Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Pflichti III: Nochmals rückwirkende Bestellung?, oder: Achtung: Volltext zum „Kosteninteresse“ als Service

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Und dann hier noch zwei weitere Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung, und zwar zwei Beschlüsse des LG Oldenburg, nämlich der LG Oldenburg, Beschl. v. 07.03.2022 – 4 Qs 76/22 – und der LG Oldenburg, Beschl. v. 24.02.2022 – 1 Qs 65/22. Beide lehnen die rückwirkende Bestellung ab, und zwar mit den bekannten/unzutreffenden Argumenten. Insoweit also nichts Neues und an sich auch nicht besonders berichtenswert.

Aber: Der beide Beschlüssen verweisen mal wieder auf das sog. „Kosteninteresseargument“ (vgl. hier aus dem LG Oldenburg, Beschl. v. 07.03.2022 – 4 Qs 76/229):

„bb) Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte größtenteils die Ansicht vertreten, dass die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht in Betracht kommt, weil sie ausschließlich dem Zweck dient, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, nicht jedoch die notwendige ordnungsgemäße Verteidigung zu gewährleisten (OLG Hamburg, Beschl. v. 16.09.2020 —2 Ws 112/20; OLG Bremen, Beschl. vom 23.09.2020 – 1 Ws 120/20; OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.03.2021 – 1 Ws 12/21). Diese Einschätzung teilt die Kammer. Die rückwirkende Beiordnung ist auf etwas Unmögliches gerichtet und kann die notwendige Verteidigung eines Angeklagten für die Vergangenheit nicht mehr gewährleisten (OLG Brandenburg, Beschl. v. 09.03.2020 -1 Ws 19/20).

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers widerspräche damit dem Sinn und Zweck der notwendigen Verteidigung. Denn das Institut ist insbesondere dazu bestimmt, dem Angeklagten einen rechtskundigen Beistand zu sichern und so einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschl. v. 27.04.1989 —1 StR 627/88). Aus diesem Grund zählt § 140 StPO einzelne Fallgruppen auf, in denen die Verteidigung eines Beschuldigten durch einen Verteidiger als notwendig anzusehen ist. Dabei ist es unerheblich, ob der Beschuldigte in der Lage wäre, die Kosten der Verteidigung aus eigenen Mitteln aufzubringen oder nicht. Vielmehr knüpft das strafprozessuale Recht der notwendigen Verteidigung gerade nicht an die Bedürftigkeit der beschuldigten Person an. Dies kommt nicht nur dadurch zum Ausdruck, dass die Bestellungsvorschriften eine Bedürftigkeitsprüfung nicht vorsehen. Vielmehr hat der Beschuldigte bzw. Angeklagte im Falle einer späteren Verurteilung die Kosten seiner Verteidigung zu tragen, selbst wenn diese im Falle der Pflichtverteidigung zunächst (gegebenenfalls teilweise) aus der Staatskasse entrichtet wurden (vgl. LG Bonn, Beschl. v. 18.05.2021 — 63 Qs-920 Js 214/21¬41/21).

Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht (so z. B. OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.11.2020 – Ws 962/20, WS 963/20 und hiernach nunmehr auch OLG Bamberg, Beschl. v. 29.04.2021 – 1 Ws 260/21), hat sich dies nach Einschätzung der Kammer auch nicht mit Blick auf die PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016 und die darauf beruhenden Änderungen aus dem Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 geändert. Denn nach Art. 4 dieser Richtlinie ist der „Anspruch auf Prozesskostenhilfe“ dann sicherzustellen, „wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“, mithin dann, wenn es für das weitere Verfahren von Bedeutung ist (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 16.09.2020 – 2 Ws 112/20). Die Richtlinie zielt aber gerade nicht darauf ab, den Beschuldigten nachträglich zu jeder Phase eines Verfahrens von den Kosten seiner Verteidigung freizuhalten (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. vom 02.03.2021 – 1 Ws 12/21). Nach Abschluss eines Strafverfahrens kann eine Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren jedoch nicht mehr im Interesse der Rechtspflege erforderlich sein. Sie kann das Verfahren in keiner Weise mehr beeinflussen. Eine derartige Änderung war auch vom Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie nicht gewollt (vgi. BT-Drucks. 19/13829, S. 2, 21f.). Es war insbesondere nicht das Ziel der Richtlinie, den Vergütungsanspruch des Verteidigers zu sichern.“

