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StPO I: Verwertung von SkyECC-Überwachungsdaten, oder: Ergänzung zur BGH-Grundsatzentscheidung

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Und dann heute ein paar StPO-Entscheidungen – und zwar alle vom BGH.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 09.01.2025 – 1 StR 142/24 – zum Dauerbrenner: Verwertung von Daten aus der Überwachung von Messengerdiensten. Stichwort: Encro-Chat. In dem Beschluss des ersten Strafsenats geht es um die Verwertung von SkyECC-Kommunikationsüberwachungsdaten.

Ich erspare mir (und dem Leser) den (technischen) Sachverhalt. Das dürfte bekannt sein. Mit der Verfahrensrüge wird dann die Unverwertbarkeit der Daten geltend gemacht. Ohne Erfolg:

„bb) Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.

(a) Sie ist bereits unzulässig, weil sie in einem für maßgeblich gehaltenen, von der Stoßrichtung umfassten Punkt nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechend vorträgt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19. Mai 2021 – 1 StR 509/20 unter 1. mwN); dies schlägt auf die Verfahrensrüge insgesamt durch. Die Revision behauptet, die deutschen Strafverfolgungsbehörden hätten spätestens ab März 2020 von der laufenden SkyECC-Kommunikationsüberwachung gewusst und diese entgegen ihrer Verpflichtung aus § 91g Abs. 6 IRG nicht untersagt; hierin unterscheide sich die Beweiserhebung maßgeblich von den sogenannten EncroChat-Fällen. Die Verfahrensbeanstandung stützt sich insoweit auf einen verfahrensfremden Vermerk des Bundeskriminalamts vom 17. Juni 2021, in dem auf der ersten Seite ausgeführt wird, die SkyECC-Überwachung sei im März 2020 durch eine mediale Berichterstattung allgemein bekannt geworden. Dass es sich bei der Datumsangabe „März 2020“ um ein Schreibversehen handelt, ergibt sich zum einen aus dem Vermerk selbst. Denn dort wird auf Seite fünf angegeben, im März 2021 sei über Europol bekannt geworden, dass bei Ermittlungen in Frankreich Daten des Kryptodienstes SkyECC erhoben worden seien. Allein dies deckt sich zum einen mit der am 10. März 2021 durch Europol veröffentlichten Pressemitteilung über den „Aktionstag“ vom 9. März 2021. Zum anderen belegt der gesamte zeitliche Ablauf der Ermittlungen, dass die Strafverfolgungsbehörden SkyECC-Daten erst Ende des Jahres 2020 entschlüsseln konnten; vorher wurde darüber wegen der Gefährdung des Ermittlungserfolgs nicht in den Medien berichtet.

(b) Im Übrigen hätte die Verfahrensrüge auch in der Sache keinen Erfolg. Die von den französischen Strafverfolgungsbehörden erhobenen und im Wege der Beweismittelrechtshilfe für deutsche Strafverfolgungszwecke zur Verfügung gestellten Daten von SkyECC-Nutzern sind verwertbar. Aufgrund des ähnlichen Verfahrensablaufs wie bei Verwertung der über den Messengerdienst EncroChat erhobenen und transferierten Daten gelten die in der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, BGHSt 67, 29 Rn. 24 ff.) aufgestellten Maßstäbe. Mit Blick auf die im Anschluss ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22) ist ergänzend auszuführen:

