Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

Revision II: „Annahme“ ist Rechtsmittelverzicht, oder: Rechtsmittelbeschränkung

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zum Rechtsmittelverzicht bzw. zur Rechtsmittelbeschschränkung. Auch hier gibt es nur die Leitsätze zu den BGH-Entscheidungen, da die nichts wikrlich Neues enthalten.

Hier sind;

Der Rechtsmittelverzicht setzt eine eindeutige, vorbehaltslose und ausdrückliche Erklärung voraus, wobei aber nicht von „Verzicht“ gesprochen werden muss, wenn die Erklärung eindeutig ist. Die Erklärung, das Urteil werde „angenommen“, enthält regelmäßig einen Rechtsmittelverzicht.

2. Die Verzichtserklärung ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar.

Die Revisionsanträge müssen nicht nur klar und widerspruchsfrei, sondern auch deckungsgleich mit den Ausführungen zur Revisionsbegründung sein, damit der Umfang der Anfechtung nicht erst durch eine Erforschung des Sinns des Vorbringens und seines gedanklichen Zusammenhangs unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls ermittelt zu werden braucht.

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann nicht getrennt von der Entscheidung über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gesehen werden. Die in Betracht kommenden Maßregeln sind durch die gesetzliche Regelung des § 72 StGB rechtlich so eng miteinander verknüpft, dass nur eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts möglich ist.

Revision I: Revisionsvortrag nicht als „Nacherzählung“, oder: ZVR, Encro, Beweisantrag, Ladung, unfähige StA

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In meinem Blogordner haben sich einige Entscheidungen zur Revision angesammelt. Die stelle ich dann mal heute vor, also „Ecken sauber machen“.

Ich beginne mit einigen Entscheidungen zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge – offenbar immer wieder schwer, nicht nur für den Verteidiger, sondern auch für die Staatsanwaltschaft. Vielleicht tröstet das ja den ein oder anderen.

Hier kommen dann – aber nur mit Leitsätzen:

Wird die Nichtannahme eines Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO geltend gemacht, müssen die erforderlichen Tatsachen für dessen Annahme bestimmt behauptet werden. Dazu gehört, dass um das Revisionsgericht in den Stand zu setzen, die international-privatrechtliche Anerkennung der nach religiösen Riten geschlossenen („Imam“-)Ehe zwischen dem Angeklagten und einer Zeugin zu prüfen, ist insbesondere die Angabe erforderlich , an welchem Ort und Tag die Ehe geschlossen wurde.

Soll mit der Verfahrensrüge die Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO beanstandet werden, muss sich dem Revisionsvortrag entnehmen lassent (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), dass ein den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO genügender Beweisantrag gestellt worden ist. Dazu gehört ggf. die Angabe einer ladungsfähige Anschrift eines Zeugen.

Für einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag reicht es nicht, die für unterschiedliche Beanstandungen möglicherweise relevanten Verfahrenstatsachen vorab im Sinne einer Nacherzählung zu referieren und sodann bei den einzelnen Verfahrensrügen durch pauschale Verweise darauf Bezug zu nehmen. Denn es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen; stattdessen wäre es erforderlich, bezogen auf die konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen.

Im Revisionsvortrag müssen die Verfahrenstatsachen in einer Weise angegeben werden, die das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt, darüber – unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit – endgültig zu entscheiden. Dazu muss der Revisionsvortrag aus sich heraus so verständlich sein, dass das Revisionsgericht ohne weiteres daran anknüpfen kann. Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag aus vorgelegten Unterlagen an jeweils passender Stelle zu ergänzen.

Fazit aus dem Beschluss: Die StA kann es auch nicht.

Und dann noch

Lässt der Vortrag der Revision offen, in welcher Sprache die Ladung eines fremdsprachigen Angeklagten zum Berufungstermin erfolgt ist und ob der Angeklagte diese Sprache verstand, ist die Verfahrensrüge einer mangels Übersetzung nicht ordnungsgemäßen Ladung nicht zulässig erhoben.

BVerfG II: Karlsruhe locuta, causa „Encro“ finita? oder: BVerfG segnet BGH-Rechtsprechung zu EncroChat ab

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Und dann als zweite Entscheidung vom BVerfG der BVerfG, Beschl. v. 01.11.2024 – 2 BvR 684/22 – mit dem das BVerfG zur EncroChat-Rechtsprechung des BGH Stellung nimmt und die abgesegnet hat.

