Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

OWi I: Das AG weiß es zweimal besser als das OLG (?), oder: Arbeitsbeschaffungsmaßnahme beim AG Bochum

Smiley

Heute dann mal ein wenig OWi, aber mal etwas außergewöhnliche/besondere Entscheidungen bzw. Verfahren.

Ich beginne mit einer etwas – gelinde ausgedrückt – ungewöhnlichen Geschichte vom AG Bochum, also aus dem OLG-Bezirk Hamm, die mir der Kollege Steffen aus Hattingen mitgeteilt hat. Im Einzelnen:

Anhängig war beim AG Bochum eine Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes. Vorgeworfen wurde der Betroffenen ein einfacher Rotlichtverstoß. Der Verteidiger stellt einen Entbindungsantrag (§ 73 Abs. 2 OWiG) unter Hinweis darauf, dass die Betroffene ihre Fahrereigenschaft einräumt. Mitgeteilt wird außerdem, dass keine weiteren Angaben zur Sache gemacht werden, Angaben zur Person werden aber gemacht.

Der zuständigen Richter hat nicht entbunden. Dagegen wendet sich die Betroffene mit einem Befangenheitsantrag. Der wird mit dem AG Bochum, Beschl. v. 28.10.2022 – 32a OWi-842 Js 147/22 (153/22) und der Begründung abgelehnt, dass die Nichtentbindung weder rechtlich noch tatsächlich zu beanstanden sei. Die Glaubhaftigkeit der Angabe der Betroffenen, Fahrzeugführerin gewesen zu sein, sowie die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks zur Bemessung einer angemessenen Geldbuße bei Vorliegen einer Regelgeldbuße im Bußgeldbescheid im Falle einer Verurteilung sei nur durch Anwesenheit der Betroffenen in der Hauptverhandlung zu erreichen und zu prüfen.

In der Hauptverhandlung erscheint die Betroffene nicht. Ihr Einspruch wird verworfen.

Dagegen dann das Rechtsbeschwerdezulassungsantrag, der mit dem  mit Rechtsbeschwerde war dann vor dem OLG Hamm erfolgreich. Das führt im OLG Hamm, Beschl. 08.03.2023 – III – 2 ORbs 22/23 – aus, was zu erwarten war:

„Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.05.2008 — 3 Ss OWi 669/07 —, zitiert nach juris). Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag vorliegend stattgeben müssen. Dieser ist wirksam gestellt worden. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entbindung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt, sondern dieses ist verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn feststeht, dass von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung ein Beitrag zur Sachaufklärung nicht erwartet werden kann (zu vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 73 Rn. 24). Eine solche weitere Sachaufklärung war durch die Anwesenheit der Betroffenen nicht mehr zu erwarten. Diese hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass diese sich zu Unrecht selbst bezichtigte, zur Tatzeit gefahren zu sein, bestanden nicht. Zu ihrem Einkommen hatte die Betroffene Angaben gemacht. Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Man sollte ja meinen, dass es nach diesen wohl gesetzten Worten des OLG gut war, aber: Erstaunlicherweise wiederholte sich das „Spiel“: Neuer Haupverhandlungstermin, Entbindungsantrag, Ablehnung, Verhandlungstermin mit Verwerfung des Einspruchs.

Das Verwerfungsurteil geht dann wieder zum OLG Hamm, das, was nicht verwundert, im OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2023 – 2 ORbs 79/23, das (zweifelhafte) Vergnügen hat, zum zweiten Mal aufzuheben. Die Begründung gleicht der aus dem ersten Beschluss. Zusätzlich führt das OLG aus:

„Soweit die Ablehnung des Entbindungsantrags darüber hinaus noch damit begründet worden ist, dass das Gericht einen persönlichen Eindruck im Hinblick auf die Bußgeldbemessung gewinnen wollte, kann dies allein nicht genügen. Anderenfalls würde der Anspruch auf die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entwertet, da eine Ablehnung der Entbindung immer auf diesem Weg begründet werden könnte.“

Und nun? Nun, das OLG hat – was zu erwarten war – beim zweiten Mal an eine andere Abteilung des AG Bochum verwiesen. Inzwischen hat man von dort, weil zwischenzeitlich absolute Verjährung eingetreten ist, angeboten, das Verfahren nach § 47 OWiG einzustellen, allerdings ohne Erstattung der notwendigen Auslagen. Die Betroffene hat sich damit einverstanden erklärt.

Wenn man das sieht/liest, schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen und fragt sich, ob man da eigentlich nichts anderes zu tun hat, als das OLG zweimal mit einer aussichtslosen Sache zu beschäftigen. Die vom OLG zu erwartende Entscheidung lag jeweils auf der Hand. Beim ersten Mal kann man es ja vielleicht noch nachvollziehen, obwohl schon ungewöhnlich ist, dass ein Richter am AG diese eingefahrene Rechtsprechung der OLG zum Entbindungsantrag nicht kennen soll. Aber dann beim zweiten Mal? Da wird es dann schon ungewöhnlich. Natürlich haben die OLG-Entscheidungen keine Bindungswirkung, aber es ist schon „keck“ zweimal das OLG mit einer Sache zu befassen und sich dabei beim zweiten Mal über eine gegenteilige Entscheidung des OLG hinweg zu setzen. So nach dem Motto: Was schert mich, was das OLG dazu sagt. Offenbar hat man nichts anderes zu tun. Mir soll noch mal einer mit der Überlastung der Justiz kommen. Die scheint dann doch in manchen Fällen „hausgemacht“ zu sein.

Unfassbar das Ganze.

StPO III: Durchsuchung bei Pressemitarbeiter, oder: Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts

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So, zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung des LG Stuttgart. Die ist auch recht umfangreich. Ist leider manchmal so 🙂 . Das LG hat sich im LG Stuttgart, Beschl. v. 07.06.2023 – 6 Qs 2/23 – mit einigen Fragen betreffend eine Durchsuchung befasst.

Folgender Sachverhalt:

„Der Beschwerdeführer ist gemeinschaftlich mit den weiteren Beschuldigten S., R., B. sowie dem anderweitig durch die Staatsanwaltschaft B. verfolgten D. verdächtig, in einer bislang unbekannten Anzahl von Fällen an einem auf Anlagebetrug angelegten System beteiligt gewesen zu sein, strafbar als gewerbs- und bandenmäßiger Betrug gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 5 StGB.

