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Kollision bei Vorbeifahrt an parkendem Fahrzeug, oder: Sorgfaltspflicht beim Ein-/Aussteigen

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Urheber Opihuck

Und dann als zweite Entscheidung mal wieder etwas zu einem Verkehrsunfall, und zwar zu einer Kollision während der Vorbeifahrt an einem parkendem Fahrzeug. Dazu verhält sich das LG Saarbrücken, Urt. v. 11.02.2022 – 13 S 135/21.

Die Klägerin befuhr mit ihrem Fahrzeug eine Einbahnstraße, die als verkehrsberuhigter Bereich i.S.v. § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2.) ausgewiesen war. Linksseitig parkten Fahrzeuge, rechtsseitig stand das bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherte Taxi. Der Erstbeklagte wollte aus dem Taxi aussteigen und öffnete hierzu die hintere linke Tür. In der Folge kam es zur Kollision mit dem Klägerfahrzeug.

Das AG hat der Klage statt gegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Unfall alleine von den Beklagten verschuldet sei. Die Beklagten hätten den gegen sie streitenden Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO nicht zu erschüttern bzw. widerlegen vermocht. Demgegenüber sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß der Klägerin nicht bewiesen. Die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs trete hinter den Sorgfaltsverstoß auf Beklagtenseite zurück. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit dem Ziel der Klageabweisung. Die Berufung hatte teilweise Erfolg:

„Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Zutreffend und von der Berufung unbeanstandet hat das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass sowohl die Klägerseite als auch die Zweitbeklagte grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, da die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und sich für keinen der beteiligten Fahrer als unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt.

2. Im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander hängt die Ersatzverpflichtung damit davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1, 2 StVG). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016 – VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 mwN).

3. Entgegen der Berufung hat das Erstgericht auf Beklagtenseite mit Recht einen unfallursächlichen Verstoß berücksichtigt. Dieser ergibt sich hier aber nicht aus § 14 Abs. 1 StVO unmittelbar, sondern aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. dem Rechtsgedanken des § 14 Abs. 1 StVO.

a) Der Unfall hat sich hier in einem verkehrsberuhigten Bereich im Sinne von § 42 StVO (Zeichen 325.1 u. 2) ereignet. Nach der Rechtsprechung der Kammer kommt hier wie auf Parkplätzen § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung (vgl. Kammer, Urteil vom 15. Juli 2016 – 13 S 20/16; Lafontaine in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 42 StVO Rdn. 71).

b) Den Aussteigenden trifft aber auch im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO die Pflicht, sich vor dem Türöffnen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Türöffnen geschädigt wird. Dabei können die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich – wie hier – in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann. Daher hatte der Erstbeklagte beim Türöffnen hier für die gesamte Dauer des Aussteigevorgangs, der erst mit dem Schließen der Fahrzeugtüre und dem Verlassen der Fahrbahn beendet ist (vgl. BGH, Urteil vom 06. Oktober 2009 – VI ZR 316/08, NJW 2009, 3791), besondere Vorsicht und Achtsamkeit walten zu lassen.

c) Ob wie bei § 14 Abs. 1 StVO ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Türöffnenden eingreift, kann hier offenbleiben. Denn nach den bindenden (§ 529 Abs. 1 ZPO) Feststellungen des Erstgerichts hat der Erstbeklagte zum einen die Tür beim Öffnungsvorgang nicht nur geringfügig, sondern jedenfalls 70-80 cm weit in den durch die Parkposition des Taxis ohnehin verengten Fahrraum geöffnet, wobei nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen das Spurenbild zudem auf einen (weiteren) Öffnungsvorgang während der Vorbeifahrt des Klägerfahrzeugs schließen lässt. Ferner hat der Erstbeklagte selbst angegeben, beim Aussteigen den Blick zu dem rechts neben ihm sitzenden Patienten gerichtet zu haben, anstatt den rückwärtigen Verkehrsraum genau zu beobachten.

d) Der Erstbeklagte hat damit die an ihn gerichteten Sorgfaltsanforderungen schuldhaft verletzt. Er selbst haftet daher aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO, dem grundsätzlich Schutznormcharakter zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 09. Dezember 2014 – VI ZR 155/14, NJW 2015, 1174). Auch die Zweitbeklagte haftet für den durch den Erstbeklagten beim Türöffnen verursachten Schaden (vgl. die Nachweise im Urteil der Kammer vom 20. November 2015 – 13 S 117/15, NJW-RR 2016, 356).

4. Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, auch auf Klägerseite sei ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß zu berücksichtigen.

a) Derjenige, der an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung (§ 1 Abs. 2 StVO) einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Dieser kann nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls durchaus geringer sein als der beim Überholen und bei der Begegnung regelmäßig verlangte Mindestabstand von 1 m (vgl. etwa OLG Köln, Beschluss vom 10. Juli 2014 – I-19 U 57/14 –, juris). Er muss aber jedenfalls so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen der Wagentür noch möglich bleibt, wenn für den Vorbeifahrenden nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1981 – VI ZR 297/79, VersR 1981, 533; OLG Frankfurt NZV 2014, 454). Die Klägerin hat diesen Sorgfaltsanforderungen hier genügt. Nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen ist sie mit einem Abstand von 70-80 cm an dem Beklagtenfahrzeug vorbeigefahren. Da die Beklagten einen Sorgfaltsverstoß der Klägerin nachzuweisen haben (vgl. OLG Celle, RuS 2019, 286), ist damit ein geringerer Abstand als 80 cm nicht bewiesen. Dieser war hier ausreichend. Konkrete Umstände, die hier einen noch größeren Seitenabstand geboten hätten, sind nicht ersichtlich. Hierfür genügt insbesondere nicht bereits, dass es sich bei dem Beklagtenfahrzeug um ein Taxi handelt und mit dem Aussteigen von Fahrgästen gerechnet werden musste. Denn der Abstand von 80 cm war grundsätzlich ausreichend, um Fahrgästen ein gefahrloses geringes Türöffnen zu ermöglichen.

b) Mit Recht hat das Erstgericht auch keinen sonstigen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO berücksichtigt. Zwar ist die Geschwindigkeit an der Unfallörtlichkeit auf 7 km/h begrenzt (Zeichen 274.1) und die Klägerin nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen jedenfalls mit 20 km/h und damit mit einer deutlich überhöhten Geschwindigkeit gefahren. Ein Geschwindigkeitsverstoß darf bei der Haftungsabwägung aber nur Berücksichtigung finden, wenn er sich unfallursächlich ausgewirkt hat (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 28. April 2016 – 4 U 106/15 –, juris). Dies bleibt hier aber nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens – wie auch die Berufung einräumt – gerade offen. Auch ein etwaiger Anscheinsbeweis (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 28. August 2012 – 3 O 250/10 –, juris) ist hier erschüttert, da nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen die ernsthafte Möglichkeit verbleibt, dass die Kollision durch eine (weitere) Türöffnung während der Vorbeifahrt verursacht wurde.

5. Da sich die Sorgfaltspflichten der Unfallbeteiligten hier jeweils nach § 1 Abs. 2 StVO richten und damit einander angenähert sind, und zudem die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung in einem verkehrsberuhigten Bereich die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs objektiv erhöht hat, erscheint es aber angemessen, diese hier nicht vollständig zurücktreten zu lassen, sondern mit 25% in die Haftungsabwägung einzustellen.“

Kauf des Pkw nach Bekanntwerden des Dieselskandals, oder: Keine sittenwidrige Schädigung?

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Im „Kessel Buntes“ am heutigen Samstag dann mal wieder  ein paar zivilrechtliche Entscheidungen zu den sog. Dieselfällen.

Zunächst der Hinweis auf das BGH, Urt. v. 21.12.2021 – VI ZR 277/20 – zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer nach einem Kauf nach Bekanntwerden des sog. Dieselskandals.

