Nach dem gestrigen „Doppelwumms“ 🙂 geht es hier ohne „Wumms“ weiter – as usual. Heute kommen OWi-Entscheidungen.
Hier zunächst der BayObLG, Beschl. v. 01.07.2024 – 201 ObOWi 405/24 – zur Reichweite der Immunität von Honorarkonsuln bei Verstößen im Straßenverkehr.
Das AG hat den Betroffenen wegen eines Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er macht insbesondere geltend, das Urteil sei wegen des Verfahrenshindernisses nach § 19 Abs. 1 GVG i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Deutschland beruft sich darauf, Honorarkonsul der Republik X zu sein, und die Fahrt in Wahrnehmung seiner konsularischen Aufgaben durchgeführt zu haben. Deshalb bestehe das Verfahrenshindernis der fehlenden deutschen Gerichtsbarkeit (Immunität).
Das hat das BayObLG anders gesehen:
„1. Ein Verfahrenshindernis wegen Immunität besteht hier nicht. Zwar ist aufgrund der vom Betroffenen vorgelegten Ablichtungen davon auszugehen, dass der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und ständiger Ansässigkeit im Bundesgebiet als Honorarkonsul für die Republik X mit dem Konsularbezirk des Landes Y ernannt wurde und als solcher vom Wiener Übereinkommen vom 24.04.1963 über konsularische Beziehungen (BGBl 1969 II, S. 1585 – kurz: WÜK) erfasst ist, das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 07.10.1971 (BGBl 1971 II, S. 1285) und für die Republik X seit […] deshalb als geltendes Recht unmittelbar anzuwenden ist (LR/Berg StPO 27. Aufl. § 19 GVG Rn 1). Damit ist eine Befreiung des Betroffenen von der deutschen Gerichtsbarkeit in Betracht zu ziehen. Davon ist auch das Amtsgericht zutreffend ausgegangen. Immunität führt zu fehlender Gerichtsunterworfenheit und begründet ein persönliches Strafverfahrenshindernis. Ob Immunität im Sinne der §§ 18-20 GVG besteht, haben die Gerichte ohne Bindung an behördliche Auffassungen zu prüfen (BGHSt 32, 275).
a) Honorarkonsularbeamte, die wie der Betroffene Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig, sind anders als die Berufskonsuln (Art. 43 Abs. 1 WÜK) zu behandeln. Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, genießen nach den Regelungen der Art. 1 Abs. 3, 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen. Somit gilt für die Honorarkonsuln lediglich die sogenannte Amtshandlungsimmunität nach Art. 71 Abs. 1 WÜK, denn die überwiegende Mehrheit der in Deutschland zugelassenen Honorarkonsuln sind deutsche Staatsangehörige oder dort ständig ansässig. In Deutschland gilt die Vorschrift über § 19 GVG. Diese sogenannte Amtshandlungsimmunität ist enger als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität. Da Honorarkonsulinnen und -konsuln häufig Angehörige des Empfangsstaats sind und sie ihr Amt lediglich als Nebentätigkeit ausüben, bleibt der für sie vorgesehene Privilegienrahmen hinter dem der Berufskonsularbeamten zurück (BT-Drs. 20/4411 S. 7).
b) Die Generalstaatsanwaltschaft München führt in diesem Zusammenhang aus:
„Soweit die Rechtsbeschwerde die beschriebene Unterscheidung in Zweifel zieht, entfernt sie sich von dem Wortlaut des Übereinkommens, das in der u.a. maßgeblichen englischen und französischen Fassung zwischen der Immunität ‚in respect of acts performed in the exercise of consular functions‘ bzw. ‚pour les actes accomplis dans l´exercice des fonctions consulaires‘ (Art. 43 Abs. 1 WÜK) und der Befreiung von der Gerichtsbarkeit und persönlicher Unverletzlichkeit ‚in respect of official acts performed in the exercise of their functions‘ bzw. ‚pour les actes officiels accomplis dans l´exercice des leurs fonctions‘ (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK) unterscheidet, sowie in systematischer Hinsicht von dem ‚Konzept abgestufter Immunitäten‘, das dem gesamten WÜK zugrunde liegt (vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 WÜK). Der Begriff der ‚Amtshandlung‘ ist nach seinem maßgeblichen Wortsinn enger als ‚Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden‘, wobei es nicht auf die deutsche Übersetzung, sondern auf den verbindlichen fremdsprachigen Wortlaut ankommt (Art. 79 WÜK), der in Art. 71 Abs. 1 WÜK den Zusatz ‚official‘ bzw. ‚officiel‘ enthält. Hinzu kommt, dass Art. 71 Abs. 1 WÜK, anders als Art. 58 Abs. 2 WÜK, vorbehaltlos nur auf die Benachrichtigungspflichten im Fall der Festnahme oder Strafverfolgung aus Art. 42 WÜK und die Beschränkung der Zeugnispflicht in Art. 44 Abs. 3 WÜK verweist (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 a.E., Abs. 1 Satz 2 WÜK), nicht aber auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, sodass auch die Regelungstechnik der Norm dafür spricht, dass dauerhaft gebietsansässigen Konsularbeamten gerade keine Immunität in demselben Umfang wie Konsularbeamten im Sinne von Art. 1 Abs 2 WÜK zugebilligt werden soll.“
Dem tritt der Senat bei.