Dass das falsch ist, hat aber gerade noch einmal der Kollege Hillenbrand in einem schönen Beitrag in StRR 3/2022 dargelegt, den ich dann mal als „Service“ online gestellt habe. Kostenloser Download ist möglich. Damit kann man die Diskussion in der Frage ja mal anfeuern. Hier geht es dann zu dem Beitrag: „Die Vergütung des Pflichtverteidigers als notwendiges Element eines fairen Verfahrensvon RiLG T. Hillenbrand.

Im Übrigen: Ich verstehe nicht, warum das LG Oldenburg so viel Aufhebens um die Frage der Zulässigkeit der nachträglichen Beiordnung macht. Wäre von seinem Standpunkt aus doch jeweils gar nicht nötig gewesen, da man ja die Voraussetzungen für eine Beiordnung überhaupt verneint hat. Man hat ein bisschen den Eindruck, dass sich die Kammer unbedingt in der strittigen Frage äußern wollte.

Pflichti II: Rückwirkende Bestellung des Verteidigers?, oder: Akten schlummern vier Monate bei der Polizei

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Heute kann ich im Rahmen der Berichterstattung dann auch wieder über einige Entscheidungen zur nachträglichen/rückwirkenden Bestellugn berichten.

Und da verweise ich zunächst auf den LG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 25 Qs 8/22. Gegen den Beschuldigten ist/war ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen anhängig. In dem zeigte der Verteidiger am 13.08.2021 – noch bei der Polizei – die Vertretung des Beschuldigten an und beantragte zugleich, diesem gem. § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 1 Satz i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO beigeordnet zu werden. Das Verfahren ging dann am 28.12.2021 bei der Staatsanwaltschaft ein, die das Verfahren am 12.01.2022 gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf ein Urteil des AG Quedlinburg vom 13.09. 2021 einstellte. Die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger wurde abgelehnt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde gewendet, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Verteidigers ist in der Sache unbegründet.

Die Voraussetzung für eine nachträgliche Beiordnung des Verteidigers für den mittlerweile verstorbenen Beschuldigten gemäß §§ 140, 142 StPO liegen nicht vor. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens – hier Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022 – ist einem Angeklagten (hier: Beschuldigten) rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde (vgl. insoweit OLG Bamberg, 1. Strafsenat, Beschluss vom 29. April 2021, Az.: 1 Ws 260/21, Beck RS2021, 14711). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020, Az.: Ws 962/20). Ebenso vertritt auch das Landgericht Köln die Auffassung, dass von dem Ausschluss einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (vgl. Landgericht Köln, Beschluss vom 6. April 2021, Az.: 23 Qs 19/21, NStZ 2021, 639). Hier ist es zwar so, dass der Verteidiger für den Beschuldigten am 13. August 2021 den Beiordnungsantrag gestellt hat, mithin noch vor der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022. Jedoch ist insoweit eine justizinterne Verzögerung, die ausnahmsweise eine rückwirkende Beiordnung erlaubt hätte, nicht ersichtlich. Das Polizeirevier Halberstadt hat die Akten am 17. Dezember 2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt, bei der die Sache am 28. Dezember 2021 eingegangen ist. Bereits am 12. Januar 2022 erfolgte sodann die Einstellung im Hinblick auf ein Urteil des Amtsgerichts Quedlinburg vom 13. September 2021. Auch angesichts des Jahreswechsels erscheint ein Zeitraum von 15 Tagen durchaus angemessen und nicht verzögernd, das Verfahren durch eine Einstellung zu beenden, zumal es sich nicht um eine Haftsache handelte, Eine justizinterne Verzögerung ist daher nicht zu erkennen. Auch ist es unerheblich, ob die Entscheidung des Amtsgerichts Quedlinburg, auf die die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — im Rahmen ihrer Einstellungsverfügung vom 12. Januar 2022 Bezug genommen hat, bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags des Verteidigers des Beschuldigten am 13. August 2021 ergangen ist oder nicht. Es kommt allein darauf an, ob über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. ob eine wesentliche Verzögerung seitens der Justiz eingetreten ist. Dies ist hier nicht der Fall, sodass eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ausschied.“

