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Zwang I: Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen?, oder: Verhältnismäßigkeit von Beugehaft

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Und weiter geht es in der 39 KW. mit StPO-Entscheidungen. Alle drei vorgestellten Entscheidungen haben Zwangsmaßnahmen zum Gegenstand.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 21.08.2024 – StB 39/24 – zur Anordnung von Beugehaft zur Erlangung einer Aussage eines Zeugen, der sich auf ein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO beruft.

Ergangen ist der Beschluss in einem am OLG Stuttgart anhängigen Verfahren, in dem dem  Angeklagten die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland vorgeworfen worden ist. Im Hauptverhandlungstermin am 11.06.2024 wurde der Zeuge A.     vernommen. Er war am 18.12.2023 wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt worden; diese Entscheidung war zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen. Nach der Vernehmung zur Person machte der Zeuge – entgegen dem Hinweis des Vorsitzenden des Staatsschutzsenats – geltend, ihm stehe ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu, und verweigerte Angaben zur Sache.

Nachdem die Festsetzung von Ordnungsmitteln keine Änderung des Aussageverhaltens bewirkt hatte, hat das OLG noch am Tag der Vernehmung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Beschluss gegen den Zeugen Beugehaft von zunächst einer Woche sowie ihre sofortige Vollstreckung angeordnet und ihm die durch seine Weigerung verursachten Kosten auferlegt. Sodann ist der Zeuge in Haft genommen worden. Er hat gegen die Entscheidung – einschließlich „der Aufbürdung von Kosten“ – „sofortige Beschwerde“ erhoben. Mit Beschluss vom 14.06.2024 hat der Staatsschutzsenat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen.

Im Hauptverhandlungstermin zur Fortsetzung der Vernehmung am 18.06.2024 hat der Zeuge weiterhin keine Angaben zur Sache gemacht. Das OLG hat daraufhin die angeordnete Beugehaft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten aufgehoben. Anschließend hat der Zeuge erklärt, dass sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Beugehaft „erledigt haben dürfte“, und die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses beantragt.

Der BGH hat die nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft gerichtete Beschwerde verworfen. Er macht in dem Beschluss zunächst umfnagreiche Ausführungen dazu, dass dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus 3 55 StPO nicht zusteht. Insoweit ordne ich das Selbstleseverfahren an. Zur Beugehaft führt er dann aus:

„b) Auch im Übrigen war die Anordnung und Vollstreckung der Beugehaft rechtmäßig.

aa) Die Maßnahme gemäß § 70 Abs. 2 StPO steht – anders als diejenigen nach § 70 Abs. 1 StPO – im gerichtlichen Ermessen. Dabei sind die Pflicht zur Sachaufklärung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (s. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

bb) Der angefochtene Beschluss war wie schon die Vernehmung des Zeugen von der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) gedeckt.

(1) Die Erforschung des wahren Sachverhalts ist das zentrale Anliegen des Strafprozesses. Die Aufklärungspflicht begründet deshalb für die Verfahrensbeteiligten einen unverzichtbaren Anspruch darauf, dass die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen sowie alle tauglichen und erlaubten Beweismittel erstreckt wird, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1983 – GSSt 1/83, BGHSt 32, 115, 122 f.). Sie kann das Tatgericht nach den Umständen des Falls sogar verpflichten, gegen einen Zeugen, der ohne gesetzlichen Grund die Aussage verweigert, die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Zwangs­mittel festzusetzen und zu vollstrecken (vgl. BGH, Urteil vom 15. Ju­li 1998 – 2 StR 173/98, NStZ 1999, 46; Beschluss vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 15).

Welche Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung geboten sind, unterliegt dabei in erster Linie der Beurteilung des erkennenden Gerichts, zumal die Aufklärungspflicht in einer Wechselbeziehung mit der tatrichterlichen Überzeugung steht (vgl. LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 46 mwN).