(aa) Die Beweismittelgewinnung der französischen Behörden verstößt nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen oder europäischen ordre public (vgl. Artikel 1 Abs. 4 RL EEA, § 73 IRG). Aus der Beschlagnahme der SkyECC-Telefone zusammen mit dem Betäubungsmittelfund im Hafen von An.             ergab sich ein Anfangsverdacht für die Begehung von Betäubungsmittelstraftaten. Dieser wurde durch die dargestellten Besonderheiten der Telefone, dem Verhalten der kanadischen Firma und der Auswertung der 9.000 Chat-Nachrichten von französischen SkyECC-Nutzern erhärtet. Dass bei einer solchen Verdachts- und Beweislage zunächst ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber des Unternehmens eingeleitet und im Zuge dessen die zeitlich befristete Erhebung aller Nutzerdaten des SkyECC-Dienstes richterlich angeordnet und überprüft wird, lässt – wie bei der Überwachung der EncroChat-Nutzer (vgl. hierzu BGH aaO Rn. 34 ff.) – auch angesichts der Gesamtdauer der Überwachung, die ersichtlich der zunächst erforderlichen Analyse der Server zur Entwicklung einer Entschlüsselungslösung geschuldet war, grundlegende Rechtsstaatsdefizite oder einen Verstoß gegen menschen- oder europarechtliche Grundwerte nicht erkennen. Auch eingedenk der großen Anzahl der überwachten Mobilfunkanschlüsse sind die Ermittlungsmaßnahmen weit von geheimdienstlichen „anlasslosen Massenüberwachungen und Massendatenauswertungen“ entfernt. Der Austausch der Nachrichten wurde nicht aufgrund eines allgemeinen Verdachts gegen eine verschlüsselte Kommunikationsinfrastruktur überwacht, sondern – wie zuvor aufgezeigt – aufgrund konkreter Verdachtsmomente. Die französischen Behörden gingen ersichtlich davon aus, dass der gezielt auf die Bedürfnisse der organisierten Kriminalität ausgerichtete Absatzweg gepaart mit den erheblichen Kosten des Erwerbs und Betriebs der Krypto-Telefone sowie des durch die Ermittlungen bestätigten kriminellen Einsatzbereichs die Erfassung Unverdächtiger ausschloss.

(bb) Aus dem Verstoß der französischen Behörden gegen die Pflicht zur Benachrichtigung des von einer grenzüberschreitenden Telekommunikationsüberwachung betroffenen Zielstaates Deutschland aus Artikel 31 RL EEA bzw. gegen die diese Vorgaben umsetzende französische Vorschriften (wonach die RL EEA unmittelbar in die französische Rechtsordnung integriert wurde, vgl. hierzu BGH, aaO Rn. 39 mwN) folgt kein Beweisverwertungsverbot. Zwar handelt es sich bei Artikel 31 RL EEA um eine rechtshilferechtliche Bestimmung, die neben der Achtung der Souveränität des zu unterrichtenden Zielstaats auch den Schutz der Zielperson u.a. vor einer Verwendung der Daten in diesem Mitgliedstaat – hier also Deutschland – bezweckt (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 121, 124 und 125) und somit individualschützenden Charakter hat. Aber bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das des Staates an einer umfassenden Aufklärung besonders schwerer Straftaten. Insoweit gilt (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22 Rn. 98; Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 und 1857/10, BVerfGE 130, 1 Rn. 117 mwN):

(1) Nicht jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften zieht ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich; darüber ist nach den Umständen im Einzelfall, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägen der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Nur ausnahmsweise ist ein Beweisverwertungsverbot aufgrund gesetzlicher Vorschrift wie etwa § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO oder aus übergeordneten wichtigen Gründen anzunehmen. Denn ein Beweisverwertungsverbot schränkt eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, und zwar den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob das staatliche Ermittlungsorgan den Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen hat. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde. Zudem darf eine Verwertbarkeit von Informationen, die unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften gewonnen wurden, nicht bejaht werden, wenn dies zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde. Ein Beweisverwertungsverbot kann daher insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten sein.