Der Kläger hatte am 14.10. 2015 von einem Autohaus einen gebrauchten Pkw Audi Q3 zum Kaufpreis von 29.000 EUR erworben. Das Fahrzeug war mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die erkannte, ob das Fahrzeug den für die Emissionsprüfung maßgeblichen Fahrzyklus durchlief oder sich im normalen Straßenverkehr befand. Im Prüfzyklus bewirkte die Software eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte der Abgasnorm Euro 5 für Stickoxidemissionen eingehalten werden konnten. Mit seiner Klage verlangt der Kläger im Wesentlichen Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs, Zinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Das LG hat die Klage abgewiesen. OLG Köln spricht Schadensersatz zu. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.  Die Revision hatte Erfolg:

„1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht auf § 826 BGB stützen.

a) Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 12; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 12; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 17 ff.), ist für die Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig in einer Gesamtschau dessen Gesamtcharakter zu ermitteln, weshalb ihr das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten zugrunde zu legen ist. Im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens beim konkreten Geschädigten begründet, weil der haftungsbegründende Tatbestand des § 826 BGB die Zufügung eines Schadens zwingend voraussetzt. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein. Eine solche Verhaltensänderung kann somit bereits der Bewertung seines Gesamtverhaltens als sittenwidrig – gerade in Bezug auf den geltend gemachten, erst später eingetretenen Schaden und gerade im Verhältnis zu dem erst später Geschädigten – entgegenstehen und ist nicht erst im Rahmen der Kausalität abhängig von den Vorstellungen des jeweiligen Geschädigten zu berücksichtigen.

b) Bei der demnach gebotenen Gesamtbetrachtung ist auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen das Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht als sittenwidrig zu beurteilen.

aa) Der Senat hat im Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798) auf Grundlage der im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen unter anderem ausgeführt, dass durch die vom Berufungsgericht festgestellte Verhaltensänderung der Beklagten wesentliche Elemente, die das Unwerturteil ihres bisherigen Verhaltens gegenüber bisherigen Käufern begründeten, derart relativiert wurden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gerade gegenüber späteren Käufern und gerade im Hinblick auf den Schaden, der bei diesen durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags nach dem 22. September 2015 entstanden sein könnte, nicht mehr gerechtfertigt ist (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts veröffentlichte die Beklagte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung, in der sie bekannt gab, dass sie die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software bei Diesel-Motoren vorantreibe und die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden sei. Auffällig seien Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA189. In einer Pressemitteilung vom 2. Oktober 2015 gab die Beklagte die Freischaltung von Webseiten auch ihrer Tochterunternehmen zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit eines Fahrzeugs bekannt.

Bereits die Mitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 war objektiv geeignet, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, diesbezügliche Arglosigkeit also zu beseitigen. Aufgrund der Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für die Ausnutzung einer diesbezüglichen Arglosigkeit war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (vgl. Senatsbeschluss vom 14. September 2021 – VI ZR 491/20, juris Rn. 11 mwN).

bb) Aus dem Umstand, dass der Kläger im Streitfall ein Fahrzeug der Marke Audi und nicht der Marke Volkswagen erworben hat, folgt nichts Anderes. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich, dass die Beklagte ihre Verhaltensänderung nicht auf ihre Kernmarke Volkswagen beschränkt, sondern im Gegenteil bereits in ihrer Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 darauf hingewiesen hat, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns vorhanden und der Motor vom Typ EA189 auffällig sei. Das mit der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 geänderte Verhalten der Beklagten war damit auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Konzernmarke nicht mehr darauf angelegt, das Kraftfahrtbundesamt und arglose Erwerber zu täuschen (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 17; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 15).

Dass die Beklagte möglicherweise auch im Hinblick auf die von ihrer Kernmarke Volkswagen abweichenden Marken ihrer Konzerntöchter weitere Schritte zu einer klareren Aufklärung potentieller, mit der Konzernstruktur und dem Markenportfolio der Beklagten nicht vertrauten Fahrzeugkäufer hätte unternehmen können, steht der Verneinung eines objektiv sittenwidrigen Vorgehens im Verhältnis zum Kläger und im Hinblick auf den von diesem im Oktober 2015 abgeschlossenen Kaufvertrag ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass nicht jeder potentielle Käufer subjektiv verlässlich über die Verwendungsbreite der unzulässigen Abschalteinrichtung in den verschiedenen Marken der Beklagten informiert wurde (Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 18; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 667 Rn. 20 ff.). Darauf, ob dem Kläger beim Kauf des Fahrzeugs im Oktober 2015 die Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten und die Berichterstattung ab dem 22. September 2015 bekannt waren, kommt es – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht an.

2. Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB (Senatsurteil vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 20 mwN; Senatsbeschluss vom 15. Juni 2021 – VI ZR 566/20, juris Rn. 7 f.).“

Dazu passen dann:

    1. Jedenfalls dadurch, dass die Audi AG am 25.01.2018 ihre Vertragshändler und Servicepartner nicht nur von den Rückrufanordnungen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) für die Audi Modelle mit V6- und V8-TDI-Motoren unterrichtet, sondern hierbei zugleich eine ausdrücklich so bezeichnete sowie anhand eines Musterschreibens („Beipack-zettel“) erläuterte „Hinweispflicht“ gegenüber den Kunden statuiert hatte, hat das Unternehmen einen radikalen Strategiewechsel vollzogen und auch nach außen erkennbar sein Verhalten so grundlegend geändert, dass ab diesem Zeitpunkt der auf das Gesamtverhalten bezogene Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht mehr gerechtfertigt ist.
    2. Ob und in welchem Umfang ein späterer Käufer entsprechend den Anweisungen der Audi AG tatsächlich aufgeklärt wurde, ist unerheblich. Es kommt weder auf seine Kenntnisse vom „Dieselskandal“ im Allgemeinen noch auf seine Vorstellungen von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen an. Nach-dem die Audi AG ihren grundlegenden Strategiewechsel vollzogen hatte, wurde einem späteren Erwerber unabhängig von seinem Wissensstand und seinem subjektiven Vorstellungsbild nicht sittenwidrig ein Schaden zugefügt.

 1. Wer erst 2019 ein erstmals 2014 – also vor Aufdeckung des Dieselabgas-Skandals – zugelassenes Diesel-Kraftfahrzeug erwirbt, erleidet nicht einen gemäß § 826 BGB als „ungewollte Verbindlichkeit“ ersatzfähigen Schaden, sollte sich nach dem Erwerb herausstellen, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abgas-Abschaltung ausgerüstet war und deshalb etwa auf Veranlassung des Kraftfahrtbundesamtes ein Software-Update aufgespielt werden muss. Sein Erwerb war erkennbar von vornherein mit diesem Risiko belastet.

2. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB käme in einer derartigen Konstellation erst dann in Betracht, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht mehr durch technische Maßnahmen wie ein Software-Update zu beseitigen ist und deshalb die Stilllegung des Fahrzeugs erfolgt.

Einspruch gegen Versäumnisurteil per Fax eingelegt, oder: Geht nicht mehr, nur noch durch beA

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Heute „Kessel-Buntes_Tag“ – wie immer am Samstag. Und ich stelle dann noch einmal zwei Entscheidungen zur aktiven Nutzungspflicht und/oder dem elektronischen Dokument vor. Die eine stammt aus einem Zivilverfahren, die andere ist im Strafverfahren ergangen.

Zunächst hier die Entscheidung aus dem Zivilverfahren. Das LG Köln nimmt im LG Köln, Urt. v. 22.02.2022 – 14 O 395/21 – kurz und zackig zur Zulässigkeit eines Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil Stellung. Das LG hat den Einspruch des Beklagten als unzulässig verworfem.

„Der Einspruch war zu verwerfen, weil er nicht in der gesetzlichen Form eingelegt worden ist (§ 341 ZPO).

Der Einspruch wird gemäß § 340 Abs. 1 ZPO durch Einreichung der Einspruchsschrift bei dem Prozessgericht eingelegt. Seit Beginn des Jahres 2022 gilt § 130d ZPO, wonach „vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt […] eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. Insoweit ergeben sich die Einzelheiten aus § 130a ZPO. Auch die Einspruchsschrift nach einem Versäumnisurteil fällt als bestimmender Schriftsatz unter die Pflicht nach §§ 130a, 130d ZPO.

Vorliegend ist der Einspruch vom 13.01.2022 durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers lediglich per Fax am 14.01.2022 beim Landgericht Köln eingegangen. Dies genügt nicht den Anforderungen der §§ 130a, 130d ZPO. Die Einspruchsschrift ist auch nach dem Faxeingang nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden.

Auch nach Hinweis des Gerichts vom 28.01.2022 auf diesen Umstand ist die Einspruchsschrift nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden. Eine Unmöglichkeit der Übermittlung als elektronisches Dokument nach § 130d S. 2 ZPO ist nicht dargelegt worden.