Die Ermittlungen begannen infolge der im Jahr 2020 durch seinen Rechtsanwalt gestellten Strafanzeige des mutmaßlich geschädigten Zeugen St. Im Jahr 2022 erfolgten in der Region S. sowie im niedersächsischen B. koordinierte Durchsuchungsmaßnahmen an zahlreichen Objekten. Infolge der hierbei gewonnenen Erkenntnisse wurde der mit der hiesigen Beschwerde angegriffene Durchsuchung- und Beschlagnahmebeschluss für die Wohnung des Beschwerdeführers erlassen.

Zu diesem Zeitpunkt bestanden aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keine für den Anfangsverdacht ausreichenden Anhaltspunkte gegen den Beschwerdeführer, sodass er damals noch als Dritter gemäß § 103 StPO angesehen wurde. Während der im Jahr 2023 vollzogenen Durchsuchung wurde der Beschwerdeführer unmittelbar zu Beginn vorsorglich auch gemäß § 55 StPO belehrt. Im Laufe der Durchsuchung sichtete der bei der Durchsuchung anwesende Staatsanwalt Hi. mehrere Stehordner, deren Inhalt zum Bekanntwerden neuer konkreter Tatsachen führte, die nunmehr zu der Annahme eines Anfangsverdachts gegen den Beschwerdeführer führten. Daraufhin wurde er umgehend als Beschuldigter belehrt. Konkret beinhalteten die Stehordner zahlreiche Rechnungen des Beschwerdeführers überwiegend in fünfstelliger Höhe an die Gesellschaften des Beschuldigten R. Das bei ihm bei dieser Durchsuchung kurz zuvor in einem mit „M. (Anm.: Vorname des Beschwerdeführers) 5k“ überschriebenen Briefumschlag aufgefundene Bargeld in einem Gesamtumfang von 3.400,- Euro sowie 110,- USD wurde daraufhin zwecks Einziehung sichergestellt.

Der Beschwerdeführer erklärte sich mit der Maßnahme zunächst einverstanden. Nach der eingelegten Beschwerde bestätigte das Amtsgericht Stuttgart die Beschlagnahme des Bargelds gemäß §§ 94, 98 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO.

Dem eigentlichen Vorwurf des Betrugs liegt folgender Sachverhalt zugrunde: die Beschuldigten gründeten eine Vielzahl von Kommanditgesellschaften, welche allesamt ähnlich klingende Firmennamen mit dem Teilwort „H.“, also etwa „H. VB. 11 GmbH & Co. KG“, hatten (nachfolgend: „H.-Gesellschaften“). Insgesamt konnten bisher 77 solcher H. – Gesellschaften ermittelt werden. Als Komplementärin wurde dabei jeweils die H. V. GmbH eingesetzt, deren alleinige Gesellschafterin wiederrum die S. M. & S. AG war. Als Kommanditistin wurden abwechselnd entweder die TB T. GmbH WPG oder die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige als Offshore-Gesellschaft in den Britischen Jungferninseln gegründete A. Ltd. eingesetzt. Die Beschuldigten waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten in diversen Funktionen in dieses Firmengeflecht eingebunden.

In den Verkaufsprospekten der H.-Gesellschaften wurde den mutmaßlich Geschädigten ab Bezahlung der Mindestzeichnungssumme von 25.000,00 Euro eine jährliche Verzinsung i.H.v. 9% zugesichert. Die Auszahlung wurde „von der Liquiditätslage“ abhängig gemacht. Als Geschäftsfeld wurde die Exploration von Erdöl- und Erdgas-Vorkommen in Texas aufgeführt. Tatsächlich bestehen erhebliche Verdachtsmomente dafür, dass die Beträge zunächst auf Konten der F.-Bank in Deutschland eingezahlt wurden, von dort aus zunächst auf Konten der Bank C. S. in der Schweiz weitergeleitet und von dort aus auf weitere Konten überwiesen wurden, mit der Folge, dass jedenfalls die laufenden Zinsleistungen nicht erfüllt werden konnten. Tatsächlich erhielt jedenfalls der Zeuge St. weder aus Zinszahlungen noch aus anderen Gründen Geldeingänge.“

Der Beschwerdeführer hat über seinen Wahlverteidiger gerügt, zum einen, dass auch nach der Durchsicht der Stehordner durch Staatsanwalt Hi. während der laufenden Durchsuchung die Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer nicht ausgereicht hätten, um ihn als Beschuldigten anzusehen. Die während der Durchsuchung aufgefundenen Rechnungen seien noch vor dem Tatzeitraum ausgestellt worden und seien völlig unverfängliche Rechnungen des Beschwerdeführers aus dessen Beratungstätigkeit. Gleichzeitig hätte die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer bereits vor der Durchsuchung eigentlich als Beschuldigten angesehen und von dem Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gemäß § 102 StPO nur aus taktischen Gründen abgesehen, um den Beschwerdeführer während der Vernehmung zu einer Aussage zu bewegen.

Daneben seien beim angegriffenen Beschluss die Anforderungen von § 103 StPO nicht gegeben gewesen. So spreche bereits die Tatsache, dass bei der früheren Durchsuchung im Jahr 2022 in den Räumen der S. M. & S. AG befindlichen Büroräumen ein Laptop des Beschwerdeführers sichergestellt worden sei, dagegen, dass dieser auch in seiner Privatwohnung beweiserhebliche Unterlagen und Daten aufbewahren würde. Ferner stünde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit auch ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO zu. Daneben fehle es auch an einer klaren inhaltlichen und zeitlichen Begrenzung des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses. Schließlich fehle auch eine Grundlage für die Beschlagnahme des Bargeldes. Das Bargeld stamme nicht aus der Geschäftsbeziehung zu den anderen Beschuldigten, sondern diene dem Lebensunterhalt der Familie.