Es ging um den BGH, Beschl. v. 02.03.2022 – 5 StR 457/21 – über den ich auch berichtet hatte (vgl. Außer der Reihe: Volltext zum 5. Ss des BGH zu Encro, oder: Daten sind verwertbar – mich wundert das nicht). Dagegen ist Verfassungsbeschwerde eingelegt worden, die das BVerfG nun zurückgewiesen hat.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es sieht weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter; insoweit bitte selbst lesen. Im Übrigen führt es aus:

„3. Unabhängig davon weist die Kammer darauf hin, dass auf der Grundlage der vom Bundesgerichtshof festgestellten, im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren wie dargelegt maßgeblichen Verfahrenstatsachen eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers nicht ersichtlich ist. Insoweit sei insbesondere angemerkt:

a) Unmittelbare Prüfungsgegenstände der Verfassungsbeschwerde sind das Urteil des Landgerichts Hamburg und der Beschluss des Bundesgerichtshofs. Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Verwertung der aus Frankreich zur Verfügung gestellten EncroChat-Daten, soweit sie den Beschwerdeführer betreffen. Die Frage der Verwertung von im Wege der Rechtshilfe erlangten Beweismitteln ist nach nationalem Recht zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u.a., C-511/18, C-512/18, C-520/18, EU:C:2020:791, Rn. 222; Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Das gilt auch für Erkenntnisse, die mittels einer EEA gewonnen wurden (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 2024, M.N. <EncroChat>, C-670/22, EU:C:2024:372, Rn. 128). Maßstab für die Prüfung sind damit in erster Linie die Grundrechte des Grundgesetzes. Denn die Anwendung innerstaatlichen Rechts, das unionsrechtlich nicht vollständig determiniert ist, prüft das Bundesverfassungsgericht primär am Maßstab dieser Vorschriften (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42 f.> – Recht auf Vergessen I).

b) Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG scheidet aus.

aa) (1) Die Verwertung personenbezogener Informationen in einer gerichtlichen Entscheidung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein (vgl. BVerfGE 34, 238 <245>; 80, 367 <376, 379 f.>; 106, 28 <39, 44>; 130, 1 <35>; BVerfGK 14, 20 <23>). Das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als besondere Ausprägungen unter anderem das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfGE 35, 202 <220>; 54, 148 <153 f.>; 106, 28 <39>; 118, 168 <183 ff.>; 130, 1 <35>). Abhängig von der Art der in der strafgerichtlichen Entscheidung verwerteten Informationen kann ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) oder in das Recht am eigenen Wort (durch die Wiedergabe einer Äußerung) vorliegen (vgl. BVerfGE 106, 28 <44>; 130, 1 <35>). Ist keine speziellere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen, greift die Verwertung von personenbezogenen Informationen jedenfalls in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu entscheiden (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 78, 77 <84>; 80, 367 <373>; 113, 29 <45 f.>; 115, 166 <187 f.>; 115, 320 <341>).

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nach Art. 2 Abs. 1 GG allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Beschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen zulässig, wenn sie durch oder auf Grundlage eines Gesetzes, das Voraussetzungen und Umfang der Beschränkung hinreichend klar umschreibt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, erfolgen (vgl. BVerfGE 65, 1 <44, 54>; 67, 100 <143>; 78, 77 <85>; 84, 239 <279 f.>; 92, 191 <197>; 115, 320 <344 f.>; 130, 1 <36>). Soweit Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung verwertet werden, ist eine Rechtfertigung des Eingriffs jedoch ausgeschlossen. Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung unterliegen einem aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden absoluten Beweisverwertungsverbot im Strafprozess (vgl. BVerfGE 109, 279 <324, 331 f.>; 120, 274 <337>).

