Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

KCanG I: Erneut „alte“ Überwachungserkenntnisse, oder: Einige OLG für, einige gegen Verwertbarkeit

Bild von Couleur auf Pixabay

Und dann heute nach längerer Zeit mal wieder einige Entscheidungen zum KCanG.

Ich beginne mit einer Zusammenstellung der mir vorliegenden Rechtsprechung der OLG zu den Auswirkungen des KCanG auf die Verwertbarkeit „alter“ EncroChat-ANOM_Überwachungsdaten. Dazu habe ich hier vier Entscheidungen, und zwar:

Für eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.

Zur – bejahten _ Verwertbarkeit von EncroChat- und SkyECC-Daten nach Einführung des KCanG.

Gegen eine Verwertbarkeit von vor Inkrafttreten des KCanG gewonnenen Überwachungsdaten haben sich ausgesprochen:

1. Erkenntnisse aus der Auswertung des über den Kryptomessenger-Dienst ANOM geführten Chatverkehrs sind unter Berücksichtigung des Grundgedankens der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO verwertbar. Eine Beweisverwertung derart erlangter Daten ist demnach stets unzulässig, sofern diese den Kernbereich privater Lebensführung i. S. v. § 100d Abs. 2 S. 1 StPO betreffen. Darüber hinaus dürfen die Erkenntnisse in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung des Verdachts einer Katalogtat i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Ferner sind die einschränkenden Voraussetzungen des § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO zu beachten, wonach die Straftat auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsorts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein muss.

2. Für die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Katalogtat i. S. v. § 100b StPO erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwendung der Beweisergebnisse abzustellen. Vor dem 01.04.2024 im Zuge der Überwachung der „ANOM“-Chats erlangte Erkenntnisse sind demnach nur verwertbar, wenn die betreffenden Delikte auch im Verwertungszeitpunkt noch den Anforderungen des § 100e Abs. 6 StPO genügen, wenn sie also auch nach Inkrafttreten des KCanG zum 01.04.2024 noch als Katalogtaten i. S. v. § 100b Abs. 2 StPO einzustufen sind.

Der Senat hält auch in Anbetracht der zwischenzeitlich zur Frage der Verwertbarkeit der bei dem Krypto-Dienstanbieter EncroChat in Frankreich gesicherten und den deutschen Strafverfolgungsbehörden übermittelten Daten ergangenen, in der Sache divergierenden obergerichtlichen Rechtsprechung daran fest, dass diese Daten nur in denjenigen Fällen verwertbar sind, in denen sich der Tatvorwurf auf eine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO bezieht. Hiervon nicht umfasst sind Straftaten gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 KCanG, also Fälle wie– das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG und die Abgabe von Cannabis in nicht geringer Menge gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Edit: Die Entscheidung des OLG Hamm muss man genau lesen. Das hatte ich erst nicht, habe ich dann aber auf netten Hinweis noch einmal getan und dann den Beitrag und die Überschrift etwas abgeändert

WE II: Closed Shop beim AG wegen Karneval(sfeier)?, oder: Das zu eilige Amtsgericht

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt aus Bayern. Das BayObLG hat im BayObLG, Beschl. v. 12.09.2024 – 201 ObOWi 837/24 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Verweigerung der Aufnahme der Rechtsbeschwerdebegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle Stellung genommen. Ergangen ist die Entscheidung in einem Bußgeldverfahren, sie hat aber in allen Fällen Bedeutung, in denen ein Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet werden kann, also auch im Strafverfahren.

Das AG hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Betroffene hat gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Das vollständige Urteil wurde ihm am 10.01.2024 zugestellt. Am Rosenmontag, den 12.02.2024 hat das AG den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da das Rechtsmittel nicht innerhalb der Monatsfrist begründet worden sei. Gegen diesen Beschluss hat der Betroffene die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das BayObLG hat dem Betroffenen Wiedereinsetzung gewährt, seinen Zulassungsantrag aber verworfen:

„Dem Betroffenen ist auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu bewilligen (§ 44 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), da er ohne eigenes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist gehindert war.

1. Nach dem Vortrag des Betroffenen, welcher ausreichend glaubhaft gemacht wurde (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Das Amtsgericht hatte sowohl im Internet als auch durch ein Schild am Eingang des Gerichts die Sprechzeiten der Geschäftsstelle mit 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr angegeben. Am 12.02.2024, dem letzten Tag der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, um 11:49 Uhr war der Betroffene bei Gericht erschienen, um seinen Antrag zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zu begründen. Dort teilte man ihm mit, dass die zuständige Stelle nur bis 11:30 Uhr geöffnet hatte. Ein Bediensteter erklärte um 11:54 Uhr nochmals ausdrücklich, die Begründung des Betroffenen werde heute nicht mehr protokolliert, da die Geschäftsstelle geschlossen habe. Der Betroffene solle am nächsten Tag wiederkommen. Eine Protokollierung der Antragsbegründung des Betroffenen am 12.02.2024 erfolgte deshalb nicht.

2. Der form- und fristgerecht (§ 45 Abs. 1 StPO; § 46 Abs. 1 OWiG) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gestellte Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen führt zur Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Frist zur formgerechten Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 14.12.2023.

Die verspätete Begründung beruhte auf einem Justizverschulden, weil das Amtsgericht deren fristgerechte Aufnahme zu Unrecht abgelehnt hatte. In einem solchen Fall ist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Meyer Goßner/Schmitt StPO 67. Aufl. § 345 Rn. 22 m.w.N).

a) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes. Davon umfasst ist zum einen das formelle Recht, überhaupt Gerichte einschalten zu können. Zum anderen ist die Effektivität des Rechtsschutzes und der gerichtlichen Kontrolle selbst Teil des Gewährleistungsgehalts des Art. 19 Abs. 4 GG (st. Rspr. vgl. nur BVerfGE 35, 263, 274; 40, 272, 275; 67, 43, 58; 84, 34, 49). Auch der Anspruch eines Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ist berührt. Der Zugang zu einer gerichtlichen Entscheidung in der Sache darf daher – vorbehaltlich verfassungsunmittelbarer Schranken – in keinem Fall ausgeschlossen, faktisch unmöglich gemacht oder in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfGE 40, 272, 174; 44, 302, 305). Zulässig ist es lediglich, den Zugang zu den Gerichten von der Erfüllung formeller Voraussetzungen, insbesondere von der Einhaltung bestimmter Fristen, abhängig zu machen (BVerfGE 9, 194, 199; 10, 264, 267). Die Anforderungen, die an den Rechtsschutzsuchenden dabei gestellt werden, dürfen nicht überspannt werden (BVerfGE 25, 158, 166; 26, 315, 318; 31, 388, 390). Prozessuale Fristen dürfen deshalb bis zu ihrer Grenze ausgenutzt werden (BVerfGE 40, 42, 44; 41, 323, 328; 52, 203, 207; 69, 381, 385). Dass ein Betroffener bis zum letzten Tag der Frist abwartet, ehe er eine fristgebundene prozessrechtliche Erklärung abgibt, kann ihm daher grundsätzlich nicht vorgeworfen werden. Lediglich dann, wenn ihm hinsichtlich der Fristversäumnis ein Verschulden zur Last liegt, kann ihm diese vorgehalten werden, mit der Folge, dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert werden kann. Er hat beispielsweise den Aufwand zu kalkulieren, der zeitlich und organisatorisch erforderlich ist, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird (st. Rspr. vgl. zuletzt BVerfG, Kammerbeschl. v. 14.02.2023 – 2 BvR 653/20 bei juris = NStZ-RR 2023, 145; BayObLG, Beschl. v. 05.06.2024 – 204 StObWs 223/24 bei juris = NStZ-RR 2024, 296). Das Recht eines Rechtsmittelführers, ein Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen, besteht wiederum nur innerhalb der normalen Dienststunden, wobei der Betroffene den begrenzten personellen Möglichkeiten der Justiz Rechnung zu tragen hat (BGH, Beschl. V. 06.03.1995 – 2 StR 683/95 bei juris = NStZ 1996, 353 = BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 9 = StV 1997, 230). In diesem Zusammenhang kann er nicht erwarten, dass der Rechtspfleger während seiner gesamten Dienststunden für die Prüfung der Rechtsmittelbegründung zur Verfügung steht. Zu berücksichtigen bleibt insoweit das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen, nicht allein auf eine Person fokussierten Rechtspflege (BGH, Beschl. v. 27.11.2008 – 5 StR 496/08 bei juris = NStZ 2009, 585 = StraFo 2009, 23). Auch besteht kein Anspruch darauf, dass bei später Antragstellung allein wegen des bevorstehenden Fristablaufs überobligatorische Tätigkeiten außerhalb des normalen Geschäftsganges entfaltet werden, um die Einhaltung von Fristen zu gewährleisten. Die gesetzlich vorgeschriebene Rechtsmittelfrist beinhaltet nämlich keine reine Bedenkzeit, sondern umfasst zugleich die Zeitspanne, die dem Betroffenen je nach den Umständen zur Erledigung des rein technischen Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung und -begründung verbleibt. Es wird deshalb von einem Betroffenen erwartet, dass er seinerseits alles ihm Zumutbare veranlasst, um die rechtzeitige Protokollierung des Rechtsmittels sicherzustellen (OLG Hamm, Beschl. v. 28.05.2015 – 1 Vollz (Ws) 248/15 bei juris = NStZ-RR 2015, 327).

b) Dies zugrunde gelegt haben die Justizbehörden zu Unrecht die rechtzeitige Aufnahme der Rechtsmittelbegründung des Betroffenen am 12.02.2024 verweigert, ohne dass diesen ein Verschulden daran träfe, dass er erst am letzten Tag der First 11 Minuten vor Ende der veröffentlichten Sprechzeit der Geschäftsstelle erschienen war.

aa) Angesichts der öffentlich bekannt gemachten Sprechzeiten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in denen nicht auf die Möglichkeit einer Verkürzung hingewiesen worden war, stellte es ein Justizverschulden dar, die Geschäftsstelle vorzeitig und ohne Ankündigung zu schließen. Auf die veröffentlichten Dienstzeiten durfte die rechtsuchende Bevölkerung vertrauen. Der Betroffene war deshalb nicht verpflichtet, sich vorsichtshalber noch einmal nach ihnen zu erkundigen. Indem diese verkürzt wurden, wurde der Zugang Rechtssuchender zu einer gerichtlichen Sachentscheidung in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise eingeschränkt.

