Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

KCanG II: Verwertung „alter“ Überwachungsdaten, oder: Bewährung bei Neufestsetzung der Strafe?

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Und im zweiten KCanG-Posting des Tages dann drei Entscheidungen aus der Instanz, und zwar zum Verfahrensrecht. Die beiden OLG Entscheidungen befassen sich noch einmal mit der Verwertung „alter“ Erkenntnisse aus der Überwachung von Messenger-Diensten unter Geltung des KCanG. Die LG Entscheidung befasst sich mit der Neufestsetzung der Strafe nach dem KCanG.

Hier sind:

Soweit einige Obergerichte unter Anwendung der Encro-Chat-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Grundsätze die Zulässigkeit der Verwertung von Daten aus Kryptierdiensten beim Vorliegen von „nur“ Vergehen, auch bei Verwirklichung besonders schwerer Fälle, nach dem KCanG verneint, da der seitens des BGH fruchtbar gemachte Schutzbereich von §§ 100e Abs. 6, 100b StPO insoweit mangels Vorliegens von Katalogtaten nicht (mehr) eröffnet sei, tritt der Senat dieser Rechtsprechung nicht bei. Der Entscheidung des BGH zum Kryptierdienst kann eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 110b StPO in Betracht zu ziehen.

Die Verwertung von Informationen, die aufgrund der Überwachung und Entschlüsselung von Kommunikationsvorgängen in den Kryptiersystemen SkyECC und An0m durch Ermittlungsbehörden ausländischer Staaten erhoben und im Wege der Rechtshilfe erlangt wurden, erfüllt dann die Voraussetzung der strikten Verhältnismäßigkeit, wenn die zugrunde liegende Tat vom Katalog des § 100a Abs. 2 StPO (vorliegend: § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG) erfasst ist und auch die übrigen Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO gegeben sind.

1. Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.

2. Mit der Aussetzungsentscheidung ist die Bewährungszeit neu festzusetzen. Die Bewährungszeit beginnt nach § 56a Satz 1 StGB mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung.

3. Auf die neue Bewährungszeit ist die Zeit, in der der Verurteilte seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils unter Bewährung stand, anzurechnen.

Überall sieht man wieder Black-Friday-Werbung, oder: Aber bei Burhoff-Online ist immer „Black-Friday“

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Seit Tagen, wenn nicht seit Wochen, liest man – egal, ob man möchte oder nicht – überall Hinweise auf „Black-Friday“. Und wenn man die liest, weiß man: Es ist Ende November, die Adventszeit und Weihnachten steht vor der Tür. Und das ist dann die Zeit für die „besten Deals“, die „besten Preise“ und „große Rabatte“.

Ich habe es natürlich auch gelesen und mir dabei gedacht: Was soll das „Getue“? Denn bei mir und meinen Büchern ist doch immer „Black-Friday“. Es gibt doch immer gute Angebote und Aktionen. Dafür brauche ich keinen Sondertag und/oder Sonderverkauf, sondern: Das ist Alltagsgeschäft.

Aber: Ich will und muss dann doch mal darauf hinweisen und daher gibt es hier heute zum Tagesbeginn diesen Sonderbeitrag – ja, ein reines Werbeposting, was es sonst ja nur selten gibt. Also:

Zunächst hier Hinweise auf Sonderaktionen in Zusammenhang mit meinen Handbüchern

Die sind ja jetzt gerade im Herbst neu erscheinen. Jedes Werk für 129,00 EUR, was m.E. schon günstig ist.

Aber: Es geht noch besser/günstiger – und zwar immer, nicht nur zu Black-Friday. Denn:
Es gibt zu den Werken wieder ein „Burhoff-Paket„, das aus dem „Ermittlungsverfahren“ und der „Hauptverhandlung“ besteht. Dieses Paket ist natürlich erheblich preisreduziert, so dass sich die Sammelbestellung auf jeden Fall lohnt. Das „Burhoff-Paket“ gibt es für 209 €, also mit einem Rabatt von 49 EUR.

Aus Anlass des Neuerscheinens der drei Handbücher Ermittlungsverfahren, Hauptverhandlung und Rechtsmittelverfahren gibt es auch wieder ein weiteres Paket, und zwar die „Burhoff-Trilogie“ 2024. Die besteht aus den drei neu erschienenen Handbüchern. Preis der Trilogie: 269 EUR. Das ist eine Ersparnis gegenüber dem Einzelbezug der Werke von insgesamt mehr als 30 %.