Der Entscheidung muss man widersprechen. Zutreffend ist zwar der vom LG gewählte Ausgangspunkt zur rechtlichen Beurteilung der Frage der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers. Es dürfte – zumindest wohl in der landgerichtlichen Rechtsprechung – inzwischen h.M. sein, dass eine nachträgliche Bestellung in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist

Allerdings verkennt das LG m.E. dann die gesetzliche Regelung in den §§ 141, 142 StPO. Denn dort wird gerade nicht zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft unterschieden, sondern die StPO geht davon aus, dass der Beiordnungsantrag selbstverständlich auch bei der Polizei angebracht werden kann (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dann ist er natürlich auch von den Polizeibehörden über die Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung zuzuleiten. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen. Vielmehr hat die Polizei in Missachtung der nun wahrlich nicht mehr so neuen gesetzlichen Regelung in § 142 StPO die Übersendung der Akten an den Ermittlungsrichter vier Monate lang zurückgehalten, offenbar weiter ermittelt und einfach negiert, dass ein Beiordnungsantrag im Ermittlungsverfahren gestellt worden ist. Angesichts dieses Ablaufs lässt sich kaum noch von einer sachgerechten Handhabung seitens der Ermittlungsbehörden sprechen. Das LG verliert dazu kein Wort, sondern schein – inzidenter – davon auszugehen, dass das „polizeiliche Ermittlungsverfahren“ noch kein Ermittlungsverfahren ist und der Beschuldigter erst, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat im dann „echten“ Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf unverzügliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat. Das widerspricht aber ohne Zweifel dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Pflichti I: Verteidigerwechsel wegen Interessenkonflikt, oder: „unverfrorene Manipulation von Aussagen“

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Zur Wochenmitte heute dann ein paar Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Und ich starte die Berichterstattung mit einem Beschluss des BGH zum Plfichtverteidigerwechsel.

Ausgangsprunkt ist ein beim KG anhängiger Verfahren, in dem das KG den Angeklagten am 04.06.2021 wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch in schwerwiegender Weise entwürdigende und erniedrigende Behandlung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und Beihilfe zum Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt hat.

Nach Revisionseinlegung und Zustellung des Urteils am 20. 12.2021 haben der Angeklagte sowie sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt H. am 10.01.2022 beantragt, dessen Bestellung aufzuheben und dem Angeklagten einen neuen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen. Den Anträgen lag Folgendes zugrunde: In dem zugestellten Urteil führte das KG im Rahmen der Würdigung einer Zeugenaussage unter der Zwischenüberschrift „(cc) Weitere Beeinflussungsversuche aus der Sphäre der Angeklagten gegenüber Belastungszeugen“ aus, dass ein anderer Zeuge unter Berufung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht vor dem Strafsenat keine Angaben mehr habe machen wollen. Die Vernehmung eines Rechtsanwalts dieses Zeugen habe ergeben, dass er durch Vermittlung des Rechtsanwalt H. von dem seinerzeit inhaftierten Zeugen als Wahlverteidiger für dessen eigenes Verfahren mandatiert worden sei. Der Rechtsanalt H. habe ihm bereits im Vorfeld zugesichert, dass seine Tätigkeit als Wahlverteidiger bezahlt werde. Dementsprechend habe er im September 2017 nach Beendigung seiner Tätigkeit eine Gebührenrechnung an den Rechtsanwalt H. gestellt. Diese sei am 14.05.2018 – genau sieben Tage nach dem Freispruch des Angeklagten in einem anderen, wegen Betäubungsmitteldelikten geführten Verfahren, in dem der Zeuge ausgesagt hatte – zum überwiegenden Teil beglichen worden. Das KG bewertete „dieses Geschehen als – ihm in solcher Unverfrorenheit noch nicht untergekommenen – Beleg für die Bereitschaft und zumindest vorübergehend erfolgreich genutzte Möglichkeiten eines Verteidigers der Angeklagten, missliebige Zeugenaussagen der Wahrheit zuwider und zugunsten der Angeklagten in einer mit der Rechtsordnung nach Auffassung des Senats nicht mehr zu vereinbarenden Weise zu manipulieren„.

Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des KG hat die Anträge mit Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und Rechtsanwalt H. mit ihren sofortigen Beschwerden. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg, der BGH hat sie mit BGH, Beschl. v. 22.2.2022 – StB 2/22 – verworfen:

„2. In der Sache hat das Kammergericht (zur Zuständigkeit des Vorsitzenden s. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 3) den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt H. liegen nicht vor.

Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch sonst besteht kein Anlass zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.

a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (s. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – StB 24/21, juris Rn. 4 mwN). Abgesehen von den Ausführungen des Kammergerichts in den Urteilsgründen, die nach Auffassung der Beschwerdeführer zu einem Interessenkonflikt führen sollen (dazu sogleich unter b), wird in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Beschwerdeführern nichts vorgebracht.

Zudem war dem Angeklagten das im Urteil dargestellte, seinen Pflichtverteidiger betreffende Geschehen bereits durch einen in der Hauptverhandlung am 20. September 2019 verkündeten Senatsbeschluss bekannt. In diesem hatte das Kammergericht den Hergang mit Ausnahme der von ihm daraus gezogenen Wertung ebenso wie im Urteil dargestellt. Daraufhin hat keiner der Beschwerdeführer einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt.

b) Ein konkret manifestierter Interessenkonflikt, der eine mindere Effektivität des Einsatzes des Verteidigers befürchten lässt (s. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 3; vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173), ist nicht gegeben.

aa) Es ist bereits nicht ersichtlich, wie sich der von den Beschwerdeführern vorgebrachte Konflikt zwischen einer Verteidigung des Angeklagten und einer vom Verteidiger für notwendig erachteten eigenen Verteidigung auf das Revisionsverfahren zu Lasten des Angeklagten auswirken soll. Da es sich bei der Revision um ein auf die Rechtsprüfung beschränktes Rechtsmittel handelt (s. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 3 StR 155/19, NStZ 2019, 745 Rn. 4), ergibt sich nicht, dass Rechtsanwalt H. in einer sachgerechten Verteidigung des Angeklagten beschränkt ist, selbst wenn er es für erforderlich hält, den im Rahmen der Beweiswürdigung vom Kammergericht erhobenen, ihn betreffenden Beanstandungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht entgegenzutreten.

bb) Dass sich der Beschwerdeführer Rechtsanwalt H. infolge der Urteilsausführungen als nicht mehr „unbefangen“ ansieht, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt es nicht entscheidend auf ein solches Selbstverständnis des Verteidigers an, sondern auf eine angemessene Verteidigung des Angeklagten im aktuellen Revisionsverfahren. Dass diese durch eine mögliche Beeinträchtigung der Unbefangenheit des Verteidigers maßgeblich beeinträchtigt wird, ergibt sich nicht. Ähnlich wie Spannungen zwischen Gericht und Verteidigern nicht regelmäßig die Besorgnis begründen, die Richter würden dem Angeklagten nicht mehr unbefangen gegenübertreten (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2012 – 3 StR 208/12, wistra 2013, 155 Rn. 16 mwN; vom 28. Januar 1983 – 1 StR 820/81, juris Rn. 22), sind ihnen ohne zusätzliche Besonderheiten erst recht keine Auswirkungen auf das Verteidigerverhältnis zu entnehmen.

cc) Die in der Beschwerdebegründung angeführte Möglichkeit, dass sich der Angeklagte mit Blick auf die Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen des Pflichtverteidigers nach § 2 Abs. 4 Buchst. b BORA nicht mehr auf dessen Verschwiegenheit verlassen könne, hat keine abweichende Beurteilung zur Folge. Unabhängig davon, dass bislang nicht einmal die Einleitung eines straf- oder berufsrechtlichen Verfahrens gegen den Pflichtverteidiger bekannt ist, lässt ein solches nicht von vornherein die Verschwiegenheitspflicht entfallen (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1951 – 1 StR 159/51, BGHSt 1, 366 ff.; vom 25. März 1993 – IX ZR 192/92, BGHZ 122, 115, 120; Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 110; Gaier/Wolf/Göcken/Zuck, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 43a BRAO/§ 2 BORA Rn. 34 f.; Hartung/Scharmer/Gasteyer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 2 BORA Rn. 126; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 203 Rn. 91). Ferner gölte die Pflicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BORA nach Beendigung des Mandats fort (s. Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 57). Da der Angeklagte mithin eine Offenbarung von der Verschwiegenheitspflicht unterfallenden Inhalten nicht befürchten muss, ist nicht mehr entscheidend, ob er seinem Verteidiger überhaupt geheimhaltungsbedürftige Umstände mitteilen könnte, die im Revisionsverfahren von Belang sind.