bb) Ein Verschulden des Betroffenen kann auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die Schließung der Geschäftsstelle und die Weigerung der Protokollierung der Rechtsmittelbegründung durch den Umstand veranlasst waren, dass die zuständigen Bediensteten befürchteten, eine solche werde erst nach 12:00 Uhr und damit zu einem Zeitpunkt abgeschlossen werden können, der außerhalb der öffentlich bekannt gemachten Sprechzeiten der Geschäftsstelle lag. Hierauf musste sich der Betroffene nicht einstellen, was den Zeitpunkt seines Erscheinens betraf.

Zum einen wollte der Betroffene lediglich die allgemeine Sachrüge erheben und insbesondere das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung geltend machen. Anders als in den höchstrichterlich (BGH NStZ 1996, 353; 2009, 585) entschiedenen Fällen waren vorliegend gerade keine komplexen Verfahrensrügen zu protokollieren. Dafür, dass die Aufnahme einer einfach gelagerten Erklärung nicht binnen weniger Minuten möglich gewesen wäre, bestehen bereits keine Anhaltspunkte.

Zum anderen hätte es dem Rechtspfleger des Amtsgerichts oblegen, die die Sachrüge beinhaltende Rechtsmittelbegründung des Betroffenen auch dann zu protokollieren, wenn absehbar gewesen wäre, dass er den Vorgang nicht bis exakt 12:00 Uhr würde abschließen können. In einem Fall in welchem der verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährleistungsanspruch des Staates einerseits und der Wunsch des zuständigen Rechtspflegers an der pünktlichen Einhaltung seiner Dienstzeit andererseits inmitten stehen, führt die Abwägung der gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis, dass dem Rechtspfleger die Aufnahme einer Erklärung auch dann zumutbar ist, wenn dies mit einer geringfügigen Verlängerung seiner Arbeitszeit an dem konkreten Tag verbunden wäre. Anders als in dem vom OLG Hamm (a.a.O.) entschiedenen Fall wäre vom Rechtspfleger gerade keine überobligatorische Tätigkeit außerhalb des normalen Geschäftsganges erwartet worden, sondern lediglich eine überschaubare Dienstzeitüberschreitung inmitten gestanden. Insoweit besagt die Entscheidung gerade nicht, dass die Justizbehörden zu keinerlei Überschreitung der Dienstzeit verpflichtet sind, um den Rechtsschutz rechtsuchender Personen zu gewährleisten. Vielmehr handelt es um eine Frage der Zumutbarkeit staatlichen Verhaltens im Einzelfall. In diesem Zusammenhang mag es bei wertender Betrachtung unzumutbar erscheinen, vom Rechtspfleger zu verlangen, sich zur Protokollierung einer fristgebundenen Erklärung in eine weit entfernte Justizvollzugsanstalt begeben zu müssen oder neben der Sachrüge komplexe Verfahrensrügen zu formulieren, die eine intensive Einarbeitung in den Fall erfordern. So liegt der Fall jedoch nicht. Er ist dadurch gekennzeichnet, dass der Zugang zum Rechtsschutz lediglich von der Formulierung einer einfachen Sachrüge abhängig war. Weder im Hinblick auf die Arbeitsfähigkeit der Justiz noch im Hinblick auf die finanziellen Interessen des Staates wegen eventuell anfallenden Überstunden oder persönliche Interessen der Bediensteten an einem pünktlichen Dienstschluss war im vorliegenden Fall die Aufnahme der Rechtsmittelbegründung des Betroffenen unzumutbar.“

Die Entscheidung wird Rechtspfleger, die mit der in § 345 Abs. 2 StPO eingeräumten Möglichkeit der Aufnahme der Begründung einer Revision/Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle betraut sind, nicht freuen, denn ggf. rückt der pünktliche Feierabend in – etwas weitere – Ferne, und das ggf. noch an Rosenmontag. Andererseits ist dem BayObLG Recht zu geben, dass bei der bloßen Aufnahme einer Sachrüge die Zeitverzögerung nicht allzu groß sein kann. Komplexe Verfahrensrügen, die eine intensive Einarbeitung in den Fall erfordern, werden von der Entscheidung ausdrücklich nicht erfasst.

Abgesehen davon: Man scheint es bei dem betroffenen AG eh besonders eilig gehabt zu haben. Denn das AG hat den Zulassungsantrag des Betroffenen nämlich noch vor Ablauf der Begründungsfrist verworfen. Das Urteil vom 14.12.2023 war dem Betroffenen am 10.01.2024 zugestellt worden. Gemäß § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG beträgt die Begründungsfrist einen Monat nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO). Damit begann die Begründungsfrist nach Zustellung des Beschlusses am 10.1.2024 zu laufen und endete, da es sich beim 10.02.2024 um einen Samstag handelte, gemäß § 43 Abs. 2 StPO erst mit Ablauf des folgenden Montags, mithin am 12.02.2024. An dem Tag ist aber der Zulassungsantrag bereits verworfen worden. Das BayObLG hat nach Gewährung von Wiedereinsetzung daher zur Klarstellung festgestellt, dass der Beschluss des AG vom 12.2.2024 gegenstandslos ist.