Aber das ist noch nicht alles, denn es gibt noch ein weiteres Spar-Paket, und zwar das „Verkehrsrechtspaket“. Das besteht aus:

Also: Geballtes aktuelles Wissen im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Recht. Und das für nur 209,00 EUR. Damit spart man gegenüber dem Einzelbezug der Werke mehr als 40,00 EUR.

Und schließlich: Auch der RVG-Kommentar Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, ist kostengünstig zu beziehen. Das Werk gibt es inzwischen nämlich als sog. Mängelexemplar zu einem reduzierten Preis von 99 EUR – das sind 30 EUR Ersparnis.

Der RVG-Kommentar ist zwar schon im März 2021 erschienen, er enthält alle Änderungen durch das KostRÄG 2021 und ist immer noch aktuell. Und bei der Gelegenheit: Er wird auch noch weiter lieferbar bleiben, denn es wird m.E. auf absehbare Zeit keine RVG-Änderungen geben. Die angekündigten RVG-Änderungen bzw. – Erhöhungen haben sich durch das Scheitern der Ampelkoalition in Wohlgefallen aufgelöst. Ich vermute, dass es vor Ende 2025/Anfang 2026 keine Änderungen geben wird. So lange wollen wir warten, stehen aber Gewehr bei Fuß, um dann ganz schnell neu da sein zu können.

Und? Geschmack bekommen und Interesse eins der o.a. Pakete/Werke zu bestellen? Das geht ganz einfach auf der Bestellseite meiner Homepage. Einfach hier klicken und man kann bestellen. Danach muss man dann nichts mehr tun. Die Werke werden vom Verlag geliefert, die Rechnung kommt von mir. Bestellen kann man da übrigens nicht nur die o.a. Pakete, sondern natürlich auch die einzelnen Werke.

So. Das war das Wort zum „Black-Friday“. 🙂

StPO III: Abgelehnte Terminverlegung ==> Befangen?, oder: Ja, wenn die Richterin unverständlich stur ist

Smiley

Und als drittes dann der – wenigstens für mich – Aufreger des Tages. Es handelt sich um den AG Wuppertal, Beschl. v. 21.11.2024 – 24 Cs 224/24. Allerdings ist nicht der Beschluss, durch den einem Befangenheitsantrag eines Verteidiger statt gegeben worden ist, der Aufreger, sondern das Verhalten der im Verfahren agierenden Amtsrichterin.

Es geht um die Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags. In dem Verfahren, in dem dem Angeklagten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) zur Last gelegt wird, hat der Verteidiger im Namen des Angeklagten die zuständige Amtsrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dies hat er u.a. damit begründet, dass eine abgelehnte Terminverlegung gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstoße, die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus der Beschlussbegründung.

Das Ablehnungsgesuch hatte Erfolg:

„Allgemein sind Gründe für ein solches Misstrauen gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter oder die Richterin nicht unvoreingenommen entscheiden werde, mithin eine innere Haltung eingenommen hat, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Dabei kommt es darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung dieses objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Dementsprechend dient das Verfahren allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit der Richterin oder des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren.

Die Ablehnung einer beantragten Terminverlegung, um die es hier geht, begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese nur beim Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt. Anders liegt es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminverlegung offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei schlechthin unzumutbar wäre und somit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzte oder sich aus der Ablehnung der Terminverlegung der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt (OLG Brandenburg, 07. Juli 2017, 10 WF 34/14 in Juris m.w.N., OLG Rostock, Beschluss vom 20.05.2022, NJOZ 2022, 978)

So liegt der Fall hier.

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 23.10.2024 ist Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf Dienstag, den 12.11.2024 bestimmt worden. Hierbei hat die Abteilungsrichterin das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Erst am 04.11.2024 ist ihm auf seinem Antrag vom 23.09.2024 Akteneinsicht in die seinerzeit über 250-seitige Akte gewährt worden. Mit Schriftsatz vom 04. November hat der Verteidiger sodann beantragt, den Termin zu verlegen. Zur Begründung hat er vorgetragen und anwaltlich versichert, die Ehefrau des Angeklagten habe ihm mitgeteilt, Ihr Mann befinde sich seit dem 03.11.2024 im Klinikum in stationärer Behandlung. Wann er entlassen werde, sei unklar. Zugleich wies der Verteidiger darauf hin, dass eine angemessene Vorbereitung der Akte und eine Besprechung mit dem Mandanten vor dem Termin nicht möglich sei. Dem Schriftsatz war eine Bescheinigung des Krankenhauses über die stationäre Aufnahme des Angeklagten zum 03.11.2024 beigefügt.