In ihrer Stellungnahme hat die Staatsanwaltschaft zunächst bestritten, den Beschwerdeführer nur „zum Schein“ lediglich als Zeugen geführt zu haben und verwies auf die eingangs der Durchsuchung erfolgte Belehrung gemäß § 55 StPO. Eine erste Durchsicht der im Keller befindlichen Stehordner habe eine Reihe von Dokumenten und Rechnungen aus den tatbestandlich relevanten Jahren 2019 bis 2021 beinhaltet, aufgrund derer der Beschwerdeführer nunmehr als Beschuldigter angesehen worden sei, wobei hinsichtlich der einzelnen Überschriften und der Rechnungssteller auf die zahlreichen Beispiele in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft verwiesen wird. Die Tatsache, dass der bei der Durchsuchung im Jahr 2022 aufgefundene Rechner laut dem Beschuldigten S. dem Beschwerdeführer gehöre, begründe gerade den Verdacht, dass er auch zu Hause beweisrelevante Unterlagen aufbewahrt habe. Das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO sei nicht einschlägig, weil vorliegend nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und privaten Informanten betroffen sei. Ferner sei auch die Begrenzungsfunktion in zeitlicher Hinsicht durch das Gründungsdatum der Vorgängergesellschaft der H. V. GmbH und in inhaltlicher Hinsicht durch die Beschränkung auf die Geschäftsbeziehung zu den damaligen Beschuldigten gewahrt. Bei dem beschlagnahmten Bargeld bestehe einerseits aufgrund der Bezeichnung des Umschlags der Verdacht, dass es sich um Bezahlung für Vertriebshandlungen für verfahrensgegenständlichen Gesellschaften handele, sodass das Bargeld der Einziehung nach § 73c StGB unterliege. Dies stütze andererseits zugleich in der Sache den Tatverdacht der Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit den anderen Beschuldigten.

Die Beschwerde hatte beim LG dann keinen Erfolg.

Und da wir heute ja schon viel Text hatten, stelle ich hier nur die Leitsätze ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

  1. Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO ist die Privilegierung des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalisten und Informanten. Der Schutzbereich ist aufgrund des Spannungsverhältnisses zu den Belangen einer funktionierenden Strafrechtspflege nicht über das für den Schutz der Pressefreiheit erforderliche Maß auszudehnen. Die Gestaltung von Aktionärsbriefen oder die Pflege der Auftritte in den sozialen Medien ist daher nicht vom Schutzbereich umfasst.

  2. Eine nach § 103 StPO erfolgte Durchsuchung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil sie auch nach § 102 StPO zulässig gewesen wäre.

  3. Die Bezeichnung der Durchsuchungsobjekte bei einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO als „sämtliche Gegenstände, welche Aufschluss über eine Geschäftsbeziehung des Zeugen zu den Beschuldigten bzw. diesen zuordenbaren Gesellschaften“ begegnet wegen der weiten Fassung zwar gewissen Bedenken, stellt aber noch eine hinreichende Begrenzung dar.

StPO II: Eine nichtöffentliche HV im JGG-Verfahren?, oder: Anwesenheit der Polizei muss man beanstanden

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 27.10.2023 – 2 ORs 82/23. Das AG – Jugendrichter – hat die Angeklagte wegen Diebstahls schuldig gesprochen und gegen sie einen Dauerarrest von 2 Wochen verhängt, der infolge verbüßter Untersuchungshaft bereits vollständig vollstreckt ist. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der Sprungrevision. Sie erhebt neben der allgemeinen Sachrüge, mit der insbesondere beanstandet wird, die Notwendigkeit des angeordneten Dauerarrestes als Zuchtmittel werde von den Urteilsgründen nicht getragen, die Verfahrensrüge der Verletzung von § 337 i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG. Die Revision hatte keinen Erfolg:

bb) Die Verfahrensrüge der Verletzung von § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist hingegen zulässig erhoben.

Ihr liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Die zur Tatzeit 15jährige Angeklagte wurde zur gem. § 48 JGG nicht öffentlichen Hauptverhandlung vor der Jugendrichterin des Amtsgerichts Hannover von Justizwachtmeistern aus der Haft vorgeführt, da sie trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung am 12. Mai 2023 nicht erschienen war und infolgedessen ein Haftbefehl gem. § 230 StPO gegen sie ergangen und nach dessen Verkündung am 23. Mai 2023 auch vollstreckt worden war. Zugleich betraten zwei in zivil gekleidete Beamte der Polizeiinspektion H. den Sitzungssaal und teilten der Vorsitzenden mit, gegen die Angeklagte bestehe ein weiterer Untersuchungshaftbefehl des Amtsgerichts Hildesheim, der u.a. auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gestützt sei. Sie seien infolgedessen beauftragt, die Angeklagte festzunehmen und dem zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Hildesheim vorzuführen. Nachdem der Verteidiger der Angeklagten auf den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit hingewiesen und ein fehlendes Anwesenheitsrecht der Polizeibeamten geltend gemacht hatte, wurde die Sache gem. § 243 Abs. 1 S. 1 StPO aufgerufen, die Anwesenheit gem. § 243 Abs. 1 S. 2 StPO festgestellt und durch Anordnung der Vorsitzenden die beiden Polizeibeamten der Polizeiinspektion H. zur Hauptverhandlung zugelassen.

Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Der Beschwerdeführer war im vorliegenden Fall nicht gehalten, im Rahmen seines Rügevortrags (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) darzulegen, dass er die auf § 48 Abs. 2 S. 3 JGG gestützte Anordnung der Vorsitzenden, die beiden Polizeibeamten der Polizeiinspektion H. zur Hauptverhandlung zuzulassen, mit dem sog. Zwischenrechtsbehelf gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hat.

Denn in der gegenwärtigen Rechtsprechung und Kommentarliteratur wird insoweit übereinstimmend vertreten, dass es gegen die Gestattung der Anwesenheit nach § 48 Abs. 2 S. 3 JGG keinen Rechtsbehelf gebe (Schatz in: Diemer/Schatz/Sonnen, Jugendgerichtsgesetz, 8. Auflage 2020, § 48, Rn. 39; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 48 Nichtöffentlichkeit, Rn. 23; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 175 GVG, Rn. 7; Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, 24. Aufl. 2023, JGG § 48 Rn. 29; Schady in Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz, 11. Auflage 2021, § 48, Rn. 20; BeckOK JGG/Putzke C., 30. Ed. 1.8.2023, JGG § 48 Rn. 22; Krauß in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage 2022, § 175, Rn. 17; Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Auflage 2018, § 175 GVG, Rn. 4; Trüg in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf, Jugendgerichtsgesetz, 2. Auflage 2014, § 48, Rn. 22; BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 283/75 –, juris), weshalb auch für den Angeklagten und seinen Verteidiger nicht die Anrufungsmöglichkeit nach § 238 Abs. 2 StPO gegeben sei (Trüg in: Meier/Rössner/Trüg/Wulf a.a.O., Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel a.a.O., Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., Schmidt in: Gercke/Julius/Temming/Zöller).