(2) Nach diesen Maßstäben folgt aus einem Verstoß gegen die Benachrichtigungspflicht kein Beweisverwertungsverbot: Es geht um die Aufklärung besonders schwerwiegender Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO, nämlich Verbrechen nach § 30a Abs. 1 BtMG, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von 15 Jahren bedroht sind (vgl. zur Notwendigkeit der effektiven Bekämpfung solcher Straftaten; BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 57; Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl. L 335, S. 8). Andere Beweismittel stehen hier für die Überführung des Angeklagten nicht zur Verfügung. Die SkyECC-Protokolle sind als Beweismittel besonders ergiebig, da die Beteiligten darin offen über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang kommunizierten. Der Angeklagte konnte sich im Strafprozess auch mittelbar gegen die Abhörmaßnahme durch einen Verwertungswiderspruch wehren, so dass er unter anderem hierdurch seine Verteidigungsrechte effektiv wahren konnte (vgl. zu diesem Erfordernis EuGH, Urteile vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 130 und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a. – C-511/18, C-512/18, C-520/18 Rn. 226). Demgegenüber fällt der Umstand, dass den französischen Behörden bereits früh klar war, dass die Überwachung der Telekommunikation eine Vielzahl von Personen in anderen Ländern betrifft, wegen des geringen Grads der Persönlichkeitsrelevanz der Chatnachrichten nicht erheblich ins Gewicht. Zudem durfte der Kernbereich der Lebensführung infolge der Einschränkung der Beschlagnahmeanordnung nicht aufgezeichnet werden.

(cc) Gegen Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA ist ebenfalls nicht verstoßen worden.

(1) Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA, der die EEA zur Übermittlung von Beweismitteln regelt, die sich bereits im Besitz der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates befinden, setzt für deren Rechtmäßigkeit voraus, dass die Übermittlung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können. Dagegen verlangt Artikel 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA gerade nicht, dass der Erlass einer EEA, die auf einen Beweismitteltransfer gerichtet ist, denselben materiell-rechtlichen Voraussetzungen unterliegt, wie sie im Anordnungsstaat (Deutschland) für die Erhebung dieser Beweise gelten (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22 Rn. 91 ff.). Selbst unter Heranziehung einer Online-Durchsuchung nach § 100b StPO, deren Erkenntnisse der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO unterliegen, hätten die Beweismittel in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter den gleichen Bedingungen übermittelt werden können. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden ersuchten die französischen Behörden in einem gegen namentlich bekannte Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren u.a. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 1 BtMG), mithin einer Katalogtat nach § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO, um Übermittlung von Inhaltsdaten konkreter SkyECC-Nutzer. Der Tatverdacht, der auch im Einzelfall besonders schwer wog (§ 100b Abs. 1 Nr. 2 StPO), ergab sich aus technischen Überwachungsmaßnahmen, der Beschlagnahme des Marihuanas sowie der Sicherstellung und Auswertung der von gesondert verfolgten Beschuldigten genutzten SkyECC-Telefone. Das weitere Aufklären des Sachverhalts sowie die Ermittlung der an der Tatbegehung maßgeblich beteiligten, durch die jeweiligen SkyECC-IDs konkretisierten, jedoch noch namentlich unbekannten Personen wie der Angeklagte wären ohne diese Beweismittel nicht möglich gewesen. Die sich hieraus gegen den Angeklagten nach § 100b Abs. 1 und Abs. 2 StPO ergebende erforderliche Verdachtslage, die auch im Einzelfall schwer wiegt, bestand spätestens im Verwertungszeitpunkt der Beweisergebnisse (vgl. dazu BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. November 2024 – 2 BvR 684/22 Rn. 99; BGH, aaO Rn. 70 mwN). Die Daten betreffen zudem keine Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung (§ 100d Abs. 2 Satz 1 StPO).

(2) Schließlich führt die Neuregelung durch das KCanG zu keiner anderen Beurteilung. Denn das bandenmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) ist Katalogtat der Online-Durchsuchung (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO).

(dd) Ein Beweisverwertungsverbot ergibt sich letztlich auch nicht aus einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers.“

 

BVV II: Überwachung/Verwertung von beim Mail-Provider gespeicherten Mails, oder: BGH sagt: Zulässig

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Die zweite Entscheidung kommt heute vom BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 14.10.2020 – 5 StR 229/19 – Stellung zu der Frage genommen, ob die Verwertung von beim Provider gespeicherten Mails zulässig ist. Der BGH bejaht die Frage:

„bb) Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO erfasst auch beim Provider zwischen- oder endgespeicherte („ruhende“) E-Mails.