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 05.11.2024 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe. Eine Verlegung könne nur erfolgen bei Vorlage eines Attestes über die Verhandlungsfähigkeit am Terminstage.

Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle vom 06.11.2024 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass die Klinik auf seine Anfrage mitgeteilt habe, dass diese keine Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit ausstellen würde. Eine vom Verteidiger angekündigte Rücksprache kam in der Folge nicht zustande, da die Abteilungsrichterin nicht erreichbar war.

Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 08.11.2024 bat er um Aufhebung des Termins mit dem Hinweis, dass eine Entlassung des Angeklagten bis zum Terminstage nicht erfolgen könne. Hierzu reichte er eine weitere Bescheinigung des Heliosklinikums ein, aus der sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass eine rechtzeitige Entlassung vor dem Termin nicht erfolge. Auch wies er in diesem Schriftsatz auf den Grundsatz des fairen Verfahrens hin, da er den Sachverhalt mit dem Mandanten vor dem Termin nicht besprechen könne. Mit Beschluss der Abteilungsrichterin vom 08.11.2024 wies die Abteilungsrichterin den Verlegungsantrag zurück. Im Wesentlichen erfolgte die Begründung dahingehend, es liege immer noch kein Attest für den Terminstag vor.

Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 11.11.2024 lehnte dieser sodann im Namen des Angeklagten die zuständige Abteilungsrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem er den bereits skizzierten Sachverhalt erneut zusammenfassend vorträgt, führt er umfangreich und sachlich aus, dass die abgelehnte Terminverlegung gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstoße. Wegen der Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Schriftsatz sowie die weitere Verteidigerschrift vom 13.11.2024 Bezug genommen. Die dienstliche Äußerung der Abteilungsrichterin vom 12.11.2024, in der keine Stellungnahme zur Frage der Besorgnis der Befangenheit formuliert worden ist, ist dem Angeklagten übermittelt worden.

Bei einer Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung dieses Sachverhaltes liegt ein oben beschriebener Ausnahmefall vor, bei dem wegen verweigerter Terminverlegung die Besorgnis der Befangenheit der Abteilungsrichterin zu bejahen ist.

Der Verteidiger hat erhebliche und nachvollziehbare Gründe für seinen Terminverlegungsantrag vorgetragen und die Tatsachen anwaltlich versichert. Es ist nach Akteninhalt zweifelsfrei, dass der Angeklagte ab dem 03.11.2024 in stationärer Behandlung im Krankenhaus lag. Auch hat die Klinik mitgeteilt, dass eine rechtzeitige Entlassung nicht erfolgen könne. Hinzukommt, dass der Verteidiger erst nach über 6 Wochen am 04.11.2024 Akteneinsicht bekommen hat. Eine Besprechung mit dem Mandanten, dessen persönliches Erscheinen durch die Abteilungsrichterin angeordnet war, war vor dem Termin daher nicht möglich. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und des Rechts des Betroffenen, sich von einem Verteidiger sachgemäß vertreten zu lassen, war die Zurückweisung des – erstmaligen – Antrags auf Terminverlegung für den Angeklagten schlechthin unzumutbar, wodurch sein Grundrecht auf rechtliches Gehör und das auf ein faires Verfahren verletzt worden ist.

Dies begründet die Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Abteilungsrichterin.“

Was soll man dazu sagen? Besser schweigt man zu einem so unverständlichen Richterverhalten und schüttelt nur den Kopf über so viel Unverständnis und Gezerre um das Attest, und zwar auch noch, nachdem die Klinik erklärt hatte, dass sie ein Attest über die Verhandlungsfähigkeit nicht ausstellen werde. Und das alles, nachdem der Verteidiger auf eine 250 Blatt starke Akte sechs Wochen hat warten müssen bei einem erstmaligen Terminsverlegungsantrag. Gründe, die die Amtsrichterin zu diesem sturen Verhalten nachvollziehbar veranlasst haben könnten, sind nicht erkennbar und sind von ihr offenbar auch nicht geltend gemacht worden.