dd) Auch aufgrund einer Zusammenschau der verschiedenen Gesichtspunkte ist nicht anzunehmen, dass ein Interessenkonflikt mit Auswirkungen auf die Effektivität der Verteidigung besteht. Hierfür kommt es nach den konkreten Umständen nicht maßgeblich darauf an, inwieweit der nach Auffassung des Kammergerichts bei einer früheren Aussage in einem anderen Verfahren manipulierte Zeuge bei der Urteilsfindung von Bedeutung war.

c) Ob die etwaige Ausschließungsmöglichkeit eines Verteidigers nach § 138a Abs. 1 und 2 StPO zugleich einen Grund für die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO darstellen kann (offen gelassen zur früheren Rechtslage von BGH, Beschluss vom 20. März 1996 – 2 ARs 20/96, BGHSt 42, 94, 97; s. auch BVerfG, Beschlüsse vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 245; vom 9. Dezember 2008 – 2 BvR 2341/08, juris Rn. 17), bedarf in der hier gegebenen Konstellation keiner Entscheidung. Die entsprechenden Voraussetzungen stehen nach dem Geschehen, das dem Beschwerdeverfahren zugrunde liegt, nicht in Rede.

Weder geht es um eine Beteiligung des Verteidigers an der abgeurteilten Tat des Angeklagten im Sinne des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO (vgl. auch Gaier/Wolf/Göcken/Vorwerk, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 49 BRAO Rn. 9), noch bezieht sich der vom Kammergericht dargestellte Hergang auf einen Missbrauch des Verkehrs gerade mit dem inhaftierten Angeklagten (§ 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Da die etwaige Beeinflussung des Zeugen dessen Aussage in einem anderen, wegen Betäubungsmitteldelikten geführten Strafverfahren betraf, liegt der Anwendungsbereich des § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO ebenfalls nicht nahe (vgl. zu den Voraussetzungen LR/Lüderssen, StPO, 26. Aufl., § 138a Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 138a Rn. 9; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 138a Rn. 11).

d) Ein Verteidigerwechsel ist schließlich nicht nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO vorzunehmen. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen, welche die Beschwerdeführer selbst nicht geltend machen, sind nicht gegeben…..“

OWi I: (Einfache) Heilung eines Zustellungsmangels, oder: Warum legt der Verteidiger eine Vollmacht vor?

Smiley

Heute dann OWi-Entscheidungen.

Ich beginne den Tag mit dem BayObLG, Beschl. v. v. 21.01.2022 – 202 ObOWi 2/22. Mit dem Beschluss habe ich dann den „Aufreger“ des Tages dann hinter mir. Warum „Aufreger des Tages“? Nun, es geht mal wieder um die Wirksamkeit einer Zustellung. Hier ist es konkret die Heilung eines Zustellungsmangels durch Zustellung des Bußgeldbescheids an einen sonstigen Empfangsberechtigten. Und das war der Vertediger, der eine Vollmacht vorgeleht hatte. Und das war es dann:

„3. Schließlich liegt das von der Rechtsbeschwerde geltend gemachte und von der Generalstaatsanwaltschaft München ebenfalls angenommene Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht vor.

a) Die Verjährungsfrist beträgt 3 Monate, solange wegen der Handlung weder ein Bußgeldbescheid ergangen noch die öffentliche Klage erhoben worden ist, danach 6 Monate (§§ 24, 26 Abs. 3 StVG).

