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Ablehnung I: Wenn die Schöffin mit der Kanzlei der Verteidigerin hat „gravierende negative Erfahrungen sammeln dürfen“, oder: Befangen?

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Heute ist zwar Feiertag. Ich mache hier aber mal „normales Programm“, da ich so viel Material habe. Hängt mit der ausgefallenen Kreuzfahrt zusammen. Für die Zeit hatte ich gehortet. Und ich mach dann heute einen „Befangenheitstag“, also Entscheidungen zu den §§ 24 ff. StPO.

Den Reigen eröffne ich mit dem BGH, Beschl. v. 02.04.2020 – 1 StR 90/20. Ergangen ist die Entscheidungen in einem Verfahren, das beim LG Deggendorf anhängig gewesen ist. Das LG hat den den Angeklagten u.a. wegen Brandstiftung verurteilt. Der Angeklagte hat Revision eingelegt. Und die hatte mit der Rüge, an der Hauptverhandlung habe eine befangene Schöffin teilgenommen, Erfolg:

„1. Die Rüge, mit welcher der Angeklagte die rechtsfehlerhafte Zurückweisung eines Ablehnungsantrags geltend macht (§ 338 Nr. 3, § 24 Abs. 2, § 28 Abs. 2 Satz 2, § 31 Abs. 1 StPO; vgl. auch § 336 Satz 1, 2 Alternative 2; § 26a Abs. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 2 Satz 1 StPO), dringt durch.

a) Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Mit Schreiben vom 10. September 2019 teilte die zum Hauptverhandlungstermin geladene Schöffin V. mit, sie habe mit der Kanzlei der Verteidigerin des Angeklagten im Scheidungsverfahren, in welchem die Sozietät ihren Ehemann vertrat, „gravierende negative Erfahrungen sammeln dürfen“; daher fühle sie sich aus „privaten Gründen befangen“ und bat sie den Vorsitzenden um ihre Entpflichtung. Daraufhin lehnte der Angeklagte die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit am 19. September 2019 ab. Das Ablehnungsgesuch wies die Kammer mit Beschluss vom 24. September 2019 als unbegründet zurück.

b) Der Beschwerdeführer beanstandet zurecht die Mitwirkung der Schöffin als erkennender Richterin.

aa) Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; insbesondere teilt sie den wesentlichen Inhalt des Ablehnungsantrags vom 19. September 2019 und des Zurückweisungsbeschlusses vom 24. September 2019 mit (vgl. BGH, Beschluss vom 30. November 2005 – 2 StR 462/05 unter 1.).

bb) Der Zurückweisungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab der § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 1 StPO nicht stand. Die von der Schöffin mitgeteilten Bedenken gegen ihre Hinzuziehung zur Verhandlung lassen aus Sicht eines verständigen Angeklagten den Schluss zu, dass sie ihm wegen ihrer Erfahrungen mit der Rechtsanwaltsgesellschaft, welcher seine Verteidigerin angehört, nicht unvoreingenommen gegenübertreten werde.

(1) Zwar ist es für die Befangenheit grundsätzlich unerheblich, ob sich ein Richter für befangen hält; denn es kommt maßgeblich nicht auf dessen Sicht, sondern auf eine objektive Betrachtung der Sachlage an. Teilt der Richter dem Angeklagten aber mit, dass er ihm gegenüber voreingenommen sei, bekundet er eine innere Einstellung zum Angeklagten, die diesem – jedenfalls wenn sie mit nachvollziehbaren objektiven Umständen begründet wird – bei verständiger Würdigung Grund zur Annahme liefert, der betreffende Richter habe eine Haltung gegen seine Person eingenommen, die seine Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflusst (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 3 StR 90/17 Rn. 8).

(2) So liegt es hier. Nicht bereits wegen der Auseinandersetzung im Scheidungsverfahren, aber aufgrund des Sinngehalts des Schreibens der Schöffin war zu besorgen, sie würde ihre ablehnende Haltung gegenüber der Sozietät der Verteidigerin auf den Angeklagten erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 3 StR 90/17 Rn. 3, 8); jedenfalls musste der Angeklagte befürchten, die Schöffin werde Vorbringen der Verteidigerin von vornherein abwertend beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 895/92 Rn. 5, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 8). Ob die Schöffin tatsächlich befangen gewesen ist, ist nicht maßgebend; es genügt eine aus konkreten Umständen verständliche Besorgnis aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten (BGH, Urteil vom 2. März 2004 – 1 StR 574/03 Rn. 18, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 14; Beschluss vom 28. Februar 2018 – 2 StR 234/16 Rn. 24). Bei einer solchen Verfahrenslage hätte es nahegelegen, eine dienstliche Stellungnahme der Schöffin einzuholen (§ 26 Abs. 3 StPO), mit welcher sie die durch ihr Schreiben ausgelösten Bedenken gegebenenfalls hätte ausräumen können (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 – 3 StR 208/12 Rn. 19 mwN; Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 278/05 Rn. 10). Dadurch, dass die Selbstablehnung der Schöffin weiterhin im Raum stand, musste auch ein verständiger Angeklagter ihre Befangenheit besorgen.“