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StPO II: Bei der Urteilsbegründung rausgeflogen, oder: Keine Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe

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Als zweite Entscheidung habe ich dann den BGH, Beschl. v. 17.12.2024 – 1 StR 429/24 – (noch einmal) zur Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe an einen Ausländer.

Das LG hat die Angeklagte in einem Verfahren mit dem Vorwurf  des Mordes verurteilt. Dagegen hat die Angeklagte Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des Fair-trial-Grundsatzes gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchstabe e) EMRK in Verbindung mit § 187 Abs. 2 GVG, weil die Übersetzung der schriftlichen Gründe des angefochtenen Urteils in die russische Sprache unterblieben sei.

Der Verfahrensrüge liegt zu Grunde, dass die der deutschen Sprache nicht mächtige Angeklagte, für die während der gesamten Hauptverhandlung eine Dolmetscherin für die russische Sprache anwesend war, nach abgeschlossener Verlesung der Urteilsformel (§ 268 Abs. 2 Satz 1 StPO) durch den Vorsitzenden der Strafkammer gemäß § 231b Abs. 1 Satz 1 StPO zur Wahrung der Ordnung aus dem Hauptverhandlungssaal entfernt wurde. Nachdem die Angeklagte die mündliche Urteilsbegründung mehrfach durch lautes Dazwischenreden ohne Worterteilung gestört hatte und sich hiervon durch mehrfache vorausgegangene Androhungen und Belehrungen für den Wiederholungsfall nicht hatte abhalten lassen, erging der Beschluss des LG, die Angeklagte zur Wahrung der Ordnung für die weitere Urteilsbegründung aus dem Sitzungszimmer zu entfernen. Der Beschluss wurde vollzogen und die Hauptverhandlung gemäß § 231b Abs. 1 Satz 1 StPO in Abwesenheit der Angeklagten fortgesetzt; ihr Verteidiger wohnte der Hauptverhandlung bis zu deren Abschluss bei. Eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung wurde der Angeklagten danach in ihrer Zelle ausgehändigt und von der Dolmetscherin übersetzt. Dem Antrag der Angeklagten auf Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe wurde nicht entsprochen.

Der BGH hat die Revision als unbegründet verworfen:

„Die Rüge der Verletzung des Fair-trial-Grundsatzes gemäß Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 Buchstabe e) EMRK in Verbindung mit § 187 Abs. 2 GVG, mit der sich die Angeklagte gegen die unterbliebene Übersetzung der schriftlichen Gründe des angefochtenen Urteils in die russische Sprache wendet, erweist sich bereits als unzulässig. Denn aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin kann sich ein Verfahrensfehler nicht ergeben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

a) Der Verfahrensrüge liegt zu Grunde, ……

b) Ein Verfahrensfehler liegt danach nicht vor.

Die Verfahrensrüge genügt den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO – wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat – schon deshalb nicht, weil die Beschwerdeführerin es versäumt hat, den Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer, mit dem der Antrag auf Übersetzung des schriftlichen Urteils zurückgewiesen wurde, jedenfalls seinem wesentlichen Inhalt nach mitzuteilen. Darüber hinaus fehlt es auch an der Darstellung der hiergegen gerichteten Beschwerde.

Ein Verfahrensfehler scheidet nach dem Beschwerdevortrag aber auch sonst aus. Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt:

„Ausgehend vom abgestuften System in § 187 Abs. 2 GVG ist eine schriftliche Übersetzung regelmäßig dann nicht notwendig, wenn die Angeklagte verteidigt ist (§ 187 Abs. 2 Satz 5 GVG) und ihr die mündlichen Urteilsgründe übersetzt werden. In diesem Fall wird die effektive Verteidigung der sprachunkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt und die Angeklagte die Möglichkeit hat, das Urteil mit ihm – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Dolmetschers – zu besprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – 3 StR 430/19, BGHSt 64, 283-301; Beschluss vom 22. Januar 2018 – 4 StR 506/17, Rn. 5).

