BtM II: Besitz von BtM und Beleidigung eine Tat?, oder: Enger sachlicher Bezug der Beleidigung zum Besitz

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Der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 2 StR 368/21 – liegt auch eine Verurteilung u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zugrunde. Der BGH hat das Verfahren insoweit wegen des Verfahrenshindernisses der anderweitigen Rechtshängigkeit eingestellt:

„1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am 17. Juli 2018 gegen 21.40 Uhr in einer Gemeinschaftsunterkunft in A. insgesamt 136 Gramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 11,32% in Besitz, 134,65 Gramm davon in seiner Unterhose und den Rest in dem allein von ihm bewohnten Zimmer.

Hinsichtlich von damit im (zeitlichen) Zusammenhang stehenden Beleidigungen von Polizeibeamten stellte die Strafkammer (ergänzend) fest, dass die Staatsanwaltschaft den Angeklagten mit Anklage vom 17. Januar 2019 wegen Beleidigung in zwei Fällen angeklagt und ihm dabei folgenden Sachverhalt zur Last gelegt hatte:

„Am 17.7.2018 zwischen 22.24 Uhr und 22.28 Uhr beleidigte der Angeschuldigte in der Gemeinschaftsunterkunft in A.   die PM’in M. mit den Worten: „Du Pisser, ich ficke Dich, ich ficke dein Leben“, um seine Missachtung auszudrücken.

In der Folge, nämlich zwischen 22.30 und 23.18 Uhr, beleidigte der Angeschuldigte ebenda in A. den PM S. mit den Worten: „Du Wichser, ich hole Dich, verpiss dich du Affe“, um seine Missachtung auszudrücken.“

Nach den weiteren Feststellungen des Landgerichts hatte das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. März 2019 dieses Verfahren eröffnet und den Angeklagten nach Durchführung der Hauptverhandlung mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 28. März 2019 unter anderem auch wegen Beleidigung in zwei Fällen verurteilt. Der Verurteilung legte das Amtsgericht folgenden Sachverhalt zugrunde:

„Am 17.7.2018 fand in den Abendstunden vor der Gemeinschaftsunterkunft in A. ein Polizeieinsatz statt, nachdem die Polizei seitens des Wachschutzes über Drogenkonsum informiert worden war. Während die Beamten PM’in M. und PM S. gegen 22.25 Uhr vor dem Haus eine Personenkontrolle durchführten, kam der Angeklagte hinzu, wobei er den Beamten gegenüber aggressiv auftrat. Gegenüber der Zeugin M. äußerte er: „Du Pisser, ich ficke dich! Und kurze Zeit später: „Ich ficke dein Leben, ich arbeite mit Bande.“ Er ging zunächst in die Gemeinschaftsunterkunft, kam aber etwa 10-15 Minuten später wieder aus dem Gebäude zurück. Nun fiel den Beamten eine deutliche Beule in seiner Hose und Marihuanageruch auf, weswegen sie sich zu einer Durchsuchung entschlossen. Der Angeklagte wurde wieder aggressiv, schrie Beleidigungen und wedelte mit den Armen, worauf er schließlich zu Boden gebracht wurde. Bei der folgenden Durchsuchung fanden die Zeugen 250 Gramm Marihuana versteckt in der Unterhose des Angeklagten. Während der Maßnahme äußerte er gegenüber dem Zeugen S. „Du Wichser, ich hole Dich. Verpiss dich du Affe“.

2. Die Annahme des Landgerichts, der Aburteilung stehe kein Verfahrenshindernis entgegen, da die (nicht rechtskräftige) Verurteilung des Amtsgerichts Apolda vom 28. März 2019 unter anderem wegen zwei Beleidigungen von Polizeibeamten eine andere prozessuale Tat betreffe, hält einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Jedenfalls die zweite Beleidigung, die nach den amtsgerichtlichen Feststellungen während der Durchsuchung des Angeklagten zur Auffindung von Betäubungsmitteln erfolgt ist, bildet mit dem im landgerichtlichen Verfahren im Raum stehenden Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine prozessuale Tat (§ 264 StPO).

a) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46; Urteil vom 22. Juni 2006 – 3 StR 79/06, NStZ-RR 2006, 317; Beschluss vom 1. Dezember 2015 – 1 StR 273/15, NJW 2016, 1747). Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 30. September 2020 – 5 StR 99/20, NStZ-RR 2020, 377, 378; vom 17. Oktober 2019 – 3 StR 170/19, NStZ 2021, 120, 121; Beschluss vom 13. Februar 2019 – 4 StR 555/18, NStZ 2020, 46).

b) Gemessen daran ist hinsichtlich des im Rahmen der Durchsuchung festgestellten Besitzes von Betäubungsmitteln und der dabei begangenen zweiten Beleidigung unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Konkurrenz von einer prozessualen Tat auszugehen. Dafür spricht nicht nur der nahe zeitliche und räumliche Zusammenhang beider Taten, sondern auch der enge sachliche Bezug der Beleidigung zu der Durchsuchung (vgl. KG StV 2020, 578 zur Annahme einer prozessualen Tat bei Beleidigung eines Polizeibeamten nach Anhalten eines Verkehrsteilnehmers zur Eröffnung eines Ordnungswidrigkeitenvorwurfs). Dabei ist es für die Annahme einer prozessualen Tat nicht erforderlich, dass der Angeklagte damit etwa die Entdeckung des Besitzes von Betäubungsmitteln verhindern wollte. Dass der Angeklagte auch bei anderen Gelegenheiten Polizeibeamte beleidigte, hebt den festgestellten Zusammenhang zwischen Durchsuchung und Beleidigung im konkreten Fall nicht auf. Ein anderes Ergebnis stellte sich insoweit als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlich zu betrachtenden Lebensvorgangs dar.

3. Die Rechtshängigkeit des amtsgerichtlichen Verfahrens, das wie festgestellt dieselbe prozessuale Tat betrifft, führt zu einem Verfahrenshindernis für das landgerichtliche Verfahren hinsichtlich der Tat in II.1 der Urteilsgründe.

a) Die Sache ist insoweit am 13. März 2019 durch Eröffnung des Hauptverfahrens beim Amtsgericht anhängig geworden. Dies führte zum Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit, das es ausschließt, dass wegen derselben Tat gegen denselben Beschuldigten ein anderes Verfahren durchgeführt wird (Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO; 65. Aufl., § 156, Rn. 1; § 207, Rn. 13). Die Rechtshängigkeit des – zeitlich gesehen – ersten Verfahrens ist damit Verfahrenshindernis für das zweite Verfahren, das gar nicht eröffnet werden darf und dann, wenn es trotzdem eröffnet worden ist, eingestellt werden muss (BGHSt 22, 185, 186; vgl. auch BGHSt 22, 232, 235). Dies gilt auch noch im Revisionsverfahren (BGHSt 22, 232, 235).

b) Dass das Landgericht (als zur Entscheidung über die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 28. März 2019 zuständiges Gericht) mittlerweile mit Beschluss vom 7. April 2022 das Verfahren auch hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Durchsuchung erfolgten Beleidigung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt hat, ist für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung. Denn dies ändert nichts daran, dass das Landgericht sich des vor ihm erhobenen Vorwurfs des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge niemals hätte annehmen dürfen. Im Übrigen ist das Landgericht (als Berufungsgericht) nicht gehindert, das Verfahren ggf. wiederaufzunehmen (§ 154 Abs. 5 iVm § 154 Abs. 4 StPO).“

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