(1) Bei einem verdeckten Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails handelt es sich um Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO.

Überwachung und Aufzeichnung von Telekommunikation sind – regelmäßig ohne Wissen des Betroffenen durchgeführte – Eingriffe der öffentlichen Gewalt in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG, um zur Aufklärung bestimmter schwerwiegender Straftaten oder Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten insbesondere Telekommunikationsinhalte zu erfassen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1993 – 2 StR 400/93, BGHSt 39, 335, 338; Hauck in: Löwe/ Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 100a Rn. 14). Die Erfassung von E-Mails, die beim Provider und damit nicht in einer ausschließlich vom betroffenen Kommunikationsteilnehmer beherrschten Sphäre abgelegt sind, stellt einen solchen Eingriff dar (vgl. BVerfG, aaO; Gaede, StV 2009, 96, 100; Störing, CR 2009, 475, 478). Die Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO stellt mithin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für den Zugriff auf beim Provider gespeicherte E-Mails dar (vgl. MüKo-StPO/Günther, § 100a Rn. 135 ff. mwN; KK-StPO/Greven, 8. Aufl., § 94 Rn. 4a; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. § 100a Rn. 6b; HK-StPO-Gercke, 6. Aufl., § 100a Rn. 14; AnwK-StPO/Löffelmann, 2. Aufl., § 100a Rn. 13; Radtke/Hohmann/Röwer, StPO, § 100a Rn. 17; BeckOK-StPO/Graf, 37. Edition, § 100a Rn. 64). Soweit hiergegen eingewandt wird, § 100a StPO „passe“ nicht, weil es der auf eine Kooperation mit den Providern ausgerichteten Befugnisnorm an den für den Zugriff auf bei diesen „ruhenden“ E-Mails typischen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeelementen mangele (vgl. Hauck in: Löwe/Rosenberg, aaO Rn. 77; SK-StPO/Wolter/Greco, 5. Aufl., § 100a Rn. 33; wohl auch KK-StPO/Bruns, 8. Aufl., § 100a Rn. 20 f.), stellt dies die Anwendung des § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht in Frage. Zum einen wird der Zugriff auf gespeicherte E-Mails durch die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig – wie hier – im Wege einer durch den Provider ermöglichten Ausleitung der Nachrichten und damit in Kooperation mit diesem vollzogen werden (vgl. § 100a Abs. 4 Satz 1 StPO). Zum anderen bedarf es für den Zugriff auf gespeicherte E-Mails im Rahmen der Überwachung eines bestimmten E-Mail-Accounts gerade keiner Durchsuchung beim Provider.

(2) Dem Zugriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass beim Provider gespeicherte E-Mails mit der offenen Maßnahme des § 94 StPO beschlagnahmt werden können (BVerfG, aaO, S. 58 ff.).

Ebenso wenig wie § 94 StPO von § 100a StPO verdrängt wird (vgl. BVerfG, aaO, S. 59), wird § 100a StPO von § 94 StPO ausgeschlossen (vgl. AnwK-StPO/Löffelmann, aaO). Vielmehr ergänzen sich die beiden Ermittlungsmaßnahmen. Während die Beschlagnahme (§ 94 StPO) nur als offene Maßnahme zulässig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2015 – 3 StR 162/15, NStZ 2015, 704, 705), erlaubt § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO auch den verdeckten Zugriff auf Telekommunikationsinhalte. Die mit der Heimlichkeit der Maßnahme verbundene gesteigerte Eingriffstiefe korrespondiert mit der im Vergleich zu § 94 StPO deutlich höheren Eingriffsschwelle (vgl. BVerfG, aaO, S. 62 f.; SSW-StPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 100a Rn. 7; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).