 

WE I: Elektronische Führung des Fristenkalenders, oder: Wie muss man diesen Kalender kontrollieren?

In die neue 47.KW, die hoffentlich etwas weniger dramatisch wird als die 46. KW., starte ich mit zweit Entscheidungen zur Wiedereinsetzung.

Bild von Pexels auf Pixabay

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.09.2024 – III ZB 82/23. Der stammt zwar, wie man sieht, aus dem Zivilrecht, die angesprochenen Fragen können aber auch, wenn es um die Zurechnung eines Verschulden des Rechtsanwalts geht, z.B. beim Nebenklägervertreter, auch im Strafverfahren Bedeutung haben.

Geäußert hat sich der BGK zur Kontrolle des Fristenkalenders bei einer elektronischen Kalenderführung, und zwar wie folgt:

„1. Wie die Rechtsbeschwerde nicht verkennt, darf die Verwendung einer elektronischen Kalenderführung keine hinter der manuellen Führung zurückbleibende Überprüfungssicherheit bieten. Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten, insbesondere auch bei der Datenverarbeitung (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2019 – III ZB 96/18, NJW 2019, 1456 Rn. 13 mwN). Es bedarf daher auch bei einer elektronischen Kalenderführung einer Kontrolle des Fristenkalenders, um Datenverarbeitungsfehler des eingesetzten Programms sowie Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig erkennen und beseitigen zu können (vgl. Senat aaO; BGH, Beschluss vom 2. Februar 2021 – X ZB 2/20, NJW-RR 2021, 444 Rn. 8).

2.    Danach ist die von der Rechtsbeschwerde als grundsätzlich angesehene Frage, ob eine hinreichende Fristenkontrolle durch den Rechtsanwalt bereits dadurch sichergestellt ist, dass eine auf dem Markt als erprobt und zuverlässig angesehene Kanzleisoftware verwendet und die Eingabe der fristrelevanten Daten in die Fristerfassungsmaske (sowie deren abschließende Bestätigung) geschultem und zuverlässigem Personal überlassen wird, das sie nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ vorzunehmen hat, zum Nachteil der Klägerin bereits geklärt. Die Rechtsbeschwerde sieht selbst, dass hierdurch der in Rede stehende Verarbeitungsfehler nicht erkannt werden kann. Ihre Auffassung, ein Rechtsanwalt dürfe die Korrektheit der Datenverarbeitung ohne weiteren Kontrollschritt voraussetzen (Rechtsbeschwerdebegründung S. 12), ist mit der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu vereinbaren. Dabei bedarf es weiterhin keiner Entscheidung, wie diese Kontrolle im Einzelnen zu erfolgen hat, insbesondere ob es eines Kontrollausdrucks in Papierform bedarf (vgl. BGH aaO Rn. 10). Denn die Klägerin hat vorgetragen, es sei überhaupt keine Kontrolle des Ergebnisses der Datenverarbeitung in Bezug auf die richtige Zuordnung zu dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgenommen worden. Soweit sie geltend macht, eine weitergehende Kontrolle sei nicht zumutbar, ergibt sich unter anderem aus dem vorgelegten Ausdruck der „Termine zur Akte“ (Anlage BJ 6), dass der für die Fristversäumung ursächliche Datenverarbeitungsfehler – die falsche Zuordnung des Sachbearbeiters – sich nicht nur im Fristenkalender ausgewirkt hat, sondern auch in der Aufstellung der Termine in der elektronischen Akte abgebildet und daher ohne weiteres erkennbar war.

Da das Berufungsgericht diese Grundsätze zutreffend angewandt hat, bedarf es auch keiner Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.“

OWi I: Abstandsverstoß des Honorarkonsuls, oder: Greift die Immunität?

Bild von CopyrightFreePictures auf Pixabay

Nach dem gestrigen „Doppelwumms“ 🙂 geht es hier ohne „Wumms“ weiter – as usual. Heute kommen OWi-Entscheidungen.

Hier zunächst der BayObLG, Beschl. v. 01.07.2024 – 201 ObOWi 405/24 – zur Reichweite der Immunität von Honorarkonsuln bei Verstößen im Straßenverkehr.

Das AG hat den Betroffenen wegen eines Abstandsverstoßes zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er macht insbesondere geltend, das Urteil sei wegen des Verfahrenshindernisses nach § 19 Abs. 1 GVG i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in Deutschland beruft sich darauf, Honorarkonsul der Republik X zu sein, und die Fahrt in Wahrnehmung seiner konsularischen Aufgaben durchgeführt zu haben. Deshalb bestehe das Verfahrenshindernis der fehlenden deutschen Gerichtsbarkeit (Immunität).

