Ich habe da mal eine Frage: Muss ich mir die Pflichti-Gebühren anrechnen lassen?

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Und dann noch die Freitagsfrage, die heute wie folgt lautet:

„Eine Frage aus der Kategorie, „das sollte ich eigentlich selbst wissen“, aber irgendwie stehe ich mir gerade im Weg.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen meinen Mandanten Anklage wegen Diebstahls erhoben und die Einziehung des Wertes des vermeintlichen Diebesguts beantragt. Außerdem hat die angeblich Bestohlene im Adhäsionsverfahren die Zahlung des Wertes des Gestohlenen beantragt.

Das Amtsgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Die Kostengrundentscheidung lautet:

„Die Kosten des Verfahrens einschließlich der gerichtlichen Auslagen des Adhäsionsverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Landeskasse auferlegt. Die durch den Adhäsionsantrag entstanden notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Adhäsionsklägerin auferlegt.“

Die Entscheidung ist nicht angefochten worden. Ich war dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden und habe unter anderem eine Gebühr für das Adhäsionsverfahren nach VV-RVG Nr. 4143 erhalten.

Jetzt möchte ich die Wahlverteidigergebühren geltend machen.

Dabei sind diejenigen Gebühren, die ich bereits als Pflichtverteidiger erhalten habe, grundsätzlich in Abzug zu bringen. Gegenüber der Staatskasse kann ich allerdings die notwendigen Auslagen des Adhäsionsverfahrens, also die Wahlverteidigergebühren nach VV-RVG Nr. 4143 nicht ansetzen, weil diese nicht der Staatskasse, sondern der Adhäsionsklägerin auferlegt wurden (von der ich wegen Mittellosigkeit wohl nichts erlangen werde). Muss ich mir die Zahlung auch dieser Pflichtverteidigergebühr auf den auf Erstattung der Wahlverteidigergebühren anrechnen lassen?

Für Hilfestellung bin ich dankbar.“

Auslagen II: Nochmals Aktenversendungspauschale, oder: Haben Rechtspfleger nichts zu tun?

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Im zweiten Posting geht es um den AG Tiergarten, Beschl. v. 17.03.2025 – 288 OWi 11 56/24 – und in ihm noch einmal um die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG. Ja, schon 🙂 .

Das AG hat das Verfahren gegen die Betroffene nach § 206a StPO i.V.m. §46 OWiG wegen eines bestehenden Verfahrenshindernisses eingestellt und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Landeskasse auferlegt. Mit seinem Kostenfestset-zungsantrag hat der – nicht in Berlin ansässige – Verteidiger u.a. auch die Erstattung der Akten-übersendungspauschale in Höhe von 12,00 EUR zuzüglich 19 % Umsatzsteuer beantragt.
Der Rechtspfleger hat diese nicht festgesetzt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Aktenver-sendungspauschale gehöre nur dann zu den erstattungsfähigen notwendigen Auslagen der Be-troffenen, wenn die Hinzuziehung dieses Rechtsanwaltes zu einer zweckentsprechenden Ver-teidigung notwendig gewesen sein. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, denn die Betroffene habe ihren Wohnsitz in Berlin und es sei ihr daher zuzumuten gewesen und auch naheliegen-der, einen ortsansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwaltes entstandenen Mehrkosten habe sie daher selbst zu tragen. Dazu gehöre auch die Aktenversendungspauschale, da diese einem Berliner Verteidiger nicht erstat-tet werde. Die Akteneinsicht sei jederzeit an Behördenstelle möglich und eine Versendung der Akte entsprechend nicht erforderlich. Die Aktenversendung stelle vielmehr einen Service der Behörde dar, so dass Kostenschuldner der Rechtsanwalt sei (§ 28 GKG).
Hiergegen richtet sich die Erinnerung des Verteidigers, der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Diese hatte dann aber beim Gericht Erfolg.:

„Gemessen daran ist die durch den Verteidiger geltend gemachte Aktenversendungspauschale als Auslage auch notwendig und daher erstattungsfähig.

Denn der auswärtige Verteidiger kann das Recht auf Akteneinsicht vernünftigerweise und sachdienlich nur durch Übersendung der Gerichtsakte ausüben. Bei persönlicher Abholung der Akte entstünde ein Anspruch auf Vergütung der Reisekosten, welche in aller Regel höher als die Akten-versendungspauschale ausfielen. In diesem Fall ist die Aktenübersendung die für den Mandanten kostengünstigste Maßnahme zur Durchführung der Akteneinsicht mit der Folge, dass die Kosten für die Aktenübersendung eine notwendige Auslage darstellen.