(2) Gemessen an diesen Maßstäben ist das Vorgehen des Oberlandesgerichts frei von Bedenken. Insbesondere hat sich der Staatsschutzsenat – entgegen der in der Beschwerderechtfertigung geäußerten Ansicht – nicht von vorneherein mit der Verlesung der Gründe des gegen den Zeugen ergangenen rechtskräftigen Urteils sowie der Vernehmung von Ermittlungspersonen begnügen müssen. Denn das Tatgericht ist nicht gehindert, sondern vielfach, wenn nicht gar in der Regel gehalten, sich um ein sachnäheres Beweismittel zu bemühen, selbst wenn es ohne die Beweiserhebung aufgrund bereits genutzter sachfernerer Beweismittel die (unter Vorbehalt stehende) Überzeugung vom Tatvorwurf gewonnen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 2 BvR 659/12, NStZ-RR 2013, 115 f.; BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 92/03, NStZ 2004, 50; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 66 mwN); im Anschluss an die Rechtskraft des gegen den Zeugen ergangenen Urteils hat das Oberlandesgericht dementsprechend dessen Einvernahme in der Hauptverhandlung betrieben. Darüber hinaus hätten konkretisierende Angaben des Beschwerdeführers zur Stellung und Tätigkeit des Angeklagten im Komitee M.         ohne Weiteres Bedeutung für die Strafzumessung gewinnen können.

cc) Die angefochtene Entscheidung wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Da das Gesetz keine speziellen materiellen Voraussetzungen zum Schutz des Freiheitsgrundrechts vorsieht, hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip besondere Relevanz. Danach muss die Beugehaft nach den Umständen des Falls unerlässlich sein und darf zur Bedeutung nicht außer Verhältnis stehen, welche der Strafsache als solcher sowie der Aussage für den Ausgang des Verfahrens zukommt (s. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07, BVerfGK 10, 216, 225; BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 7; vom 10. Januar 2012 – StB 20/11, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 8 Rn. 9).

Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass eine Aussage des Zeugen zur Sache ohne Beugehaft nicht zu erlangen war. Gemäß den aufgezeigten Maßstäben hat es zudem – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – zutreffend auf das Gewicht der dem Angeklagten angelasteten Straftat abgestellt. Überdies hat es davon ausgehen dürfen, dass trotz fortgeschrittener Beweisaufnahme Angaben des Zeugen den Ausgang des Strafverfahrens noch beeinflussen können (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 – StB 32/09, BGHR StPO § 70 Erzwingungshaft 7 Rn. 9). Nach der maßgeblichen Ex-ante-Sicht genügt es hierfür grundsätzlich, dass die Nutzung des sachnäheren Beweismittels das bisher gewonnene Beweisergebnis voraussichtlich untermauern wird. Wie ausgeführt (s. oben bb] [2]), waren auch für den Strafausspruch bedeutsame Erkenntnisse zu erwarten. Da die Beweisaufnahme vor dem Abschluss stand, hat der Staatsschutzsenat ferner die sofortige Vollstreckung als erforderlich erachten dürfen (zur Zuständigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1989 – I BGs 100/89, BGHSt 36, 155, 156 f.). Schließlich zeigt sich die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeits- und des Beschleunigungsgrundsatzes daran, dass das Oberlandesgericht die Beugehaft umgehend aufgehoben hat, nachdem es im nächsten Vernehmungstermin die Überzeugung gewonnen hatte, der Zeuge werde trotz weiteren Beugehaftvollzugs auf absehbare Zeit zur Sache nicht aussagen.

Darauf, ob der Angeklagte auch ohne die Aussage des Beschwerdeführers dem Anklagevorwurf entsprechend verurteilt worden ist, kommt es deshalb nicht ausschlaggebend an.“

Ganz interessant für die Praxis, denn wann liest man schon mal so ausführlich vom BGH zur Beugehaft.

Pflichti I: „Pflichti-Versäumnisse, Verteidigerwechsel, oder: Wahlanwalt, Zeitpunkt des Bestellungsantrags

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Und dann heute mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen, darunter einiges vom BGH.