Es wäre sicherlich zu begrüßen gewesen, wenn die Amtsrichterin mal in einen gängigen Kommentar geschaut und sich über die Rechtsprechung zu den Terminsverlegungsfragen informiert hätte (vgl. dazu die Nachweise bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, Rn 43 u. 4597 ff. und Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl., 2025, Rn 107 u. 3159 ff.). Dann hätte sie unschwer festgestellt, dass die Rechtsprechung gerade bei erstmaligen Terminsverlegungsanträgen „großzügig“ ist, vor allem, wenn eine Terminsabsprache nicht erfolgt ist (s. LG Wuppertal, Beschl.- v. 24.11.2023 – 23 Qs 130/23). Das gepaart mit der hier viel zu späten Übersendung der 250 Blatt starken Akte hätte dann dazu führen müssen, dem Antrag aus Fairnessgründen statt zu geben. Von daher ist zu Recht Besorgnis der Befangenheit angenommen worden.

StPO II: Ist/War das Urteil vollständig begründet?, oder: Berufungsverwerfung trotz Vertretungsvollmacht?

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Und dann als zweite Entscheidung ein Beschluss des OLG Köln, der zu zwei Fragen Stellung nimmt. Nämlich: Wann liegt ein vollständig begründetes Urteil vor? und: Wann darf eine Berufung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht verworfen werden?

Dazu das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v.26.09.2024 – III-1 ORs 162/24:

„1. Das Rechtsmittel führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn es trägt keine richterliche Unterschrift.

Damit fehlt es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage.

Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. SenE v. 05.03.2010 – III-1 RVs 26/10; SenE v. 28.03.2024 – III-1 ORs 51/24; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rdn. 22 m.w.N.).

Ein vollständiges schriftliches Urteil liegt erst vor, wenn sämtliche an ihm beteiligten Berufsrichter seinen Inhalt gebilligt und dies mit ihrer Unterschrift bestätigt haben (BGH StV 2010, 618; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2010, 250; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 22.02.2011 – III-1 RVs 35/11; SenE v. 27.11.2012 – III-1 RVs 215/12; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 4).

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass die Vorsitzende der Berufungsstrafkammer im Zusammenhang mit dem Urteil eine Zustellungsverfügung unterzeichnet hat. Die Unterschrift unter den Urteilsgründen als letzter Akt der Urteilsfällung kann nicht durch eine solche auf einer von dem erkennenden Richter unterzeichneten gesonderten Verfügung ersetzt werden (vgl. BGH StV 2010, 618; SenE v. 19.11.2002 – Ss 479/02 B – m.w.N.; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 19.07.2011 – III-1 RVs 166/11 = NStZ-RR 2011, 348; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 6).

Der vorbezeichnete Mangel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (SenE v. 11.01.2013 – III-1 RVs 1/13; SenE v. 28.10.2014 – III- RVs 199/14; SenE v. 17.10.2017 – III-1 RVs 237/17; SenE v. 11.04.2018 – III-1 RVs 76/18; SenE v. 27.07.2021 – III-1 RBs 214/21; SenE v. 01.02.2024 – III-1 ORbs 12/24; Meyer-Goßner/Schmitt, SPO, 67. Aufl., § 338 Rdn. 52 m.w.N.), wenn – wie hier – die Unterschrift nicht mehr nachgeholt werden kann (vgl. SenE v. 20.08.2010 – III-1 RVs 166/11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 275 Rdn. 6 m.w.N.).“

Insoweit waren die Gründe tragend. Nicht tragend sind die Ausführungen des OLG zur Frage der Voraussetzungen der Verwerfung, wenn ein mit Vertretungsmacht ausgestatteter Verteidiger erscheint:

„Hinsichtlich der Verfahrensrüge, die Berufung hätte wegen wirksamer Vertretung durch einen mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger nicht verworfen werden dürfen, merkt der Senat allerdings – ungeachtet der Frage, ob diese Rüge in zulässiger Weise erhoben wurde – Folgendes an:

Ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO setzt neben der Säumnis des Angeklagten voraus, dass kein mit einer nachgewiesenen Vertretungsvollmacht ausgestatteter Verteidiger erschienen ist.

Ein solcher Verteidiger muss bereit sein, den Angeklagten aufgrund der Vollmacht zu vertreten (vgl. KG 18.4.1985 – 1 Ss 329/84 – JR 1985, 343; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; SenE v. 09.04.2013 – III-1 RVs 62/13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 16). Zur „Vertretung“ gehört dabei in der Regel nur, dass der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten anwesend ist. Eine weitere Mitwirkung an der Verhandlung obliegt ihm ebenso wenig wie dem Angeklagten, wenn dieser selbst anwesend wäre (vgl. SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; OLG Oldenburg StV 2018, 148). Auch der Verteidiger muss keine Erklärungen zur Sache abgeben oder Anträge stellen.