(2) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Beweisverwertung im Strafprozess ist § 261 StPO (vgl. BVerfGE 130, 1 <29 ff.>; so zuvor bereits ohne nähere Begründung BVerfG, 2. Kammer des Zweiten Senats BVerfGK 17, 311 <314>). Für die Verwertung von Beweisen, die aus dem Ausland in ein deutsches Strafverfahren eingeführt wurden, gelten insoweit grundsätzlich keine Besonderheiten. Rechtmäßig erhobene oder in das Strafverfahren unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eingeführte Informationen dürfen auf Grundlage des § 261 StPO grundsätzlich verwertet werden (vgl. BVerfGE 130, 1 <36 ff.>). Wurden Informationen rechtswidrig erlangt, besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz, wonach die Verwertung der gewonnenen Informationen stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 18, 193 <202 f.> m.w.N. zur ständigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).

Welche Folgen ein Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder bei der Einführung von Informationen in ein Strafverfahren hat und ob aus dem Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch die zuständigen Fachgerichte (vgl. BVerfGE 130, 1 <31>; BVerfGK 4, 283 <285>; 9, 174 <196>; 14, 107 <111>; 18, 193 <203>). Die strafgerichtliche Praxis geht in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist und dass die Frage nach dem Vorliegen eines Verwertungsverbots jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfGK 14, 107 <111>; BGHSt 38, 214 <219 f.>; 44, 243 <249>; 51, 285 <289 f. Rn. 20>; vgl. auch Greven, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, vor § 94 Rn. 10 ff.). Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots stellt dabei eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 40, 211 <217>; 44, 243 <249>; 51, 285 <290 Rn. 20>).

Hiergegen ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern (vgl. BVerfGK 9, 174 <196>; 16, 22 <27>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 -, Rn. 10 f.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 -, Rn. 8). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (vgl. BVerfGK 18, 193 <203>). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 <383>; 46, 214 <222>; 122, 248 <272 f.>; stRspr). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29 <61>; BVerfGK 18, 444 <449>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 – 2 BvR 446/98 -, Rn. 14; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 -, Rn. 26 f.). Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl. BVerfGE 34, 238 <245 f.>; 80, 367 <374 f.>; 109, 279 <324>).

bb) Die Würdigung des Bundesgerichtshofs im angegriffenen Beschluss, wonach die EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist nach diesen Maßstäben verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung wurden im Urteil des Landgerichts nicht verwertet. Dass der Bundesgerichtshof die Verwertung der Informationen, deren Erhebung im Ausland den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des deutschen und europäischen ordre public (vgl. Gleß/Wahl/Zimmermann, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. 2020, § 73 IRG Rn. 1 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen) nicht widerspricht, vor dem Hintergrund der von ihm vorgenommenen Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig macht, ob die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – § 100e Abs. 6, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO vorliegen, und dabei auf eine Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt abstellt, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; der Bundesgerichtshof unterschreitet damit das verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Gebotene jedenfalls nicht. Auch gegen die Annahme des Bundesgerichtshofs, die durch französische Behörden durchgeführte Beweiserhebung habe auch nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen und europäischen ordre public verstoßen, ist auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhalts von Verfassungs wegen nichts zu erinnern.“

Ich denke, damit dürfte die Diskussion um EncroChat und vergleichbare Messengerdienste allmählich zum Ende kommen. Besser wäre wahrscheinlich die Formulierung: „…. sollte….“.

BVerfG I: Keine Vorlage zum BVerfG in KiPo-Verfahren, oder: Recht auf den gesetzlichen Richter

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Zum Start in die 50 KW. – ja, das Jahr ist bald rum – gibt es heute zwei Entscheidungen vom BVerfG.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 10.09.2024 – 2 BvR 618/24. Mit ihm hat das BVerfG vorab zu einer Verfassungsbeschwerde gegen den BayObLG, Beschl. v. 14.03.2024 – 206 StRR 87/24 – Stellung genommen. In diesem Beschluss hatte das BayObLG den Strafrahmen aus § 184b Abs. 3 StGB in der bis zum 27.06.2024 geltenden Fassung für verfassungswidrig erachtet, auf eine Vorlage an das BVerfG jedoch verzichtet hat, weil es davon ausgegangen ist, dass das Tatgericht auch unter Zugrundelegung des Strafrahmens der alten Fassung des Gesetzes, nämlich, § 184b Abs. 3 StGB in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung, die eine niedrigere Mindeststrafe vorsah, zu demselben Strafausspruch gelangt wäre.