Ich beginne mit den BGH-Entscheidungen, zu denen ich hier aber nur die Leitsätze vorstelle:

Etwaige Versäumnisse eines Pflichtverteidigers können dem Staat nur ausnahmsweise angelastet werden, da die Führung der Verteidigung Sache des Angeklagten und seines Pflicht- oder Wahlverteidigers ist. Für Behörden und Gerichte besteht eine Verpflichtung zum Eingreifen nur, wenn das Versagen eines Pflichtverteidigers für die Justiz offenkundig ist oder sie davon unterrichtet wird.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers setzt gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO voraus, dass die betreffende Person Beschuldigter in einem Strafverfahren ist und die Strafverfolgungsbehörde ihr durch amtliche Mitteilung oder auf sonstige Art und Weise die Einleitung gegen sie gerichteter Ermittlungen zur Kenntnis gebracht hat. Vor der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sowie im Zeitraum noch nicht offen geführter Ermittlungen ist für eine Pflichtverteidigerbestellung kein Raum. Dementsprechend sind Anträge auf Pflichtverteidigerbestellung, die bereits vor der amtlichen Bekanntgabe des Tatvorwurfs, etwa aufgrund von Vermutungen über die Einleitung eines Strafverfahrens, gestellt werden, unzulässig.

Gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO ist es – grundsätzlich zwingend – geboten, eine Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser zudem die Wahl angenommen hat. Eine Ausnahme besteht u.a., wenn zu besorgen steht, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird.

1. Hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs in der Beschwerdeinstanz gilt, dass dem zur Entscheidung über einen Verteidigerwechsel nach § 143a StPO und über die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers nach § 144 StPO berufenen Richter ein Beurteilungsspielraum zukommt

2. Einer Bestellung eines Pflichtverteidigers im Wege eines konsensualen Verteidigerwechsels steht entgegen, wenn eine angemessene Verteidigung des Angeklagten bei einer Teilnahme an lediglich einem Drittel der Verhandlungstermine nicht gewährleistet ist.

 

 

Auslagenerstattung II: Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Begründungsmangel und Ermessen

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Und dann der LG Bückeburg, Beschl. v. 07.06.2024 – 4 Qs 46/24. In dem Beschluss geht es um die Auslagenerstattung nach Einstellung wegen Verjährung. Alles wie gehabt – Dauerbrenner eben 🙂 :

„Der angefochtene Beschluss weist zunächst einen formalen Mangel auf. Die zur Begründung der Auslagenentscheidung angeführte Bezugnahme auf die Gesetzesbestimmung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO genügt nicht dem Begründungserfordernis des § 34 StPO.

Gemäß § 34 StPO sind die durch ein Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen mit Gründen zu versehen. Dieser Begründungszwang dient dem Zweck, den Anfechtungsberechtigten in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zu treffen, d. h. festzustellen, welche Gründe bzw. zu seinem Nachteil angenommene Tatsachen das erkennende Gericht verwendet hat und welcher Vortrag in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in der Rechtsmittelinstanz noch angebracht werden kann. Ferner dient die Begründung dem Rechtsmittelgericht als Grundlage für seine Entscheidung (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 60 m.w. N.). Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss, der sich zu den Gründen der streitgegenständlichen Auslagenentscheidung in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlautes erschöpft, nicht.

Der aufgezeigte Begründungsmangel könnte es grundsätzlich rechtfertigen, die Sache nach Aufhebung des Beschlusses an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Saarbrücken BeckRS 2015, 12793). Allerdings kann die Kammer vorliegend, da die Sache einfach liegt und sich die maßgeblichen Tatsachen aus dem Akteninhalt zweifelsfrei ergeben, selbst entscheiden.

II.

Der Landeskasse sind gemäß § 46 Abs. 1 OWG i.V.m. § 467 Abs. 1 Var. 3 StPO nicht nur die Kosten des Verfahrens, sondern auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen. Soweit das Amtsgericht demgegenüber seine abweichende Auslagenentscheidung auf die Ausnahmeregelung des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, vermag die Kammer diesen Erwägungen nicht zu folgen.

Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kann bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen eines Betroffenen der Landeskasse aufzuerlegen, wenn er nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird. Dies erfordert eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist ein Verdachtsgrad zu erörtern, bei welchem davon ausgegangen werden kann, dass eine Verurteilung nur aufgrund des Verfahrenshindernisses nicht erfolgt ist. In einem zweiten Schritt hat das Tatgericht sein Ermessen dahingehend auszuüben, ob eine Kosten- und Auslagenentscheidung zum Nachteil des Angeklagten ergehen kann (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2015, 30).