Das hat das BayObLG anders gesehen:

„1. Ein Verfahrenshindernis wegen Immunität besteht hier nicht. Zwar ist aufgrund der vom Betroffenen vorgelegten Ablichtungen davon auszugehen, dass der Betroffene mit deutscher Staatsangehörigkeit und ständiger Ansässigkeit im Bundesgebiet als Honorarkonsul für die Republik X mit dem Konsularbezirk des Landes Y ernannt wurde und als solcher vom Wiener Übereinkommen vom 24.04.1963 über konsularische Beziehungen (BGBl 1969 II, S. 1585 – kurz: WÜK) erfasst ist, das für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 07.10.1971 (BGBl 1971 II, S. 1285) und für die Republik X seit […] deshalb als geltendes Recht unmittelbar anzuwenden ist (LR/Berg StPO 27. Aufl. § 19 GVG Rn 1). Damit ist eine Befreiung des Betroffenen von der deutschen Gerichtsbarkeit in Betracht zu ziehen. Davon ist auch das Amtsgericht zutreffend ausgegangen. Immunität führt zu fehlender Gerichtsunterworfenheit und begründet ein persönliches Strafverfahrenshindernis. Ob Immunität im Sinne der §§ 18-20 GVG besteht, haben die Gerichte ohne Bindung an behördliche Auffassungen zu prüfen (BGHSt 32, 275).

a) Honorarkonsularbeamte, die wie der Betroffene Angehörige des Empfangsstaates oder dort ständig ansässig, sind anders als die Berufskonsuln (Art. 43 Abs. 1 WÜK) zu behandeln. Konsularbeamte, die Angehörige des Empfangsstaats oder dort ständig ansässig sind, genießen nach den Regelungen der Art. 1 Abs. 3, 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK lediglich Immunität von der Gerichtsbarkeit und persönliche Unverletzlichkeit wegen ihrer in Wahrnehmung ihrer Aufgaben vorgenommenen Amtshandlungen. Somit gilt für die Honorarkonsuln lediglich die sogenannte Amtshandlungsimmunität nach Art. 71 Abs. 1 WÜK, denn die überwiegende Mehrheit der in Deutschland zugelassenen Honorarkonsuln sind deutsche Staatsangehörige oder dort ständig ansässig. In Deutschland gilt die Vorschrift über § 19 GVG. Diese sogenannte Amtshandlungsimmunität ist enger als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität. Da Honorarkonsulinnen und -konsuln häufig Angehörige des Empfangsstaats sind und sie ihr Amt lediglich als Nebentätigkeit ausüben, bleibt der für sie vorgesehene Privilegienrahmen hinter dem der Berufskonsularbeamten zurück (BT-Drs. 20/4411 S. 7).

b) Die Generalstaatsanwaltschaft München führt in diesem Zusammenhang aus:

„Soweit die Rechtsbeschwerde die beschriebene Unterscheidung in Zweifel zieht, entfernt sie sich von dem Wortlaut des Übereinkommens, das in der u.a. maßgeblichen englischen und französischen Fassung zwischen der Immunität ‚in respect of acts performed in the exercise of consular functions‘ bzw. ‚pour les actes accomplis dans l´exercice des fonctions consulaires‘ (Art. 43 Abs. 1 WÜK) und der Befreiung von der Gerichtsbarkeit und persönlicher Unverletzlichkeit ‚in respect of official acts performed in the exercise of their functions‘ bzw. ‚pour les actes officiels accomplis dans l´exercice des leurs fonctions‘ (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 WÜK) unterscheidet, sowie in systematischer Hinsicht von dem ‚Konzept abgestufter Immunitäten‘, das dem gesamten WÜK zugrunde liegt (vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 WÜK). Der Begriff der ‚Amtshandlung‘ ist nach seinem maßgeblichen Wortsinn enger als ‚Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen werden‘, wobei es nicht auf die deutsche Übersetzung, sondern auf den verbindlichen fremdsprachigen Wortlaut ankommt (Art. 79 WÜK), der in Art. 71 Abs. 1 WÜK den Zusatz ‚official‘ bzw. ‚officiel‘ enthält. Hinzu kommt, dass Art. 71 Abs. 1 WÜK, anders als Art. 58 Abs. 2 WÜK, vorbehaltlos nur auf die Benachrichtigungspflichten im Fall der Festnahme oder Strafverfolgung aus Art. 42 WÜK und die Beschränkung der Zeugnispflicht in Art. 44 Abs. 3 WÜK verweist (Art. 71 Abs. 1 Satz 1 a.E., Abs. 1 Satz 2 WÜK), nicht aber auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, sodass auch die Regelungstechnik der Norm dafür spricht, dass dauerhaft gebietsansässigen Konsularbeamten gerade keine Immunität in demselben Umfang wie Konsularbeamten im Sinne von Art. 1 Abs 2 WÜK zugebilligt werden soll.“

Dem tritt der Senat bei.