Die Erhebung des Einspruchs per Fax als Prozesshandlung ist folglich unwirksam und nicht zu beachten. Angesichts des Zeitablaufs seit Zustellung des Versäumnisurteils war der formnichtige Einspruch zu verwerfen.“

Ich verstehe nicht, warum man als Prozessbevommächtigte nicht auf den Hinweis des Gerichts reagiert und versucht zu retten, was noch zu retten ist.

Wiedereinsetzung, wenn eine Sendung verloren geht, oder: Rechtzeitige Versendung glaubhaft gemacht?

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Wiedereinsetzung (im Zivilverfahren), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.01.2022 – XII ZB 227/21.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem die Klägerin/Antragstellering ihren geschiedenen Ehemann, mit der Behauptung, er habe sie während der Ehezeit im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung verletzt, auf Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch nimmt. Das von der Klägering ursprünglich angerufene LG hat den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Dieses hat den Anträgen mit Beschluss vom 03.11.2020, dem Antragsgegner zugestellt am 12.11.2020, teilweise stattgegeben.

Hiergegen hat der Ehemann am 30.11.2020 Beschwerde eingelegt. Nachdem sein Verfahrensbevollmächtigter vom OLG am 02.02.2021 darauf hingewiesen worden war, dass die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist unzulässig sein dürfte, hat er am selben Tag beglaubigte Abschriften einer Beschwerdebegründung vom 07.01.2021 eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Arbeiten an der Begründung in der Mittagszeit des 07.01.2021 abgeschlossen, das Original unterschrieben, eine Kopie davon gefertigt, die beiden erforderlichen Überstücke gefertigt, diese Unterlagen kuvertiert und dann frankiert. Entgegen der ursprünglichen Planung habe nicht seine mit ihm in der Kanzlei als Rechtsanwältin tätige Ehefrau, sondern er selbst den Umschlag in einen – detailliert bezeichneten – Briefkasten eingeworfen, und zwar zwischen dessen erster Leerung um 14.00 Uhr und der zweiten Leerung um 16.30 Uhr. Diese Angaben hat der Verfahrensbevollmächtigte anwaltlich versichert und zudem eine anwaltliche Versicherung seiner Ehefrau beigefügt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Hiergegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Antragsgegner hat zwar die Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, die am 12. Januar 2021 ablief. Die Begründung des Oberlandesgerichts, mit der es den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen diese Versäumung zurückgewiesen hat, ist jedoch rechtsfehlerhaft.

a) Wird – wie hier – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen, kann eine Partei dies regelmäßig nicht anders glaubhaft machen als durch Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post, die als letztes Stück des Übermittlungsgeschehens noch ihrer Wahrnehmung zugänglich ist. Wiedereinsetzung ist daher zu gewähren, wenn der Antragsteller aufgrund einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Verfahrensbevollmächtigten eingetreten ist. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dagegen ebenso wie eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstücks gekommen ist, nicht erforderlich. Die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen muss die Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO vortragen und glaubhaft machen (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 8 mwN).

b) Diese Grundsätze hat das Oberlandesgericht auch nicht verkannt und ist zu Recht davon ausgegangen, dass der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gehaltene Vortrag den dargestellten Anforderungen an eine Schilderung der tatsächlichen Abläufe zu einer rechtzeitigen (vgl. hierzu etwa BGH Beschluss vom 22. Juni 2021 – VIII ZB 56/20MDR 2021, 1082 Rn. 27 mwN) Postaufgabe des Schriftsatzes gerecht wird. Die Rechtsbeschwerde wendet sich aber mit Erfolg gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, dem Antragsgegner sei mangels Glaubhaftmachung dieses Wiedereinsetzungsgrunds im Sinne von §§ 233 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu versagen.

aa) Eine Behauptung ist dann im Sinne von §§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft, also letztlich mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Dabei hat der Tatrichter die vom Antragsteller angebotenen Mittel zur Glaubhaftmachung im Hinblick darauf nach § 286 ZPO frei zu würdigen. Diese Beweiswürdigung kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17FamRZ 2018, 447 Rn. 15 mwN).

bb) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die zur Glaubhaftmachung vorgenommene Beurteilung des Oberlandesgerichts keinen rechtlichen Bestand haben.

(1) Dies folgt bereits – wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt – daraus, dass das Oberlandesgericht der anwaltlichen Versicherung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keinen Glauben geschenkt hat, ohne den Antragsgegner hierauf vor der Endentscheidung hinzuweisen. Denn von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung wie vorliegend keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die – vom Oberlandesgericht vorliegend ersichtlich nicht vorgenommene – Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt. Ist das der Fall, bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 13 f. mwN).

(2) Ebenfalls richtig ist der Hinweis der Rechtsbeschwerde, das Oberlandesgericht habe die Verneinung der Glaubhaftmachung nicht mit Erfolg auf die Überlegung stützen können, dass es an Vortrag zur Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners und an Belegen zur internen Dokumentation der Fristwahrung und der Ausgangskontrolle zum hier in Rede stehenden Vorgang fehle. Denn auf diese Umstände käme es nicht an, wenn der Einwurf der Rechtsmittelbegründung in den Postkasten ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht wäre, weil in diesem Fall eventuelle Organisations- und Dokumentationsmängel nicht für die Fristversäumung ursächlich wären (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 200/20NJW-RR 2021, 505 Rn. 16 mwN; BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).

(3) Schließlich macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, die angefochtene Entscheidung werde auch nicht von der Erwägung des Oberlandesgerichts getragen, dass der Schriftsatz – anders als die übrigen im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriftsätze – nicht auch per Fax übersandt worden sei. Denn der Antragsgegner war nicht gehalten, sich zu einer solchen zusätzlichen Vorsorge seines Verfahrensbevollmächtigten, zu der keine Rechtspflicht besteht, zu äußern (vgl. dazu BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).“

Antragseinreichung durch elektronisches Dokument, oder: Zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst etwas zum elektronischen Dokument, und zwar den OLG Nürnberg, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 W 149/22.

Im Beschluss geht es u.a. um die Zulässigkeit eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt worden. Das LG hat den Antragsteller auf die Unwirksamkeit des Eingangs der Dokumente nach § 130a ZPO hingewiesen, da die Dokumente nicht kopierbar und durchsuchbar seien. Der Antragsteller übersandte daraufhin die Schriftsätze erneut an das LG. Das wies die Anträge als unzulässig zurück, weil sie nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien. Die Beschwerde hatte dann beim OLG Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Landgericht Nürnberg-Fürth den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Nichteinhaltung der Vorgaben zum Dateiformat nach § 130a Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen.

1. Nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Ob ein Dokument zur Bearbeitung bei Gericht geeignet ist, richtet sich gemäß § 130 a Abs. 2 S. 2 ZPO nach den Bestimmungen der Elektronischer-Rechtsverkehr-VO (ERVV) und den ergänzend hierzu erlassenen Bekanntmachungen (ERVB). Genügt das elektronische Dokument diesen Vorgaben, ist es für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet; ein im internen Gerichtsbetrieb auftretender Fehler führt dagegen nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2020 – X ZR 119/18, GRUR 2020, 980, Rn. 13 – Aktivitätsüberwachung).

a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Dies bedeutet, dass in den das Dokument enthaltenen Eigenschaften der Datei nicht die Möglichkeit des Drucks ausgeschlossen werden oder die Datei mit einem Kennwort zum Öffnen versehen sein darf (Kersting/Wettich, in Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL Sept. 2021, Teil 24, B. Elektronischer Rechtsverkehr, Rn. 20). Den Bedingungen der ERVV entspricht das Dokument auch dann nicht, wenn es verschlüsselt oder mit Viren verseucht oder mit einer anderen schädlichen Software verbunden ist (Fritsche, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 130a ZPO Rn. 4; BT-Drucksache 19/28399, S. 13). Das Merkmal der „Kopierbarkeit“ bezieht sich (lediglich) auf eine PDF-Sicherheitseigenschaft, mit der die Kopierbarkeit des Inhalts der PDF-Datei mit einem PDF-Anzeigeprogramm ausgeschlossen werden kann (Müller, NZS 2018, 207 [211]).