Eine Kostenerstattung kann hier auch nicht mit dem Argument ausgeschlossen werden, die Betroffene hätte einen ortsansässigen Verteidiger beauftragen können, der seinerseits in der Lage gewesen wäre, die Akte abzuholen, so dass eine Versendung nicht notwendig und daher nicht erstattungsfähig gewesen wäre. Denn auch bei einem ortsansässigen Rechtsanwalt kann sich die Aktenversendungspauschale als notwendig erweisen, wenn es ihm wegen der Entfernung zum Gericht nicht ohne weiteres zumutbar ist, dieses wegen jeder Akteneinsicht persönlich aufzusuchen oder einen Boten zu schicken (AG Tiergarten, Beschluss vom 13.12.2018, 229 Ds 1 89/15; AG Köln, Beschluss vom ü8.06.2018, 707 Ds 101/15; AG Tiergarten, Beschluss vom 10.12.2024, 350 Gs 464/24). Das Kriterium der Ortsansässigkeit hat in einer Großstadt wie Berlin und angesichts der teilweise erheblichen Entfernungen zum Gericht auch für formal ortsansässige Rechtsanwälte kaum Trennschärfe (vgl. auch AG Tiergarten, Beschl. v. 10.12.2024, a.a.O.). Die Verweisung auf die hypothetische Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwaltes verfängt daher nicht.“

Das AG Tiergarten bestätigt mit der Entscheidung seine Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit der Aktenversendungspauschale auch für den ortsansässigen Verteidiger (vgl. dazu schon AG Tiergarten, Beschl. v. 10.12.2024 – 350 Gs 464/24 m.w.N.). Hier hatten wir es allerdings mit dem Sonderfall zu tun, dass es sich zwar um einen nicht ortsansässigen Verteidiger gehandelt hat, der Erstattung aber entgegen gehalten werden sollte, dass die Auslage deshalb nicht notwendig gewesen wäre, weil die Betroffene einen ortsansässigen Rechtsanwalt hätte beauftragen können, dem die Auslage dann nicht zu erstatten gewesen wäre; Stichwort: Versendung ist Serviceleistung der Justiz. Dem hat das AG erneut zur Recht eine Absage erteilt.

In dem Zusammenhang fragt man sich angesichts der Vielzahl der Entscheidungen, die sich mit der Aktenversendungspauschale befassen (müssen), ob Rechtspfleger eigentlich nichts oder zu wenig zu tun haben und daher diese Fragen immer wieder zum Spruch stellen. Die häufige lange Dauer von Kostenfestsetzungsverfahren dürfte eher für das Gegenteil sprechen.

Auslagen I: Reproduktion von Datenträgern/DVD, oder: Ersatz der Sachkosten

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Und als „gebührenrechtliche“ Entscheidungen  gibt es heute zwei Beschlüsse zu Auslagen.

Da mache ich mit dem AG Leipzig, Beschl. v. 23.01.2025 – 202 Ls 607 Js 28838/22 (2) – den Opener.

Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger des Angeklagten. Ihm ist Akteneinsicht gewährt wor-den. Nach Abschluss des Verfahrens hat der Rechtsanwalt seine Gebühren und Auslagen ge-genüber der Staatskasse geltend gemacht. Abgerechnet hat er u.a. auch eine Gebühr für Ko-pierkosten nach Nr. 7000 Ziff. 2 VV RVG in Höhe von 20,- EUR im Hinblick auf ihm im Rahmen der Akteneinsicht überlassenen 4 DVDs. Die Rechtspflegerin hat diese festgesetzt. Dagegen richtet sich die Erinnerung der Staatskasse. Die hatte jedoch beim Gericht keinen Erfolg:

„Die Erinnerung der Staatskasse gegen den Beschluss der Rechtspflegerin ist zulässig, jedoch unbegründet, so dass sie zurückzuweisen war.

Dem Pflichtverteidiger sind nach der Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG i.V.m. §§ 675, 670 BGB die Aufwendungen, die für die Kopie von DVD’s erforderlich waren, mithin 5,- Euro pro DVD (netto) zu erstatten.