b) Die verfahrensgegenständliche Ordnungswidrigkeit wurde am 19.11.2020 begangen. Spätestens am 20.01.2021, dem Tag, an dem der Verteidiger Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 05.01.2021 eingelegt hat, wurde die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 Alt. 2 OWiG unterbrochen.

aa) Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Zustellung des Bußgeldbescheids, der am 08.01.2021 im Wege der Ersatzzustellung in den Briefkasten am Wohnort der Eltern des Betroffenen eingelegt wurde, wirksam erfolgte. Denn nach den vom Verteidiger vorgebrachten Umständen, die mit entsprechenden Unterlagen untermauert wurden, hatte der Betroffene zum damaligen Zeitpunkt seinen früheren Wohnsitz bei den Eltern aufgegeben und war als Zeitsoldat in Berchtesgaden kaserniert. Eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 BayVwZVG, 180 ZPO setzt aber voraus, dass der Zustellungsadressat dort wohnhaft ist.

bb) Allerdings wurde der Zustellungsmangel gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. Art. 9 BayVwZVG geheilt, als eine Abschrift des Bußgeldbescheids dem Verteidiger tatsächlich zuging. Nach Art. 9 BayVwZVG gilt die Zustellung eines Dokuments, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften übermittelt wurde, in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Dies war spätestens dann gegeben, als der Verteidiger eine Abschrift des Bußgeldbescheids erhielt. Nachdem die Rechtsbeschwerde trotz umfangreicher Ausführungen im Übrigen diesen Zeitpunkt nicht explizit benennt, ist davon auszugehen, dass den Verteidiger der Bußgeldbescheid vom 05.01.2021 frühestens am 06.01.2021 und spätestens an dem Tag erreicht hat, als dieser den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegte, was am 20.01.2021 der Fall war. Selbst unter Zugrundelegung des zuletzt genannten Datums wurde die 3-monatige Verjährungsfrist gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 Alt. 2 OWiG rechtzeitig unterbrochen.

(1) Zwar ist zur Heilung von Zustellungsmängeln nötig, dass ein Zustellungswille der Behörde vorlag (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 20.10.2021 – XII ZB 314/21 = SW FamFG § 16 = NSW FamFG § 41 = NSW FamFG § 63 = NSW ZPO § 189; OLG Celle, Beschl. v. 10.03.2021 – 2 Ss (OWi) 348/20 = VRS 140 [2021], 108; OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2017 – 3 RBs 106/17 DAR 2017, 642). Indes ist nicht erforderlich, dass der Zustellungsadressat und der tatsächliche Empfänger des Dokuments identisch sind. Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung zu der mit Art. 9 BayVwZVG vergleichbaren Vorschrift des § 189 ZPO (BGH, Urt. v. 12.03.2015 – III ZR 207/14 = BGHZ 204, 268 = NSW ZPO § 167 = NSW ZPO § 170 = NSW ZPO § 189 = EBE/BGH 2015, 143 = MDR 2015, 535 = DGVZ 2015, 124 = NJW 2015, 1760 = FamRZ 2015, 1021 = WM 2015, 1388 = RdL 2015, 195 = BtPrax 2015, 158 = Rpfleger 2015, 562 = VersR 2015, 1447) sowie zu der mit Art. 9 BayVwZVG inhaltlich identischen Bestimmung des § 8 VwZG (BFH, Urt. v. 06.06.2000 – VII R 55/99 = BFHE 192, 200 = BStBl II 2000, 560 = DStRE 2000, 1109 = BFH/NV 2000, 1382 = HFR 2000, 872 = NVwZ-RR 2001, 77 = StRK VwZG § 15 R.10 = ZKF 2001, 180; BVerwG, Urt. v. 18.04.1997 – 8 C 43/95 = BVerwGE 104, 301 = NVwZ 1999, 178; ebenso: Engelhardt/App/Schlatmann VwZG 12. Aufl. 2021 § 8 VwZG Rn. 3), dass die Heilung von Zustellungsmängeln nach diesen Bestimmungen auch dann eintritt, wenn der Bescheid nicht dem in ihm genannten Adressaten, sondern einer Person zugeht, an die die Zustellung hätte gerichtet werden können. Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses sprechen bereits Wortlaut und Systematik des Art. 9 BayVwZVG. Nach dieser Vorschrift kommt es darauf an, dass das Dokument dem „Empfangsberechtigten“ zugegangen ist. Dass damit nicht ausschließlich derjenige, an den die Behörde zustellen wollte, also der Zustellungsadressat, gemeint ist, lässt sich zwanglos daraus ableiten, dass das Gesetz an anderer Stelle den Begriff des „Zustellungsadressaten“ verwendet (Art. 5 Abs. 6, 15 Abs. 2 Nr. 2 BayVwZVG), während in Art. 9 BayVwZVG ausdrücklich vom „Empfangsberechtigten“ die Rede ist. Hätte nach dem Willen des Gesetzgebers eine Heilung von Zustellungsmängeln nur dann eintreten sollen, wenn das Dokument dem Zustellungsadressaten zugeht, wäre die Verwendung der Begrifflichkeit des „Empfangsberechtigten“ nicht nachvollziehbar. Zudem spricht für dieses Ergebnis auch die ratio der Heilungsvorschriften. Gelangt das zuzustellende Schriftstück zum richtigen Empfänger hat die Zustellung ihren Zweck erreicht; die Versagung der Zustellung durch Heilung in diesen Fällen wäre eine unnötige Förmelei (BGH a.a.O).