Zudem bedurfte es eines in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 6. September 2023 vermissten konkreten Vortrages dazu, inwieweit die Angaben der Angeklagten durch die Anwesenheit der Polizeibeamten konkret beeinflusst worden sind und ob sich die Angeklagte durch die Anwesenheit der Polizeibeamten gehalten sah, Angaben nicht, nicht vollständig oder wahrheitswidrig zu tätigen, nicht.

Denn ausreichend und allein erforderlich gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO ist die – hier erfolgte – Angabe der den Verfahrensmangel selbst enthaltenden Tatsachen; Ausführungen zum Beruhen bedarf es – abgesehen von der erfolgten Darlegung der Tatsachen, aufgrund derer die Beruhensfrage durch den Senat geprüft werden kann – gerade nicht (BGH, Beschluss vom 16. November 2021 – 6 StR 502/21 –, juris; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2021 – 6 StR 25/21 –, juris; BGH, Urteil vom 24. Juli 1998 – 3 StR 78/98 –, BGHSt 44, 138-143; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 344, Rn. 27).

b) Die erhobene Verfahrensrüge ist indes nicht begründet.

aa) Eine Verletzung von § 338 Nr. 6 StPO scheidet von vornherein aus, da dieser absolute Revisionsgrund in Fällen einer hier gerügten unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit nicht anwendbar ist (BGH, Urteil vom 21. November 1969 – 3 StR 249/68 –, BGHSt 23, 176-194).

Aber auch eine Verletzung von § 337 i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist nicht gegeben.

Denn die von der Vorsitzenden getroffene Ermessensentscheidung, die beiden Polizeibeamten gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zur Hauptverhandlung zuzulassen, ist in der Sache nicht zu beanstanden.

Nach dieser Vorschrift kann die Vorsitzende bei Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes, wobei das Gesetz insoweit lediglich beispielhaft Ausbildungszwecke benennt, sonstige, in § 48 Abs. 2 S. 2 JGG nicht aufgezählte Personen zur Hauptverhandlung zulassen. Maßgeblich ist stets ein angehobenes Teilnahmeinteresse, das über das normale Informationsbedürfnis deutlich („besonders“) hinausgeht (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 24).

Ein solches hat die Vorsitzende vorliegend ermessensfehlerfrei bejaht. Denn Polizeibeamte waren bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (1. JGGÄndG) vom 30.08.1990 noch Bestandteil des Kataloges von Personen, denen kraft Gesetzes ein Teilnahmerecht zugewiesen wurde. Grund für die Herausnahme der Polizeibeamten aus diesem Katalog war allein der Umstand, dass die Belange der Strafverfolgungsbehörden in der Hauptverhandlung durch den anwesenden Staatsanwalt ausreichend gewahrt sind (BT-Drucksache 11/5829, S. 26). In den Gesetzgebungsmaterialien wird jedoch explizit betont, dass Beamten der Kriminalpolizei in besonders gelagerten Fällen die Anwesenheit richterlich gestattet werden kann (BT-Drucksache a.a.O.).

Vorliegend steht außer Frage, dass hier ein besonders gelagerter Fall im o.g. Sinne gegeben war. Denn die Zulassung der beiden Polizeibeamten war zur Sicherung der Festnahme der Angeklagten erforderlich, zumal der im vorliegenden Verfahren ergangene Haftbefehl gemäß § 230 StPO allein der Sicherung und Beendigung des aktuellen Strafverfahrens diente und mit dem Abschluss der Hauptverhandlung gegenstandslos wurde. Vor diesem Hintergrund reichte auch die Hinzuziehung von Gerichtswachtmeistern nicht, deren Aufgabe sich in der Bewachung der Angeklagten während des Gerichtsprozesses erschöpfte. Individuell stark ausgeprägte entwicklungspsychologische oder jugendpädagogische Erwägungen, die einer Zulassung der Polizeibeamten zur Verhinderung einer Flucht der Angeklagten nach Abschluss der Hauptverhandlung entgegengestanden hätten (vgl. hierzu: Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 25), sind weder dargelegt noch erkennbar.

bb) Auch wenn es für die zu treffende Entscheidung nicht mehr darauf ankam, gibt der vorliegende Fall dem Senat Anlass zu folgenden Ausführungen (obiter dictum):

Der Senat erachtet die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO gegen die Entscheidung des Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG entgegen der übereinstimmenden Auffassung in der Kommentarliteratur für eröffnet und diese auch für erforderlich, um eine Präklusion der Verfahrensrüge der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit in der Revisionsinstanz zu verhindern.

Dem liegen nachfolgende Erwägungen zugrunde: Gem. § 238 Abs. 2 StPO können grundsätzlich gerade die Maßnahmen, mit denen der Vorsitzende auf den Verfahrensablauf und die Verfahrensbeteiligten einwirkt, mit dem sog. Zwischenrechtsbehelf gem. § 238 Abs. 2 StPO beanstandet werden (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O, § 238, Rn. 11). Der Begriff der Anordnung erfasst im Kern Verfügungen, mit denen der Vorsitzende einem Verfahrensbeteiligten ein bestimmtes Verhalten ge- oder verbietet; ihm unterfallen alle Maßnahmen, die auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss gewinnen können (KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 238 Rn. 11, 12). Hierzu zählen vor allem Belehrungen, Hinweise, Vorhalte, Ermahnungen und auch Fragen (OLG Hamm, Beschluss vom 14. März 2019 – III-5 RVs 21/19 –, juris). Gerade Maßnahmen des Vorsitzenden, denen ein Ermessensmissbrauch zugrunde liegt, können gemäß § 238 Abs. 2 StPO als unzulässig beanstandet werden (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O, § 238, Rn. 17).

Hieran gemessen liegt nach Auffassung des Senates eine Maßnahme i.S.v. § 238 Abs. 2 StPO vor, denn eine Entscheidung über die Zulassung von Personen zu einer nicht öffentlichen Hauptverhandlung gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG ist eine Angelegenheit der Prozessleitung, über die der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden hat (BGH, Urteil vom 5. August 1975 – 1 StR 283/75 –, juris).