Zwar führt der Bezirksrevisor zunächst zu Recht aus, dass sich der Erstattungsanspruch nicht aus Nr. 7000 VV RVG ergibt. Denn der Pflichtverteidiger hat weder Ablichtungen oder Ausdrucke aus den Gerichtsakten hergestellt (Nr. 7000 Ziffer 1 VV RVG) noch hat er „im Ein-verständnis mit dem Auftraggeber“ elektronisch gespeicherte Dateien überlassen (Nr. 7000 Ziffern 2, 1d VV RVG).

Der Gebührentatbestand der Nr. 7000 VV RVG findet auf die Überlassung bzw. Reproduktion von bei den Akten befindlichen Datenträgern keine unmittelbare Anwendung. Dies folgt bereits dadurch, dass Nr. 7000 Ziffer 2, welche auf Ziffer 1d Bezug nimmt, im Verhältnis zwischen Landeskasse und Pflichtverteidiger nicht anwendbar ist (Kroiß, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Auflage 2021,7000 VV RVG Rn. 9 m.w.N.). Die Regelung in Nr. 7000 Ziffer 1d VV RVG bezieht sich ausschließlich auf das privatrechtliche Mandatsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.03.2008 – III-3 Ws 72/08 -, NJW 2008, 2058). Hingegen sind weder das Gericht noch der Beschuldigte Auftraggeber des Pflichtverteidigers (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Auflage 2023, Nr. 7000 VV RVG, Rn. 155), dessen Bestellung als besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken einem begünstigenden Verwaltungsakt (vgl. BVerfGE 39, 238; NJW 1975, 1015; OLG Düsseldorf a.a.O.), nicht aber einem Auftragsverhältnis gleicht.

Der Pflichtverteidiger hat jedoch bezüglich seiner Aufwendungen im Zusammenhang mit der Überlassung bzw. Reproduktion von bei den Akten befindlichen Datenträgern einen Anspruch nach Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG i.V.m. §§ 675, 670 BGB.

Wie vorstehend dargestellt kann eine entsprechende Erstattung der Auslagen nicht nach Nr. 7000 VV RVG erfolgen. Zudem sind die Aufwendungen keine Gemeinkosten, die für den allgemeinen Bürobetrieb angefallen sind, sondern diese sind durch die Bearbeitung des kon-kreten Mandats veranlasst. Die durch den Pflichtverteidiger getätigten Aufwendungen waren auch erforderlich i.S.d. § 670 BGB. Denn die kopierten Datenträger waren Bestandteile der Sachakten und enthielten Beweismittel, deren Kenntnis für eine sachgerechte Verteidigung unerlässlich war.

Nach der Vorbemerkung 7 Abs. 1 Satz 2 VV RVG i.V.m. §§ 675, 670 BGB seien dem Pflichtverteidiger die tatsächlich entstandenen Aufwendungen zu ersetzen. Hierzu zählen vorliegend die Sachkosten für 4 DVD’s sowie die für die Erstellung der Kopien entstehenden Personalkosten, nicht aber die (anteiligen) Beschaffungskosten für die Hard- und Software, die als Gemeinkosten nicht gesondert erstattungsfähig sind. Dabei scheint es angemessen, sich im Hinblick auf den Aufwand hierfür an den Beträgen der Nr. 7000 Ziffer 2 VVRVG zu orientieren, welche für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien an einen Dritten für die in einem Arbeitsgang überlassenen, bereitgestellten oder in einem Arbeitsgang auf denselben Datenträger übertragenen Dokumente insgesamt bis zu 5,- Euro je Datenträger festsetzen. Da vorliegend insgesamt 4 DVD’s überlassen wurden, beträgt die Gesamtsumme der Erstattung hierfür 20,- Euro zzgl. Umsatzsteuer.“

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Zwar handelt es sich in diesem und in vergleich-baren Fällen häufig nicht um hohe Beträge, aber bekanntlich macht ja auch „Kleinvieh Mist“ und die Erstattung reduziert den Kostenapparat des Verteidigers. Die Entscheidung liegt auf der Linie der (ober)gerichtlichen Rechtsprechung.  Aber: Erstattet werden immer nur die Sachkosten für die Hilfsmit-tel, nicht aber (anteilige) Beschaffungskosten für Hard- und Software, die gem. Vorbem. 7 Abs. 1 S. 1 VV RVG als Gemeinkosten nicht gesondert erstattungsfähig sind.

StGB III: Verbreiten kinderpornografischer Schriften, oder: AG Ahaus mit interessanter Beweiswürdigung

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Und dann habe ich noch das schon etwas ältere AG Ahaus, Urt. v. 10.11.2023 – 3 Ls 76/23, das ich wegen der interessanten Beweiswürdigung jetzt noch vorstelle.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeklagten das Zugänglichmachen kinderpornographischer Inhalte gemn. § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie den Besitz kinderpornographischer Inhalte gem. § 184b Abs. 3 StGB zur Last gelegt. Das AG hat den freigesprochen. Es hatte folgende Feststellungen getroffen

„Der Angeklagte soll zum einen am 14.06.2022 um 15:36 Uhr drei kinderpornographische Bilddateien in das Internet hochgeladen haben. Dabei soll es sich zweimal um ein Bild gehandelt haben, das ein ca. 8.10 Jahre altes Mädchen unbekleidet seitlich auf einem Bett liegend gezeigt habe, das mit einer Hand Po und Vagina gespreizt habe. Das dritte Bild soll ein Mädchen im gleichen Alter gezeigt haben, das unbekleidet auf dem Rücken im Bett gelegen haben soll und mit beiden Händen die Schamlippen weit auseinandergezogen haben soll. Zum anderen soll der Angeklagte am 18.10.2022 auf seinem Mobiltelefon der Marke Samsung ein kinderpornographisches Video besessen haben, auf dem ein ca. 4jähriger unbekleideter Junge auf einer sandigen Straße stehen soll. Eine kleine Ziege soll an seinem Genital geleckt haben.“

Zur Beweisaufnahme führt das AG aus:

„Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts lediglich fest, dass das National Center for Missing & Exploited Children (NCMEC) in den USA dem LKA mitgeteilt hat, dass es am 14.06.2022 uni 15:36 Uhr erfahren haben will, dass von einer IP-Adresse, die zu diesem Zeitpunkt dem Angeklagten bzw. seiner im gleichen Haus lebenden Lebensgefährtin zuzuordnen war, drei Bilder mit dem vorgeworfenen Inhalt über Bing Image „upgeloaded“ worden sein sollen.

Zudem steht fest, dass das Video mit dem vorgeworfenen Inhalt am 18.10.2022 objektiv auf dem Mobiltelefon des Angeklagten vorhanden war.

Das Gericht konnte aber hinsichtlich des ersten Tatvorwurfs weder mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Angeklagte für diesen Upload verantwortlich war, noch, dass er die ihm vorgeworfenen Bilder überhaupt vorsätzlich oder nicht vorsätzlich im Internet heruntergeladen hat. Hinsichtlich des zweiten Tatvorwurfs konnte das Gericht nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen, dass dem Angeklagten das Vorhandensein des Videos auf seinem Mobiltelefon bewusst war.

Der Angeklagte hatte sich nicht zur Sache eingelassen. Die durchgeführte Beweisaufnahme hat nach Auffassung des AG dann aber nicht zu einem Tatnachweis geführt. Wegen der Einzelheiten der Würdigung verweise ich auf den Volltext. Sie lässt sich in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

1. Eine Verbreitenshandlung lässt sich nich allein dadurch feststellen, dass ein kinderpornographisches Bild lediglich über die Suchmaschine Bing-Image hochgeladen wird, da ein solcher Upload in technischer Hinsicht lediglich auf einen Microsoft-Server erfolgt. 

2. Zur Beweiswürdigung betreffend den bewussten Upload in Form der Suche eines selbst besessen Bildes.

StGB II: Wenn der Vermieter heimlich Videos macht, oder: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs?

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Als zweite Entscheidung habe ich dann den OLG Hamm, Beschl. v. 18.03.2025 – 4 ORs 24/25 – zur Frage der Strafbarkeit heimlicher Bildaufnahmen.

Das AG hat den Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen verurteilt. Zur Sache hat das AGfolgende Feststellungen getroffen:

„Der Zeuge J. bewohnte bei dem Angeklagten ein Zimmer. Der Angeklagte stellte am 09.07.2023 heimlich eine Videokamera mit Bewegungsauslöser versteckt hinter einem Rollcontainer in dem Zimmer des Zeugen J. auf. Bei Bewegungen des Zeugen J. zeichnete die Kamera Videosequenzen auf. Der Zeuge J. entdeckte die Kamera zufällig am 10.07.2023 gegen 17.04 Uhr bei der Reinigung seines Zimmers.“

Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das AG ferner auszugsweise Folgendes festgehalten:

„In der Hauptverhandlung wurden dann die Bilder Blatt 14 und Blatt 25 – 28 in Augenschein genommen. Auf Blatt 14 finden sich Abbildungen der Kamera. Auf Blatt 25 – 28 finden sich Aufnahmen, die von der Polizei nach Auswertung der SD Karte ausgedruckt wurden. Die Qualität dieser Bilder ist eher schlecht. Auf Blatt 28 unten kann man einen Arm erkennen, der offensichtlich beim Aufstellen der Digitalkamera aufgenommen wurde. Ferner findet sich auf Blatt 25 oben eine Aufnahme, auf der man sehen kann, wie jemand den Boden wischt. Weiter gibt es auf Blatt 26 oben auch eine Aufnahme des Fußbodens und von Schuhen. Blatt 27 oben zeigt eine Aufnahme einer Person. Man sieht lediglich die Oberschenkel, den unteren Bereich des Oberkörpers, eine Hand und ein Buch oder Heft das von dieser Hand gehalten wird. Die Person selbst ist bekleidet und nicht zu erkennen.

Im Auswertebericht der Polizei Blatt 16 – 17 ist zu entnehmen, dass sich auf der Kamera insgesamt 13 Videodateien befanden. Die ersten 4 Videos hätten gezeigt, wie die Kamera vorbereitet, geprüft und platziert worden sei. Sodann sei die Rückkehr des Zeugen am 10.07.2023 um 01.17 Uhr aufgenommen worden. Die Aufnahmen hätten jedoch kaum etwas erkennen lassen, da im Wesentlichen die Laufrolle eines Rollcontainers aufgenommen worden sei. Im Laufe des 10.07.2023 seien noch weitere Videos entstanden. Der Zeuge sei dabei jedoch jeweils beiläufig und bekleidet zu erkennen. Sodann sei schließlich zu sehen, wie der Zeuge mit einem Wischmob sein Zimmer reinige und den Container zur Seite schiebe. Hierbei habe er dann die Kamera entdeckt. Laut Zeitstempel sei die Kamera am 09.07.2023 um 23.18 Uhr in dem Zimmer des Zeugen platziert worden.“

Auf der Grundlage hat das AG eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB) angenommen. Dem OLG reichen die Feststellungen nicht.

Auch hier beschränke ich mich auf die Leitsätze zu der Entscheidung, den Rest bitte selbst lesen:

1. Nicht jede heimliche Aufnahme einer Person in ihrer Wohnung (bzw. in dem im Übrigen von § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfassten räumlichen Schutzbereich) führt per se zu einer Strafbarkeit wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen. Vielmehr bedarf es zusätzlich zu der Herstellung der Bildaufnahmen eines (Verletzungs-) Erfolges in Form einer „dadurch“ bewirkten „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person“. Insofern handelt es sich bei § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB um ein Erfolgsdelikt.

2. Zu orientieren ist der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ an dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Begriff der „Intimsphäre“, der vor allem, aber nicht nur die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen sind und die grundsätzlich die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten umfasst, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, wie bspw. Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen. Auf den Bereich der Sexualität und Nacktheit ist der Anwendungsbereich wiederum nicht zu beschränken. Auch bestimmte Tatsachen aus dem Familienleben sind dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzurechnen, bspw. solche, die die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen, darum unbeteiligten Dritten nicht ohne Weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen.

3. Situationen, die zwar der Privatsphäre zuzuordnen sind, aber ein „neutrales Verhalten“ zeigen, bedürfen hingegen des strafrechtlichen Schutzes typischerweise noch nicht. Die Herstellung einer Bildaufnahme von „neutralen“ Handlungen, wie dem Arbeiten, Kochen, Lesen, Fernsehen, Essen oder Schlafen in der Wohnung bewirkt demnach – wenn nicht im Einzelfall besondere Umstände vorliegen – für sich genommen noch keine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs des Opfers (im Anschluss an BGH, Beschl. v. 01.10.2024 – 1 StR 299/24).