(3) Der Eingriff nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO ist nicht auf E-Mails beschränkt, die ab dem Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme versandt oder empfangen wurden.

Dies folgt schon daraus, dass beim Provider endgespeicherte – von Art. 10 Abs. 1 GG geschützte – E-Mails grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt ihrer Speicherung nach § 94 StPO beschlagnahmt werden dürfen (vgl. BVerfG, aaO, S. 60, 67). Angesichts der im Vergleich zur Beschlagnahme deutlich strengeren Anforderungen muss dieser Zugriff erst recht mit einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO zulässig sein (vgl. auch Brunst, CR 2009, 591, 592).

Dies ergibt sich auch im Umkehrschluss aus § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. b StPO, wonach eine solche zeitliche Einschränkung nur für die sogenannte Quellen-TKÜ (§ 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO) gilt. Diese Unterscheidung findet ihre materielle Rechtfertigung darin, dass bei der Quellen-TKÜ – anders als bei der herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung – informationstechnische Systeme des Betroffenen infiltriert werden, womit die Gefahr einer Ermittlung von Persönlichkeitsprofilen einhergeht (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370, 595/07; BVerfGE 120, 274, 308 f.). Aufgrund dieser Nähe zu einer Online-Durchsuchung hat der Gesetzgeber für die Quellen-TKÜ besondere Zugriffsanforderungen aufgestellt und ein Verbot für rückwirkende Zugriffe festgelegt; für die herkömmliche Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 Satz 1 StPO hat er hingegen keine entsprechenden Regelungen getroffen (vgl. BT-Drucks. 18/12785 S. 50, 53; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, aaO Rn. 6c; aA Grözinger GA 2019, 441, 451, 454).

Das Ergebnis steht schließlich auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Zugriff auf Nachrichten, die (abrufbereit) auf einer Mailbox gespeichert sind. Auch insofern hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es sich bei dem Zugriff auf die Mailbox um eine Überwachung der Telekommunikation handelt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 – 2 StR 341/02, NJW 2003, 2034, 2035; Beschluss vom 31. Juli 1995 – 2 BJs 94/94-6, NJW 1997, 1934, 1935).

(4) Die Erfassung der betroffenen E-Mails war auch nicht unverhältnis- mäßig. Zwar kann zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses eine zeitliche Eingrenzung der Maßnahme (etwa auf den Verdachtszeitraum) geboten sein (vgl. BVerfGE 124, 43, 67 f.). Ausweislich der in Rede stehenden Anordnung der Telekommunikationsüberwachung vom 14. Oktober 2015 bestand der Tatverdacht für Katalogtaten indes bereits seit April 2013, während die betroffenen E-Mails erst aus den der Anordnung unmittelbar vorhergehenden Monaten stammten, nämlich aus dem Zeitraum von Mai bis September 2015.“

Dash me, if you cam – it is allowed – sagt das LG Landshut für das Zivilverfahren

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Die mit der Dashcam und der Zulässigkeit der Verwertung von Dashcam-Aufzeichnungen zusammenhängenden Fragen sind derzeit in der Diskussion; sie beschäftigen ja auch in der kommenden Woche den 54. VGT. Diskutiert wird mehr im Zivilverfahren, es gibt allerdings auch eine Entscheidung, die das Strafverfahren betrifft (vgl. das AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14 und dazu Dash me, if you cam – it is allowed (?)).