1. Zwar geht die Kammer wie auch das Amtsgericht, welches hierzu gleichwohl keinerlei begründenden Ausführungen getätigt hat, davon aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO gegeben sind.

Nach dem Gesetzeswortlaut muss das Verfahrenshindernis die alleinige Ursache der Einstellung gewesen sein. Erst dadurch wird das Ermessen des Gerichts im Rahmen der Auslagenentscheidung eröffnet (vgl. OLG Celle a.a.O.). Nach überwiegender Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, kommt eine Versagung der Auslagenerstattung schon dann in Betracht, wenn zur Zeit der Feststellung des Verfahrenshindernisses ein zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände vorliegen, die bei Fortgang des Verfahrens eine Konkretisierung des Tatverdachts bis zur Feststellung der Schuld in Frage stellen (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Der Sachverhalt erfüllt die an eine solche Verdachtslage zu stellenden Anforderungen.

Der Beschwerdeführer hat den Verkehrsverstoß im Anhörungsbogen eingeräumt (BI. 12 d. A.). Unerheblich ist, dass nach Aktenlage — der verfahrensgegenständliche Unfall hat sich auf einem Tankstellengelände ereignet — nicht von einem Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, sondern nur von einem solchen gegen die sich aus § 1 Abs. 2 StVO ergebende allgemeine Rücksichtnahmepflicht auszugehen sein dürfte (vgl. OLG Dresden NZV 2007, 152), da auch dieser Verstoß bußgeldbewehrt ist.

2. Im Rahmen der sodann auf Rechtsfolgenseite zu treffenden Ermessensentscheidung kommt jedoch ein anderes Ergebnis als die Überbürdung auch der Auslagen des Betroffenen auf die Landeskasse nicht in Betracht.

Bei der Ausübung des Ermessens ist dem Ausnahmecharakter von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO Rechnung zu tragen, der es mit sich bringt, dass besondere Umstände vorliegen müssen, die die Belastung der Landeskasse mit den Auslagen des Betroffenen als unbillig erscheinen lassen (vgl. BVerfG NJW 2017, 2459; BGH NStZ-RR 2018, 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 467 Rn. 18 m.w.N.). Die voraussichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers kommt hierbei, da sie als tatbestandliche Voraussetzung die Ermessensentscheidung erst eröffnet, ebenso wenig als maßgeblicher Gesichtspunkt in Betracht wie die dem Verfahren zugrundeliegende Tat (vgl. BGH a.a.O.; OLG Celle a.a.O.). Gegen eine Auslagenerstattung durch die Landeskasse kann insbesondere sprechen, dass das Verfahrenshindernis durch den Betroffenen herbeigeführt worden ist oder sonst auf einem vorwerfbaren prozessualen Fehlverhalten beruht (vgl. BGH a.a.O.; KK-StPO/Grieg, 9. Aufl. 2023, § 467 Rn. 10b; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 467 Rn. 18).

Daran gemessen sind besondere Gründe für ein Absehen von der Auslagenüberbürdung auf die Landeskasse nicht auszumachen, wobei insbesondere der Eintritt der Verfolgungsverjährung in keiner Weise aus der Sphäre des sich ordnungsgemäß und sachlich verteidigenden Betroffenen herrührt, sondern — worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat — ausschließlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Akte (ohne aktenkundig gemachte Gründe) vom 5. Oktober 2023 bis zum 11. April 2024 und damit mehr als sechs Monate unbearbeitet beim Amtsgericht vorgelegen hat (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen: LG Neuruppin BeckRS 2020, 49267; LG Krefeld BeckRS 2018, 15871).“

Auslagenerstattung I: Einstellung des OWi-Verfahrens, oder: Außerordentliche Beschwerde und Ermessen

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Und dann heute am Gebührenfreitag hier zunächct zwei Entscheidungen zum Dauerbrenner: Auslagenerstattung nach Einstellung (im Bußgeldverfahren). Dazu habe ich etwas vom LG Wiesbaden und etwas vom LG Lüneburg.