Eine Verwerfung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht kommt vor diesem Hintergrund nur unter besonderen Umständen in Betracht, etwa wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Verteidiger es gar nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will bzw. nicht gewillt ist, den Angeklagten in einer solchen zu vertreten (vgl. OLG Hamm StV 2018, 150 m.w.N.; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 4 u. 16; vgl. amtl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 18/3562, S. 69).

Der Rechtsansicht des Landgerichts, auch der Verteidiger vertrete nicht, der geltend mache, nicht über ausreichende Informationen zu verfügen, vermöchte der Senat hingegen nicht zu folgen. Sie wird auf eine Kommentarstelle gestützt, die ihrerseits ausschließlich auf Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Neufassung des § 329 StPO verweist (MüKo-StPO-Quentin, 2. Aufl. 2024, § 329 Rdn. 27 m. w. N. in Fn. 72). Indessen ist – wie dargelegt – auch der mit Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger zu Angaben nicht verpflichtet. Die Erklärung des Verteidigers, ihm fehlten Informationen, erlangt daher vor allem im Hinblick auf § 349 Abs. 4 StPO Bedeutung: Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zu laden und dessen persönliches Erscheinen anzuordnen, wenn es die Anwesenheit des Angeklagten in der auf seine Berufung hin durchgeführten Hauptverhandlung trotz der Vertretung durch einen Verteidiger für erforderlich hält. Je weniger Informationen aber dem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger vorliegen, desto eher wird sich für das Gericht die Frage stellen, ob nicht die Anberaumung eines Fortsetzungstermins unter Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten erforderlich ist.

Aus dem bloßen Umstand, dass sich ein Verteidiger für eine Aussetzung der Hauptverhandlung bzw. für die Anberaumung eines Fortsetzungstermins im Sinne von § 329 Abs. 4 StPO ausspricht, kann nicht hergeleitet werden, dass dieser nicht bereit wäre, im Falle der Ablehnung seines Begehrens den Angeklagten in der Sachverhandlung zu vertreten (vgl. SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567). „

StPO I: Aussetzung des Strafverfahrens gegen Mauss, oder: Verfahren bleibt bis Klärung durch FG ausgesetzt

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Machen wir heute mal ein wenig StPO, und zwar aus der Instanz.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.10.2024 – 4 Ws 143/24 – zur Aussetzung eines (Steuer)Strafverfahrens, und zwar des Verfahrend gegen den Geheimagenten Werner Mauss. Dem wird in dem Verfahren Steuerhinterziehung in zehn Fällen und versuchte Steuerhinterziehung in zwei Fällen vorgeworfen. Er soll gegenüber dem zuständigen Finanzamt erhebliche Vermögensanlagen auf ausländischen Konten nicht angegeben haben. Der Angeklagte beruft sich darauf, dass es sich bei den fraglichen Geldern um einen Treuhandfonds westlicher Sicherheitsbehörden handele, der von dem Auslandsgeheimdienst eines anderen Staates verwaltet werde. Der Fonds sei absprachegemäß zur Finanzierung seiner operativen Einsätze als Geheimagent genutzt worden. In dem Zusammenhang wird über die steuerrechtlichen Fragen derzeit ein Klageverfahren vor dem FG Düsseldorf geführt.

Das LG Bochum hat dann mit Beschluss vom 28.08.2023 das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem FG ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Bochum Beschwerde eingelegt. Die hatte jetzt beim OLG Hamm keinen Erfolg:

„Die Zulässigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum kann dahingestellt bleiben, denn die Beschwerde ist jedenfalls in der Sache unbegründet.

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss in rechtlich nicht zu beanstandender Weise und mit zutreffender Begründung beschlossen, das Strafverfahren gemäß § 396 AO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens auszusetzen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Vorliegend hängt die Beurteilung der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten als Steuerhinterziehung davon ab, ob ein Steueranspruch besteht und ob Steuern verkürzt worden sind. Auch ist das anhängige – sich mittlerweile im Klageverfahren vor dem Finanzgericht Düsseldorf befindliche – Besteuerungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Bei der Beurteilung der Taten als Steuerhinterziehung kommt es vorliegend auf die vom Landgericht aufgeworfene entscheidungserhebliche steuerrechtliche Vorfrage an, inwieweit die – vom Landgericht mit Recht so bezeichnete – Einzigartigkeit der beruflichen Tätigkeit des Angeklagten als Geheimagent sowie auch die Einzigartigkeit des ihm hierfür überlassenen „Geheimfonds“ sich auf die Frage des Bestehens eines Steueranspruchs des Staates und eine entsprechende Erklärungspflicht des Angeklagten auswirken. Es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage und nicht um Rechtsanwendung bestehender steuerrechtlicher Vorschriften.