Dabei hat der Senat nicht verkannt, dass die Anordnung der Vorsitzenden, die beiden Polizeibeamten gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zur Hauptverhandlung zuzulassen, nicht der sachlichen Förderung des Verfahrens selbst diente. Indes steht die früher herrschende Ansicht, dass die allein § 238 Absatz 2 StPO unterfallenden sachleitenden Anordnungen nach abstrakten Kriterien von den sonstigen prozessleitenden Maßnahmen abzugrenzen seien, nicht in Einklang mit dem Regelungszweck der Norm; da durch den Zwischenrechtsbehelf der Anrufung des Gerichts die Verantwortung des gesamten Spruchkörpers für die Gesetzmäßigkeit des Ablaufs der Hauptverhandlung aktiviert werden soll mit dem Ziel, zur Gewährleistung prozessordnungsgemäßer Urteilsfindung etwaige Verfahrensfehler des Vorsitzenden instanzintern zu korrigieren, kann es für dessen Zulässigkeit nicht auf die begriffliche Zuordnung der jeweils in Rede stehenden Anordnung zu bestimmten Kategorien von prozessleitenden Maßnahmen ankommen, sondern allein darauf, ob sich die Maßnahme im konkreten Fall auf die Urteilsfindung des Gerichts auswirken kann, weil sie die sachliche Erarbeitung des Verfahrensstoffs oder die Wahrnehmung von Verfahrensrechten eines Prozessbeteiligten zu beeinflussen vermag (MüKoStPO/Arnoldi, 1. Aufl. 2016, StPO § 238 Rn. 16ff.; Becker in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 238, Rn. 19). Da potentiell jeder Verstoß gegen die Justizförmigkeit des Verfahrens später auch die sachliche Urteilsfindung beeinträchtigen kann, ist nach heute herrschender Rechtsauffassung kaum eine Maßnahme des Vorsitzenden vorstellbar, gegen die mangels Relevanz für die Urteilsfindung von vornherein die Anrufung des Gerichts nach Absatz 2 ausgeschlossen wäre; die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO kommt nach Aufgabe der Differenzierung zwischen der formellen Verhandlungsleitung und der materiellen Sachleitung grundsätzlich gegen jede Maßnahme des Vorsitzenden im weitesten Sinne in Betracht, sofern der jeweilige Verfahrensbeteiligte plausibel darzutun vermag, dass er durch eine Anordnung des Vorsitzenden in seiner prozessualen Rechtsstellung oder in seinen schutzwürdigen Interessen beeinträchtigt wird (Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., Rn. 20; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, StPO § 238 Rn. 9).

Zwar beschwert eine Anordnung des Vorsitzenden die – wie hier – nur den äußeren Ablauf der Verhandlung im Allgemeinen betrifft, die Prozesssubjekte nicht; derartige Anordnungen können jedoch im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände eine über die äußere Verhandlungsleitung hinausreichende Wirkung haben, die die Anrufung des Gerichts nach Absatz 2 gestattet (Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 238, Rn. 21). So ist z.B. inzwischen in der Rechtsprechung anerkannt, dass entgegen der früher herrschenden Meinung auch gegen Maßnahmen der Sitzungspolizei die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO möglich ist, wenn schlüssig dargetan wird, dass eine solche Maßnahme ausnahmsweise über die mit ihr bezweckte Abwehr einer Störung hinaus unzulässig in Verfahrensrechte eines Beteiligten eingreift (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 4 StR 46/08 –, juris; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – 1 StR 122/13 –, juris). Lediglich in Fällen, bei denen eine Beschwer von vornherein nicht plausibel gemacht werden kann, ist die Anrufung des Gerichts unzulässig (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Februar 1972, Az.: 3 Ws 27/72, NJW 1972, 1246-1247).

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Beschwer für Personen, die eine ausnahmsweise Zulassung gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG begehren, mangels eines Rechts auf Anwesenheit zutreffend verneint wird (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – StB 10/15 –, juris; KG, Beschluss vom 14.05.2014 – 4 Ws 33/14141 AR 235/14, BeckRS 2015, 436; Brunner/Dölling, a.a.O., § 48, Rn. 23).

Es erschließt sich jedenfalls nicht, dem jugendlichen Angeklagten eine Beschwerdebefugnis durch die prozessleitende Ermessensentscheidung des Vorsitzenden, entgegen dem in § 48 Abs. 1 JGG geregelten Grundsatz ausnahmsweise Personen zur Hauptverhandlung zuzulassen, von vornherein abzusprechen.

Denn der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit in Strafverfahren gegen Jugendliche beruht gerade auf den Informationsbedürfnissen der Allgemeinheit und den Erfordernissen der Justizkontrolle kollidierenden und vorrangigen Gründen, insbes. auf entwicklungspsychologischen und jugendpädagogischen Erwägungen, die einen deutlich geringeren Publizitätsgrad als im allg. Strafverfahren erforderlich machen (Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 8). § 48 JGG will zudem zur Wahrheitsfindung eine jugendgerechte Kommunikationsatmosphäre schaffen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 BvR 2430/09 –, juris; Brunner/Dölling, a.a.O., § 48, Rn. 2). Es liegt auf der Hand, dass im Falle der Zulassung weiterer Teilnehmer gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG an der Hauptverhandlung der jugendliche Angeklagte beeinträchtigt wird, weil die zugelassenen Personen in Abweichung des gesetzlichen Soll-Zustands persönliche bzw. persönlichkeitsrechtsrelevante Informationen über den Angeklagten erfahren (Gerbig, Kinderrechtsbasierte Anforderungen an die (Nicht-) Öffentlichkeit im Jugendstrafverfahren, ZJJ, S. 263f.). Mithin kann eine Beschwerdebefugnis des jugendlichen Angeklagten in nicht öffentlichen Hauptverhandlungen nach Auffassung des Senates jedenfalls gegenüber ermessensfehlerhaften bzw. rechtsmissbräuchlichen Zulassungsentscheidungen i.S.v. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG keinesfalls kategorisch ausgeschlossen werden (so auch Eisenberg/Kölbel JGG/Kölbel, a.a.O., § 48, Rn. 29). Für die Möglichkeit des Angeklagten, die Anordnung des Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG gem. § 238 Abs. 2 StPO anfechten zu können, spricht auch der Umstand, dass der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes explizit eine Beschwerdemöglichkeit gegen derartige Entscheidungen verlangt (United Nations, Convention on the Rights of the Child, General Comment No. 10 (2007), Children’s rights in juvenile justice v. 25. April 2007, Distr. General, CRC/C/GC/10, Rn. 65). Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass Anordnungen nach § 48 Abs. 2 S. 3 JGG – trotz ihres auch sitzungspolizeilichen Charakters – sich auf Vorschriften zur Regelung der Öffentlichkeit von Strafverhandlungen gegen jugendliche Angeklagte stützen, die gegenüber den allgemeinen Regelungen des GVG speziellerer Natur sind, und dass diejenigen Erwägungen, mit der die generelle Unanfechtbarkeit sitzungspolizeilicher Anordnungen begründet wird, nicht zwingend auf die Beurteilung der vom Vorsitzenden gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG zu beantwortenden Frage zu übertragen sind (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. Oktober 2009 – 1 BvR 2436/09 –, juris).