In den letzten Tagen ist nun eine weitere (land)gerichtliche Entscheidung bekannt geworden, die sich mit der Frage der Zulässigkeit der Verwertung einer Dashcam-Aufnahme im Zivilverfahren befasst. Es ist der Hinweis- und Beweisbeschluss des LG Landshut vom 01.12.2015 – 12 S 2603/15, über den schon in vielen Blogs berichtet worden ist. Ich will dann da nicht „zurückstehen“ und weise heute dann auch noch einmal mit dem Volltext auf diese Entscheidung hin, in der die Kammer zunächst den Sach- und Streitstand darstellt und dann zu folgender Abwägung kommt:

„2. Bei der hier zu treffenden Abwägung ist folgendes zu beachten:

Die Kammer ist der Ansicht, dass die dem soeben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts sowie die dem von den Beklagten zitierten Urteil des BGH in NJW 1995, 1955, zugrundeliegenden Sachverhalte mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar sind.

Was die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung anbelangt, so geht es um das heimliche Mithören von Telefonaten. Das Verwertungsverbot soll das Recht des Sprechenden Schützen, darüber zu bestimmen, wem er sich mitteilt. Der Mitteiler hat das Recht, zu entscheiden, ob er sich an nur eine Person oder mehrere Personen mündlich wendet, wobei es schon aus Praktikabilitätsgründen nicht darauf ankommen kann, ob die Mitteilungen vertraulich sind oder nicht. Dieses Recht würde durch das heimliche Zuhören von Dritten ohne Kenntnis des Sprechenden konterkariert. Bei derartigen Konstellationen handelt es sich allerdings um Fälle aus dem engen Persönlichkeitsbereich, während es im vorliegenden Fall um ein Verhalten im öffentlichen Straßenverkehr geht. Der Fahrer eines Autos muss, anders als Jemand, der am Telefon spricht, zwingend damit rechnen, dass seine Fahrweise von anderen beobachtet wird.

Auch die Entscheidung des-BGH in NJW 1995, S. 1955 hat einen anderen Sachverhalt zum Gegenstand. Die Entscheidung betrifft die ständige Überwachung des Hauszugangs des Nach-. bam mittels Videokamera. Der BGH hat dazu entschieden, dass es sich eine Privatperson nicht gefallen lassen muss, regelmäßig beim Betreten der eigenen Wohnung rund um die Uhr gefilmt und erfasst zu werden. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um ein einmaliges Fahrmanöver der Beklagten am Flughafen.

Abgesehen davon sind die vom Kläger verursachten Grundrechtseingriffe geringfügig. Das laufende Filmen von Auto aus erfolgt wahllos und ohne bestimmte Absicht. Eine systematische Erfassung anderer Verkehrsteilnehmer zur Erstellung von Bewegungsprofiten findet nicht statt. Die Filmaufnahmen werden, soweit es nicht zu einem Unfall kommt, immer wieder überschrieben. Zutreffend weist das AG München in seinem Urteil vom 06.06.2013 in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die abgebildeten Personen anonym bleiben und allein durch die Tatsache, dass eine Aufnahme erstellt wird, nicht in ihren Rechten betroffen werden. Entsprechend weist Greger in seinem Aufsatz in NZV 2005, S.115 darauf hin, dass das zufällige und wahllose Erfassen von sonstigen Passanten und Verkehrsteilnehmern praktisch ohne Grundrechtsrelevanz ist, da dieses Erfassen für den Kläger mit keinem Erkenntnisgewinn verbunden ist. Auch die Kammer sieht keinen gravierenden Grundrechtseingriff darin, wenn. andere Verkehrsteilnehmer, deren Identität dabei nicht geklärt wird und auch nicht geklärt werden soll, von einer Onboard-Kamera erfasst werden, ohne dass dies für den Kamerabetreiber mit einem Erkenntnisgewinn verbunden ist.