c) Die Amtshandlungsimmunität umfasst nur die unmittelbare, echte Amtshandlung in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben und nicht etwa auch Vorgänge, die damit nur in einem engen funktionalen Zusammenhang stehen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.06.2013 – Az. 1 SsBs 15/13 bei juris; BeckOK/Valerius GVG 23. Ed. 15.05.2024 § 19 Rn. 9). Eine Dienstfahrt zum Ort der Amtshandlung ist daher von der Amtshandlungsimmunität nicht erfasst (KK/Barthe/Gericke StPO 9. Aufl. GVG § 18 Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland Teil 1. B. 2.13.2; Kreicker, in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 136. Lieferung 6/2024, Ziff. 8.3), ebenso wenig Fahrten zum täglichen Dienst, nach Hause oder der Weg von der eigenen Wohnung zu einem offiziellen Empfang. Dies wird zudem im Rundschreiben des Auswärtigen Amts vom 15.09.2015 (Rundschreiben des Auswärtigen Amtes zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland v. 15.09.2015, Gz. 503-90-507.00, GMBl. 2015 Nr. 62/63 S. 1206 Teil I B. Ziff. 2.13.2) dahingehend näher erläutert, dass diese sog. Amtshandlungsimmunität enger ist als die den Berufskonsularbeamten zustehende Amtsimmunität und nur die Amtshandlung selbst umfasst, nicht aber andere – von der Amtsimmunität noch erfasste – Handlungen, die mit der eigentlichen Amtshandlung lediglich in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen.

Auch das OLG Karlsruhe hat klargestellt, dass sich Honorarkonsuln nur dann auf Immunität berufen können, wenn die Handlung selbst ein wesentlicher Bestandteil der konsularischen Tätigkeit ist (OLG Karlsruhe NStZ 2005, 120). Die von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommene Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts BayObLGSt 1973, 191 bezog sich auf Art. 43 Abs. 1 WÜK, auf den Art. 71 Abs. 1 WÜK für Honorarkonsuln gerade nicht verweist.

2. Gemessen an diesen Maßstäben genießt der Betroffene hier keine Amtshandlungsimmunität. Die Durchführung von Fahrten mit einem Kraftfahrzeug stellt keine spezifische konsularische Aufgabe dar (OLG Düsseldorf NZV 1997, 92f.). Die Fahrt des Betroffenen diente nach seinen Angaben der Abholung eines Staatsangehörigen der Republik X. Nachdem sich der betreffende Staatsangehörige während der Tat noch nicht im Fahrzeug befand, diente die Fahrt somit der Vorbereitung der konsularischen Handlung und hatte damit eine bloße Hilfsfunktion, stellte aber noch nicht die unmittelbare echte Amtshandlung dar, die darin bestand, den […] aufzunehmen. Die Mitnahme der Ehefrau des Betroffenen als Dolmetscherin zur Kommunikation mit dem abzuholenden Staatsangehörigen der Republik X diente auch lediglich der Vorbereitung. Soweit in der Rechtsbeschwerde erstmals vorgetragen wird, der Betroffene habe „während der gesamten Fahrt u.a. im telefonischen Kontakt mit dem […] sowie weiteren Beteiligten gestanden“, zeigt dies nicht konkret ein Telefonat des Betroffenen in Amtsausführung genau zur Tatzeit auf, zumal dies früher gar nicht vorgebracht wurde. Vielmehr wird ausgeführt, der Betroffene habe bei Beginn der Fahrt telefoniert. Anhaltspunkte für ein Telefonat zur Tatzeit ergeben sich auch nicht aus den Feststellungen des Amtsgerichts. Das Mitführen von „erforderlichen Unterlagen“, das ebenfalls erstmals in der Rechtsbeschwerde vorgebracht wurde, diente nur der Vorbereitung der eigentlichen Amtshandlung, nämlich der Abholung des […]. Die Rechtsbeschwerde führt selbst aus, es habe sich um „Vorkehrungen“ gehandelt, zu Beginn der Fahrt seien „Unterlagen“ vorbereitet und mitgeführt worden. Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, wie der Betroffene als Fahrer während der Fahrt Unterlagen vorbereiten kann. Soweit in der Gegenerklärung dargelegt wird, die Amtshandlung des Betroffenen habe nicht in der Abholung gelegen, sondern in Hilfe- und Beistandsleistung auch schon vor der Fahrt, steht dies nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fahrt und dem Tatzeitpunkt am 26.12.2022 um 9.58 Uhr. Bei der Amtshandlungsimmunität genügt der bloße sachliche Zusammenhang eben gerade nicht. […]“

StPO III: Wirksames Einverständnis mit formloser Einziehung, oder: Einziehung beim sog. „Hawala-Banking“

Bild von Alexa auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.10.2024 – 12 Qs 33/24 – , der zu den Grenzen der Wirksamkeit des Einverständnisses mit der formlosen Einziehung im laufenden Ermittlungsverfahren Stellung nimmt.

In dem Fall hatte die Polizei nach einer Überprüfung des Beschuldigten aufgrund telefonisch eingeholter staatsanwaltschaftlicher Anordnung beim Beschuldigten vorgefundenes Bargeld in Höhe von insgesamt 142.295 EUR und dessen Mobiltelefone sicher gestellt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth leitete dann gegen den Beschuldigten alsbald ein Ermittlungsverfahren wegen Geldwäsche ein.

Das AG hat die Beschlagnahme des Bargeldes gem. §§ 111b, 111j Abs. 1 Satz 1 StPO angeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, die Erfolg hatte:

„Die Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist zulässig erhoben. Allerdings verweist die Staatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsverfügung darauf, dass sich der Beschuldigte unwiderruflich mit der formlosen Einziehung des Bargeldes einverstanden erklärt habe. Wäre diese Erklärung wirksam, könnte sich der Beschuldigte mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht mit Erfolg gegen die Beschlagnahme beschweren. Das ist jedoch nicht der Fall.

Richtig ist, dass ein Beschuldigter bereits im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung wirksam erklären kann, mit der formlosen Einziehung eines bei ihm sichergestellten Gegenstandes einverstanden zu sein. Diese Erklärung beinhaltet jedoch nicht den unwiderruflichen Verzicht auf Herausgabeansprüche (so noch BayObLG, Beschluss vom 08.07.1996 – 4 St RR 76/96, juris Rn. 8 ff.), sondern stellt lediglich eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung des Angeklagten – einen Antrag – an den Justizfiskus dar, diesem das Eigentum an dem sichergestellten Gegenstand zu übertragen, der vom Staat erst angenommen werden muss (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 15 ff.).

a) Hier ist schon kein wirksamer Antrag abgegeben worden. Es liegt ein vom Beschuldigten unterschriebenes Sicherstellungsprotokoll vor, das mehrere, von der Polizeibeamtin … am Computer vorgenommene Einträge und Ankreuzungen enthält. Der mit „Einverständnis des Betroffenen mit“ überschriebene Block besteht aus fünf Zeilen, in denen einzelne Maßnahmen aufgeführt sind und die jeweils mit anzukreuzenden Kästchen mit „ja“ und „nein“ abschließen. Bei der Maßnahme „Sicherstellung“ ist ein „nein“, bei der Maßnahme „unwiderrufliches Einverständnis des Betroffenen mit der formlosen Einziehung“ ist ein „ja“ angekreuzt. Diese beiden Ankreuzungen sind in sich widersprüchlich, weil danach der Beschuldigte einerseits zum Ausdruck gebracht haben soll, dagegen zu sein, dass die Polizei das Geld vorläufig an sich nimmt (Sicherstellung nein), andererseits aber dafür zu sein, das Eigentum an dem Geld aufzugeben (Einziehung ja). In sich widersprüchliche, perplexe Erklärungen sind nichtig (vgl. nur HK-BGB/Schulze, 12. Aufl., § 133 Rn. 14; Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl., § 133 Rn. 2).

Hielte man diesen Widerspruch im Wege der Auslegung gleichwohl für auflösbar, bliebe das Ergebnis gleich. Denn dann spräche alles dafür, die Bejahung der Einziehung als ein Versehen und damit nicht maßgeblich zu werten. In den weiteren polizeilichen Vermerken findet sich nämlich kein Widerhall eines Einziehungseinverständnisses und ein solcher wäre auch völlig lebensfremd. Nach Lage der Dinge und nach den zur Herkunft des Geldes vorgebrachten Erklärungen gäbe es für den Beschuldigten keinen nachvollziehbaren Grund, unmittelbar nach seiner Kontrolle einfach so auf 142.295 € zu verzichten. Beurteilte man, dies nur am Rande bemerkt, das polizeiliche Formular rein nach zivilrechtlichen Maßstäben, hielte die dortige Einziehungsregelung § 305c Abs. 1 BGB kaum stand.

Auf die vom Verteidiger namens des Beschuldigten erklärte Anfechtung seiner Willenserklärung (§§ 119, 123, 142 Abs. 1, § 143 BGB) kommt es aus Sicht der Kammer nach allem nicht mehr an.

b) Es fehlt auch eine Annahme vonseiten der Staatsanwaltschaft. In der Hauptverhandlung, in der sich der Angeklagte mit der formlosen Einziehung einverstanden erklärt, kann der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine korrespondierende Willenserklärung mit Wirkung für den Fiskus auch konkludent abgeben (BGH, Beschluss vom 11.12.2018 – 5 StR 198/18, juris Rn. 23 ff.). Die dort geltenden Maßstäbe sind auf den hiesigen Fall aber nicht übertragbar. Eine Hauptverhandlung findet statt, nachdem das Ermittlungsverfahren durchgeführt, auf dessen Grundlage eine Anklage erhoben und vom Gericht zugelassen wurde. Dann ist nach übereinstimmender Auffassung der Staatsanwaltschaft und des Gerichts eine tatsachenbasierte, überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben, die es rechtfertigt, mit dem Einverständnis des Angeklagten einen in dessen Eigentum stehenden (Vermögens)Gegenstand endgültig in die staatliche Sphäre zu überführen. Anders hier: Das Ermittlungsverfahren befindet sich an seinem Anfang, die Verdachtslage ist derzeit eher dünn und der Angeklagte ist mit der Weggabe der erheblichen Geldsumme nicht einverstanden. Hinzu kommt, dass es nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Staatsanwaltschaft gehört, losgelöst von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen, Einnahmen zu generieren. Es wäre rechtsstaatlich mehr als befremdlich, würde man der Staatsanwaltschaft unterstellen – und ihr Verhalten entsprechend auslegen –, sie wolle, gleichgültig wie der Fall liegt, den Fiskus einfach nur auf Kosten derer bereichern, derer sie habhaft wird.