Nach alledem erachtet der Senat die Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO durch den Angeklagten und seinen Verteidiger gegen die Anordnung des Vorsitzenden, gem. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG aus besonderen Gründen anderen Personen die Teilnahme an einer nichtöffentlichen Hauptverhandlung zu gestatten, für eröffnet.

Eine Verfahrensrüge der unzulässigen Erweiterung der Öffentlichkeit gem. § 337 StPO i.V.m. § 48 Abs. 2 S. 3 JGG wäre dann, wenn eine derartige Beanstandung der sachleitenden Anordnung des Vorsitzenden unterbleibt, bereits präkludiert, denn Sinn und Zweck der Norm des § 238 Abs. 2 StPO ist es gerade, Fehler des Vorsitzenden i.R.d. Instanz zu korrigieren und Revisionen zu vermeiden (BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06 –, BGHSt 51, 144-149).

Die in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von dem Grundsatz der Rügepräklusion mangels Beanstandung einer im Rahmen der Sachleitungsbefugnis getroffenen Anordnung des Vorsitzenden sind nicht einschlägig. Denn vorliegend geht es nicht um eine vom Vorsitzenden unterlassene unverzichtbare Handlung oder um einen Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die keinerlei Ermessensspielraum zulässt. Der Umstand, dass bei Verhandlungen des Jugendrichters Vorsitzender und Gericht identisch sind, lässt die Erforderlichkeit der Anrufung des Gerichts unberührt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1996 – 5 Ss 462/95 – 1/96 I –, juris; Becker in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 238, Rn. 38; Julius/Barrot in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 238, Rn. 26). Auch das jugendliche Alter eines Angeklagten führt zu keiner anderen Beurteilung, wenn diesem in der Hauptverhandlung ein Verteidiger beisteht, so dass auch nicht von einer die Verwirkung des Rügerechts ausschließenden Unkenntnis des Angeklagten von der Beanstandungsmöglichkeit ausgegangen werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 Ss 945/02 –, juris).“

Auch hier eine Menge Text, aber lesenswert 🙂 .

StPO I: Formelle Rügen in einem „Klimakleberfall“, oder: Wahrunterstellung und Aufklärungsrüge

entnommen wikimedia commons Author Jan Hagelskamp1

Ich hatte bereits vor einiger Zeit über den BayObLG, Beschl. v. 21.04.2023 – 205 StRR 63/23 – berichtet. Das ist ein „Klimakleberfall“, in dem das BayObLG die Frage der Nötigung durch Festkleben auf einer Straße, um Autofahrer an der Weiterfahrt zu hindern und dadurch auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen bejaht hat (vgl. dazu Klima I: Festkleben auf Straßen zum Klimaschutz, oder: BayObLG sagt, das ist als Nötigung strafbar).

Ich komme dann heute auf den Beschluss noch einmal zurück, da das BayObLG in der Entscheidung auch zu Verfahrensfragen Stellung genommen hat. Mit der formellen Rügge hatte der Angeklagte nämlich geltend gemacht, das AG habe gegen § 244 Abs. 3 Nr. 6 StPO verstoßen, weil ein von der Verteidigung in der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag im Wege der Wahrunterstellung zurückgewiesen worden sei. Das Gericht habe aber die Zusage der Wahrunterstellung im Urteil nicht eingehalten. Und mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO war beanstandet worden, das AG hätte sich dazu gedrängt sehen müssen, durch Einführung der medialen Kommunikation des Angeklagten sowie zweier Zeitungsartikel Beweis zum „Zweck des Protests“ des Angeklagten zu erheben.

Beide Rügen hatten beim BayObLG keinen Erfolg:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

1. Die formelle Rüge des Angeklagten, das Amtsgericht habe gegen § 244 Abs. 3 Nr. 6 StPO verstoßen, ist unbegründet, weil das Amtsgericht die Zusage der Wahrunterstellung in vollem Umfang eingehalten hat.

a) Die Revision argumentiert in diesem Zusammenhang zusammengefasst, im Urteil werde die als wahr unterstellte Tatsache „implizit als nicht gegeben angenommen“. Das Amtsgericht habe bereits deshalb die zugesagte Wahrunterstellung nicht eingehalten, weil es im Urteil unberücksichtigt gelassen habe, „dass die globale Erwärmung eine gegenwärtige Gefahr für die menschliche Zivilisation“ darstelle, „gegen die der Staat zu wenig“ unternehme. Implizit habe das Amtsgericht diese Gefahr auch deshalb negiert und damit gegen die zugesagte Wahrunterstellung verstoßen, weil es ausgeführt habe, die Voraussetzungen des Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz (GG) hätten unzweifelhaft nicht vorgelegen und ziviler Ungehorsam zur Beeinflussung der politischen Meinungsbildung sei daher nicht angemessen gewesen (RevBegr. S. 5).

b) Diese Ausführungen der Revision decken keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten auf. Zusätzlich zu den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 20. Februar 2023 (dort S. 2ff) ist ergänzend auszuführen:

i) Das Amtsgericht hat die zugesagte Wahrunterstellung der unter Beweis gestellten Tatsachen entgegen der Ansicht der Revision im Urteil berücksichtigt. So führt das Amtsgericht im Rahmen seiner Überlegungen zur Strafzumessung aus, dass die verfolgten Fernziele des Angeklagten im Rahmen der Ahndungsfindung positiv zu berücksichtigen waren. Ihm sei es darum gegangen, mediales Interesse für sein nachvollziehbares und dringendes Anliegen, nämlich unverzügliche Einleitung nachhaltiger Schritte zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung und Kampf gegen den Klimawandel, zu erregen (UA S. 13). Aus diesen detaillierten Erwägungen des Amtsgerichts ergibt sich, dass die wahr unterstellten Tatsachen im Urteil Berücksichtigung fanden.

ii) Die Revision trägt weiter vor, das Amtsgericht habe die als wahr unterstellten Tatsachen nicht im Rahmen der Prüfung des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB und des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG geprüft. Soweit dieser Vortrag so zu verstehen sein sollte, hieraus ergebe sich, dass das Amtsgericht von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen sei (RevBegr. S. 5), deckt dies keinen Rechtsfehler auf:

(1) Das Amtsgericht hat dazu im Urteil sinngemäß ausgeführt, eine Rechtfertigung der Tat nach § 34 StGB sei nicht gegeben. Es fehle an der Angemessenheit der vermeintlichen Notstandshandlung. Die Angemessenheit entfiele, wenn die Rechtsordnung für die Abwendung bestimmter Gefahren ein rechtlich geordnetes Verfahren vorsehe. In der Bundesrepublik hätten die Bürger zahlreiche legale Möglichkeiten zur Geltendmachung abweichender politischer Standpunkte. Deshalb seien Verkehrsblockaden gegen politische Maßnahmen und Entscheidungen nur unter den Voraussetzungen von Art. 20 Abs. 4 GG zulässig. Dessen Voraussetzung lägen aber „unzweifelhaft“ nicht vor (UA S. 10).