(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Heilung dadurch eingetreten, dass der Verteidiger eine Abschrift des Bußgeldbescheids nach § 51 Abs. 3 Satz 5 OWiG erhalten hat. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft war der Verteidiger zur Empfangnahme von Zustellungen befugt, sodass an diesen auch die Zustellung hätte gerichtet werden können.

(a) Der Verteidiger war bereits vor Erlass des Bußgeldbescheids vom 05.01.2021 sowohl rechtsgeschäftlich als auch gesetzlich gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG zum Empfang von Zustellungen ermächtigt. Er hatte mit am 30.12.2020 eingegangenem Schriftsatz vom 28.12.2020, also sogar vor Erlass des Bußgeldbescheids, eine schriftliche Vollmacht vom 09.12.2020 zu den Akten gereicht (vgl. Bl. 16/17 d.A.), die sich gemäß deren Ziffer 6. auf die Empfangnahme von Zustellungen erstreckte. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuleitungsschrift ausführt, die Vollmacht datiere erst nach der erfolgten Ersatzzustellung, beruht dies auf einem offensichtlichen Versehen.

(b) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, dass es – entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft – nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sogar genügen würde, wenn der Verteidiger die rechtsgeschäftliche oder gesetzliche Ermächtigung zur Empfangnahme erst nach Vornahme der fehlerhaften Zustellung erhalten hätte, sofern er das Schriftstück im Zeitpunkt der Bevollmächtigung noch in Besitz hat, wobei die Heilung in einem solchen Fall in dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung erteilt oder die gesetzliche Zustellungsvollmacht fingiert wird (vgl. BVerwG a.a.O.; BGH, Urt. v. 22.11.1988 – VI ZR 226/87 = WM 1989, 238 = VersR 1989, 168 = WuB VII A § 121 a ZPO 1.89 = MDR 1989, 345 = NJW 1989, 1154 = Rpfleger 1989, 205 = BGHR ZPO vor § 12 Zuständigkeit, internationale 3 = BGHR ZPO § 23 Vermögen 2 = BGHR ZPO § 187 S 1 Zustellungsmängel 2 = BGHR ZPO § 187 S 1 Zustellungsmängel 3 = BGHR ZPO § 212a Empfangsbereitschaft 1 = LM Nr 5 zu § 23 ZPO = BGHWarn 1989, Nr 322).

c) Weitere Unterbrechungshandlungen hinsichtlich der ab dem Zeitpunkt der Heilung des Zustellungsmangels maßgeblichen 6-monatigen Verjährungsfrist erfolgten mit Eingang der Akten beim Amtsgericht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG am 13.03.2021 und mit der jeweiligen Anberaumung der Hauptverhandlung aufgrund der Verfügungen vom 22.03.2021 und 01.07.2021 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 OWiG.“

Man fragt sich: Warum wird die Vollmacht vorgelegt und man macht es den Gerichten pp. so einfach. Das muss doch nicht sein.