Nichts anderes kann gelten, wenn eine Angeklagte – wie hier – aufgrund eigenen Verschuldens nach Maßgabe des § 231b Abs. 1 StPO nach der Verkündung der Urteilsformel aus der Hauptverhandlung entfernt werden muss. Die Angeklagte hätte es andernfalls in der Hand, durch eigenes Fehlverhalten eine schriftliche Urteilsübersetzung zu erzwingen und sich damit – im Vergleich zu einer sich ordnungsgemäß führenden Angeklagten – prozessual besserzustellen.

Der Beschwerdeführerin ist es des Weiteren unbenommen, sich eine Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe anfertigen zu lassen. Daneben ist ihr aber auch die Möglichkeit eröffnet, bei einem Gespräch mit ihrem Verteidiger – das die sprachunkundige Angeklagte ohnehin nur unter Hinzuziehung eines Dolmetschers führen kann – die schriftlichen Urteilsgründe eingehend zu erörtern.

Schließlich ergibt sich ein berechtigtes Interesse an der Übersetzungsleistung auch nicht wegen der besonderen Sachkunde der Angeklagten oder einem anderen durch die Verteidigung vorgetragenen Gesichtspunkt. Dergleichen ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2020 – 3 StR 430/19 –, BGHSt 64, 283-301, Rn. 15-16).“

Schriftliche Urteilsgründe, oder: Soll der Angeklagte sie nicht kennen?

© Maksim Kabakou Fotolia.com

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Nach dem LG Freiburg, Beschl. v. 17.06.2016 – 3 Qs 127/15 – zu der Übersetzungsproblematik bei der Zustellung eines Strafbefehls (vgl. Nochmals: Strafbefehl -nur mit Übersetzung ist Zustellung wirksam….) dann der OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.05.2016 – 1 Ws 82/16. Auch er hat eine Übersetzungsproblematik zum Gegenstand, nämlich die Frage, wann ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Angeklagter einen Anspruch auf Übersetzung des schriftlichen Urteils hat. der Angeklagte ist Pole und der deutschen Sprache nicht mächtig. Er ist im Verfahren durch einen Pflichtverteidiger verteidigt worden, der auch bei der Erörterung der mündlichen Urteilsgründe anwesend war. Diese wurde dem Angeklagten durch eine Dolmetscherin übersetzt. Dre Angeklagte hat Revisione eingelegt und die Übersetzung der schriftlichen Urteilsgründe in die polnische Sprache beantragt. Das OLG sagt: Nein, gibt es nicht.

„Zwar sieht § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG zur Ausübung der prozessualen Rechte des Beschuldigten in der Regel die Übersetzung von nicht rechtskräftigen Urteilen vor, es liegen jedoch die Voraussetzungen der in § 187 Abs. 2 Satz 4 und 5 GVG vorgesehenen Ausnahmen vor.

Nach § 187 Abs. 2 Satz 4 GVG kann an die Stelle der schriftlichen Übersetzung eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung des Inhalts treten, wenn die prozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden. Das ist gemäß § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG in der Regel anzunehmen, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat.

Die prozessualen Rechte des Angeklagten, insbesondere auch der Anspruch auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchstabe e) EMRK, werden dadurch hinreichend gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung von einem Dolmetscher übersetzt worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Januar 2016, 1 Ws 8/16, RN 3, zitiert nach juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2014, 2 Ws 40/14, NStZ-RR 2014, 217; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.01.2014, 6 – 2 StE 2/12, StV 2014, 536 f.). Ob die schriftliche Übersetzung auch dann entbehrlich ist, wenn der Betroffene und sein Verteidiger bei der Urteilsverkündung anwesend gewesen sind, dem nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten die Urteilsgründe jedoch nicht durch einen Dolmetscher übersetzt worden sind, kann im vorliegenden Fall dahinstehen (so OLG Celle, Beschluss vom 22.07.2015, 1 Ss (OWi) 118/15, NStZ, 2015, 720).