Zunächst hier der LG Wiesbaden, Beschl. v. 07.06.2024 – 2 Qs 47/24 -, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Gegen den Betroffenen wurde wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeldbescheid erlassen und darin eine Geldbuße von 100,00 EUR festgesetzt. Nach Einspruch des Betroffenen und Abgabe des Verfahrens von der Verwaltungsbehörde an das AG hat der Verteidiger des Betroffenen dort dessen Fahrereigenschaft bestritten und die Einholung eines morphologischen Gutachtens beantragt. Nach Aufforderung durch das AG benannte der Verteidiger dann den (angeblichen) tatsächlichen Fahrer. Der Betroffene reichte zudem eine Erklärung des tatsächlichen Fahrers, nach welcher dieser das Tatfahrzeug zur Tatzeit geführt haben will, sowie Lichtbilder des tatsächlichen Fahrers und seiner Person zur Akte.

Das AG hat den Betroffenen daraufhin zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG — bei Erstattung auch der notwendigen Auslagen des Betroffenen — angehört, zu welcher der Betroffene sein Einverständnis erklärte. Das AG hat das Bußgeldverfahren dann gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Hinsichtlich der Kosten wurde tenoriert: „Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse“. Eine ausdrückliche Auferlegung der notwendigen Auslagen erfolgte nicht.

Der Verteidiger hat für den Betroffenen Rechtsmittel gegen den Einstellungsbeschluss eingelegt. Zur Begründung führt er an, dass das Gericht entgegen der Ankündigung der Staatskasse nicht auch die notwendigen Auslagen des Betroffen auferlegt habe. Das AG hat das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde ausgelegt und die Akte dem LG zur Entscheidung vorgelegt. Dort hatte das Rechtsmittel Erfolg:

„Der mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.05.2024 eingelegte Rechtsbehelf ist als außerordentliche Beschwerde auszulegen.

Würde man das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde („Kostenbeschwerde“) gegen die Kostengrundentscheidung bzgl. der notwendigen Auslagen des Betroffenen auslegen, wäre die sofortige Beschwerde unstatthaft. Nach § 47 Abs. 2 S. 3 OWiG ist ein nach § 47 Abs. 2 S. 1 OWiG ergangener Beschluss nicht anfechtbar, sodass auch die Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung ausgeschlossen ist, § 464 Abs. 3 S. 1 Hs. 2. StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Der Rechtsbehelf kann auch nicht als Gegenvorstellung ausgelegt werden, da damit das primäre Ziel des Betroffenen, eine Änderung der Kosten- und Auslagenentscheidung herbeizuführen, nicht erreicht werden kann (vgl. A. Bücherl, in Graf (Hrsg.), BeckOK OWiG, 41. Edition, Stand: 01.01.2024, § 47 Rn. 54 m. w. N.).

Schließlich scheidet auch eine Auslegung des Rechtsbehelfs als Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Nichtgewährung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG aus, da dies voraussetzt, dass dem Amtsgericht Wiesbaden ein Fehler im Anhörungsverfahren unterlaufen wäre und es infolgedessen zu einer fehlerhaften Hauptsacheentscheidung gekommen wäre, die im Wege des Verfahrens nach § 33a StPO zu korrigieren wäre und mit der eine Abänderung der an sich unanfechtbaren Kosten- und Auslagenentscheidung einhergehen könnte. So liegt der Fall hier aber nicht.

Indes ist nach verfassungsrechtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen groben prozessualen Unrechts dem Betroffenen ein außerordentlicher Rechtsbehelf in Form einer einfachen Beschwerde zuzugestehen. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu in seinem Kammerbeschluss vom 15.08.1996 (Az.: 2 BvR 662/95 — bei juris, Rn. 14) aus: „Bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts war anerkannt, dass gerichtliche Entscheidungen, gegen die ein ordentlicher Rechtsbehelf nicht mehr statthaft ist, ausnahmsweise zurückgenommen werden können, wenn sie auf einer unrichtigen tatsächlichen Grundlage ergangen waren; diese Rechtsprechung galt selbst für der vollen Rechtskraft fähige Beschlüsse, etwa im Revisionsverfahren (vgl. RGSt 59, 420). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof (vgl. BGH MDR 1951, S. 771) und ihm folgend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen und fortgesetzt worden (vgl. nur OLG Stuttgart, MDR 1982, S. 341, 342; OLG Celle, NStZ 1983, S. 328, 329; OLG Rostock, NZV 1994, S. 287, 288 jeweils m.w.N.). Geht es um die Beseitigung groben prozessualen Unrechts, ist es danach grundsätzlich zumutbar,