Relevanz kommt der Erfassung des Verkehrsgeschehens erst in dem Moment zu, in dem es zu einem Unfall kommt. Allerdings ist es gang und gäbe, dass nach einem Unfall die Fahrzeuge, die Unfallspuren und unter Umständen auch die umstehenden Beteiligten fotografisch erfasst werden und diese Erhebungen dann Eingang in einen Prozess finden. Demnach ist es eindeutig zulässig, nach dem Unfall zu filmen. Das AG Nienburg, DAR 2015, 5.280. hat im Zusammenhang mit einem Straßenverkehrsdelikt entschieden, dass das Filmen durch einen Privatmann denn zulässig ist, sobald sich die Erforderlichkeit einer Beweiserhebung abzeichnet. In der Konsequenz würde dies bedeuten, dass die Kamera eingeschaltet werden darf, sobald das vorausfahrende Fahrzeug den Rückwärtsgang einlegt und sich bedenklich nähert, vorher aber nicht. Eine derartige Abgrenzung erscheint gekünstelt.

Die Kammer vermag sich dem abweichenden Hinweis des AG München und der abweichenden Entscheidung des LG Heilbronn nicht anzuschließen. Die dort genannten Befürchtungen einer privat organisierten dauerhaften und flächendeckenden Überwachung sämtlicher Personen, welche am öffentlichen Verkehr teilnehmen, mögen durchaus begründet sein, jedoch ersetzen diese Befürchtungen nicht eine Abwägung der Interessen der Beteiligten im Einzelfall. Die Gefahr zunehmender Datenerhebung, auch durch Private, mag bestehen, jedoch kann dieser Gefahr aus Sicht der Kammer nicht dadurch begegnet werden, dass die Zivilgerichte so gewonnene Erkenntnisse ohne Rücksicht auf den Einzelfall nicht zur Kenntnis nehmen. Im vorliegenden Fall sind die konkreten Interessen der Beklagten lediglich insoweit betroffen, als man auf einem Film und auf Fotos einen Audi mit dem Kennzeichen ppp. am Flughafen München zu einem bestimmten Zeitpunkt kurz rückwärtsfahren sieht. Die Beklagte selbst Ist nicht zu erkennen. Von einem gravierenden Grundrechtseingriff ist nicht auszugehen. Umgekehrt ist der Kläger beweislos. Er müsste gegebenenfalls, eine Klageabweisung wegen der – bei Betrachtung des Videos möglicherweise ohne weiteres widerlegbaren – unrichtigen Behauptung hinnehmen, der Audi wäre gar nicht rückwärtsgefahren. Derartiges ist nur schwer zu vermitteln, zumal das Interesse der Beklagten eigentlich nur darin besteht, dass ein streitiger Verkehrsunfall nicht aufgeklärt werden soll. Dieses Interesse ist nicht schützenswert.“

Ich bin gespannt, wie der 54. VGT mit der Frage umgehen wird.

Dash me, if you cam – it is allowed (?)

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Leider ist mein Blog nicht das erste, das über das AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14 – berichtet, das Verkehrsrechts-Blog war schneller (vgl. hier). Aber man kann nicht immer oder fast immer der erste sein.

Also bzw. dennoch: Sie war zu erwarten, eine erste Entscheidung zur Zulässigkeit der Verwertung von Dashcam-Aufzeichnungen im Straf-/Bußgeldverfahren. Für das Zivilrecht diskutieren wir die Frage ja schon eine ganze Zeit, nun ist sie auch im Strafverfahren aufgetreten. Und zwar in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Nötigung und der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 240, 315c StGB). Das war der geschädigte Zeuge wie folgt vorgegangen:

„Der Zeuge H. ist ausgebildeter IT-Administrator. Er ist im Datenschutzrecht geschult. Kurz vor dem unter Ziffer 1. geschilderten Fahrverlauf fiel dem Zeugen H. das hinter ihm befindliche Fahrzeug des Angeklagten durch sehr dichtes Auffahren auf. Daher aktivierte der Zeuge H. zum Zwecke der Beweissicherung für den etwaigen Fall eines Zusammenstoßes eine neben seinem Innenspiegel angebrachte Kamera (sogenannte Dashcam). Diese Kamera filmte sodann den Straßenbereich vor der Kühlerhaube des Fahrzeugs des Zeugen und speicherte die Aufnahmen digital auf einer SD-Speicherkarte. In die Bildfolge wird das jeweilige Datum samt Uhrzeit eingeblendet. Die Bildfolge hat eine Gesamtlänge von fünfeinhalb Minuten und endet auf dem Parkplatz des „pp. Döner“. Wegen der abgebildeten Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StGB Bezug auf die zu den Akten genommenen neun Einzelbildausdrucke mit den Zeitstempeln 19:06:27 bis 19:10:30 genommen (Anlagen 1 bis 9 des Protokolls der Hauptverhandlung).“

Das AG hat die Verwertung der Bilder als zulässig angesehen. Es sieht keinen Verstoß gegen das BDSG. Fertige ein Zeuge aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches Schuldverhältnis an, so sei dies in jeder Hinsicht mit den im Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret bestimmter rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar.

Und:

„Die zulässig angefertigte Kameraaufzeichnung darf im Strafverfahren auch verwertet werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung entgegenstünden. Hierbei kann ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw.BVerfG NJW 1990, 563, 564 – „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 = BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96  – „Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 – „Videoüberwachung am Arbeitsplatz“).

Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen. Das Gericht hat daher abzuwägen, ob im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der effektiven Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Im Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Angeklagten das allgemeine Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung. Die Verwertung der Aufzeichnung ist erforderlich, da aufgrund der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Die Verwertung ist auch verhältnismäßig. Denn zum einen ist nicht der Angeklagte selbst, sondern nur sein Fahrzeug abgebildet. Ein zu berücksichtigender Verstoß gegen das KUG kommt also von Anfang an nicht in Betracht. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt der Verwertung nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung der dringende Verdacht, dass der Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wegen fehlender Eignung die Fahrerlaubnis entzogen wird. Da diese Maßnahmen im konkreten Fall vor allem das Interesse aller Bürger an der zukünftigen Sicherheit des Straßenverkehrs schützen sollen, tritt das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung hier hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurück.“

Muss man sich mal intensiver mit beschäftigen, was ich noch nicht getan habe.

Nur so viel für den Verteidiger: ich würde der Verwertung der Aufnahmen der Dash-Cam, wenn ich das nicht für zulässig halte, widersprechen (BGHSt 38, 214 lässt grüßen). Denn ohne Widerspruch wird es schwer, ein Beweisverwertungsverbot in der Revision/Rechtsbeschwerde geltend zu machen.

Strafzumessung: Da müsste sich an sich die Tastatur sträuben

© Dan Race Fotolia .com

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OK, Strafzumessung ist schwer – wirklich? -, jedenfalls häufig für den Bestand eines Urteils nicht „ungefährlich“. Das zeigen dann die relativ häufigen Aufhebungen von Rechtsfolgenaussprüchen durch den BGH. Allerdings ist Strafzumessung m.E. nicht so schwer, dass man als Tatgericht nicht den ein oder anderen Fallstrick kennen sollte. Und das ist leider (manchmal) nicht der Fall. Das beweist m.E. mal wieder das BGH, Urt. v. 21.08.2014 – 3 StR 203/14 –, in dem es letztlich um einen allgemeinen Grundsatz der Strafzumessung geht, den der BGH mit zwei Sätzen erledigt, nämlich:

„2. Auch die wegen Tötung durch Unterlassen verhängte (Einzel-)Freiheitsstrafe hat keinen Bestand.

Das Landgericht hat bei deren Bemessung den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zu Grunde gelegt und von dessen Milderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB abgesehen. Dabei ließ es sich „entscheidend von der Über-legung leiten, dass die Angeklagte den schweren Taterfolg in Gestalt des Todes eines Menschen unschwer hätte verhindern können“. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, denn das Landgericht hat damit das strafbegründende Unterlassen selbst zugleich als Grund für die Versagung der Strafmilderung herangezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 1997 – 4 StR 487/97, NStZ 1998, 245).“

Sollte man wissen und vor allem beachten. Müsste sich an sich die Tastatur sträuben, so etwas zu schreiben.