(2) Das Amtsgericht hat somit ausgeschlossen, dass die hier gegenständliche Verkehrsblockade ein angemessenes Mittel sei, die Gefahr abzuwenden, weil andere Möglichkeiten der politischen Teilhabe und Willensbildung in der Bundesrepublik bestehen. Im Rahmen der skizzierten Argumentation des Amtsgerichts kommt dem Vorliegen oder Nichtvorliegen der als wahr unterstellten Tatsachen keine Bedeutung zu. Es kann daher aus dem Umstand, dass das Amtsgericht die wahr unterstellten Tatsachen bei der Ablehnung der Anwendbarkeit von § 34 StGB nicht erwähnt, nicht geschlossen werden, das Amtsgericht sei von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen.

(3) Ähnliches gilt im Zusammenhang mit dem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG. Das Amtsgericht hat dazu ausgeführt, die Voraussetzungen des Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 3 GG lägen „unzweifelhaft“ nicht vor. Das grundgesetzlich garantierte Widerstandsrecht ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft. Das Amtsgericht hat offengelassen, welches Tatbestandsmerkmal des Widerstandsrechts es als nicht gegeben angesehen hat. Somit kann auch in diesem Zusammenhang nicht geschlossen werden, das Amtsgericht sei von der zugesagten Wahrunterstellung abgewichen.

iii) Die als wahr unterstellte Tatsache war nicht von vornherein bedeutungslos, sondern geeignet, zu Gunsten des Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung Bedeutung zu erlangen. Dass die Verteidigung des Angeklagten durch die Wahrunterstellung von weiterem effektiven Verteidigungsvorbringen abgehalten worden wäre, ist nicht ersichtlich.

2. Die formelle Rüge, das Amtsgericht habe gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen, indem es unterlassen hat, eine Stellungnahme des Angeklagten auf Video in Augenschein zu nehmen und zwei über die Tat des Angeklagten erschienene Zeitungsartikel (Bild-Zeitung und Süddeutsche Zeitung) zu verlesen, ist hinsichtlich des Artikels in der Süddeutschen Zeitung unzulässig erhoben. Im Übrigen deckt die Rüge jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf:

a) Die Aufklärungsrüge ist jedenfalls hinsichtlich des von der Revision näher bezeichneten Artikels in der Süddeutschen Zeitung unzulässig erhoben. Im Übrigen lässt es der Senat offen, ob die Aufklärungsrüge hinsichtlich Tw…-Video und Artikel in der Bild-Zeitung zulässig erhoben wurde.

i) Um eine zulässige Aufklärungsrüge zu erheben, muss der Revisionsführer das bekannte oder erkennbare Beweismittel angeben und die Beweisthematik so genau und konkret umschreiben, dass zu ersehen ist, welcher bestimmte Sachverhalt zum Gegenstand der Beweiserhebung hätte gemacht werden müssen. Weiter muss er ein zu erwartendes bestimmtes Beweisergebnis darlegen und eindeutig behaupten, eine Beweiserhebung würde die vorgetragenen Tatsachen ergeben haben. Weiter muss er die Relevanz dieses zu erwartenden Ergebnisses darlegen, also ausführen, dass es (möglichweise) für den Schuldspruch oder den Ausspruch über die Rechtfolgen Bedeutung erlangt hätte. Zudem muss der Revisionsführer die Umstände darlegen, die für die Beantwortung der Frage, ob sich dem Gericht die vermisste Beweiserhebung aufdrängen musste, bedeutsam sein konnten (Krehl in KK, StPO, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 216) .

ii) Die Revision trägt nicht vor, aus welchen Gründen sich für das Tatgericht die Verlesung des Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Februar 2023 „Klimaaktivisten kleben sich auf der Straße fest“ aufgedrängt hätte. Der Artikel ist nicht Bestandteil der Akte. Die Revision führt zudem auch nicht aus, dass sie das Gericht mündlich oder schriftlich auf den Artikel und seine mögliche Bedeutung als Beweismittel hingewiesen habe. Ein Vortrag, dass dem Gericht der Artikel aus anderen Quellen bekannt geworden ist, liegt ebenfalls nicht vor. Die Revision führt lediglich aus, der Artikel sei für das Amtsgericht über eine „google-Recherche“ im Internet auffindbar gewesen (RevBegr. S. 15). Mangels jeglichen Vortrags, dass sich dem Tatgericht die Internet-Recherche und sich daraus ergebend die Verlesung des genannten Artikels der Süddeutschen Zeitung hätte aufdrängen müssen, ist die Aufklärungsrüge in diesem Zusammenhang unzulässig erhoben.

b) Die Aufklärungsrüge ist hinsichtlich des Tw…-Videos und des Artikels in der Bild-Zeitung jedenfalls unbegründet, weil die objektiven Gegebenheiten nicht zur Beweiserhebung durch das Tatgericht drängten:

i) Auf Grund einer zulässig erhobenen Aufklärungsrüge prüft das Revisionsgericht die mögliche Erheblichkeit einer vom Tatgericht unterlassenen Beweiserhebung unter Heranziehung des für die Begründetheit der Rüge relevanten Stoffs, vor allem anhand der tatrichterlichen Urteilsgründe und der Akten, sowie insbesondere auch die Frage, ob sich die unterlassene Beweiserhebung dem Tatrichter nach der Sachlage aufdrängen musste (Krehl in KK, StPO, 9. Aufl. 2023, § 244 Rn. 220). Entscheidend ist dabei allein, ob nach »Sicht der Dinge« des Revisionsgerichts die Durchführung der in Rede stehenden Beweiserhebung zur weiteren Aufklärung erforderlich gewesen wäre (BGH, StV 1996, 581, 582).

ii) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Sachlage nicht zur Erhebung der von der Revision vermissten Beweismittel gedrängt:

(1) Die Revision führt in diesem Zusammenhang aus, der Angeklagte habe in einem Tw…-Video medial kommuniziert, dass der Zweck des Protests in erster Linie die Verhinderung einer Klimakatastrophe gewesen sei. Die Bildzeitung hätte über die Straßenblockade als Klimaprotest berichtet und so öffentlichkeitswirksam die Klimakrise als das Hauptanliegen des Angeklagten und seiner Begleiter kommuniziert (RevBegr. S. 6).