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll keine Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung bestehen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung zuständige Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt (vgl. BT-Drucksache 17/12578, S. 12). Die Rechte des verteidigten Angeklagten werden dadurch gewahrt, dass er die Möglichkeit hat, das schriftliche Urteil mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich soweit auch die schriftliche Begründung übersetzen zu lassen. Der Anspruch des verteidigten Angeklagten auf umfassende Verdolmetschung umfasst auch die Gespräche mit seinem Verteidiger nach Urteilsverkündung, etwa zur Vorbereitung der Begründung eines Rechtsmittels. Soweit die Hinzuziehung eines Dolmetschers für einen solchen Termin erforderlich ist, kann der Angeklagte dies jederzeit beantragen.

Da diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist davon auszugehen, dass der Angeklagte – auch ohne schriftliche Übersetzung des Urteils – über ausreichende Möglichkeiten verfügt, die gegen ihn ergangene Entscheidung inhaltlich nachzuvollziehen.

Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen im Strafverfahren, da diese durch das Gesetz der Stärkung von Verfahrensrechten von Beschuldigten im Strafverfahren mit Wirkung vom 6. Juli 2013 vollständig in das deutsche Recht umgesetzt worden ist. Die Ausnahmeregelung des § 187 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 GVG entspricht auch den Vorgaben der in Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2010/64/EU aufgeführten Ausnahmen von der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie statuierten Regel der grundsätzlichen schriftlichen Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen (OLG Hamm, Beschluss vom 26. Januar 2016, 1 Ws 8/16, RN 4, zitiert nach juris). Die Umsetzung der Richtlinie, insbesondere das in § 187 Abs. 2 Satz 5 genannte Regelbeispiel des verteidigten Angeklagten, steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80BVerfGE 64, 135,150 ff.), auf welche auch die Gesetzesbegründung zu § 187 GVG Bezug nimmt (BT-Drucksache 17/12578, S. 12).“

Wenn man/die OLG wollten, könnten sie auch anders – aber sie wollen nicht. Für mich ist jedenfalls die schriftliche Übersetzung der Urteilsgründe etwas anderes und sicherlich auch Besseres als eine „Verdolmetschung“ eines Gesprächs oder die Übersetzung in einem Gespräch. Denn die schriftliche Übersetzung vereinfacht es m.E. für den Angeklagaten erheblich, in Ruhe Angriffspunkte selbst zu finden. Aber vielleicht soll er das ja gar nicht………… (vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2014 – 2 Ws 40/14 und dazu Nochmals Dolmetscher – (Immer) Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung?).

Nochmals Dolmetscher – (Immer) Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung?

FragezeichenNach dem Posting zum Dolmetscher für den zweiten Verteidiger (vgl. hier: Ausländer als Mandant – Dolmetscher? Ja, ohne Wenn und Aber) hier dann in der Nachfolgen der Hinweis auf einen (einschränkenden) Beschluss des OLG Hamm, nämlich den OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2014 – 2 Ws 40/14. Da ging es um die Frage der schriftlichen Übersetzung des vollständigen Urteils. Das OLG verneint eine entsprechende Verpflichtung des Gerichts:

Vorliegend sind die strafprozessualen Rechte des Angeklagten und sein Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 3 e EMRK) hinreichend dadurch gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung (§ 268 Abs. 2 StPO) durch einen Dolmetscher übersetzt wurde und er die Möglichkeit hat, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich insoweit auch das Urteil übersetzen zu lassen. Damit sind die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG, der Ausnahmen von dem in § 187 Abs. 2 S. 1 GVG geregelten Grundsatz, dass nicht rechtskräftige Urteile in der Regel zu übersetzen sind, vorsieht, erfüllt (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 9.1.2014, 6-2 StE 2/12 – bei […]).

Die Ausnahmeregelung des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG entspricht insoweit auch den Vorgaben der in Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren aufgeführten Ausnahme von der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie statuierten Regel der grundsätzlichen schriftlichen Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen und steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 64, 135 [BVerfG 17.05.1983 – 2 BvR 731/80]), auf welche auch die Gesetzesbegründung (Drucksache 17/12578) Bezug nimmt.

Wohlgemerkt: Beim verteidigten Angeklagten….