Pflichti I: Verteidigerwechsel wegen Interessenkonflikt, oder: „unverfrorene Manipulation von Aussagen“

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Zur Wochenmitte heute dann ein paar Entscheidungen zur Pflichtverteidigung.

Und ich starte die Berichterstattung mit einem Beschluss des BGH zum Plfichtverteidigerwechsel.

Ausgangsprunkt ist ein beim KG anhängiger Verfahren, in dem das KG den Angeklagten am 04.06.2021 wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch in schwerwiegender Weise entwürdigende und erniedrigende Behandlung in Tateinheit mit Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Tötung und Beihilfe zum Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt hat.

Nach Revisionseinlegung und Zustellung des Urteils am 20. 12.2021 haben der Angeklagte sowie sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt H. am 10.01.2022 beantragt, dessen Bestellung aufzuheben und dem Angeklagten einen neuen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen. Den Anträgen lag Folgendes zugrunde: In dem zugestellten Urteil führte das KG im Rahmen der Würdigung einer Zeugenaussage unter der Zwischenüberschrift „(cc) Weitere Beeinflussungsversuche aus der Sphäre der Angeklagten gegenüber Belastungszeugen“ aus, dass ein anderer Zeuge unter Berufung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht vor dem Strafsenat keine Angaben mehr habe machen wollen. Die Vernehmung eines Rechtsanwalts dieses Zeugen habe ergeben, dass er durch Vermittlung des Rechtsanwalt H. von dem seinerzeit inhaftierten Zeugen als Wahlverteidiger für dessen eigenes Verfahren mandatiert worden sei. Der Rechtsanalt H. habe ihm bereits im Vorfeld zugesichert, dass seine Tätigkeit als Wahlverteidiger bezahlt werde. Dementsprechend habe er im September 2017 nach Beendigung seiner Tätigkeit eine Gebührenrechnung an den Rechtsanwalt H. gestellt. Diese sei am 14.05.2018 – genau sieben Tage nach dem Freispruch des Angeklagten in einem anderen, wegen Betäubungsmitteldelikten geführten Verfahren, in dem der Zeuge ausgesagt hatte – zum überwiegenden Teil beglichen worden. Das KG bewertete „dieses Geschehen als – ihm in solcher Unverfrorenheit noch nicht untergekommenen – Beleg für die Bereitschaft und zumindest vorübergehend erfolgreich genutzte Möglichkeiten eines Verteidigers der Angeklagten, missliebige Zeugenaussagen der Wahrheit zuwider und zugunsten der Angeklagten in einer mit der Rechtsordnung nach Auffassung des Senats nicht mehr zu vereinbarenden Weise zu manipulieren„.

Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des KG hat die Anträge mit Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und Rechtsanwalt H. mit ihren sofortigen Beschwerden. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg, der BGH hat sie mit BGH, Beschl. v. 22.2.2022 – StB 2/22 – verworfen:

„2. In der Sache hat das Kammergericht (zur Zuständigkeit des Vorsitzenden s. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 3) den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt H. liegen nicht vor.

Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch sonst besteht kein Anlass zur Aufhebung der Verteidigerbestellung.

a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (s. BGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 – StB 24/21, juris Rn. 4 mwN). Abgesehen von den Ausführungen des Kammergerichts in den Urteilsgründen, die nach Auffassung der Beschwerdeführer zu einem Interessenkonflikt führen sollen (dazu sogleich unter b), wird in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Beschwerdeführern nichts vorgebracht.

Zudem war dem Angeklagten das im Urteil dargestellte, seinen Pflichtverteidiger betreffende Geschehen bereits durch einen in der Hauptverhandlung am 20. September 2019 verkündeten Senatsbeschluss bekannt. In diesem hatte das Kammergericht den Hergang mit Ausnahme der von ihm daraus gezogenen Wertung ebenso wie im Urteil dargestellt. Daraufhin hat keiner der Beschwerdeführer einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt.

b) Ein konkret manifestierter Interessenkonflikt, der eine mindere Effektivität des Einsatzes des Verteidigers befürchten lässt (s. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 3; vom 15. Januar 2003 – 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173), ist nicht gegeben.

aa) Es ist bereits nicht ersichtlich, wie sich der von den Beschwerdeführern vorgebrachte Konflikt zwischen einer Verteidigung des Angeklagten und einer vom Verteidiger für notwendig erachteten eigenen Verteidigung auf das Revisionsverfahren zu Lasten des Angeklagten auswirken soll. Da es sich bei der Revision um ein auf die Rechtsprüfung beschränktes Rechtsmittel handelt (s. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 3 StR 155/19, NStZ 2019, 745 Rn. 4), ergibt sich nicht, dass Rechtsanwalt H. in einer sachgerechten Verteidigung des Angeklagten beschränkt ist, selbst wenn er es für erforderlich hält, den im Rahmen der Beweiswürdigung vom Kammergericht erhobenen, ihn betreffenden Beanstandungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht entgegenzutreten.