Nicht jeder Verstoß gegen die ERVV soll zur starren Rechtsfolge der (nach § 130 a Abs. 6 ZPO heilbaren) Formunwirksamkeit führen. Denn § 130 a Abs. 2 ZPO, den die ERVV näher ausgestaltet, soll lediglich gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für das Gericht lesbar und bearbeitungsfähig sind (BT-Drs. 17/12634, S. 25). Vor dem Hintergrund dieses Zwecks ist auch die Rechtsfolge eines Verstoßes zu bestimmen: Formunwirksamkeit tritt dann ein, wenn der Verstoß dazu führt, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, z.B. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen bzw. der elektronischen Akte nicht hinzufügen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Demgegenüber führen Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn sie lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen sollen, nicht aber der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegenstehen (OLG Koblenz, Beschluss vom 23.11.2020 – 3 U 1442/20, NJOZ 2021, 758, Rn. 9; Anders, in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 130a Rn. 10a).

b) Mit Gesetz vom 05.10.2021 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2022 die technischen Rahmenbedingungen entschärft. Zwingend vorgegeben wird nach § 130a Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV n.F. nunmehr (lediglich) das Dateiformat als PDF. Der Verstoß gegen andere technische Standards soll nur noch dann zur Formunwirksamkeit führen, wenn er dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist (BT-Drs. 19/28399, S. 33, 40). Damit trägt der Gesetzgeber einzelnen Gerichtsentscheidungen Rechnung, die im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Zugang zu Gericht die Einreichung eines elektronischen Dokuments für wirksam erachtet haben, wenn es trotz Unterschreitens der technischen Anforderungen für das Gericht lesbar und bearbeitbar war (von Selle, in BeckOK ZPO, 43. Ed. 01.01.2022, § 130a Rn. 9.2).

Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabes kann der gestellte Antrag nicht als unzulässig verworfen werden.

a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Annahme des Landgerichts – wonach die Anträge nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien, da die eingereichten Dokumente nicht in weiterbearbeitbarer Weise kopierbar seien – zutreffend ist.

Die von der Antragstellerseite eingereichten Dokumente wurden als PDF übersandt und besaßen, wie glaubhaft gemacht, unter anderem die Eigenschaft, dass „Kopieren von Inhalt“ zulässig sei. Dem widersprechen auch nicht die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Beschluss. Denn das Landgericht führte selbst aus, dass es Teile aus den eingereichten Dokumenten kopiert habe.

Soweit das Landgericht bemängelt, dass ein Problem beim nachträglichen Einfügen der kopierten Teile in ein anderes elektronisches Dokument bestanden habe, weil dabei eine unleserliche und sinnentstellte Buchstabenreihung entstanden sei, führt dies nicht zur Unzulässigkeit des Antrags nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO in der zum Zeitpunkt des Antragseingangs am 20.10.2021 geltenden Fassung. Denn es handelt sich dabei nicht um einen im Verantwortungsbereich des Antragstellers liegenden Mangel der Bearbeitungseignung. Maßgeblich dafür ist, dass die vom Antragsteller übersandten Dokumente nicht mit einem Kennwort zum Öffnen oder schädlicher Software versehen waren oder bei ihnen die Möglichkeit des Kopierens ausgeschlossen wurde. Die vom Landgericht beschriebenen Probleme beim Einfügen in ein Drittdokument sind vielmehr vergleichbar mit einem im internen Gerichtsbetrieb auftretenden Fehler, der nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung führt.

b) Darauf kommt es jedoch nicht streitentscheidend an, da es sich jedenfalls bei dem vom Landgericht gerügten Formmangel nicht um einen Verstoß handelt, der – auch vor dem Hintergrund der mit Wirkung zum 01.01.2022 erfolgten Gesetzesänderung – zur Formunwirksamkeit der Anträge führt. Denn die Möglichkeit der Weiterverarbeitung von kopierten Dokumenten soll lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen, steht aber nicht der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegen. Für Letzteres ist ausreichend, dass sich die Dateien – wie vorliegend unstreitig gegeben – öffnen und lesen lassen, der elektronischen Akte hinzugefügt werden können und nicht schadcodebelastet sind. Folgerichtig bestätigte – wie durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht – der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts nach telefonischer Nachfrage vom 26.11.2021 dem Antragsteller die Bearbeitbarkeit der versandten Unterlagen. Vor diesem Hintergrund wäre die Zurückweisung des Antrags als unzulässig wegen der Formvorschrift des § 130a Abs. 2 ZPO eine Missachtung der Verfassungsrechtsprechung, die es verbietet, den Zugang zu Gericht durch Anforderungen des formellen Rechts unverhältnismäßig zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 – 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814).“