Einstellung nach Tod des Angeschuldigten gem. § 206a, oder: Auslagenerstattung ja oder nein?

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Und als zweite – allerdings kostenrechtliche – Entscheidung des Tages dann der LG Dresden, Beschl. v. 24.01.2022 – 5 Qs 12/22 – zur Auslagenerstattung nach Einstellung des Verfahrens, hier nach dem Tod des Angeschuldigten.

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 03.03.2021 Subventionsbetrug in 7 Fällen wegen unrichtiger Angaben in verschiedenen Corona-Soforthilfe-Anträgen bzw. Darlehensanträgen bei der Sächsischen Aufbaubank und in einem Antrag auf Corona-Soforthilfe Zuschuss bei der Investitionsbank Sachsen-Anhalt zur Last gelegt. Nachdem der Angeschuldigte am 28.11.2021 verstorben war, stellte das AG das Verfahren gemäß § 206a StPO ein. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten wurden der Staatskasse auferlegt. Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde ein, die keinen Erfolg hatte:

„Die sofortige Beschwerde ist zulässig, in der Sache aber unbegründet.

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Diese Kostenentscheidung ist Folge der Unschuldsvermutung, wonach jeder als unschuldig gilt, solange er nicht verurteilt ist.

Gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 StPO kann das Gericht von dieser Auslagenentscheidung absehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Es handelt sich um eine Ermessensentscheidung, wobei der Ausnahmecharakter dieser Vorschrift zu berücksichtigen ist.

Eine in Rechtsprechung und Literatur verbreitete Auffassung hält die tatbestandlichen Voraus-setzungen für die Versagung einer Auslagenerstattung nach § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO nur dann für gegeben, wenn der Angeschuldigte allein wegen des bestehenden Verfahrenshindernisses nicht verurteilt wird, also mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sei. Insoweit wird vielfach davon ausgegangen, dass allein die Durchführung des Verfahrens bis zur Schuld-spruchreife eine Ermessensentscheidung ermögliche. Teilweise wird eine Vorverlagerung für einfach gelagerte Fälle erwogen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Schuld des Angeschuldigten spricht, sofern sich die maßgeblichen Tatsachen dem Akteninhalt ohne Klärung in einer Hauptverhandlung zweifelsfrei entnehmen lassen oder ein Geständnis vorliegt.

Demgegenüber können nach einer weiteren in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht im Rahmen der gemäß § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO zu treffenden Ermessensentscheidung schon verbleibende Verdachtserwägungen einer Auslagenerstattung entgegenstehen, da eine Beschränkung auf Fälle der Schuldspruchreife nach dieser Ansicht zu einem unangemessen engen Anwendungsbereich der Vorschrift des § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO führen würde. Um dem Ausnahmecharakter der Vorschrift ausreichend Rechnung zu tragen sei ein erheblicher Tat-verdacht erforderlich. Zudem dürfen tatsächliche oder rechtlich entlastende Umstände, welche die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen könnten, nicht ersichtlich sein.

Vorliegend trat das Verfahrenshindernis nach Anklageerhebung, aber vor Erlass eines Eröffnungsbeschlusses ein. Die Akte enthält Unterlagen über Gewerbean- und – abmeldungen sowie Vollstreckungsaufträge und Pfändungen, die auf wirtschaftliche Schwierigkeiten bereits vor Eintreten der Corona-Pandemie hindeuten sowie darauf, dass der Angeschuldigte Subventionen für ein nicht mehr bestehendes Gewerbe beantragte. Der Angeschuldigte hat sich allerdings vor seinem Tod nicht zur Sache eingelassen, entlastende Umstände mithin nicht vorbringen können. Vom Fehlen entlastender Umstände kann nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Insbesondere ist die wirtschaftliche Situation seiner Unternehmung nicht ausreichend aufgeklärt, so zum Beispiel, ob und gegebenenfalls welche Forderungen dem Angeschuldigten zustanden. Auch nähere Angaben zum Umfang seiner selbständigen Tätigkeit fehlen, so dass die Entscheidung des Amtsgerichts Dresden nicht zu beanstanden ist. Eine Begründung ist für die Anwendung der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO nicht erforderlich.“