus der polnischen Sprache ins Deutsche. Am nächsten Sitzungstag, dem 28. Juni 2017, lehnte der Beschwerdeführer die Dolmetscherin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Diese habe schon am vorangegangenen Verhandlungstag während der Vernehmung der Nebenklägerin dieser den Arm um die Schultern gelegt, um sie zu trösten; am 8. Juni 2017 habe sie ihr bei einer Fortsetzung der Vernehmung Taschentücher gereicht und gut zugeredet. Außerdem habe sie in Sitzungspausen vor dem Gerichtsgebäude mit der Nebenklägerin und deren anwaltlichen Beistand gesprochen. Schließlich sei die Dolmetscherin am 8. Juni 2017 nach Abschluss der Vernehmung der Nebenklägerin zwischen 16.32 Uhr und 16.34 Uhr beobachtet worden, wie sie auf einer Treppe neben der Nebenklägerin gesessen, den Arm um diese gelegt und tröstend auf sie eingeredet habe. Schließlich sei zu beanstanden, dass die Dolmetscherin ihre Übersetzung mit Wertungen versehen habe.“

Dazu der BGH:

„bb) Die Verfahrensrüge ist unbegründet.

(1) Nach § 191 GVG gelten für die Ablehnung eines Dolmetschers die Regeln über die Ablehnung eines Sachverständigen entsprechend. Gemäß § 74 Abs. 1 StPO sind auf den Sachverständigen wiederum die Vorschriften über die Richterablehnung entsprechend anzuwenden.

Anders als bei der Richterablehnung prüft das Revisionsgericht bei der Sachverständigen- und Dolmetscherablehnung nicht selbständig, ob die Voraussetzungen für die Ablehnung des Sachverständigen oder Dolmetschers wegen Besorgnis der Befangenheit im konkreten Fall vorliegen. Es hat vielmehr nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Das Revisionsgericht ist dabei an die vom Tatrichter festgestellten Tatsachen gebunden (vgl. zur Dolmetscherablehnung BGH, Beschluss vom 28. August 2007 – 1 StR 331/07, NStZ 2008, 50; zur Sachverständigenablehnung Senat, Beschluss vom 23. März 1994 – 2 StR 67/94, BGHR StPO § 74 Ablehnungsgrund 3; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2014 – 3 StR 302/14, BGHR StPO § 74 Abs. 1 Satz 1 Befangenheit 6).

(2) Danach ist kein Rechtsfehler der Entscheidung über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs festzustellen.

In der Verweisung des § 191 GVG auf § 74 StPO und von dort auf § 24 Abs. 1 StPO kommt der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, die inhaltlichen Grundsätze zur Richter- und Sachverständigenablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit auf Dolmetscher zu übertragen. Eine Dolmetscherablehnung ist danach begründet, wenn vom Standpunkt des Antragstellers aus objektive Gründe bestehen, die Zweifel an der Unparteilichkeit des als Gehilfe des Gerichts herangezogenen Sprachmittlers erregen. Bei der Anwendung dieser Maßstäbe ist allerdings die besondere Funktion und Stellung des abgelehnten Dolmetschers zu berücksichtigen. Einerseits ist dieser verpflichtet, so vollständig und wortgetreu zu übersetzen, dass das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten gewahrt bleibt; bei der Erfüllung dieser Aufgabe ist ihm kein Ermessen oder ein sonstiger Entscheidungsspielraum eingeräumt (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 185 Rn. 10). Andererseits kann seine Tätigkeit von den Verfahrensbeteiligten regelmäßig nur schwer kontrolliert werden mit der Folge, dass deren berechtigtes Vertrauen in die Integrität und Unparteilichkeit des Dolmetschers besonderen Schutzes bedarf.

Danach ist die Annahme des Landgerichts, ein Ablehnungsgrund liege nicht vor, rechtlich nicht zu beanstanden. Dafür ist es von Bedeutung, dass die Dolmetscherin in einer besonderen Kommunikationsbeziehung zu der Nebenklägerin stand, deren Äußerungen aus dem Polnischen zu übertragen waren. Die Nebenklägerin befand sich in einer angespannten psychischen Verfassung, sie hatte Weinkrämpfe und erlitt einen Nervenzusammenbruch. Bei dieser Sachlage ist das Landgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, es sei nur ein Anzeichen von Mitgefühl, wenn die Dolmetscherin der Nebenklägerin den Arm um die Schulter legte und ihr Trost zusprach. Auswirkungen auf die Richtigkeit der Übertragung, die zurzeit der zuletzt beschriebenen Szene bereits beendet war, hat das Landgericht ausgeschlossen, nachdem es die Bedeutung einzelner Begriffe hinterfragt hatte; auch dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.“

Na ja: Mir scheint, als habe die Dolmetscherin sich mehr als psychosoziale Prozessbegleiterin gesehen, so dass die Besorgnis (!) der Befangenheit aus Sicht des Angeklagten vielleicht doch nicht so fern liegt.