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Pflichti II: Rückwirkende Bestellung des Verteidigers?, oder: Akten schlummern vier Monate bei der Polizei

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Heute kann ich im Rahmen der Berichterstattung dann auch wieder über einige Entscheidungen zur nachträglichen/rückwirkenden Bestellugn berichten.

Und da verweise ich zunächst auf den LG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 25 Qs 8/22. Gegen den Beschuldigten ist/war ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen anhängig. In dem zeigte der Verteidiger am 13.08.2021 – noch bei der Polizei – die Vertretung des Beschuldigten an und beantragte zugleich, diesem gem. § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 1 Satz i.V.m. § 142 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO beigeordnet zu werden. Das Verfahren ging dann am 28.12.2021 bei der Staatsanwaltschaft ein, die das Verfahren am 12.01.2022 gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf ein Urteil des AG Quedlinburg vom 13.09. 2021 einstellte. Die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger wurde abgelehnt. Dagegen hat sich der Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde gewendet, die beim LG keinen Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO zulässige sofortige Beschwerde des Verteidigers ist in der Sache unbegründet.

Die Voraussetzung für eine nachträgliche Beiordnung des Verteidigers für den mittlerweile verstorbenen Beschuldigten gemäß §§ 140, 142 StPO liegen nicht vor. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens – hier Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022 – ist einem Angeklagten (hier: Beschuldigten) rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens gestellt, aber nicht bzw. nicht vorab verbeschieden wurde (vgl. insoweit OLG Bamberg, 1. Strafsenat, Beschluss vom 29. April 2021, Az.: 1 Ws 260/21, Beck RS2021, 14711). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers dann zulässig ist, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020, Az.: Ws 962/20). Ebenso vertritt auch das Landgericht Köln die Auffassung, dass von dem Ausschluss einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger dann eine Ausnahme zu machen sei, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat (vgl. Landgericht Köln, Beschluss vom 6. April 2021, Az.: 23 Qs 19/21, NStZ 2021, 639). Hier ist es zwar so, dass der Verteidiger für den Beschuldigten am 13. August 2021 den Beiordnungsantrag gestellt hat, mithin noch vor der Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — am 12. Januar 2022. Jedoch ist insoweit eine justizinterne Verzögerung, die ausnahmsweise eine rückwirkende Beiordnung erlaubt hätte, nicht ersichtlich. Das Polizeirevier Halberstadt hat die Akten am 17. Dezember 2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt, bei der die Sache am 28. Dezember 2021 eingegangen ist. Bereits am 12. Januar 2022 erfolgte sodann die Einstellung im Hinblick auf ein Urteil des Amtsgerichts Quedlinburg vom 13. September 2021. Auch angesichts des Jahreswechsels erscheint ein Zeitraum von 15 Tagen durchaus angemessen und nicht verzögernd, das Verfahren durch eine Einstellung zu beenden, zumal es sich nicht um eine Haftsache handelte, Eine justizinterne Verzögerung ist daher nicht zu erkennen. Auch ist es unerheblich, ob die Entscheidung des Amtsgerichts Quedlinburg, auf die die Staatsanwaltschaft Magdeburg — Zweigstelle Halberstadt — im Rahmen ihrer Einstellungsverfügung vom 12. Januar 2022 Bezug genommen hat, bereits zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags des Verteidigers des Beschuldigten am 13. August 2021 ergangen ist oder nicht. Es kommt allein darauf an, ob über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist bzw. ob eine wesentliche Verzögerung seitens der Justiz eingetreten ist. Dies ist hier nicht der Fall, sodass eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ausschied.“

Der Entscheidung muss man widersprechen. Zutreffend ist zwar der vom LG gewählte Ausgangspunkt zur rechtlichen Beurteilung der Frage der nachträglichen Beiordnung des Pflichtverteidigers. Es dürfte – zumindest wohl in der landgerichtlichen Rechtsprechung – inzwischen h.M. sein, dass eine nachträgliche Bestellung in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist

Allerdings verkennt das LG m.E. dann die gesetzliche Regelung in den §§ 141, 142 StPO. Denn dort wird gerade nicht zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft unterschieden, sondern die StPO geht davon aus, dass der Beiordnungsantrag selbstverständlich auch bei der Polizei angebracht werden kann (vgl. § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dann ist er natürlich auch von den Polizeibehörden über die Staatsanwaltschaft dem Ermittlungsrichter zur Entscheidung zuzuleiten. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen. Vielmehr hat die Polizei in Missachtung der nun wahrlich nicht mehr so neuen gesetzlichen Regelung in § 142 StPO die Übersendung der Akten an den Ermittlungsrichter vier Monate lang zurückgehalten, offenbar weiter ermittelt und einfach negiert, dass ein Beiordnungsantrag im Ermittlungsverfahren gestellt worden ist. Angesichts dieses Ablaufs lässt sich kaum noch von einer sachgerechten Handhabung seitens der Ermittlungsbehörden sprechen. Das LG verliert dazu kein Wort, sondern schein – inzidenter – davon auszugehen, dass das „polizeiliche Ermittlungsverfahren“ noch kein Ermittlungsverfahren ist und der Beschuldigter erst, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hat im dann „echten“ Ermittlungsverfahren einen Anspruch auf unverzügliche Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat. Das widerspricht aber ohne Zweifel dem Wortlaut des § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO.