Dash me, if you cam – it is allowed (?)

wikimedia.org Urheber Ellin Beltz

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Leider ist mein Blog nicht das erste, das über das AG Nienburg, Urt. v. 20.01.2015 – 4 Ds 155/14 – berichtet, das Verkehrsrechts-Blog war schneller (vgl. hier). Aber man kann nicht immer oder fast immer der erste sein.

Also bzw. dennoch: Sie war zu erwarten, eine erste Entscheidung zur Zulässigkeit der Verwertung von Dashcam-Aufzeichnungen im Straf-/Bußgeldverfahren. Für das Zivilrecht diskutieren wir die Frage ja schon eine ganze Zeit, nun ist sie auch im Strafverfahren aufgetreten. Und zwar in einem Verfahren wegen des Vorwurfs der Nötigung und der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 240, 315c StGB). Das war der geschädigte Zeuge wie folgt vorgegangen:

„Der Zeuge H. ist ausgebildeter IT-Administrator. Er ist im Datenschutzrecht geschult. Kurz vor dem unter Ziffer 1. geschilderten Fahrverlauf fiel dem Zeugen H. das hinter ihm befindliche Fahrzeug des Angeklagten durch sehr dichtes Auffahren auf. Daher aktivierte der Zeuge H. zum Zwecke der Beweissicherung für den etwaigen Fall eines Zusammenstoßes eine neben seinem Innenspiegel angebrachte Kamera (sogenannte Dashcam). Diese Kamera filmte sodann den Straßenbereich vor der Kühlerhaube des Fahrzeugs des Zeugen und speicherte die Aufnahmen digital auf einer SD-Speicherkarte. In die Bildfolge wird das jeweilige Datum samt Uhrzeit eingeblendet. Die Bildfolge hat eine Gesamtlänge von fünfeinhalb Minuten und endet auf dem Parkplatz des „pp. Döner“. Wegen der abgebildeten Einzelheiten wird gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StGB Bezug auf die zu den Akten genommenen neun Einzelbildausdrucke mit den Zeitstempeln 19:06:27 bis 19:10:30 genommen (Anlagen 1 bis 9 des Protokolls der Hauptverhandlung).“

Das AG hat die Verwertung der Bilder als zulässig angesehen. Es sieht keinen Verstoß gegen das BDSG. Fertige ein Zeuge aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches Schuldverhältnis an, so sei dies in jeder Hinsicht mit den im Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret bestimmter rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar.

Und:

„Die zulässig angefertigte Kameraaufzeichnung darf im Strafverfahren auch verwertet werden. Es sind keine Gründe ersichtlich, die einer Verwertung entgegenstünden. Hierbei kann ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw.BVerfG NJW 1990, 563, 564 – „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 = BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96  – „Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 – „Videoüberwachung am Arbeitsplatz“).

Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen. Das Gericht hat daher abzuwägen, ob im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der effektiven Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen.

Im Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Angeklagten das allgemeine Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung. Die Verwertung der Aufzeichnung ist erforderlich, da aufgrund der Unergiebigkeit der Zeugenaussagen keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Die Verwertung ist auch verhältnismäßig. Denn zum einen ist nicht der Angeklagte selbst, sondern nur sein Fahrzeug abgebildet. Ein zu berücksichtigender Verstoß gegen das KUG kommt also von Anfang an nicht in Betracht. Zum anderen bestand zum Zeitpunkt der Verwertung nach dem bisherigen Gang der Hauptverhandlung der dringende Verdacht, dass der Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs zu einer empfindlichen Freiheitsstrafe verurteilt und ihm wegen fehlender Eignung die Fahrerlaubnis entzogen wird. Da diese Maßnahmen im konkreten Fall vor allem das Interesse aller Bürger an der zukünftigen Sicherheit des Straßenverkehrs schützen sollen, tritt das Recht des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung hier hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung zurück.“

Muss man sich mal intensiver mit beschäftigen, was ich noch nicht getan habe.

Nur so viel für den Verteidiger: ich würde der Verwertung der Aufnahmen der Dash-Cam, wenn ich das nicht für zulässig halte, widersprechen (BGHSt 38, 214 lässt grüßen). Denn ohne Widerspruch wird es schwer, ein Beweisverwertungsverbot in der Revision/Rechtsbeschwerde geltend zu machen.

11 Gedanken zu „Dash me, if you cam – it is allowed (?)

  1. Maste

    Und sowas kurz vor dem WM- Finale:-) Die Polizeibeamten waren bestimmt begeistert kurz vor dem Anpfiff noch ausrücken zu müssen…

  2. Miraculix

    Ich hatte ein Verfahren vor dem OLG Hamm wegen eines Unfalls, das Gericht hatte überhaupt kein Problem mit der Verwertung. Zum Glück für mich – die Klage wurde auch wegen meines Videos das den Unfallhergang in allen Einzelheiten gezeigt hat abgewiesen.
    Ohne den Video-Beweis hätte ich einigermassen dumm dagestanden. Die StA hatte das Ermittlungsverfahren ebenfalls ohne Federlesen eingestellt.
    Die Kamera dient mir vor allem als Schutz vor ungerechtfertigten Anzeigen und Klagen.

  3. Miraculix

    Ja, aber nur in der Verhandlung zum gegnerischen Anwalt: „Diese Vorstellung ist fernliegend“.
    In der Entscheidung steht kein Wort darüber.

  4. OG

    Doch, auf Seite 11 wird die Zulässigkeit des Beweismittels problematisiert. Man muß wohl weiter zurückgehen, um eine Entscheidung ohne Tanz ums goldene Datenschutzrecht zu finden.

  5. Jochen Bauer

    Sehr bedenklich! Im Hinblick auf aktuell AG Nienburg 4 Ds 155/14, 4 Ds 520 Js 39473/14 (155/14) – alles kann letztlich als *nicht anlasslos* deklariert werden. Dann aber ließe sich Datenschutz „beerdigen“. Was ist wichtiger – m.M.: auch wenn öfter mal eine Beweisnot für den Geschädigten- „ärgerlich“ sein mag, ist dies regelmäßig hinzunehmen. Ausnahmsweise mag nach Güterabwägung zu Präventionszwecken für höchste Rechtsgüter wie Leib u. Leben anderes – also auch beweisverwertbarkeit gelten. Die Abgrenzungsformel nach anlasslos oder nicht ist aber kein taugliches Unterscheidungskriterium; kann es doch nicht mittelbar den erst unlängst durch die EuGH – Entscheidung zur Video- Überwachung gestärkten Datengrundrechtsschutz aus den Angeln heben.

  6. Purist

    Ich sehe keinen Sinn darin,
    Verkehrsrowdys wie diesen hier zu schützen. Wo soll der Unterschied zur Zeugenaussage liegen?

  7. Detlef Burhoff

    Wenn das so einfach wäre, würden sich nicht so viele Gerichte mit den Fragen – mit unterschiedlichen Ergebnissen – befassen. Und: das Totschlagargument „Verkehrsrowdy“ hilft in der Diskussion nicht weiter.

  8. Miraculix

    @OG Sie haben recht, ich hab das überlesen.
    Die vielen Gerichte…
    Verwaltungsgerichte und Zivilgerichte sehen das durchwachsen, im Strafrecht ist die Voraussetzung eine völlig andere. Strafgerichte müssen die Wahrheit ermitteln und Ihre Entscheidungen darauf stützen. Es spielt dabei (fast) keine Rolle wie die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Das ist auch der Grund warum Beweisverwertungsverbote so selten sind.

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