Das BVerfG sieht darin möglicherweise eine Verletzung der Rechts auf den gesetzlichen Richter und hat die Vollstreckung aus dem LG-Urteil ausgesetzt:

„b) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich unbegründet. Nach derzeitigem Stand ist zumindest offen, ob das Bayerische Oberste Landesgericht das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch die Entscheidung, auf eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verzichten, verletzte.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann auch das Unterlassen einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellen (vgl. BVerfGE 138, 64 <87 f. Rn. 71>). Nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen ist jedoch als solcher Verstoß zu bewerten (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 13, 132 <144>; 29, 166 <172 f.>; 67, 90 <95>; 76, 93 <96 f.>; 87, 282 <284 f.>). Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die – fehlerhafte – Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 87, 282 <284 f.>; stRspr) oder offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 58, 1 <45>; 82, 286 <299>).

bb) Es erscheint nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest möglich, dass die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, auf eine Vorlage des § 184b Abs. 3 StGB alte Fassung nach Art. 100 Abs. 1 GG zu verzichten, an diesem Maßstab gemessen, nicht tragfähig ist.

Das Bayerische Oberste Landesgericht war davon überzeugt, dass der gesetzlich angeordnete Strafrahmen, den auch das Landgericht zur Anwendung brachte, verfassungswidrig sei. Es ging jedoch davon aus, dass eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG entbehrlich sei, da das Landgericht auch unter Zugrundelegung des Strafrahmens der alten Fassung des Gesetzes (§ 184b Abs. 3 StGB in der Fassung des Sechzigsten Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 30. November 2020 <BGBl I S. 2600>, die bis zum 30. Juni 2021 in Kraft war), die eine niedrigere Mindeststrafe vorsah, zum selben Strafausspruch gekommen wäre.

Diese Auffassung begegnet schwerwiegenden Bedenken, die eingehender Prüfung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens bedürfen. Der gesetzliche Strafrahmen ist Grundlage und Ausgangspunkt der Strafzumessung (vgl. von Heintschel-Heinegg, in: ders./Kudlich, BeckOK StGB, § 46 Rn. 10 <Aug. 2024>). Der Strafrahmen bringt die gesetzgeberische Wertung, wie schwer das Unrecht der Tat zu bemessen ist, zum Ausdruck. Das Ergebnis der nach § 46 Abs. 2 StGB vorzunehmende Abwägung ist notwendigerweise abhängig von dem konkret anwendbaren Strafrahmen. Es erscheint nach vorläufiger Bewertung fernliegend, dass die Anwendung eines anderen Strafrahmens zum exakt gleichen Strafausspruch führt.

Dies gilt auch im vorliegenden Zusammenhang. Das Landgericht ging in seiner Strafzumessungsentscheidung ausdrücklich davon aus, dass es nicht bei der Mindeststrafe bleiben könne, sondern dass die Strafe diese zu überschreiten habe. Die für den Strafausspruch maßgebliche Erwägung knüpft damit an die konkret angedrohte Mindeststrafe an. Angesichts dessen spricht viel dafür, dass, wäre die ältere Fassung der Strafnorm zur Anwendung gekommen, die eine Geldstrafe beziehungsweise eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsah, auch eine andere Strafe festgesetzt worden wäre.

Das Landgericht setzte sich allerdings auch mit den damals noch nicht umgesetzten Plänen zu einer Änderung des Strafrahmens auseinander. Das Bayerische Oberste Landesgericht entnimmt dem, im Anschluss an die Generalstaatsanwaltschaft München, dass das Landgericht auch im Falle einer geringeren Mindeststrafe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten gekommen wäre. Ob die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts die Schlussfolgerungen des Oberlandesgerichts zu tragen vermögen, bedarf eingehender Prüfung im Hauptsacheverfahren.

3. Aufgrund der damit eröffneten Folgenabwägung ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe geboten. Der Vollzug der Freiheitsstrafe bringt einen endgültigen Rechtsverlust mit sich und stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Erwiese sich das Begehren des Beschwerdeführers im Hauptsacheverfahren hingegen als unbegründet, so wären die durch eine vorübergehende Aussetzung der Vollstreckung hervorgerufenen Folgen gering. Sie treten hinter dem Aussetzungsinteresse des Beschwerdeführers zurück. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer die Vollstreckung der Strafe in Zukunft vereiteln könnte.“

Vertretung schickt Beschwerde an das falsche Gericht, oder: Keine Wiedereinsetzung für den Vertretenen

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zu Fristversäumungen. Zunächst kommt hier etwas vom BGH, heute Nachmittag dann etwas zur beA-Pflicht.