Dies vorweg geschickt ist festzustellen, dass eine ausdrückliche Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft der Akte nicht zu entnehmen ist. Der Hinweis in der Beschwerdevorlage ist im Lichte der vorstehenden Ausführungen nicht als Annahme auszulegen, auch deshalb nicht, weil er nicht gegenüber dem Beschuldigten oder dessen Verteidiger abgegeben wurde (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insgesamt dürfte im Stadium des noch laufenden Ermittlungsverfahrens für die Bejahung einer konkludenten Annahmeerklärung der Staatsanwaltschaft, wenn überhaupt, nur in besonderen Konstellationen ein Anwendungsfall zu finden sein – bei Bargeld in erheblicher Höhe jedenfalls nicht.

2. In der Sache hat die Beschwerde Erfolg, die Beschlagnahme war aufzuheben.

Die Beschlagnahme gem. § 111b StPO darf angeordnet werden, um Gegenstände für eine etwaige spätere Einziehung zu sichern. Es handelt sich dabei um eine vorläufige Maßnahme im Ermittlungsverfahren, weshalb deren Anordnungsvoraussetzungen deutlich geringer sind als diejenigen im späteren gerichtlichen Einziehungsverfahren. Es reicht der Anfangsverdacht einer Straftat sowie eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des zu beschlagnahmenden Gegenstandes erfolgen wird (BGH, Beschluss vom 12.07.2007 – StB 5/07, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 67. Aufl., § 111b Rn. 5, 6). An letzterem fehlt es.

a) Es besteht zwar der auf Tatsachen gestützte Anfangsverdacht einer Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO).

aa) Nach gegebenem Ermittlungsstand liegt ein von den Ermittlungsbehörden noch vertretbar bejahter (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.05.2022 – 12 Qs 24/22, juris Rn. 20) Anfangsverdacht dahingehend vor, dass der Beschuldigte Geldgeschäfte in Form des sog. Hawala-Bankings betreibt und hierzu Bargeld von Kunden entgegennimmt und an sie auszahlt, was gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG strafbar wäre, weil der Beschuldigte offensichtlich über keine Erlaubnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ZAG und keine Registrierung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 ZAG verfügt.

bb) Der Anfangsverdacht für die im angegriffenen Beschluss genannte Geldwäsche gem. § 261 StGB ist demgegenüber nicht begründet. Dafür, dass die möglicherweise vom Beschuldigten im Rahmen des Hawala-Banking eingesammelten Gelder ihrerseits aus rechtswidrigen Taten stammen, fehlen Anhaltspunkte. Die schlichte Behauptung leichtfertiger Geldwäsche (§ 261 Abs. 6 StGB) ohne eine tatsächliche Stütze hierfür wäre nicht tragfähig, weil das Hawala-Banking auch, und wohl überwiegend, legalen Zwecken dienen kann (vgl. Eggers/van Cleve, NZWiSt 2020, 426, 427). Rechtlich stünde, nimmt man den ZAG-Verstoß als hier mögliche Straftat an, zudem § 261 Abs. 7 StGB einer Strafbarkeit wegen Geldwäsche nach Lage des Falls entgegen.

b) Auf dieser Grundlage besteht allerdings keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass eine Einziehung des beschlagnahmten Geldes erfolgen kann.

aa) Sofern eine Strafbarkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 ZAG inmitten steht, sind die beim Beschuldigten sichergestellten mutmaßlichen Kundengelder des Hawala-Bankings als Tatobjekte i.S.d. § 74 Abs. 2 StGB zu werten (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 3 StR 403/20, juris Rn. 38). Bei diesen kommt die Einziehung nur dann in Betracht, wenn eine in § 74 Abs. 2 StGB genannte sondergesetzliche Ermächtigung besteht, was im Fall des ZAG-Verstoßes gerade nicht der Fall ist (vgl. BGH, aaO, Rn. 40).

Für eine tatsächliche Differenzierung dahingehend, dass es sich bei einem Teil des beschlagnahmten Geldes um Provisionen für den Beschuldigten handeln könnte, die nach §§ 73, 73c StGB als Taterträge eingezogen werden könnten (vgl. BGH, aaO, Rn. 34), fehlt es an Indizien.

bb) Eine Einziehung des Geldes als Beziehungsgegenstand (§ 261 Abs. 10 StGB) oder nach den §§ 73 ff., §§ 74 ff. StGB scheidet aus, sofern man die Geldwäsche als hier mögliche Straftat ansähe. Denn für die fehlt es derzeit an einem greifbaren Anfangsverdacht.

cc) Aus diesem Grund ist auch nicht damit zu rechnen, dass eine erweiterte selbständige Einziehung (§ 76a Abs. 4 StGB) in Betracht kommen könnte. Nach dieser Norm kann Vermögen von letztlich unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat und von einem subjektiven Verfahren eingezogen werden (vgl. Fischer, 71. Aufl., StGB, § 76a Rn. 9). Allerdings setzt die Vorschrift zumindest den Verdacht einer Katalogtat nach § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB voraus. Zu diesen zählt zwar die Geldwäsche (§ 76a Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 Buchstabe f StGB), nicht jedoch die Straftat nach dem ZAG.“