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StPO III: Anordnung von Jugendarrest „keine Haft“, oder: Belehrung im Hauptverhandlungsprotokoll?

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Und dann als dritte Entscheidung noch der LG Limburg, Beschl. v. 05.01.2023 – 2 Qs 76/22.

Das AG hat gegen den verurteilten Jugendlichen einen Jugendarrest von vier Wochen verhängt, weil dieser eine mit Urteil vom 22.02.2021 rechtskräftig erteilte Weisung, an einem Anti-Gewalt-Trainingskurs des Jugendhilfevereins teilzunehmen, schuldhaft nicht erfüllt habe. Gegen diesen am 29.09.2022 zugestellten Beschluss hat der Jugendliche mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.10.2022, eingegangen ausweislich der Faxleiste an diesem Tag, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde eingelegt. Aufgrund des Rechtsmittels hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 03.11.2022 die Akte der Kammer mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen vorgelegt, die am 07.11.2022 beim Landgericht eingegangen ist. Mit Schriftsatz vom 28.10.2022, gerichtet an das Amtsgericht Limburg und ausweislich des Eingangsstempels am 04.11.2022 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen, hat der Verteidiger das Rechtsmittel eingehend begründet. Die Staatsanwaltschaft hat es aber versäumt, die Rechtsmittelbegründung in angemessener Frist der Akte nachzusenden.

Das LG hat, nachdem keine Beschwerdebegründung vorlag, mit Beschluss vom 21.11.2022 das Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet verworfen. Gegen die formlos übersandte Kammerentscheidung hat der Jugendliche dann mit Schriftsatz vom 26.11.2022, eingegangen an diesem Tag, weitere Beschwerde (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO) eingelegt und hilfsweise – sollte die Kammer einen Fall einer Verhaftung i.S.d. § 310 Abs. 1 Nr. StPO verneinen – beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 33a StPO) zu gewähren. Das Rechtsmittel hatte mit dem Hilfsantrag Erfolg:

„Dem Hilfsantrag war zu entsprechen. Die Voraussetzungen des Nachverfahrens gemäß § 33a StPO liegen vor.

1. Der ergangene Kammerbeschluss ist unanfechtbar. Die weitere Beschwerde ist nicht statthaft. Der Fall einer Verhaftung i.S.d. § 310 Abs. 1 Nr. StPO liegt nicht vor. Beschwerdebeschlüsse des Landgerichts sind grundsätzlich nicht mit der weiteren Beschwerde anfechtbar (§ 310 Abs.2 StPO). Einer der in § 310 Abs. 1 StPO geregelten Ausnahmefälle liegt nicht vor, insbesondere auch keine „Verhaftung“ i.S.v. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Zwar ist die Rechtsnatur des jugendstrafrechtlichen Ungehorsamsarrests umstritten, doch unabhängig davon, ob man ihn als „besondere jugendstrafrechtliche Reaktionsmöglichkeit“ und im weitesten Sinn somit als einen Akt der Vollstreckung wertet oder als „unselbstständige Ersatzmaßnahme“ qualifiziert, ist die Anordnung von Jugendarrest nach § 11 Abs. 3 S. 1 JGG, da ein Verstoß gegen eine im Urteil erteilte Weisung sanktioniert wurde, jedenfalls keine einer Verhaftung i.S.v. § 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO gleichzustellende Maßnahme (OLG München NStZ 2012, 166).

2. Die Kammer hat mit der zum Nachteil des Beschwerdeführers ergangenen Entscheidung – wenn auch ohne eigenes Verschulden – rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Die eingehende Beschwerdebegründung lag bei der Kammerberatung nicht vor.

3. Die gebotene Prüfung, ob die frühere Entscheidung abgeändert werden muss, führt zum Erfolg der sofortigen Beschwerde.

Ein Jugendarrest durfte schon deshalb nicht verhängt werden, weil der Beschwerdeführer entgegen § 11 Abs. 3 S.1 JGG nicht über die Folgen einer schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die erteilte Weisung belehrt worden ist.