(2) In dem Tw…-Video erklärt der Angeklagte nach dem Vortrag der Revision jedoch lediglich, er habe sich in München auf einer Straße festgeklebt, weil wir in einem globalen Klimakollaps seien, der in den nächsten Jahrzehnten ein Massensterben auslösen werde und Hungersnöte in der ganzen Welt, die wir heute schon sähen. Wir könnten so nicht weitermachen. Essen wegwerfen, sei in Anbetracht, dass 700 Millionen Menschen weltweit hungern würden, sowieso ethisch nicht vertretbar. Deswegen würden sie ein „Essen-Retten-Gesetz“ fordern. Er fordere die Bundesregierung auf, dieses Essen-Retten-Gesetz jetzt zu verabschieden. Wenn das passiere, würden sie mit dieser Störung aufhören. Die Ausführungen des Angeklagten in dem Video thematisieren zwar den „Klimakollaps“, indem sie ihn verantwortlich machen für Hungernöte auf der Welt. Nach diesen Worten ruft der Angeklagte dann dazu auf, kein „Essen“ mehr wegzuwerfen. Von der Bundesregierung fordert er den Erlass eines „Essen-Retten-Gesetzes“ und erklärt, die Störaktionen von ihm und seiner Gesinnungsgenossen würden aufhören, wenn ein solches Gesetz erlassen ist.

(3) Im von der Revision vorgelegten Artikel der Bild-Zeitung findet sich im thematisierten Zusammenhang in der Überschrift die Wendung, dass ein Sitzstreik für Klima in München stattgefunden habe. Im Artikel wird ausgeführt, fünf Klima-Aktivisten hätten einen Sitzstreik auf der F. straße durchgeführt. Außerdem hätte die Aktivisten Obst und Gemüse auf die Fahrbahn geworfen. Motto der Aktion sei gewesen: „Aufstand der letzten Generation“ und „Essen retten – Leben retten“. Ein Aktivist habe geäußert, sie würden für unser aller Klima kämpfen, sie wollten die Regierung unter Druck setzen. Dazu gehöre auch, aufzuhören, Nahrungsmittel im Überfluss zu produzieren, die dann weggeworfen würden.

(4) Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen ausgeführt, die drei Angeklagten hätten den äußeren Sachverhalt, wie festgestellt, glaubhaft eingeräumt. Das Amtsgericht hat dazu u.a. festgestellt, der Angeklagte und seine vier Begleiter hätten die F. straße blockiert. Sie hätten vor sich diverses Obst und Früchte verteilt und zwei Transparente ausgerollt. Auf diesen stand „Essen Retten Leben Retten“ und „Aufstand der Letzten Generation“ (UA. S. 5). Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war demnach aufgrund des Transparents „Essen Retten Leben Retten“ und der Verteilung von Obst und Früchten auf der blockierten Fahrbahn der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung klar und ausdrücklich ersichtlich. Das Transparent „Aufstand der Letzten Generation“ deutete lediglich mittelbar und auch nur für Personen, die mit den Sachverhalten vertraut waren, darauf hin, dass auch gegen den Klimawandel Stellung genommen werden sollte.

(5) Der von der Revision vorgetragene Inhalt des Videos stützt nicht die Annahme, der Zweck des Protestes sei in erster Linie die Verhinderung einer Klimakatastrophe gewesen. Vielmehr dient der Hinweis auf den „Klimakollaps“ als Hinführung zum Thema Nahrungsmittelverschwendung. Zu diesem Komplex bringt dann auch der Angeklagte seine Forderung nach einem „Essen-Retten-Gesetz“ vor und kündigt das Ende der Aktionen für den Fall an, dass ein solches Gesetz verabschiedet wird. Die „Klimakatastrophe“, der „Klimakollaps“ oder die „globale Erwärmung“ werden nicht mehr erwähnt. Auch in dem von der Revision vorgelegten Artikel in der Bild-Zeitung wird die Tat des Angeklagten als Kampf für das Klima und als Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung bezeichnet. Dass die Klimakrise das Hauptanliegen des Angeklagten gewesen sei, kann dem Artikel jedoch nicht entnommen werden. Vielmehr nimmt die Berichterstattung im Zusammenhang mit Lebensmitteln deutlich breiteren Raum ein. Der Kampf für das Klima wird hingegen lediglich in der Überschrift und in der Äußerung des von den Journalisten gehörten Aktivisten erwähnt. Bei dieser Sachlage unter Berücksichtigung der objektiven Umstände der Blockade und dem dargestellten Inhalt von Video und Zeitungsartikel hat die Sachlage nicht dazu gedrängt, das Video in Augenschein zu nehmen und den Zeitungsartikel zu verlesen.“

Puh 🙂

StPO II: Fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Erforderlicher Vortrag bei der Verfahrensrüge

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Das zweite Posting ist dem BGH, Beschl. v. 14.09.2023 – 4 StR 274/23 – gewidment. Nichts Besonderes, aber noch mal ein Reminder des BGH zum erforderlichen Vortrag bei der Rüge, eine Beweisantrag sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden:

1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe die beantragte Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens rechtsfehlerhaft abgelehnt, ist bereits unzulässig. Die Rüge genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht (vgl. hierzu allgemein BGH, Beschluss vom 25. November 2021 – 4 StR 103/21 Rn. 4 mwN). Denn die Revision teilt den in dem Beweisantrag in Bezug genommenen und für die Prüfung des geltend gemachten Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 StPO relevanten Inhalt von Aktenteilen, insbesondere des schriftlichen Gutachtens des bereits beauftragten Kfz-Sachverständigen mit einer Skizze zur rekonstruierten Anstoßsituation, nicht (vollständig) mit.“