bb) Dass sich der Beschwerdeführer Rechtsanwalt H. infolge der Urteilsausführungen als nicht mehr „unbefangen“ ansieht, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung kommt es nicht entscheidend auf ein solches Selbstverständnis des Verteidigers an, sondern auf eine angemessene Verteidigung des Angeklagten im aktuellen Revisionsverfahren. Dass diese durch eine mögliche Beeinträchtigung der Unbefangenheit des Verteidigers maßgeblich beeinträchtigt wird, ergibt sich nicht. Ähnlich wie Spannungen zwischen Gericht und Verteidigern nicht regelmäßig die Besorgnis begründen, die Richter würden dem Angeklagten nicht mehr unbefangen gegenübertreten (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2012 – 3 StR 208/12, wistra 2013, 155 Rn. 16 mwN; vom 28. Januar 1983 – 1 StR 820/81, juris Rn. 22), sind ihnen ohne zusätzliche Besonderheiten erst recht keine Auswirkungen auf das Verteidigerverhältnis zu entnehmen.

cc) Die in der Beschwerdebegründung angeführte Möglichkeit, dass sich der Angeklagte mit Blick auf die Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen des Pflichtverteidigers nach § 2 Abs. 4 Buchst. b BORA nicht mehr auf dessen Verschwiegenheit verlassen könne, hat keine abweichende Beurteilung zur Folge. Unabhängig davon, dass bislang nicht einmal die Einleitung eines straf- oder berufsrechtlichen Verfahrens gegen den Pflichtverteidiger bekannt ist, lässt ein solches nicht von vornherein die Verschwiegenheitspflicht entfallen (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1951 – 1 StR 159/51, BGHSt 1, 366 ff.; vom 25. März 1993 – IX ZR 192/92, BGHZ 122, 115, 120; Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 110; Gaier/Wolf/Göcken/Zuck, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 43a BRAO/§ 2 BORA Rn. 34 f.; Hartung/Scharmer/Gasteyer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 2 BORA Rn. 126; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 203 Rn. 91). Ferner gölte die Pflicht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BORA nach Beendigung des Mandats fort (s. Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 43a Rn. 57). Da der Angeklagte mithin eine Offenbarung von der Verschwiegenheitspflicht unterfallenden Inhalten nicht befürchten muss, ist nicht mehr entscheidend, ob er seinem Verteidiger überhaupt geheimhaltungsbedürftige Umstände mitteilen könnte, die im Revisionsverfahren von Belang sind.

dd) Auch aufgrund einer Zusammenschau der verschiedenen Gesichtspunkte ist nicht anzunehmen, dass ein Interessenkonflikt mit Auswirkungen auf die Effektivität der Verteidigung besteht. Hierfür kommt es nach den konkreten Umständen nicht maßgeblich darauf an, inwieweit der nach Auffassung des Kammergerichts bei einer früheren Aussage in einem anderen Verfahren manipulierte Zeuge bei der Urteilsfindung von Bedeutung war.

c) Ob die etwaige Ausschließungsmöglichkeit eines Verteidigers nach § 138a Abs. 1 und 2 StPO zugleich einen Grund für die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO darstellen kann (offen gelassen zur früheren Rechtslage von BGH, Beschluss vom 20. März 1996 – 2 ARs 20/96, BGHSt 42, 94, 97; s. auch BVerfG, Beschlüsse vom 8. April 1975 – 2 BvR 207/75, BVerfGE 39, 238, 245; vom 9. Dezember 2008 – 2 BvR 2341/08, juris Rn. 17), bedarf in der hier gegebenen Konstellation keiner Entscheidung. Die entsprechenden Voraussetzungen stehen nach dem Geschehen, das dem Beschwerdeverfahren zugrunde liegt, nicht in Rede.

Weder geht es um eine Beteiligung des Verteidigers an der abgeurteilten Tat des Angeklagten im Sinne des § 138a Abs. 1 Nr. 1 StPO (vgl. auch Gaier/Wolf/Göcken/Vorwerk, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 49 BRAO Rn. 9), noch bezieht sich der vom Kammergericht dargestellte Hergang auf einen Missbrauch des Verkehrs gerade mit dem inhaftierten Angeklagten (§ 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Da die etwaige Beeinflussung des Zeugen dessen Aussage in einem anderen, wegen Betäubungsmitteldelikten geführten Strafverfahren betraf, liegt der Anwendungsbereich des § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO ebenfalls nicht nahe (vgl. zu den Voraussetzungen LR/Lüderssen, StPO, 26. Aufl., § 138a Rn. 27; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 138a Rn. 9; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, § 138a Rn. 11).

d) Ein Verteidigerwechsel ist schließlich nicht nach § 143a Abs. 3 Satz 1 StPO vorzunehmen. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen, welche die Beschwerdeführer selbst nicht geltend machen, sind nicht gegeben…..“

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