3.1. Zweckmäßiger Weise erfolgt eine Belehrung nach der Urteilsverkündung, wobei sie zu protokollieren ist.

Das Protokoll der Hauptverhandlung vom 22.02.2021 weist eine Rechtsmittelbelehrung, aber keine Belehrung nach § 11 Abs. 3 JGG aus. Der Kammer ist es verschlossen, eine dienstliche Erklärung des Jugendrichters einzuholen, ob die Belehrung über einen Ungehorsamsarrest Teil der mündlichen Urteilsbegründung war. Ebenso wie eine Belehrung über die Folgen schuldhafter Verletzung von Weisungen eines Bewährungsbeschlusses gehört die Belehrung über Folgen erteilter Weisungen nach Jugendstrafrecht zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Beurkundung einer Hauptverhandlung (vergl. zu Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO Karlsruher Kommentar, 8. Auflage, StPO, § 273 Rdnr. 6 m. w.n.). Dem entspricht es, dass das Protokoll als „maßgeblich“ angesehen wird (Eisenberg/Kölbel, JGG, 22.Aufl., § 11 Rdnr. 16, BeckOK/Gertler, 27 Ed. 1-11-2022, JGG § 11 Rd.19, LG Marburg NStG-RR 2006, 122).

4. Eine Belehrung kann – ebenso wie eine fehlende Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO – nachgeholt werden (§ 453a Abs.1 S. 1 StPO entsprechend). Eine gesonderte, an den Beschwerdeführer gerichtete Belehrung ist der Akte nicht zu entnehmen.

In den schriftlichen Urteilsgründen hat der Jugendrichter zwar sehr deutlich auf die Folgen schuldhafter Nichterfüllung hingewiesen. Nach der Beschwerdebegründung kann aber nicht mehr angenommen werden, dass der Beschwerdeführer die Urteilsgründe tatsächlich gelesen hat. Verpflichtet hierzu ist er nicht.“

StPO II: Zeugenaussage über intimste Lebensbereiche, oder: Bei Weigerung, kein Zeugniszwang

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier das AG Menden, Urt. v. 17.11.2022 – 8 Ls-362 Js 334/20-13/20. Hängt schon etwas länger in meinem Ordnet, jetzt passt es aber endlich.

Dem jugendlichen Angeklagten wird der Vorwurf der Vergewaltigung von zwei Frauen gemacht. Das AG hat ihn frei gesprochen:

„Nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen pp., an dem nur die Nebenklägerin pp. mitzuwirken bereit war, erwies sich deren Aussage aufgrund der plausiblen und überzeugenden Würdigung der Sachverständigen nicht als hinreichend belastbar; sogar eine bewusste Falschaussage war nicht ausschließbar. Vor diesem Hintergrund war es hinzunehmen, dass die Nebenklägerin von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch machte. Andererseits standen auch keine hinreichenden weiteren Beweismittel zur Verfügung, um den Beweis der angeklagten Tat führen zu können.

Die weitere Geschädigte war weder bereit sich der aussagepsychologischen Begutachtung zu unterziehen noch vor Gericht auszusagen. Ihr fester Wille, die Vorfälle nicht erneut in ihre Erinnerung zu rufen und für sich aufzuarbeiten, bedingte im vorliegenden Fall, dass das Gericht sich nicht befugt sah, sie zu einer Aussage zu zwingen. Wie vom Bundesverfassungsgericht bereits ausgesprochen, folgt im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung, wenn die Vernehmung wegen der Eigenheit des Beweisthemas in den durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG grundsätzlich geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung des einzelnen, insbesondere seine Intimsphäre, eingreifen würde, siehe BVerfG, NJW 1972, S. 2214, 2215. Vorliegend greift die erzwungene Vernehmung gravierend sowohl in intimste Lebensbereiche der Zeugin – nämlich ihre persönliche Bewältigung sexueller Geschehnisse – als auch in ihre Gesundheit ein. Die Zeugin hat sich dazu entschieden, das Erfahrene selbst aufzuarbeiten und nicht zum Gegenstand gerichtlicher Untersuchung zu machen, da sie dies nachvollziehbar für sich persönlich als erhebliche psychische und damit auch gesundheitliche Belastung würdigt und einordnet. Da die Zeugin die entsprechenden Vorgänge selbst nie angezeigt hat und in vorliegendes Verfahren erst über ein halbes Jahr nach den eigenen Erlebnissen hineingezogen ist, war ihr Entschluss zur Nichtoffenbarung offensichtlich gereift und entsprechend das persönliche Belastungserleben sehr plausibel. Diesen gereiften Entschluss zu durchbrechen erachtet das Gericht als unvereinbar mit der Achtung von Würde und Gesundheit der Zeugin als elementaren Grundrechten derselben.