c) Die Amtshandlungsimmunität umfasst nur die unmittelbare, echte Amtshandlung in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und nicht etwa auch Vorgänge, die damit nur in einem engen funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.06.2013 – Az. 1 SsBs 15/13 bei juris; BeckOK/Valerius GVG 23. Ed. 15.05.2024 § 19 Rn. 9). Eine Dienstfahrt zum Ort der Amtshandlung ist daher von der Amtshandlungsimmunität nicht erfasst (KK/Barthe/Gericke StPO 9. Aufl. GVG § 18 Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland Teil 1. B. 2.13.2; Kreicker, in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 136. Lieferung 6/2024, Ziff. 8.3), ebenso wenig Fahrten zum täglichen Dienst, nach Hause oder der Weg von der eigenen Wohnung zu einem offiziellen Empfang. Dies wird zudem im Rundschreiben des Auswärtigen Amts vom 15.09.2015 (Rundschreiben des Auswärtigen Amtes zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland v. 15.09.2015, Gz. 503-90-507.00, GMBl. 2015 Nr. 62/63 S. 1206 Teil I B. Ziff. 2.13.2) dahingehend näher erläutert, dass diese sog. Amtshandlungsimmunität enger ist als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität und nur die Amtshandlung selbst umfasst, nicht aber andere – von der Amtsimmunität noch erfasste – Handlungen, die mit der eigentlichen Amtshandlung lediglich in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen.
Auch das OLG Karlsruhe hat klargestellt, dass sich Honorarkonsuln nur dann auf Immunität berufen können, wenn die Handlung selbst ein wesentlicher Bestandteil der konsularischen Tätigkeit ist (OLG Karlsruhe NStZ 2005, 120). Die von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts BayObLGSt 1973, 191 bezog sich auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, auf den Art. 71 Abs. 1 WÜK für Honorarkonsuln gerade nicht verweist.
2. Gemessen an diesen Maßstäben genießt der Betroffene hier keine Amtshandlungsimmunität. Die Durchführung von Fahrten mit einem Kraftfahrzeug stellt keine spezifische konsularische Aufgabe dar (OLG Düsseldorf NZV 1997, 92f.). Die Fahrt des Betroffenen diente nach seinen Angaben der Abholung eines Staatsangehörigen der Republik X. Nachdem sich der betreffende Staatsangehörige während der Tat noch nicht im Fahrzeug befand, diente die Fahrt somit der Vorbereitung der konsularischen Handlung und hatte damit eine bloße Hilfsfunktion, stellte aber noch nicht die unmittelbare echte Amtshandlung dar, die darin bestand, den […] aufzunehmen. Die Mitnahme der Ehefrau des Betroffenen als Dolmetscherin zur Kommunikation mit dem abzuholenden Staatsangehörigen der Republik X diente auch lediglich der Vorbereitung. Soweit in der Rechtsbeschwerde erstmals vorgetragen wird, der Betroffene habe „während der gesamten Fahrt u.a. im telefonischen Kontakt mit dem […] sowie weiteren Beteiligten gestanden“, zeigt dies nicht konkret ein Telefonat des Betroffenen in Amtsausführung genau zur Tatzeit auf, zumal dies früher gar nicht vorgebracht wurde. Vielmehr wird ausgeführt, der Betroffene habe bei Beginn der Fahrt telefoniert. Anhaltspunkte für ein Telefonat zur Tatzeit ergeben sich auch nicht aus den Feststellungen des Amtsgerichts. Das Mitführen von „erforderlichen Unterlagen“, das ebenfalls erstmals in der Rechtsbeschwerde vorgebracht wurde, diente nur der Vorbereitung der eigentlichen Amtshandlung, nämlich der Abholung des […]. Die Rechtsbeschwerde führt selbst aus, es habe sich um „Vorkehrungen“ gehandelt, zu Beginn der Fahrt seien „Unterlagen“ vorbereitet und mitgeführt worden. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, wie der Betroffene als Fahrer während der Fahrt Unterlagen vorbereiten kann. Soweit in der Gegenerklärung dargelegt wird, die Amtshandlung des Betroffenen habe nicht in der Abholung gelegen, sondern in Hilfe- und Beistandsleistung auch schon vor der Fahrt, steht dies nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fahrt und dem Tatzeitpunkt am 26.12.2022 um 9.58 Uhr. Bei der Amtshandlungsimmunität genügt der bloße sachliche Zusammenhang eben gerade nicht. […]“