Abhilfe zunächst durch Einlegung auch eines außerordentlichen Rechtsbehelfs im fachgerichtlichen Verfahren zu suchen.“ So liegt der Fall hier: Die mit der Verfahrenseinstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG verbundene Kosten- und Auslagenentscheidung stellt sich vorliegend hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht bloß als fehlerhafte Rechtsanwendung dar. Sie beruht auf letztlich willkürlichen Erwägungen und stellt danach grobes prozessuales Unrecht dar.

Erfolgt eine Einstellung — wie hier nach § 47 Abs. 2 OWiG — nach einer dem Gericht Ermessen einräumenden Vorschrift, räumt § 467 Abs. 4 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG dem Gericht Ermessen indes auch hinsichtlich der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen ein. Dabei ist als Ausgangspunkt zu beachten, dass in solchen Fällen hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich § 467 Abs. 1 StPO gilt. Wenn ein Gericht in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens von diesem Grundsatz abweichen möchte, muss erkennbar sein, dass Ermessen tatsächlich ausgeübt wurde; dies ist bei einer bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts — trotz des Umstands, dass vor dem Hintergrund der §§ 34,464 Abs. 3 StPO, 47 OWiG in der vorliegenden Fallkonstellation eine (schriftliche) Begründung nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben war — nicht der Fall. Unabhängig davon, dass in dem angefochtenen Beschluss die zu treffende Ermessensentscheidung inhaltlich nicht dargelegt wurde, ist aus dem Akteninhalt zwanglos nachvollziehbar, dass der Betroffenen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit vorliegend nicht wegen der ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit hätte belangt werden dürfen. Bei einer derartigen Sach- und Rechtslage wie der vorliegenden kann das Ermessen willkürfrei nur dahingehend ausgeübt werden, dass es bei der grundsätzlichen Regelung des § 467 Abs. 1 StPO i. v. m. § 46 Abs. 1 OWiG zu verbleiben hat. Mithin hat die Staatskasse die dem Betroffenen im Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Werbung, Werbung – drei Handbücher neu, oder: Rechtsmittel, Ermittlungsverfahren, Hauptverhandlung

So und hier dann erst mal den <<Werbemodus an>>, denn dieses Posting ist ein reines Werbeposting. Wer das also nicht mag oder meint, er braucht die Info nicht: Einfach weiter gehen :-). Aber: Später nicht meckern. Denn der Beitrag enthält wichtige Informationen zu den nächsten Neuerscheinungen 2024.

Denn jetzt ist es (endlich) soweit: Die drei Handbücher zum Rechtsmittel, zum Ermittlungsverfahren und zur Hauptverhandlung kommen, wie ich ja schon mitgeteilt hatte, in diesem Jahr neu, und zwar:

Es ist also mal wieder vollbracht – es kommen rund 5.500 Seiten Verfahrensrecht, alles natürlich aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht – wie immer jetzt schon seit fast 30 Jahren. Ja, lang lang ist es her, dass die 1. Auflage der „Hauptverhandlung“ erschienen ist.

Und mit den drei Handbüchern gibt es dann auch das „Burhoff-Paket„, das aus dem „Ermittlungsverfahren“ und der „Hauptverhandlung“ besteht, und eine „Burhoff-Trilogie“ bestehend aus „Ermittlungsverfahren“, „Hauptverhandlung“ und Rechtsmittel neu.

Die Handbücher kosten im Einzelbezug 129,00 EUR, das Paket 209,00 EUR und die Trilogie 269,00 EUR. Da stecken also ganz schöne Preisnachlässe drin.

Und die Bücher kann man dann, wenn man noch nicht vorbestellt hat, dann auf der Bestellseite meiner HP vorbestellen. Sie kommen dann nach dem Erscheinen automatisch. Die Bücher kommen vom Verlag, die Rechnung für die Lieferung von mir.

Und dann jetzt: <<Werbemodus aus>>