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Wiedereinsetzung, wenn eine Sendung verloren geht, oder: Rechtzeitige Versendung glaubhaft gemacht?

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Im zweiten Posting dann noch einmal etwas zur Wiedereinsetzung (im Zivilverfahren), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.01.2022 – XII ZB 227/21.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem die Klägerin/Antragstellering ihren geschiedenen Ehemann, mit der Behauptung, er habe sie während der Ehezeit im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung verletzt, auf Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch nimmt. Das von der Klägering ursprünglich angerufene LG hat den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Familiengericht verwiesen. Dieses hat den Anträgen mit Beschluss vom 03.11.2020, dem Antragsgegner zugestellt am 12.11.2020, teilweise stattgegeben.

Hiergegen hat der Ehemann am 30.11.2020 Beschwerde eingelegt. Nachdem sein Verfahrensbevollmächtigter vom OLG am 02.02.2021 darauf hingewiesen worden war, dass die Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist unzulässig sein dürfte, hat er am selben Tag beglaubigte Abschriften einer Beschwerdebegründung vom 07.01.2021 eingereicht und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe die Arbeiten an der Begründung in der Mittagszeit des 07.01.2021 abgeschlossen, das Original unterschrieben, eine Kopie davon gefertigt, die beiden erforderlichen Überstücke gefertigt, diese Unterlagen kuvertiert und dann frankiert. Entgegen der ursprünglichen Planung habe nicht seine mit ihm in der Kanzlei als Rechtsanwältin tätige Ehefrau, sondern er selbst den Umschlag in einen – detailliert bezeichneten – Briefkasten eingeworfen, und zwar zwischen dessen erster Leerung um 14.00 Uhr und der zweiten Leerung um 16.30 Uhr. Diese Angaben hat der Verfahrensbevollmächtigte anwaltlich versichert und zudem eine anwaltliche Versicherung seiner Ehefrau beigefügt.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragsgegners verworfen. Hiergegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Antragsgegner hat zwar die Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt, die am 12. Januar 2021 ablief. Die Begründung des Oberlandesgerichts, mit der es den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen diese Versäumung zurückgewiesen hat, ist jedoch rechtsfehlerhaft.

a) Wird – wie hier – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Behauptung begehrt, ein fristgebundener Schriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen, kann eine Partei dies regelmäßig nicht anders glaubhaft machen als durch Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Aufgabe des Schriftstücks zur Post, die als letztes Stück des Übermittlungsgeschehens noch ihrer Wahrnehmung zugänglich ist. Wiedereinsetzung ist daher zu gewähren, wenn der Antragsteller aufgrund einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe bis zur rechtzeitigen Aufgabe des in Verlust geratenen Schriftsatzes zur Post glaubhaft macht, dass der Verlust mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht im Verantwortungsbereich seines Verfahrensbevollmächtigten eingetreten ist. Ein Nachweis dafür, dass das Schriftstück tatsächlich in den Postlauf gelangt ist, ist dagegen ebenso wie eine Glaubhaftmachung, wo und auf welche Weise es zum Verlust des Schriftstücks gekommen ist, nicht erforderlich. Die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen muss die Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO vortragen und glaubhaft machen (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 8 mwN).

b) Diese Grundsätze hat das Oberlandesgericht auch nicht verkannt und ist zu Recht davon ausgegangen, dass der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gehaltene Vortrag den dargestellten Anforderungen an eine Schilderung der tatsächlichen Abläufe zu einer rechtzeitigen (vgl. hierzu etwa BGH Beschluss vom 22. Juni 2021 – VIII ZB 56/20MDR 2021, 1082 Rn. 27 mwN) Postaufgabe des Schriftsatzes gerecht wird. Die Rechtsbeschwerde wendet sich aber mit Erfolg gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts, dem Antragsgegner sei mangels Glaubhaftmachung dieses Wiedereinsetzungsgrunds im Sinne von §§ 233 Satz 1, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist zu versagen.

aa) Eine Behauptung ist dann im Sinne von §§ 236 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft, also letztlich mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Dabei hat der Tatrichter die vom Antragsteller angebotenen Mittel zur Glaubhaftmachung im Hinblick darauf nach § 286 ZPO frei zu würdigen. Diese Beweiswürdigung kann von dem Rechtsbeschwerdegericht nur darauf überprüft werden, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 356/17FamRZ 2018, 447 Rn. 15 mwN).

bb) Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs kann die zur Glaubhaftmachung vorgenommene Beurteilung des Oberlandesgerichts keinen rechtlichen Bestand haben.

(1) Dies folgt bereits – wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt – daraus, dass das Oberlandesgericht der anwaltlichen Versicherung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keinen Glauben geschenkt hat, ohne den Antragsgegner hierauf vor der Endentscheidung hinzuweisen. Denn von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung ist grundsätzlich auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung wie vorliegend keinen Glauben, muss es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die – vom Oberlandesgericht vorliegend ersichtlich nicht vorgenommene – Prüfung veranlasst, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt. Ist das der Fall, bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung (Senatsbeschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 329/20FamRZ 2021, 619 Rn. 13 f. mwN).

(2) Ebenfalls richtig ist der Hinweis der Rechtsbeschwerde, das Oberlandesgericht habe die Verneinung der Glaubhaftmachung nicht mit Erfolg auf die Überlegung stützen können, dass es an Vortrag zur Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners und an Belegen zur internen Dokumentation der Fristwahrung und der Ausgangskontrolle zum hier in Rede stehenden Vorgang fehle. Denn auf diese Umstände käme es nicht an, wenn der Einwurf der Rechtsmittelbegründung in den Postkasten ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht wäre, weil in diesem Fall eventuelle Organisations- und Dokumentationsmängel nicht für die Fristversäumung ursächlich wären (vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2020 – XII ZB 200/20NJW-RR 2021, 505 Rn. 16 mwN; BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).

(3) Schließlich macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, die angefochtene Entscheidung werde auch nicht von der Erwägung des Oberlandesgerichts getragen, dass der Schriftsatz – anders als die übrigen im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriftsätze – nicht auch per Fax übersandt worden sei. Denn der Antragsgegner war nicht gehalten, sich zu einer solchen zusätzlichen Vorsorge seines Verfahrensbevollmächtigten, zu der keine Rechtspflicht besteht, zu äußern (vgl. dazu BGH Beschluss vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – juris Rn. 14).“