Der Angeklagte lässt sich – detailreich sowie unter Benennung zahlreicher Beweismittel – dahingehend ein, es handele sich bei dem in Rede stehenden Vermögen um einen Treuhandfonds („Kapitalstock“) westlicher Sicherheitsbehörden. Treugeber sei ein ausländischer Staat, ausgeübt werde die treugeberische Verwaltung durch den Auslandsgeheimdienst dieses Staates. Der Fonds sei – mit Kenntnis deutscher Sicherheitsbehörden – zum Zwecke der Tarnung auf seinen – des Angeklagten – Namen angelegt worden. Er habe den Fonds absprachegemäß zur Finanzierung seiner operativen Einsätze als Geheimagent genutzt und die Existenz des Fonds Dritten gegenüber nicht offenlegen dürfen. Die Tarnung habe dem Schutz staatlicher Institutionen sowie dem Schutz von Leib und Leben des Geheimagenten nebst seiner Familie und weiterer geheimer Mitarbeiter gedient. Die Sicherheitsbehörden hätten den Fonds bei den Finanzbehörden angemeldet, eine Versteuerung der Mittel sei nicht erfolgt.

Hiernach handelt es sich vorliegend um einen Fall, in dem einerseits staatliche Geheimhaltungsinteressen betreffend Geldflüsse im Zusammenhang mit geheimdienstlicher Tätigkeit und andererseits der staatliche Steueranspruch miteinander in Konflikt stehen.

Die Auswirkungen übergeordneter staatlicher Geheimhaltungspflichten gegenüber Steueransprüchen sind in anderen Bereichen teilweise geregelt. So ist etwa in § 1 Abs. 1 S. 3 der Verordnung über Mitteilungen an die Finanzbehörden durch andere Behörden und öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten (Mitteilungsverordnung – MV) vorgesehen, dass für grundsätzlich mitteilungspflichtige Behörden eine Verpflichtung zur Mitteilung an die Finanzbehörden dann entfällt, wenn die Gefahr besteht, dass das Bekanntwerden des Inhalts der Mitteilung dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Auch gibt es Vereinbarungen der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder aus dem Jahr 1963, zuletzt bestätigt im Jahr 1998 (zitiert in BT-Drucksache 16/8447 S. 16), die regeln, dass Beträge, die an Informanten des Bundesnachrichtendienstes für die Übermittlung steuerrelevanter Daten aus Liechtenstein gezahlt werden, steuerlich so behandelt werden, dass staatliche Stellen in diesen Fällen einen pauschalen Einkommensteuerbetrag in Höhe von 10 Prozent der Prämiensumme an die Finanzkassen der einzelnen Bundesländer abführen. Auf eine Erklärung durch die Informanten selbst gegenüber Finanzbehörden wird aus Geheimhaltungsgründen verzichtet.

Auch wenn Finanzbehörden an das Steuergeheimnis gebunden sind, zeigen die vorgenannten Regelungen, dass diese Schweigepflicht zum Schutz eines überragenden staatlichen Geheimhaltungsinteresses als nicht ausreichend angesehen wird. Vielmehr überwiegt in solchen Fällen das Geheimhaltungsinteresse derart, dass der staatliche Steueranspruch bzw. das staatliche Interesse an ordnungsgemäßer Erklärung steuerrechtlich relevanter Sachverhalte dahinter zurücktreten müssen.

Für das vorliegende Strafverfahren ist nach alledem die Frage maßgeblich, ob entsprechend diesem Rechtsgedanken wegen übergeordneter staatlicher Geheimhaltungspflichten auch im Falle eines Geheimagenten eine Steuerschuld bzw. eine entsprechende steuerrechtliche Erklärungspflicht des Agenten von vornherein zu verneinen ist. Hierbei handelt es sich aus Sicht des Senats um eine entscheidungserhebliche abstrakte Rechtsfrage, die durch die Fachgerichte der Finanzgerichtsbarkeit zu beantworten ist.

Fehler des Landgerichts bei der Ermessensausübung sind auch ansonsten nicht ersichtlich.“