Angesichts der eher kurzen polizeilichen Vernehmung der Zeugin war in vorliegender Aussage-gegen-Aussage-Konstellation die Feststellung einer eine Verurteilung tragenden hinreichenden Aussagequalität nicht möglich, sodass der Angeklagte aufgrund nicht zu beseitigender Zweifel freizusprechen war.“

StPO I: Die Ladung des ausländischen Angeklagten, oder: Der Ausländer muss die Haftwarnung verstehen

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Heute dann mal wieder ein Tag mit drei StPO-Entscheidungen, zweimal LG, einmal AG.

Ich beginne mit dem LG Berlin, Beschl. v. 17.01.2023 – 520 Qs 3/23 – zum Erlass eines Haftbefehls nach § 230 StPO gegen einen Ausländer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Das AG hatte Haftbefehl erlassen, das LG hat aufgehoben. Das LG entscheidet eine alt bekannte Problematik, die das AG aber offenbar nicht gekannt hat 🙂 :

„Die zulässige Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgericht Tiergarten vom 5. Januar 2023 ist auch begründet.

Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass der Angeklagte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist; ein Umstand, dem auch das Amtsgericht-Rechnung getragen hat, indem ein Dolmetscher für die Hauptverhandlung geladen worden ist. In solchen Fällen muss die nach § 216 Abs. 1 StPO vorgesehene Warnung, dass im Falle des unentschuldigten Ausbleibens die Verhaftung oder Vorführung des Angeklagten erfolgen werde, in einer ihm verständlichen Sprache beige-fügt. werden. Eine solche Übersetzung ist wegen des mit einer Verhaftung oder einer Vorführung verbundenen erheblichen Eingriffs erforderlich (vgl. zum Ganzen KG, Beschluss vom 9. Oktober 2020.— 4 Ws 80/20 m. w, N:). Dass hier eine solche Übersetzung beigefügt worden ist, lässt sich der Akte nicht entnehmen und liegt auch angesichts des Inhalts der Nichtabhilfeentscheidung fern. Das Fehlen der erforderlichen Übersetzung macht zwar die Ladung nicht unwirksam, führt aber dazu, dass von den Zwangsmitteln des § 230 Abs. 2 StPO kein Gebrauch gemacht werden darf (vgl. KG, a. a. O., m. w. N.).

Zwar ist der Erlass eines Haftbefehls auch ohne die in § 216 Abs. 1 StPO vorgeschriebene Warnung möglich, wenn die Voraussetzungen nach §§ 112, 113 StPO vorliegen (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., §.216 Rn. 4); diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.“

BtM II: Besitz von BtM und Beleidigung eine Tat?, oder: Enger sachlicher Bezug der Beleidigung zum Besitz

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Der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 2 StR 368/21 – liegt auch eine Verurteilung u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zugrunde. Der BGH hat das Verfahren insoweit wegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit eingestellt:

„1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am 17. Juli 2018 gegen 21.40 Uhr in einer Gemeinschaftsunterkunft in A. insgesamt 136 Gramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 11,32% in Besitz, 134,65 Gramm davon in seiner Unterhose und den Rest in dem allein von ihm bewohnten Zimmer.

Hinsichtlich von damit im (zeitlichen) Zusammenhang stehenden Beleidigungen von Polizeibeamten stellte die Strafkammer (ergänzend) fest, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten mit Anklage vom 17. Januar 2019 wegen Beleidigung in zwei Fällen angeklagt und ihm dabei folgenden Sachverhalt zur Last gelegt hatte:

„Am 17.7.2018 zwischen 22.24 Uhr und 22.28 Uhr beleidigte der Angeschuldigte in der Gemeinschaftsunterkunft in A.   die PM’in M. mit den Worten: „Du Pisser, ich ficke Dich, ich ficke dein Leben“, um seine Missachtung auszudrücken.