Hier geht es jetzt erst mal um den BGH, Beschl. v. 23.10.2024 – XII ZB 576/23. Ergangen ist die Entscheidung in einem familiengerichtlichen Verfahren. In dem hatte das AG den Antragsgegner in einer vom Verbund abgetrennten Folgesache unter Abweisung des weitergehenden Antrags verpflichtet, an die Antragstellerin einen Zugewinnausgleich in Höhe von 709.900,21 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Beschluss ist dem Antragsgegner am 0 zugestellt worden. Am (Freitag) ist um 8:58 Uhr beim OLG eine Beschwerdeschrift eingegangen, die ausweislich des Prüfvermerks mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners versehen ist. Am selben Tag hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des OLG die Akte beim AG angefordert und dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eine Eingangsbestätigung übersandt. Mit taggleich ausgeführter Verfügung vom 0 (Montag) hat die Vorsitzende Richterin des zuständigen Senats die Übersendung der Beschwerdeschrift an das AG angeordnet. Dort ist die Rechtsmittelschrift auf dem Postweg am 0 eingegangen.

Am ist der Antragsgegner darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist beim AG eingegangen sei. Daraufhin hat der Antragsgegner am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe sich in der Zeit vom 27.09. bis zum 0 im Urlaub befunden. Noch vor Urlaubsantritt habe er gegenüber seiner langjährigen und stets zuverlässigen Mitarbeiterin verfügt, gegen den Beschluss des Amtsgerichts fristgerecht Beschwerde einzulegen. Dies beinhalte auch, dass die Beschwerde beim zuständigen Gericht eingelegt werde. Gleichwohl sei die Beschwerde fehlerhaft an das OLG geschickt worden. Zudem hätten zwischen der am um 9:52 Uhr versandten Eingangsbestätigung des OLG und dem Ablauf der Beschwerdefrist anderthalb Werktage gelegen. Es sei somit mehr als genug Zeit gewesen, um die Zuständigkeit zu prüfen und die Beschwerdeschrift noch innerhalb der Beschwerdefrist im Wege des ordentlichen Geschäftsgangs elektronisch an das AG weiterzuleiten. Keinesfalls habe das OLG den Schriftsatz auf dem Postweg weiterleiten dürfen, weil ihm hätte bewusst sein müssen, dass er auf diesem Weg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht fristgerecht beim AG eingehen würde. Das für das Beschwerdeverfahren ohnehin zuständige OLG habe eine deutlich erhöhte prozessuale Fürsorgepflicht getroffen. Diese hätte es geboten, dem Antragsgegner zumindest mitzuteilen, dass die Beschwerdeschrift fälschlicherweise an das OLG geschickt worden sei und von dort ein rechtzeitiger Eingang des weitergeleiteten Schriftsatzes beim AG nicht sichergestellt werden könne.

Mit Schreiben vom 0 ist der Antragsgegner darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerdeschrift nach seinem eigenen Vorbringen nicht von seinem Verfahrensbevollmächtigten, sondern von dessen Mitarbeiterin „unterzeichnet“ worden sei. Die Beschwerde sei somit nicht wirksam eingelegt worden und daher unzulässig. Der Antragsgegner hat hierauf erwidert, es sei klar und auch nach außen erkennbar gewesen, dass der Schriftsatz im Namen seines Verfahrensbevollmächtigten habe eingereicht werden sollen.

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners, die beim BGH keinen Erfolg hatte.

Hier dann die Leitsätze des BGH, die Einzelheiten bitte selbst lesen:

1. Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (im Anschluss an , NJW 2023, 1969). Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist.

2. Reicht ein Beteiligter eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht am darauffolgenden Werktag umsetzt (im Anschluss an , ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat (im Anschluss an , NJW 2023, 1969).

Also aufgepasst, denn das wird man in anderen Verfahrensarten entsprechend anwenden können.