In der Folge, nämlich zwischen 22.30 und 23.18 Uhr, beleidigte der Angeschuldigte ebenda in A. den PM S. mit den Worten: „Du Wichser, ich hole Dich, verpiss dich du Affe“, um seine Missachtung auszudrücken.“

Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts hatte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. März 2019 dieses Verfahren eröffnet und den Angeklagten nach Durchführung der Hauptverhandlung mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 28. März 2019 unter anderem auch wegen Beleidigung in zwei Fällen verurteilt. Der Verurteilung legte das Amtsgericht folgenden Sachverhalt zugrunde:

„Am 17.7.2018 fand in den Abendstunden vor der Gemeinschaftsunterkunft in A. ein Polizeieinsatz statt, nachdem die Polizei seitens des Wachschutzes über Drogenkonsum informiert worden war. Während die Beamten PM’in M. und PM S. gegen 22.25 Uhr vor dem Haus eine Personenkontrolle durchführten, kam der Angeklagte hinzu, wobei er den Beamten gegenüber aggressiv auftrat. Gegenüber der Zeugin M. äußerte er: „Du Pisser, ich ficke dich! Und kurze Zeit später: „Ich ficke dein Leben, ich arbeite mit Bande.“ Er ging zunächst in die Gemeinschaftsunterkunft, kam aber etwa 10-15 Minuten später wieder aus dem Gebäude zurück. Nun fiel den Beamten eine deutliche Beule in seiner Hose und Marihuanageruch auf, weswegen sie sich zu einer Durchsuchung entschlossen. Der Angeklagte wurde wieder aggressiv, schrie Beleidigungen und wedelte mit den Armen, worauf er schließlich zu Boden gebracht wurde. Bei der folgenden Durchsuchung fanden die Zeugen 250 Gramm Marihuana versteckt in der Unterhose des Angeklagten. Während der Maßnahme äußerte er gegenüber dem Zeugen S. „Du Wichser, ich hole Dich. Verpiss dich du Affe“.

2. Die Annahme des Landgerichts, der Aburteilung stehe kein Verfahrenshindernis entgegen, da die (nicht rechtskräftige) Verurteilung des Amtsgerichts Apolda vom 28. März 2019 unter anderem wegen zwei Beleidigungen von Polizeibeamten eine andere prozessuale Tat betreffe, hält einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Jedenfalls die zweite Beleidigung, die nach den amtsgerichtlichen Feststellungen während der Durchsuchung des Angeklagten zur Auffindung von Betäubungsmitteln erfolgt ist, bildet mit dem im landgerichtlichen Verfahren im Raum stehenden Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine prozessuale Tat (§ 264 StPO).

a) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46; Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 79/06, NStZ-RR 2006, 317; Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 1 StR 273/15, NJW 2016, 1747). Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20, NStZ-RR 2020, 377, 378; vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 170/19, NStZ 2021, 120, 121; Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46).

b) Gemessen daran ist hinsichtlich des im Rahmen der Durchsuchung festgestellten Besitzes von Betäubungsmitteln und der dabei begangenen zweiten Beleidigung unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Konkurrenz von einer prozessualen Tat auszugehen. Dafür spricht nicht nur der nahe zeitliche und räumliche Zusammenhang beider Taten, sondern auch der enge sachliche Bezug der Beleidigung zu der Durchsuchung (vgl. KG StV 2020, 578 zur Annahme einer prozessualen Tat bei Beleidigung eines Polizeibeamten nach Anhalten eines Verkehrsteilnehmers zur Eröffnung eines Ordnungswidrigkeitenvorwurfs). Dabei ist es für die Annahme einer prozessualen Tat nicht erforderlich, dass der Angeklagte damit etwa die Entdeckung des Besitzes von Betäubungsmitteln verhindern wollte. Dass der Angeklagte auch bei anderen Gelegenheiten Polizeibeamte beleidigte, hebt den festgestellten Zusammenhang zwischen Durchsuchung und Beleidigung im konkreten Fall nicht auf. Ein anderes Ergebnis stellte sich insoweit als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlich zu betrachtenden Lebensvorgangs dar.

3. Die Rechtshängigkeit des amtsgerichtlichen Verfahrens, das wie festgestellt dieselbe prozessuale Tat betrifft, führt zu einem Verfahrenshindernis für das landgerichtliche Verfahren hinsichtlich der Tat in II.1 der Urteilsgründe.

a) Die Sache ist insoweit am 13. März 2019 durch Eröffnung des Hauptverfahrens beim Amtsgericht anhängig geworden. Dies führte zum Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit, das es ausschließt, dass wegen derselben Tat gegen denselben Beschuldigten ein anderes Verfahren durchgeführt wird (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO; 65. Aufl., § 156, Rn. 1; § 207, Rn. 13). Die Rechtshängigkeit des – zeitlich gesehen – ersten Verfahrens ist damit Verfahrenshindernis für das zweite Verfahren, das gar nicht eröffnet werden darf und dann, wenn es trotzdem eröffnet worden ist, eingestellt werden muss (BGHSt 22, 185, 186; vgl. auch BGHSt 22, 232, 235). Dies gilt auch noch im Revisionsverfahren (BGHSt 22, 232, 235).

b) Dass das Landgericht (als zur Entscheidung über die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 28. März 2019 zuständiges Gericht) mittlerweile mit Beschluss vom 7. April 2022 das Verfahren auch hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Durchsuchung erfolgten Beleidigung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt hat, ist für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung. Denn dies ändert nichts daran, dass das Landgericht sich des vor ihm erhobenen Vorwurfs des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge niemals hätte annehmen dürfen. Im Übrigen ist das Landgericht (als Berufungsgericht) nicht gehindert, das Verfahren ggf. wiederaufzunehmen (§ 154 Abs. 5 iVm § 154 Abs. 4 StPO).“

StPO III: Terminsverlegungsantrag wird abgelehnt, oder: Anfechtbarkeit der Entscheidung

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Ich komme dann zum Tagesschluss noch einmal auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.01.2023 1 Ws 6 u. 9/23 – zurück. Denn hatte ich neulich ja schon wegen der „Entpflichtungsfrage“ vorgestellt des Pflichtverteidigers wegen gröblicher Pflichtverletzung.

Die Entscheidung enthält noch eine zweite Thematik, nämlich eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags Antrag auf Verlegung eines Berufungshauptverhandlungstermin. Auch insoweit hatte die Beschwerde keinen Erfolg.

„Mit seinem durch Rechtsanwalt pp. angebrachten Rechtsmittel vom 29. Dezember 2022 wendet sich der Angeklagte gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 22. Dezember 2022, durch den sein Antrag auf Verlegung des Berufungstermins am 11. Januar 2023 zurückgewiesen worden. Diese hat dem als (einfache) Beschwerde anzusehenden Rechtsmittel mit Beschluss vom 30. Dezember 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg

Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfindung vorausgehen – abgesehen von hier nicht vorliegenden Ausnahmen -, nicht der Beschwerde durch die Verfahrensbeteiligten. Ob durch diese Bestimmung die Beschwerde des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gegen eine Terminsverfügung bereits generell ausgeschlossen ist (so OLG Hamm, Beschluss v. 01.09.2009, NStZ-RR 2010, 283) oder diese allenfalls dann mit der Beschwerde angefochten werden kann, wenn die Entscheidung evident fehlerhaft ist, kann vorliegend dahinstehen.

Denn Letzteres ist nur dann der Fall, wenn eine in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung getroffene Entscheidung für einen Angeklagten eine besondere, selbständige Beschwer beinhaltet, weil sein Recht, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, beeinträchtigt worden ist, dies leicht zu vermeiden gewesen wäre und die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung offen-sichtlich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss v. 18.11.2011, 1 Ws 453/11, NJW 2012, 246 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

Zwar hat ein Angeklagter grundsätzlich das Recht, sich in einem Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Daraus folgt aber nicht, dass bei jeder Verhinderung des gewählten Verteidigers eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nicht durchgeführt werden könnte. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Hierüber und insbesondere über Anträge auf Terminsverlegungen oder -aufhebungen hat er nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung der Kammer, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen aller Prozessbeteiligten zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 20.06.2006, 1 StR 169/06, NStZ-RR 2006, 271).

Dem wird die Entscheidung des Vorsitzenden der 1. kleinen Strafkammer gerecht. Der Termin zur Berufungshauptverhandlung am 11. Januar 2023 war bereits mit Verfügung vom 11. Juli 2022 festgesetzt worden. Der Angeklagte hatte hiervon jedenfalls mit Zustellung der Ladung am 9. August 2022 Kenntnis. Die Vertretung des Angeklagten durch Rechtsanwalt pp. war dem Landgericht erst mit Schriftsatz vom 11. November 2022 mitgeteilt worden. Erst mit Schriftsatz vom 19. November 2022 hatte dieser zudem mitgeteilt, am vorgesehenen Termin verhindert zu sein.

Bei dieser Sachlage stellt sich Ablehnung des Verlegungsantrages nicht als ermessensfehlerhaft dar, zumal eine Terminsaufhebung wegen der Arbeitsbelastung der Berufungskammer zu einer erheblichen Verzögerung führen würde.“